Hallo an alle Leser des Forums

Hey!

Habe im Forum noch nichts geschrieben. Nun traue ich mich den Anfang zu machen. Was ich schreiben könnte, wäre vielleicht etwas zu aufwühlend für mich: Schon recht früh gemerkt, dass ich anders bin und eigentlich war ich auf einem guten Weg und dachte nicht viel darüber nach, dass ich auch an Männer denke, aber dann kamen die Selbstzweifel hinzu. Außerdem wie so üblich das leidige Thema Schule (vor allem die Mitschüler). Das Verdrängen und das Hinterfragen waren mein ständiger Begleiter. Dann habe ich gedacht, stehe ich vielleicht doch auf Frauen, dann dachte ich, dass ich auf beides stehe... Immer mal abwechselnd, aber eine Beziehung hatte ich noch nie, denn in meinem Leben kamen Probleme und Hindernisse hinzu, um die ich mich kümmern musste (bzw. habe ich zumindest versucht). Die Jahre sind vergangen und ab und zu dachte ich wieder darüber nach, ob ich wirklich auf Männer stehe. Wenn ich mal einen Bericht im Fernsehen sah, war ich interessiert, habe mich aber auch mit anderen verglichen und gemerkt, dass ich vielleicht doch nicht dazugehöre. Jeder kennt ja die Klischees, die man von Schwulen hört, z. B. gutaussehend, sportlich, intelligent, usw. Das alles bin ich dann doch nicht und ich habe es wieder verdrängt. Später, als es wieder hochkam und ich dachte, dass ich doch schwul bin, wollte ich auch zu einer Coming-out-Selbsthilfegruppe, aber der Mut hat mich immer wieder verlassen und schließlich gab es noch die ein oder andere große Baustelle in meinem Leben, um die ich mich auch kümmern musste. Vielleicht hätte ich manchmal einfach mehr auf mich selbst hören sollen und mich nicht auch noch immer nur um andere kümmern sollen. Habe meine inneren Bedürfnisse so gut es ging verdrängt, bis zu diesem Jahr... alles ist wieder aufgebrochen und mir scheinen die Fehler der Vergangenheit allgegenwärtig. Leider habe ich keine schwulen Freunde gehabt (bzw. habe ehrlich gesagt immer noch keine), mit denen ich reden konnte (bzw. kann). War immer sehr schüchtern, obwohl ich jetzt glaube, dass der Grund darin, in meiner jahrelangen Verdrängung meiner innersten Gefühle liegt. Bin immer wieder einen Schritt vorwärts und zwei Schreite rückwärts gegangen, daher fühle ich mich auch gerade wie am Anfang, obwohl es mir eigentlich schon jahrelang hätte klar sein müssen. Irgendwie scheinen mich andere Menschen nicht zu mögen. Warum weiß ich auch nicht. Auf jeden Fall fühle ich mich sehr oft einsam und allein, da ich niemanden zum Reden habe und niemanden kenne, der meine Probleme verstehen kann (bzw. will).

Nun bin ich wohl zu alt (?) für eine Coming-out-Selbsthilfegruppe und einen schwulen Freundeskreis aufzubauen ist auch schwer, wenn man nicht gerade extrovertiert ist, sondern eher sehr introvertiert ist und sehr unscheinbar aussieht. Wenn ich Menschen kennenlernen könnte, die so fühlen wie ich, wäre es natürlich leichter, mit allem umgehen zu können. Wüsste auch nicht, wie und wo ich hier, wo ich wohne, Leute kennenlernen könnte. Wohin ich hingehen soll, erschließt sich mir nicht, vielleicht bin ich auch einfach zu blöd dafür oder aber zu verklemmt. Aber es wäre sicher einfacher, wenn ich endlich schwule Männer kennenlernen könnte, natürlich nur freundschaftlich betrachtet, aber ich fürchte mich vor Zurückweisung und Ablehnung. Mir fehlt aber einfach der Mut zum ersten Schritt. Manchmal denke ich auch, dass es daran gelegen haben könnte, dass ich in einer kleinen Stadt und bei eher konservativeren Eltern aufgewachsen bin. In einer Großstadt aufzuwachsen hätte hierbei sicher mehr Vorteile gebracht und man hätte mehr Leute kennenlernen können und einfach schwul ausgehen können. Aber die Jahre sind wohl nicht mehr zurückzuholen. Außerdem muss ich auch all meine Kraft in die anderen Baustellen meines Lebens stecken. Hatte einfach nie besonders viel Glück im Leben. Natürlich geht es manchen Menschen viel viel schlechter als mir (z. B. gesundheitlich oder körperlich...), aber dennoch überkommt mich nun mal das Gefühl so ziemlich alles falsch gemacht zu haben, was man falsch machen kann, und zu lange gewartet zu haben, auf die innere Stimme zu hören.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, wäre es die Zeit zurückdrehen zu können. Nur leider habe ich das Gefühl, dass wenn ich mich nicht bei allem beeile, ich noch mehr verpassen könnte, denn unsere Lebenszeit ist kostbar und oftmals zu kurz.

