Hallo ihr zwei,
danke für eure spannenden Geschichten
Da möchte ich doch auch noch meinen Beitrag zu leisten.
Also ja, Wechselstrom, ich will nicht behaupten, dass ich meine Bindungsangst überwunden habe, aber ich bin schon sehr weit. Auf meiner Reise habe ich mir darüber auch unfassbar viel Wissen angeeignet und kann ja mal ein paar meiner Erkenntnisse hier mit euch teilen.
Vielleicht zu meinem Background. Ich bin ausgebildeter Verhaltenstherapeut, habe sehr tiefes Wissen in klinischer Psychologie und studiere selbst auch Psychologie. Kurzum: Ne ganze Menge Wissen aus dem Bedürfnis heraus, mich selbst zu verstehen und "heilen" zu können. Ich denke es ist aber klar, dass Wissen alleine nicht ausreicht und vor allem, dass man es vermutlich kaum alleine schaffen kann. (Sonst würden die Lektüren von Stefanie Stahl ja ausreichen, und alles wäre gut).
Wir sind nun mal alle in unserer Realität gefangen und sehen die Welt durch die Brille unserer eigenen Erfahrungen und Prägungen und da braucht es jemand anderen, der nicht in unserer Welt gefangen ist, um uns da raus zu holen. Deswegen ist Coaching und Therapie ja auch so wirkungsvoll und Selbsttherapie nur in Ausnahmefällen erfolgreich.
Zu meiner Bindungsangst-Reise:
Ich hab mir das ganze Wissen dazu über eine sehr lange Zeit angeeignet und wusste also perfekt, was das Problem war:
Ich gab nie was von mir preis, aus Angst dass der andere mich dann blöd findet. Ich hab nur geschaut welche Erwartungen der andere hatte ohne zu spüren, was ich denn eigentlich will (aus Angst der andere findet das blöd). War konfliktscheu und hab immer Ja zu den Vorschlägen der andere gemacht etc.
Mit dem Wissen und ganz viel Mut habe ich mich in nachfolgenden Dates langsam vorgearbeitet und geöffnet. Habe meine Ängste offen angesprochen (was für ne Überwindung, das kann ich euch sagen 😅), habe immer mehr von mir Preis gegeben und mich immer mehr getraut auch zu sagen, wenn ich etwas nicht mochte und selbst Dinge vorgeschlagen, die ich gerne machen würde. Also Expositionstherapie wie sie im Buche steht. Alle Problempunkte habe ich adressiert und durch neues Verhalten ersetzt. Was ist dadurch passiert? Also erstmal ist es nie eingetreten dass der andere mich blöd fand. Ganz im Gegenteil, alle fanden das total toll und sympathisch, dass ich offen darüber geredet habe.
Ich bin meine sozialen Ängste losgeworden, was ein netter Nebeneffekt war. Aber meine Bindungsangst, war immer noch da. Immer noch keine Gefühle, kein Verliebtsein, immer noch das Gefühl, eingeengt zu sein wenn es eng wird, immer noch starke Unlust, denjenigen zu treffen, wenn sich mehr Nähe anbahnte. Es war zum verrückt werden.
Offensichtlich fehlte mir immer noch ein wichtiges Puzzelteil zur Lösung
Also habe ich weiter gesucht nach Lösungen und bin nun bei folgendem Thema fündig geworden:
(Kleiner Theorie-Abriss 😅)
Ja Nichi, Bindungsangst taucht nicht im ICD-10 auf (im ICD-11 übrigens auch nicht). Es ist vor allem ein Begriff aus der Alltagspsychologie.
Was man weiß ist, dass Bindungsangst in der Form, wie wir sie erleben dem ängstlich-vermeidenden Bindungsstil entspricht, welcher in der Kindheit entstanden ist, weil sich kein Urvertrauen bilden konnte (einfach mal die Bindungstheorie nach Mary Ainsworth googlen).
Fehlendes Urvertrauen bei Kindern bedeutet, dass sie sehr sehr früh für sich entschieden haben, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist. (Seid ihr anderen Menschen gegenüber auch tendenziell eher misstrauisch und fällt es euch schwer Vertrauen aufzubauen generell?)
Dieser verehrende Schluss kann meiner Meinung nach nur durch Vernachlässigung oder Gewalt (emotional, psychisch, sexuell) passieren, was also bedeutet, das Kind hat ein Entwicklungstrauma.
Traumata sind für den logischen Verstand nicht zugänglich und können auch mit der besten kognitiven Therapie nicht gelöst werden (Jap, hab ich gemerkt). Das macht sich z.B: dadurch bemerkbar, dass man kaum Zugang zu den eigenen Gefühlen hat und diese automatisch unterdrückt werden, ohne dass man das will und dass man in ähnlichen Situationen (wie z.B: es wird enger in Beziehungen) dieselben körperlichen und gedanklichen Muster aktiviert ohne dass uns das bewusst ist oder wir das ändern können.
Hier bedarf es meiner Meinung nach einer Therapie, die den Körper also mit einbezieht. Ich bin hier auch beim Thema Focusing gelandet. Eine erstaunliche Form, die Sprache seines Körpers wieder zu lernen, inneren Anteilen, die abgespalten wurden durch den Körper Gehör zu verschaffen und zu reintegrieren. Es gibt im deutschsprachigen Raum eine Erweiterung davon, die radikale Erlaubnis von Mike Hellwig. Er beschreibt z.B. exakt diesen blockierten Zugang zu den Gefühlen und hat ein sehr anschauliches Modell entwickelt.
Das schwierige daran ist, dass man körperzentrierte Therapien nicht mit dem Verstand verstehen oder beschreiben kann, sondern nur im eigenen Körper erleben kann. Daher reicht es nicht aus ein Buch zu lesen und sich zu sagen "Jap, hab ich verstanden". Es geht nur über das regelmäßige praktizieren und selbst erleben. Das kann mitunter frustrierend sein, wenn sich Anfangs kaum Fortschritte zeigen, aber dran bleiben lohnt sich so unfassbar.
So, bevor das hier aber in eine Vorlesung ausartet, mach ich lieber mal Schluss.
Wenn ihr mögt und das Thema vertiefen wollt, können wir uns gerne mal über Zoom oder so austauschen 😁
Liebe Grüße
Michael Kensy
Coming-out Coach
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