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Wie ein Kreis im Meer von Quadraten

geschrieben von Finn76 
Wie ein Kreis im Meer von Quadraten
13. Mai 2012 11:27
War letzte Woche auf einem Workshop zur Lebenssitation schwuler Jugendlicher. Und ich habe eigentlich gedacht, das Outing wäre heute kein Problem mehr. Da gibt es aber ein paar Zahlen die schon sehr nachdenklich stimmen.

In München (2011) sagen 90,1 % der Fachkräfte, dass in Jugendhäusern ein unfreundliches Klima gegenüber Schwulen herrscht.

Nach einer Studie der Uni Bielefeld (2009) finden 42 % der Befragten Homosexualität unmoralisch.

Eine Maneo Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 60 % der befragten jungen Schwulen Gewalterfahrungen gemacht haben.

Aber auch das Coming out bleibt schwierig. Nach der Entdeckung des Andersseins (nach einer Studie aus Niedersachsen 2001) mit 13,4 Jahren erlangt ein schwuler Jugendlicher durchschnittlich mit 16,7 Sicherheit in der sexuellen Orientierung und beim Coming out sind die Jugendlichen durchschnittlich 18,2 Jahre. Da haben die heterosexuellen Altersgenossen schon viele Beziehungserfahrungen hinter sich. Das ist bei schwulen Jugendlichen immer noch ein sehr langer Zeitraum in dem sie grübeln, zweifeln, sich selbst in Frage stellen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Suizidrate bei schwulen Jugendlichen deutlich höher liegt.

LG Finn
Re: Wie ein Kreis im Meer von Quadraten
13. Mai 2012 11:51
Würde mich interessieren inwieweit solche Studien den Einfluss der Medien auf unsere Gesellschaft berücksichtigen. Ich bin der Meinung dass gerade solche, die die Jugendlichen als Zielgruppe haben, sich öfter damit befassen sollten, sozusagen für mehr Toleranz im Zusammenleben mit und gegenüber Schwulen, Bisexuellen usw.
Re: Wie ein Kreis im Meer von Quadraten
13. Mai 2012 13:06
Der Einfluss der Medien ist ja nicht ganz so groß wie man das annimmt. Wenn in den Medien über einen schwulen Bürgermeister berichtet wird oder aber mittlerweile in jeder Soap ein schwuler mitspielt, so hat das nicht immer viel mit der Lebenswelt der Jugendlichen zu tun. Und es ist eben ein gravierender Unterschied, ob nun in der Soap jemand schwul ist oder ob eben das eigene Kind schwul ist. Da geraten Eltern schnell an ihre Toleranzgrenzen. Das hat aber auch damit zu tun, dass das öffentlich Bild von Schwulen in den Medien sehr einseitig ist. Da sind die bunten Typen wie Dirk Bach oder die Vorkämpfer für schwule Rechte wie Rosa von Praunheim, die auffallen und auf der anderen Seite erfolgreiche Politiker wie Westerwelle und Wowereit, die ein bürgerliches Leben führen. Aber mit wem soll sich ein schwuler Schulversager identifizieren? Und wie soll ein schwuler ein Netzwerk und Freundeskreis aufbauen, wenn er mitten in der Provinz lebt?
Der Sozialverein für Lesben und Schwule ist gerade dabei ein Projekt dazu am Niederrhein aufzubauen. Aber es ist eben auch sehr schwierig schwule Jugendliche zu erreichen, da der Besuch einer solchen Einrichtung sehr angstbesetzt ist.