Vielleicht hat jemand ja noch den ein oder anderen Tipp für mich auf Lager, über den ich mich übrigens sehr freuen würde.



Liebe Grüße


Daniel

Hallo Daniel,

Gratulation zu Deinem Beitrag ... und herzlich Willkommen im Club.

Ja, dieser Teufelskreis von Verdrängung, "offensichtlicher Bestätigung des Nichtschwulseins", und dann wieder die Gedanken "doch!" und wieder ... "nee, so bin ich doch wohl nicht ...".

Nun hast Du hergefunden, genauso wie ich vor 6 Jahren, und wie viele andere vor Dir und mir auch.

Mein Tipp, lass die Vergangenheit erstmal ruhn. Nichts kommt zurück, die gute Fee oder die Zeitmaschine gibt es nicht. Trauern oder grämen hilft nicht. MORGEN sollst du leben.

Dafür gibt es "zweite Halbzeit". Und hier kannst Du dafür sorgen, dass DU sie erfüllter erleben kannst, als vielleicht vorher.

Niemand kann Dich zwingen, Dich NUR um andere Dinge zu kümmern. Nicht umsonst heißt es im Flugzeug, ERST SELBST die Maske aufsetzen, DANN anderen helfen ... auch die Feuerwehrleute und Rettungskräfte müssen ERST an sich denken, bevor sie andere retten.

Nein, niemand ist zu alt, um selbstbestimmg und "auf Männer stehend" zu leben (schwul halt).

Man muss es noch nicht mal groß ankündigen, sondern kann anfangen, es zu leben.

Du bist gestartet, Du hast hier öffentlich geschrieben (Hut ab), hast mitgelesen und vielleicht Kontakte geknüpft.

Die Welt ist kleiner als man denkt, von daher gibt es in Deinem Umkreis sicherlich auch jede Menge schwule Männer. Klar, ist es in einer Großstadt einfacher, in diese Kreise hineinzuschnuppern, ggf. erstmal unerkannt und anonym ... schwulsein kostet etwas mehr Geld und Kilometer, als vorher, aber das ist es Wert.

Gerne nehme ich Dich mal ans Händchen, solltest Du mal nach Frankfurt kommen ... Plaudern, Szene, Party oder so ... irgendwas geht immer. (Niemand ist zu alt für sowas, Folk ist "offiziell sehr alt", aber fulminant durchgestartet, mir ging es genauso ... und ich gehe oft noch alleine aus ... bleibe aber immer seltener allein am Tresen sitzen ...)

Ich finde es ganz toll, dass Du den ersten Schritt gemacht hast.

Man sollte es nicht übertreiben ... die schwule Hochzeit steht Dir wohl noch lange nicht bevor, aber eintauchen, schwule Leute kennenlernen, das macht Spaß, denn die Wellenlänge ist meistens automatisch vorhanden ...

Wünsche Dir viel Glück auf dem Weg zu Dir selbst.

Ganz liebe Grüße
Victor.

Hey Daniel,

es nie zu spät sich auf den Weg zu machen, egal wie "Alt" man ist. Man sollte innerlich bereit sein, seinen Weg gehen zu wollen.
Es ist kein einfacher Weg, neue Leute kennenzulernen, wenn man Schüchtern ist, aber man sollte es versuchen, auch wie Fred schon gesagt hat,
einfach in den Chat vorbei schauen. Da gibt vielleicht jemand, den man sympathisch findet oder näher in Kontakt treten will.
Oder wenn es die Option ergibt, einfach mal zum einen der wenigen CO 30 Treffen gehen, ich bin auch nach reichlich Überlegung hingefahren
und es war ein schönes Wochenende mit netten Menschen.
Ich kenne von mir selbst, der Wille ist da, der Mut verlässt uns nur schneller, auf der anderen Seite, frage ich mich, was habe ich zu verlieren?!
Was willst du? Willst du später im Leben bereut zu haben, nicht es doch versucht zu haben? Ja, die Selbstzweifel, die Baustellen im Leben...
Vergräbst du nicht in Arbeit um nicht an "die" eine Sache anzupacken? Je länger man zögert, kommen die Zweifel und man bleibt auf dem Weg stehen.
Ja es ist ein langer Weg, aber jeder Schritt und jeder Rückschritt, zeigt unseren Willen, den Weg zu gehen, unsere Bestimmung zu folgen.
Ich kann deine Angst verstehen, auch viele hatten Angst, aber sie sind den Weg einfach gegangen, auch wenn es Rückschläge gab, das Wichtigste ist,
dass sie glücklicherer Menschen geworden sind, weil sie ihren Weg weitergegangen sind...

