Hallo Daniel!
> Viele Fragen bleiben jedoch noch offen... z. B.
> soll man gleich, also sofort in die "schwule
> Szene" springen (so ähnlich wie in ein
> Schwimmbecken) oder soll man lieber langsam nach
> einzelnen Kontakten zu schwulen Männern suchen?
Das muss man nach Gefühl entscheiden. Ich hatte zu erst Kontakt zu einzelnen Männern hier über das Forum gesucht. Über die habe ich schnell weitere Männer kennengelernt. Dabei sind sehr gute Freundschaften entstanden. Mir haben zum Anfang die CO30-Treffen sehr weitergeholfen. Diese Freunde haben mich in die Szene mitgenommen und viele Tips gegeben. Das war für mich der absolut richtige Weg.
Andere sind direkt in die Szene gegangen oder haben sich ein Datingprofil zugelegt und Sexkontakte zum Einstieg gesucht. Ein weiterer Einstieg wären Gruppen. Hier kann man in überschaubarem Rahmen andere Männer kennenlernen. Es gibt eigentlich für jeden etwas. Von Sport über gemeinsame Ausflüge und Stammtische bis christliche Schwulengruppen gibt eigentlich für jeden etwas. Das schöne an Gruppen für Schüchterne ist, dass sie sich öfters Treffen, so dass man, wenn man sich das eine mal nicht traut jemanden anzusprechen, beim nächsten Treffen wieder die Chance hat. Es kostet nur extrem viel Mut, das erste mal hinzugehen. Manche Gruppen bieten an, dass man vorher sich mit einem Mitglied oder Leiter trifft, um die Hemmschwelle zu überwinden.
Wichtig ist die Bereitschaft größere Entfernungen zurücklegen zu müssen. Das musste ich auch erst lernen. So fahre ich zu einem gemeinsamen Kinobesuch auch mal 70-100km, was mir früher nicht im Traume eingefallen wäre.
Was zu dir passt, kannst nur du entscheiden. Es gibt 1000 Möglichkeiten, die alle funktionieren können. Das Tempo musst du bestimmen. Der eine braucht 10Jahre, der andere 3Monate. Beides ist OK, wenn sich derjenige dabei wohl fühlt. Mal geht es schnell, dann gibt es eine Durststrecke, dann läuft es oder es gibt auch Rückschläge. Wichtig ist, dass du merkst, was dir gut tut und du dir nicht das Zepter aus der Hand nehmen lässt.
> Außerdem wie benimmt man sich denn "richtig" als
> absoluter Anfänger? Erzählt man allen gleich die
> Lebensgeschichte, geht man locker damit um oder
> verschweigt man es, dass man quasi völlig am
> Anfang steht? Wie waren die Reaktionen der anderen
> bei Leuten, denen es ähnlich erging?
Das geht auch nach Gefühl. Man erzählt ja auch sonst im Leben nicht jedem die Lebensgeschichte. Beispielsweise kennt man sich näher, sitzt zusammen bei einem Glas Wein zusammen, dann passt das. Es gibt ungeahnt viele Spätzünder auch außerhalb von CO30. Das merkt man aber erst, wenn man sich näher kennt.
> Wie ich bei vielen
> anderen gelesen habe, haben viele recht schnell
> (?) einen Partner gefunden, auch Leute, die z. B.
> vorher heterosexuelle Beziehungen gehabt haben.
> Irgendwie hat man immer den Eindruck, dass man am
> liebsten sofort einen Partner finden will. Mir
> geht es ähnlich. Es scheint so, als habe ich
> keine Zeit mehr zu verlieren und will quasi
> zwanghaft alles nachholen, was ich verpasst habe.
Das täuscht. Die Partnersuche braucht Zeit. Am effektivsten ist sie, wenn man nicht sucht, aber die Augen offen hält. Wenn man zwanghaft sucht, klappt es oft nicht. Entweder fällt man auf den Falschen herein oder verschreckt viele (peinliches, zwanghaftes Herumgebalze) oder übersieht nette Männer, die nicht genau ins Beuteschema passen und erst auf den zweiten, dritten Blick das Herz erobern.
Gar nicht verkehrt ist sich erst mal auszuprobieren und sich nicht direkt an einen Partner zu ketten. Ein paar Erfahrungen schaden sicher nicht, wenn du den richtigen triffst. Ich musste erst flirten und Männer anzusprechen lernen. Ohne das Handwerkszeug wird es schwierig. Auch musste ich erst lernen, wer zu mir passt und wo es klick macht. Da ich bemerkenswert unerfolgreich über Datingbörsen bin, aber im realen Leben bei Treffen (Beispielsweise Hausparties oder Gruppen) gut Kontakt finde, musste ich erst einen größeren Freundeskreis aufbauen um jemanden für "mehr" zu finden. Deshalb unterschätze nicht den Wert von Freundschaften ohne sexuellen Aspekt.
> Außerdem
> hört man bzw. liest man so viel von bzw. über
> "Gaydar". Ist es möglich, dass "Gaydar" nicht
> immer besonders stark ausgeprägt ist. Um mich
> herum scheint es hier in der kleinen Stadt, in der
> ich lebe, z. B. irgendwie nur heterosexuelle
> Menschen zu geben...
Die gibt es garantiert, du siehst sie nur noch nicht. Das Gaydar braucht Übung. Das ist ähnlich einem Sammler der in einem riesigen Haufen Trödel, wo du nur an den nächsten Polterabend denkst, sofort die drei Stücke wertvolles Meißener Porzellan sieht. In kurzer Zeit kannst aber auch du das lernen (z.B. wenn dein Freund Meißener Porzellan sammelt und mit dir aber auch jeden Trödelmarkt aufsucht). Mein Bruder hatte als Hetero ein gutes Gaydar, da er als Arzt recht viel mit Schwulen zu tun hatte.
Allerdings gibt es auch mit Übung beim Gaydar Unterschiede. Mancher hat ein extrem gutes Näschen, der andere sieht nur die Schwulen, denen es blinkend auf der Stirn tätowiert ist.
Ich wünsche dir viel Mut, Glück und ein gutes Händchen für deine ersten Schritte in die schwule bunte Welt.
LG
Perseus
3-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.08.15 11:40.