Hallo an Alle
Ich habe mich gerade hier angemeldet. Eigentlich suche ich ein Forum in dem man sich auch als Älterer mal austauschen kann. Leider machen die meisten Gay-Foren so bei 25 Jahren dicht. Leider muss das wohl so sein um die Jüngeren da etwas zu schützen. Und bei GR gehts eh nur um das Eine...
Wie gesagt: ich würde gerne auch mal nur reden...
Tja, ich hab jetzt nicht wirklich einen Plan was ich hier gleich noch alles schreiben werde.
Aber ich bin schon mächtig neugierig :-)
Also...
Ich bin 44 Jahre alt und habe mit 41 Jahren erst erkannt dass ich schwul bin. Mittlerweile bin ich auch geoutet. Und zum ersten Mal im Leben glücklich...
Und das ist meine Geschichte:
Ich fange mal in meiner Kindheit an. Eigentlich waren die ersten Jahre ziemlich normal. Bis sich meine Eltern getrennt haben. Da war ich so 12 Jahre alt. Und die Trennung war ziemlich hässlich. So mit Polizei und so...
Ich bin erst bei meinem Vater geblieben, habe aber dann doch recht zügig zu meiner Mutter gewollt.
Die wollte mich dann mit ihrem neuen Lebensgefährten von der Schule wegholen.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich dachte ich müsste doch einen Schlafanzug haben. Also bin ich den ganzen tag in der Schule rumgelaufen - mit einem Schlafanzug unter meinen Klamotten.
Als die Schule zu Ende war sind die Beiden dann vorgefahren, meine Mutter hat die Scheibe runtergekurbelt, mir gesagt, dass das so nicht funktioniert - und weg waren sie...
Irgendwie bin ich dann doch noch zu den Beiden gekommen. ich weiß schon gar nicht mehr wie.
Die ersten Wochen waren echt toll. Ihr Lebensgefährte war echt lustig.
Nur hat sich das recht schnell geändert.
Die Beiden saufen...
Nach dem Bund bin ich ausgezogen. Bis dahin war jeden Tag Zoff.
Mein Stiefvater hat gesoffen, meine Mutter gebrüllt.
Tag für Tag...
Wenn die weg waren habe ich im Bett gelegen und gewartet.
Erst wenn sie wieder da waren und sich gezofft haben konnte ich schlafen - weil ich dann wenigstens wusste, dass sie noch leben.
Ich bin in der Angst aufgewachsen, dass die sich umbringen...
Gewohnt haben wir sehr ländlich. Da gab es für mich keine Fluchtmöglichkeit. Ich habe in der Situation festgehangen.
Ich bin in der Schule zu einem Außenseiter geworden. Was auch sonst ?
Es gibt im Leben für Alles eine Zeit.
Und die Zeit, die Pubertät, zu erkennen WAS ich bin habe ich damit verbracht den Verstand nicht zu verlieren!
Nach meinem Auszug hat es über ein Jahr gedauert bis ich ohne Radio schlafen konnte. Sobald es leise wurde habe ich die Beiden schreien gehört. Dabei waren sie 150km weit weg...
Ich habe dann ca. 15 Jahre als Einsiedler gelebt. Nach 15 Jahren kannte ich nicht mal die Namen meiner Nachbarn - und das in einem 700-Seelen Dorf. Außer meiner Arbeit hatte ich nichts.
Internet kam auf. Ich habe mich mit Bildern und Pornos über Wasser gehalten - natürlich Hetero...
Gemerkt habe ich immer noch nix.
Keine Ahnung warum.
Irgendwie hat sich mir die Frage nicht mal im Geringsten gestellt.
Ich glaube, ich hätte mal in eine Stadt ziehen sollen. Mal ein bischen mehr Input. Hätte mir helfen können.
Aber immer nur auf dem Land...
Naja, jedenfalls habe ich über das Netz dann eine Frau kennen gelernt.
Im Nachhinein kann ich sagen: Das war der erste Mensch der mal nett zu mir war!
Wir sind zusammen gekommen und haben geheiratet.
Häuschen gebaut
... und uns getrennt.
Ich habe lange nach einem Bild gesucht wie ich Jemandem erklären kann wie ich mich gefühlt habe.
Mein Leben war wie ein Kühlschrank:
Es ist Samstag Abend und du willst dir einen gemütlichen Abend machen.
DVD rein, Fernseher an, Kuscheldecke...
Und jetzt noch was Leckeres zum Knabbern.
Du gehst an den Kühlschrank
Schaust rein
Der ist voll bis oben hin mit den tollsten Sachen
- Aber irgendwie ist das Alles nicht das Richtige!
Du hast keine Ahnung was da nicht passt - aber überall fehlt was.
Zu salzig, zu süß, zu öde, zu fett...
Also beißt du hier mal rein
knabberst da mal dran rum
- und bleibst doch hungrig.
Hungrig und frustriert...
So war mein Leben.
Nach der Trennung war ich down. Klar war nur, dass es an mir gelegen hat.
Sie war jetzt auch nicht gerade eine Heilige. Jeder Mensch hat auch Fehler.
Aber ich war unfähig damit umzugehen.
Es gab da einen Abend da wollte ich mich umbringen.
(Keine Angst: Nix passiert, da hatte ich schon Hilfe. Aber der Abend war wichtig für mich. Ich glaube da ist endgültig die Entscheidung für das Leben gefallen)
Nach der Trennung wollte ich endlich mal rausfinden was bei mir immer schief geht.
Ich habe intensiv mit Meditation angefangen (macht den Kopf frei) und bin in eine Therapie gegangen (füllt den Kopf wieder mit den wichtigen Dingen)
Erst in der Therapie ist mir aufgegangen dass ich unfähig war mit anderen Menschen zu interagieren.