Ich habe das Gefühl, dass du voller Selbstzweifel bist und dir an Selbstvertrauen fehlt. Es ist unsere Kindheit und unser Umfeld, die uns prägt, aber wir können uns davon befreien, wenn wir die Vergangenheit ruhen lässt.

Vielleicht solltest du zu dir stehen und dir selber sagen, dass es du es Wert bist geliebt zu werden, egal, was die anderen von dir denken.

Natürlich ist es kein einfacher Schritt, aber du kannst dich auf den Weg machen...

Liebe Grüsse
Henry76

Vielen Dank für die Kommentare zu meinem Eintrag im Forum!

Leider hatte ich Prüfungsstress und kann daher erst jetzt darauf reagieren. Die positiven Antworten auf meine Geschichte machen mir viel Mut und geben mir auch die Kraft, mich auf den Weg zu mir selbst zu machen. Jeder einzelne Kommentar hilft dabei und jeden einzelne Ratschlag werde ich mir zu Herzen nehmen.

Viele Fragen bleiben jedoch noch offen... z. B. soll man gleich, also sofort in die "schwule Szene" springen (so ähnlich wie in ein Schwimmbecken) oder soll man lieber langsam nach einzelnen Kontakten zu schwulen Männern suchen? Außerdem wie benimmt man sich denn "richtig" als absoluter Anfänger? Erzählt man allen gleich die Lebensgeschichte, geht man locker damit um oder verschweigt man es, dass man quasi völlig am Anfang steht? Wie waren die Reaktionen der anderen bei Leuten, denen es ähnlich erging? Natürlich weiß ich, dass man nie mit seinen Problemen allein ist, aber welches Tempo eignet sich am besten, gerade für eher schüchterne, introvertierte Menschen? Soll man langsam oder eher schnell die Sache angehen? Wie ich bei vielen anderen gelesen habe, haben viele recht schnell (?) einen Partner gefunden, auch Leute, die z. B. vorher heterosexuelle Beziehungen gehabt haben. Irgendwie hat man immer den Eindruck, dass man am liebsten sofort einen Partner finden will. Mir geht es ähnlich. Es scheint so, als habe ich keine Zeit mehr zu verlieren und will quasi zwanghaft alles nachholen, was ich verpasst habe. Das führt aber zu hohem Druck und endet wieder in "Depressionen", wenn man erkennen muss, dass man einsam und allein ist und wahrscheinlich auch noch lange Zeit so weiterleben muss. Warum diese Sehnsucht nach einer Beziehung plötzlich wieder so stark ist, weiß ich aber auch nicht. Außerdem hört man bzw. liest man so viel von bzw. über "Gaydar". Ist es möglich, dass "Gaydar" nicht immer besonders stark ausgeprägt ist. Um mich herum scheint es hier in der kleinen Stadt, in der ich lebe, z. B. irgendwie nur heterosexuelle Menschen zu geben...



Liebe Grüße an alle Leser des Forums und nochmals vielen Dank für die Reaktionen auf meinen Eintrag


Daniel

Hallo Daniel!


> Viele Fragen bleiben jedoch noch offen... z. B.
> soll man gleich, also sofort in die "schwule
> Szene" springen (so ähnlich wie in ein
> Schwimmbecken) oder soll man lieber langsam nach
> einzelnen Kontakten zu schwulen Männern suchen?

Das muss man nach Gefühl entscheiden. Ich hatte zu erst Kontakt zu einzelnen Männern hier über das Forum gesucht. Über die habe ich schnell weitere Männer kennengelernt. Dabei sind sehr gute Freundschaften entstanden. Mir haben zum Anfang die CO30-Treffen sehr weitergeholfen. Diese Freunde haben mich in die Szene mitgenommen und viele Tips gegeben. Das war für mich der absolut richtige Weg.
Andere sind direkt in die Szene gegangen oder haben sich ein Datingprofil zugelegt und Sexkontakte zum Einstieg gesucht. Ein weiterer Einstieg wären Gruppen. Hier kann man in überschaubarem Rahmen andere Männer kennenlernen. Es gibt eigentlich für jeden etwas. Von Sport über gemeinsame Ausflüge und Stammtische bis christliche Schwulengruppen gibt eigentlich für jeden etwas. Das schöne an Gruppen für Schüchterne ist, dass sie sich öfters Treffen, so dass man, wenn man sich das eine mal nicht traut jemanden anzusprechen, beim nächsten Treffen wieder die Chance hat. Es kostet nur extrem viel Mut, das erste mal hinzugehen. Manche Gruppen bieten an, dass man vorher sich mit einem Mitglied oder Leiter trifft, um die Hemmschwelle zu überwinden.
Wichtig ist die Bereitschaft größere Entfernungen zurücklegen zu müssen. Das musste ich auch erst lernen. So fahre ich zu einem gemeinsamen Kinobesuch auch mal 70-100km, was mir früher nicht im Traume eingefallen wäre.