Zum Thema Leute die sich mit Jugendlichen befassen, sollten das Thema ernster nehmen. Das kann ich nur unterstützen. Aber die Erfahrung zeigt, dass es ein Randthema ist. Auf der Tagung waren ca. 100 Teilnehmer, alles Fachleute für Jugendarbeit. 6 davon waren auf dem Workshop in dem es um schwule Jungs ging. Das kann daran liegen, dass auch andere interessante Themen angeboten wurden, aber ich glaube, dass es nicht nur daran lag...
LG Finn
Re: Wie ein Kreis im Meer von Quadraten
18. Mai 2012 18:06
Ja, das Thema "Schwul" und auch "Lesbisch" ist sicher noch nicht ganz in der Gesellschaft angekommen, wenngleich sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten ganz sicher sehr (!) viel getan hat. Mein Eindruck ist, daß man Lesben und Schwule schon stärker in der Gesellschaft sieht als früher. Zu meiner Schulzeit war dieses Thema kaum präsent, ich KANNTE keine Schwule (bzw. wußte nicht, daß sie schwul waren), in der Schule wurde nicht darüber geredet, es war kein oder kaum ein Thema im Unterricht. Und wenn ich Schwule wahrnahm, dann waren es schräge Typen, zu denen ich nicht gehören wollte.
Ein wenig selbstverständlicher ist es nun vielleicht schon geworden, man nimmt eher mal Schwule wahr, auch wenn man nicht in speziellen Kneipen o.ä. ist. Und da man mehr sieht, sind sie auch vielfältiger. Es ist nicht mehr nur der Tuntige, sondern vielleicht auch der Jurastudent, der Politiker, der Schauspieler oder einfach nur der Kollege im Laden. Das ist sicher anders als früher, als man nur hinter vorgehaltener Hand über "solche Leute" sprach.
Mir fallen aber auch gegenüber früher (ich rede von den 80ern) andere Veränderungen auf: umarmen sich nicht ohnehin inzwischen auch sehr viel mehr Heteromänner? Ich kannte das zur Schulzeit gar nicht, ich merke das auch, wenn ich heute alte Klassenkameraden sehe, daß man sowas nicht macht. Aber ich sehe, wenn ich heutige 20jährige beobachte, viel mehr Jungs und Männer, die sich umarmen oder zumindest irgendwelche sehr speziellen "Begrüßungsrituale" durchziehen. Nicht alle, aber sehr viel mehr als vor zwanzig Jahren. Das hat nichts mit schwul zu tun, fällt mir nur teilweise auf.

Ab die Gesellschaft deswegen toleranter ist, weiß ich nicht. Ich glaube, es ist derzeit chic, "tolerant" zu sein. Man "hat nichts gegen Schwule", weil das uncool ist. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, daß das zwar bei vielen Menschen so eingeritzt ist, sie aber mit dem Kopf noch nicht nachgekommen sind, weil es dennoch so viele Fragen, Unsicherheiten und Ängste gibt. Ich meine schon, daß viele Heteros noch immer Angst haben vor "diesen Leuten" und nicht wissen, wie sie mit ihnen umgehen sollen. Oder daß sie Schwule noch immer nicht "mögen". Aber es gehört sich nicht mehr, schwulenfeindlich zu sein. Gleichzeitig aber benehmen sich immer mehr Schwule ganz selbstverständlich, leben schwul, auch in der Öffentlichkeit (was ja gut ist). Ich sorge mich nur, daß sich hier allmählich zwei unterschiedliche Seiten aufbauen: hier die offen Lebenden Schwulen, die das immer selbstverständlicher nehmen, dort die verunsicherten Heteros, die nicht wissen, wie damit umzugehen ist. Ich fürchte manchmal, es könne sich da etwas Frust und dann auch Verärgerung bis hin zu "Hass" aufbauen, der sich irgendwann entladen könnte, wenn die Umwelt für solche Leute "zu schwul" geworden ist. Oder wenn man auf Gleichgesinnte trifft.

Ist nur eine Sorge von mir, muss nicht so sein. Aber ich fühle mich als Schwuler, bei aller Offenheit und (scheinbarer oder tatsächlicher) Toleranz, noch nicht sicher in der Gesellschaft.