Auf der Arbeit war ich einer der Besten. Prima...
Blöd nur, dass das aus der Angst vor Ausgrenzung so war. Flucht nach Vorne...
Solange ich der Beste bin kann mir Keiner was.
Aber privat?
Ich konnte in der Pommesbude noch nicht mal fragen ob der Stuhl noch frei ist.
Wenn da voll war bin ich wieder abgehauen.
Nicht gerade eine gute Voraussetzung für eine Beziehung...
Tja, wir haben also meine Kindheit und meine Probleme aufgearbeitet.
Parallel dazu bin ich im Internet über Gay-Seiten gestolpert. Pornos, Webcams, Stories...
Und zum ersten Mal war ich in der Lage die Dinge einfach mal laufen zu lassen.
Mit immer größeren Erstaunen habe ich mich beobachtet.
Da kam ein Etwas ganz ganz tief aus mir hervor.
Ich habe mich gefühlt als hätte ich alles Adrenalin der Welt in meinen Adern.
Ich habe viel davon gelesen, dass sich Andere irgendwann die Frage stellen "Bin ich schwul?"
Ehrlich gesagt - habe ich nie.
Weil es sich einfach RICHTIG anfühlte.
Ich hatte in meinem Kühlschrank gefunden was gefehlt hatte.
Ich habe also mit Webcams experimentiert. Das war eine Befreiung !
Und ich habe die Sicherheit der Anonymität gebraucht.
Aber ich wollte auch mehr.
Wieder über das Netzt habe ich einen Mann kennen gelernt.
Wir haben uns getroffen - und beim dritten Mal sind wir ins Bett.
Mit einer Frau war Sex - ok.
Aber warum da so ein Aufriss drum gemacht wurde konnte ich nicht nachvollziehen.
Von mir ist da nie die Initiative ausgegangen.
Das war mehr ein "Erfüllen ehelicher Pflichten"
Aber mit ihm... Whoa !
Ich dachte vorher eigentlich ich müsste Angst haben - Nö !
Es war als ob die Realität einen Schritt zur Seite gemacht hätte.
Und eingerastet wäre.
Zum ersten Mal - zum allerersten Mal - in meinem Leben habe ich mich vollständig gefühlt...
Zusammengekommen sind wir nicht. Nach einer Wiederholung sind wir dann getrennte Wege gegangen.
Meiner führte mich nach GR.
Eiwei...
Was es nicht Alles gibt :-)
Eine neue Welt - eine ganze Welt für mich !
Meine Welt...
Und ich hab nix anbrennen lassen :-)
Da gab es soviel zu entdecken - und das meiste davon in mir...
So, ich kürze jetzt mal ab. Wir wollen ja jugendfrei bleiben :-)
Seit 2 Jahren lebe ich jetzt in einer Beziehung mit einem Mann.
Leider in einer Art Fernbeziehung. Wir sehen uns so 1-2 Mal in der Woche für ein paar Stunden. Alle paar Wochen mal über Nacht.
Manchmal habe ich das Gefühl ich könnte durchdrehen.
Aber ich liebe mein Bärchen abgöttisch.
Und ich werde den Teufel tun nochmal gegen meine Gefühle zu handeln - das kann nur in eine Katastrophe gehen !
Und meine Frau ?
Als mir klar geworden ist dass ich mich wieder verliebt hatte (eigentlich: zum ersten Mal wirklich verliebt) war ich ziemlich durcheinander. Und ich brauchte dringend mal Jemanden zum Reden.
Ich glaube es ist klar, dass meine Eltern da wohl nicht geeignet waren.
Ich habe lange mit meiner Frau telefoniert. Ich habe mich den Abend bei ihr geouted.
Es gab viele Tränen - auf beiden Seiten.
Bei jeder Trennung stellen sich Beide die Frage ob sie selber Schuld daran waren.
Ich denke - so weh es auch tut - aber sie hatte ein Recht auf die Wahrheit.
Das ich ihren Rat brauchte war nicht Ursache für das Gespräch. Das hatte ich schon lange vor. Es hat mir nur geholfen den Mut zu finden.
Und nachdem wir unsere Tränen getrocknet hatten hat sie mir ein gerüttelt Maß an guten Ratschlägen gegeben :-)
Sie wohnt nach wie vor in dem Haus das wir gebaut haben. Und ich unterstütze sie finanziell. Ich selber habe ein 1-Zimmer-Appartement. Finanziell ist das halt eng.
Wir sind Heute wirklich gute Freunde. Wir können uns Alles erzählen. Wir halten zusammen.
Heute weiß ich was mir im Leben wirklich wichtig ist. Und sie gehört dazu !
Es gibt viele Formen von Liebe. Eigentlich sollte sich mal Jemand darum kümmern unsere Sprache da mal anzupassen.
Nur EIN Wort für alle Arten der Liebe kann nur in die Hose gehen !
Ich liebe meine Frau - nur halt nicht auf die Art wie man sie für eine Beziehung bräuchte.
Und ich werde sie nie im Stich lassen - weil sie mir dafür zu wichtig ist !
Ok, viel Text. Und was ist jetzt das Resümee ?
Es hat 41 beschissene Jahre und eine versemmelte Ehe gedauert bis ich erkannt habe WER ich bin und WAS mir wichtig ist.
Ich bin jetzt endlich glücklich. Natürlich läuft nicht Alles perfekt. Aber zum Glücklichsein muss es das auch nicht.
Und eigentlich verstehe ich mich jetzt erst so richtig mit meiner Frau.
Sie sagt selber, dass unsere Beziehung jetzt - als Freunde - besser läuft als als Ehepaar.
Und vielleicht kann das hier dem Einen oder Anderen etwas Mut geben.
Das wäre schön...