Was zu dir passt, kannst nur du entscheiden. Es gibt 1000 Möglichkeiten, die alle funktionieren können. Das Tempo musst du bestimmen. Der eine braucht 10Jahre, der andere 3Monate. Beides ist OK, wenn sich derjenige dabei wohl fühlt. Mal geht es schnell, dann gibt es eine Durststrecke, dann läuft es oder es gibt auch Rückschläge. Wichtig ist, dass du merkst, was dir gut tut und du dir nicht das Zepter aus der Hand nehmen lässt.


> Außerdem wie benimmt man sich denn "richtig" als
> absoluter Anfänger? Erzählt man allen gleich die
> Lebensgeschichte, geht man locker damit um oder
> verschweigt man es, dass man quasi völlig am
> Anfang steht? Wie waren die Reaktionen der anderen
> bei Leuten, denen es ähnlich erging?

Das geht auch nach Gefühl. Man erzählt ja auch sonst im Leben nicht jedem die Lebensgeschichte. Beispielsweise kennt man sich näher, sitzt zusammen bei einem Glas Wein zusammen, dann passt das. Es gibt ungeahnt viele Spätzünder auch außerhalb von CO30. Das merkt man aber erst, wenn man sich näher kennt.

> Wie ich bei vielen
> anderen gelesen habe, haben viele recht schnell
> (?) einen Partner gefunden, auch Leute, die z. B.
> vorher heterosexuelle Beziehungen gehabt haben.
> Irgendwie hat man immer den Eindruck, dass man am
> liebsten sofort einen Partner finden will. Mir
> geht es ähnlich. Es scheint so, als habe ich
> keine Zeit mehr zu verlieren und will quasi
> zwanghaft alles nachholen, was ich verpasst habe.

Das täuscht. Die Partnersuche braucht Zeit. Am effektivsten ist sie, wenn man nicht sucht, aber die Augen offen hält. Wenn man zwanghaft sucht, klappt es oft nicht. Entweder fällt man auf den Falschen herein oder verschreckt viele (peinliches, zwanghaftes Herumgebalze) oder übersieht nette Männer, die nicht genau ins Beuteschema passen und erst auf den zweiten, dritten Blick das Herz erobern.
Gar nicht verkehrt ist sich erst mal auszuprobieren und sich nicht direkt an einen Partner zu ketten. Ein paar Erfahrungen schaden sicher nicht, wenn du den richtigen triffst. Ich musste erst flirten und Männer anzusprechen lernen. Ohne das Handwerkszeug wird es schwierig. Auch musste ich erst lernen, wer zu mir passt und wo es klick macht. Da ich bemerkenswert unerfolgreich über Datingbörsen bin, aber im realen Leben bei Treffen (Beispielsweise Hausparties oder Gruppen) gut Kontakt finde, musste ich erst einen größeren Freundeskreis aufbauen um jemanden für "mehr" zu finden. Deshalb unterschätze nicht den Wert von Freundschaften ohne sexuellen Aspekt.


> Außerdem
> hört man bzw. liest man so viel von bzw. über
> "Gaydar". Ist es möglich, dass "Gaydar" nicht
> immer besonders stark ausgeprägt ist. Um mich
> herum scheint es hier in der kleinen Stadt, in der
> ich lebe, z. B. irgendwie nur heterosexuelle
> Menschen zu geben...

Die gibt es garantiert, du siehst sie nur noch nicht. Das Gaydar braucht Übung. Das ist ähnlich einem Sammler der in einem riesigen Haufen Trödel, wo du nur an den nächsten Polterabend denkst, sofort die drei Stücke wertvolles Meißener Porzellan sieht. In kurzer Zeit kannst aber auch du das lernen (z.B. wenn dein Freund Meißener Porzellan sammelt und mit dir aber auch jeden Trödelmarkt aufsucht). Mein Bruder hatte als Hetero ein gutes Gaydar, da er als Arzt recht viel mit Schwulen zu tun hatte.
Allerdings gibt es auch mit Übung beim Gaydar Unterschiede. Mancher hat ein extrem gutes Näschen, der andere sieht nur die Schwulen, denen es blinkend auf der Stirn tätowiert ist.

Ich wünsche dir viel Mut, Glück und ein gutes Händchen für deine ersten Schritte in die schwule bunte Welt.

LG
Perseus



3-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.08.15 11:40.