Was mir aber auffällt, wenn ich mit Jüngeren unterwegs bin, daß sie schon zu Schul- und Studentenzeiten sehr viel offener sind, zumindest in vielen Bereichen scheint sich da viel getan zu haben. Und wenn Heteros immer öfters gute Freunde und Bekannte haben, die eben schwul sind, baut das auch Ängste ab. Denn man kennt ja "Einen", und "der ist o.k." Zumindest höre ich das oft von Hetero-Bekannten. Ganz sicher tut sich hier schon etwas, aber wir sind sicher noch nicht am Ziel, aber schon ein ganzes Stück von der Startlinie weg. Das ist ja auch schon was.

Ein Aspekt ist aber natürlich auch, daß für uns "Schwule" dieses Thema natürlich sehr wichtig und elementar ist, für Heteros ohne Bezug dazu ist es nur ein Thema, nicht DAS Thema. Ohne direkten Bezug gint es eben auch andere Themen, auch andere Personengruppen, gegen die es womöglich auch Vorbehalte gibt: Ausländer, Hartz4-Empfänger, Obdachlose, Personen mit Behinderungen etc. etc. Alles auch Leute, die auf Toleranz angewiesen sind und ich mag da nicht werten, wer sie nötiger braucht. Sind die für nichtbetroffene Heteros noch ebensowenig oder ebensoviel wichtig?

Ein letzter Aspekt, der mir noch dazu einfällt, ist, daß viele Heteros vielleicht nach wie vor Angst haben, selbst als schwul zu gelten. Vielleicht gehe ich als Hetero nicht zu einem Vortrag über Schwule, weil ich vor der Frage anderer Angst habe, WESHALB ich gerade dorthin gehe? Ich erlebe bei toleranten Heteros oft, daß sie sich dennoch sehr an ihre Freundinnen und Frauen klammern, wenn es ihnen allzu "schwul" wird. Ich glaube, in den Köpfen sind da noch viele Ängste. Und gäbe es die nicht, dann bräuchten wir wohl auch oft keine Jahre oder Jahrzehnte, um uns zu outen. Denn wir selbst hatten oder haben ja diese gesellschaftlichen Vorurteile auch in unseren Köpfen. Und ich habe auch bei Geouteten manchmal das Gefühl, daß sie nur schwul sind, weil sie es eben "müssen". Wie oft lese ich von Konstellationen, da wird fast verzweifelt an der Beziehung zu einer oder der Frau festgehalten, und ab und an "reagiert" man sich bei einem Mann ab. Hier ist ja der andere Mann oft auch noch nicht als gleichwertiger Partner über den Sex hinaus in den Köpfen angekommen. Oft ist der (Sex)Partner eigentlich nur "die Geliebte", irgendwie nicht mehr. Ich sage bewußt "oft", denn natürlich gibt es "richtige" Beziehungen, aber oben genanntes Phänomen lese ich sehr sehr oft. Die Gesellschaft hat also nach wie vor bei Vielen feste Bilder in den Köpfen verankert, wie man leben soll. Gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften gehören oft noch nicht dazu.

Ich denke oft über all' das nach, und irgendwann habe ich mich gefragt, was würde ich machen, wenn eine gute Fee in mein Leben träte? Und sie würde mir einen Wunsch erfüllen wollen und frägt: "Soll ich Dich hetero machen?" Ich glaube, noch vor zwanzig Jahren hätte ich JA gesagt. Heute würde ich NEIN sagen. Denn zu meiner Persönlichkeit gehört es dazu, daß ich auf Männer stehe. Aber der Weg zu dieser Antwort war auch für mich lange.

Poar, sorry, habe mal wieder lange geschaffelt ... Was man alles schreibt, wenn man mal anfängt.

Liebe Grüße,
Mickey2.
Re: Wie ein Kreis im Meer von Quadraten
19. Mai 2012 08:51
Dazu passt ein Interview, das ich heute (Sa., 19.5.12) in der Badischen Zeitung gelesen habe:

[www.badische-zeitung.de]

Liebe Grüße,
Mickey2.
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