Hallo zusammen!
Mittlerweile sind einige Monate vergangen, seit dem ich meine ersten Erfahrungen hier niedergeschrieben habe. In dieser Zeit hat sich einiges bei mir und um mich herum geändert. Vor allem mit denen, die ihr Coming Out noch vor sich haben möchte ich meine Erfahrungen teilen.
Der Tatsache, dass ich mich diesem Forum mit meiner ComingOut-Geschichte anvertraut habe, verdanke ich einen zunächst sehr intensiven Mailkontakt mit Folk0207, der an Offenheit, Vertrauen und Intimität nichts zu wünschen offen lässt. Dieser Mailkontakt diente mir zunächst als Hilfestellung bei all den Fragen, die sich im Umgang mit meinem neuen Bewusstsein stellten, verschaffte mir aber auch Erleichterung bei all den Gedanken, die ich rund um meine neue Lebenssituation hatte. Mittlerweile erfüllt der Mailkontakt diese Aufgabe in beide Richtungen und nach mehreren Treffen ist eine tiefe, herzliche und wunderbare Freundschaft entstanden. An dieser Stelle: vielen Dank Volker!
Ich hoffe, dass dies auch anderen Usern gelingt und diese dadurch ebenfalls die Hilfe und Unterstützung bekommen, die sie benötigen, um ihre Situation zu meistern.
Inzwischen konnte ich mein ComingOut voran bringen, vor allem innerhalb meiner Familie. Bei dem Gedanken, mich bei meinen beiden Töchtern (18 u. 21) zu outen, hatte ich zunächst meine Bedenken hinsichtlich der Tatsache, wie sie es aufnehmen werden, aber auch, wie ich die Sache angehen soll. Ein Umstand, den hier wahrscheinlich niemanden überraschen wird. Ich habe unterschiedlichste Quellen genutzt, um heraus zu finden, welche Erfahrungen andere schwule Väter beim CO mit ihren Kindern gemacht haben und habe mich mit Freunden beraten, bei denen ich mich geoutet habe.
Die meisten rieten dazu, mich den „Kindern“ zu offenbaren, sie würden es leichter verstehen, als man allgemein annimmt. Ein Freund jedoch gab zu bedenken, dass es den Kindern immer peinlich ist, wenn sie an Sex in Bezug auf ihre Eltern angesprochen werden und ich sollte mir das gut überlegen, ein durchaus bedenkenswerter Punkt.
Es gab für mich jedoch zwei entscheidende Punkte, die mir die Notwendigkeit vor Augen führten, warum ich mich bei meinen Kindern outen wollte.
Zum einen wollte ich nicht in die Lage kommen, mich gegenüber meinen Kindern erklären zu müssen, weil sie irgendeinen Verdacht geschöpft haben oder eine peinliche Situation dies erforderlich machte und ich mit dem Rücken zur Wand stehe. Ich wollte die Fäden in der Hand halten, den Zeitpunkt, Ort und Situation bestimmen können.
Zum anderen wollte ich meinen Töchtern mit dem von mir initiierten Gespräch zeigen, dass ich genug Vertrauen zu ihnen habe, dass ich ihnen diese Information nicht vorenthalte und mich aus freien Stücken oute. Sie sollten wissen, wer ihr Vater wirklich ist.
Letztlich wollte ich erreichen, dass es zuhause keine Geheimniskrämerei mehr gibt. Ich wollte kein Versteckspiel mehr.
Nachdem ich mich mit meiner Frau über mein Vorhaben abgestimmt hatte, musste ich den richtigen Zeitpunkt finden. Mein Vorhaben war, dass ich möglichst beide Töchter gleichzeitig ins Boot hole. Diese Idee scheiterte an meiner Unachtsamkeit und der Entdeckung, die meine ältere Tochter machte: Eine Packung Kondome auf meinem Schreibtisch, was sie mir auch demonstrativ unter die Nase hielt. Ich beschloss am gleichen Tag, eine Situation zu nutzen, bei der meine ältere Tochter, meine Frau und ich zusammen saßen. Es fiel mir leichter, als befürchtet. Nach wenigen einleitenden Worten, musste ich meine Tochter zunächst beruhigen, da sie befürchtete, dass ich ihr sage, dass ich schwer krank wäre. Dann sagte ich ohne weitere Umschweife den entscheidenden Satz: „Ich bin schwul“. Sie brach in Tränen aus, weil sie nun befürchtete, dass meine Frau und ich uns trennen. Meine Frau machte deutlich, dass wir eine zusammen bleiben werden und eine offene Partnerschaft führen wollen. Danach kam Ruhe in das Gespräch und meine Tochter akzeptierte das Gehörte. „Für mich ändert sich nichts, du bleibst mein Papa!“ war ihr entscheidender Satz und wir umarmten uns.
Das war alles? Kein Drama? Keine Auseinandersetzung? Erleichterung machte sich breit.
Später verabschiedete ich mich, um zu einem Treffen der „Schwulen Väter“ zu fahren, was ich meiner Tochter auch sagte und sie verabschiedete mich mit den Worten: „Tschüss, mein schwuler Papi!“ Wir alle lachten. Ich war mit meiner Botschaft angekommen.
Bei meiner zweiten Tochter, war es in mehrfacher Hinsicht einfacher. Einerseits wusste ich, wie ich das Gespräch anfangen musste, um die mögliche Besorgnis zu vermeiden. Andererseits nahm meine Tochter mir den entscheidenden Satz vorweg (ohne von ihrer Schwester informiert worden zu sein) und verblüffte mich zum ersten Mal: „Papa du bist schwul!“ Dann kam die zweite Überraschung, als sie sagte: „Auch wenn ich noch keine Erfahrungen habe, denke ich aber, dass ich bisexuell bin!“. Ich umarmte meine Tochter und danach hatten wir ein sehr entspanntes, lockeres Gespräch, bei dem auch gelacht wurde. Und auch hier trug meine Frau entscheidend dazu bei, dass mein ComingOut erfolgreich war, indem sie mich unterstützte und wieder betonte, dass wir zusammen bleiben wollen.
Ein Freund sagte: „Nun seid ihr eine Regenbogenfamilie!“ Wir können nun sehr offen und locker mit der Situation umgehen. Ich brauche mich nicht mehr zu verstecken, alles fühlt sich sehr entspannt an.
Die gewonnene Freiheit ist unbeschreiblich.
Meine Familie weiß, wenn ich mich mit anderen Männern verabrede, ich muss nichts mehr verheimlichen.
Wie locker es mittlerweile zugeht verdeutlicht diese Szene am Frühstückstisch:
Ich zu meiner Frau: „Gib mir bitte ein blaues Osterei!“
Meine ältere Tochter: „Nein! Gib ihm das pinke. Papa bekommt nur noch pinke Eier!“
Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass meine Frau durch ihre Haltung und Einstellung einen wesentlichen Beitrag für dieses erfolgreiche CO geleistet hat und dass unsere familiäre Situation dadurch nicht alltäglich ist.
Eine weitere Etappe ist geschafft, auf einem Weg, von dem ich nicht weiss, wo er hin führt.
Lieben Gruss an die Gemeinde
Martin