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Homoromantisch?Bisexuell?

geschrieben von Nichi 
Homoromantisch?Bisexuell?
29. Januar 2024 15:45
Liebes Forum,

ich möchte kurz von mir erzählen und würde mich so freuen zu hören, ob es hier jemandem ähnlich geht oder jmd eine ähnliche Geschichte hat? Denn irgendwie fühle ich mich sehr alleine mit diesem Thema. Die Ohren meiner Freundinnen sind durchgekaut. grinning smiley Keiner fühlt wie ich.

Ich bin 30w und date mich nun seit 10 Jahren durch das Leben. Immer Männer. Immer Affären. Freundschaften Plus. Nie wurde es ernst und nur einmal in den letzten Jahren erinnere ich mich daran, dass ich mich verliebt habe (in einen Mann mit angeblicher Bindungsangst --> der sich, so glaub ich, einfach nichts mit mir hat vorstellen können). Sonst lief es immer nach dem gleichen Schema: ich lerne jemanden kennen, er findet mich gut, ich lass es zu und hoffe, dass ich mich verliebe und tue es letztlich einfach nicht, ich trenne mich. Für mich bedeutete das Dating jedes Mal innerlichen absolut heftigen Stress, der sich so anfühlt, als Stünde man vor dem Examen, oder einer Prüfung, einem Vortrag, etc.. . ich glaube, weil ich ständig das Gefühl habe ich kann die sexuellen Erwartungen nicht erfüllen, weil ich mich nicht hingezogen fühle und deshalb engt mich der bloße Gedanke an eine Beziehung mit diesem Menschen komplett ein. Je älter ich werde desto heftiger die Reaktionen (Dauerstress nach dem zweiten Date spätestens), sodass ich das Dating immer früher abbreche.
Dieses wiederholte Muster hat mich nun zu dem Gedanken gebracht, ob ich denn nicht dann einfach homoromatisch bin. Homosexuell glaub ich nicht, denn ich kann mir vorstellen mit Männern zu schlafen. Jedoch auch seit neuestem auch mit Frauen. Also würde ich mich tendenziell als bisexuell bezeichnen, wenn ich auch noch nie mit einer Frau geschlafen habe. Da es sich jedes Mal, wenn ich mit einem Mann schlafe und mein Gegenüber mehr Interesse zeigt und mich öfter treffen will, nach absoluter Enge und Stress anfühlt, stehe ich jetzt vor Zweifeln bezüglich meiner romanischen Seite (homoromantisch?).
Dass ich noch nie mit einer Frau geschlafen habe oder mir etwas mit einer Frau vorstellen konnte, lag lange daran, dass ich in einer Heterowelt (Kleinstadt) aufgewachsen bin, in der bi/homosexuell/romatisch sein etwas war, was andere betrifft, aber nicht meinen Freundeskreis oder mich. Ich hatte immer Freundinnen die mit Sicherheit hetero sind, heute verheiratet und Kinder haben mit einem Mann. Ich habe mich daher auch nie wirklich in eine Frau verliebt, es nie zugelassen, nie darüber nachgedacht. In der Schulzeit und davor war ich immer verliebt in Jungs, war auch schwer verliebt in meine erste große Liebe die mich nach 3 Monaten aber verlassen hat. Seit dem Abitur: nichts mehr. Erst seit ich 25 bin und auch damals schon 5 Jahre single war, gab es Momente in denen mir bi- oder homosexuelle Frauen begegnet sind und bei denen ich mich öfter gefragt habe, ob da nicht etwas ist. Ich bin mir mittlerweile eigentlich sicher, auch wenn es, wie schon gesagt, bisher nur in meinem Kopf stattfindet

Mir würde es so weiterhelfen, wenn jemand ähnliches erlebt hat (Beklemmung , Stress, ...) bei Dating mit dem anderen Geschlecht (Männern in meinem Fall). Vielleicht suche ich die ganze Zeit falsch? Das würde bedeuten, dass, dass es nicht klappt mit einer Beziehung und dem Verlieben nicht daran liegt, dass man einfach immer die falschen getroffen, oder dass man Bindungsangst hat, sondern daran, dass man sich einfach in romantischer Hinsicht keine Beziehung mit einem Mann vorstellen kann.

Es tut mir sehr leid, falls die Erläuterungen streckenweiße etwas chaotisch sind grinning smiley. Ich fürchte besser bekomme ich es gerade nicht erklärt. Freue mich wirklich ehrlich über eure Erfahrungen.

Viele Grüße
Nichi



3-mal bearbeitet. Zuletzt am 29.01.24 15:51.
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
01. Februar 2024 19:24
Hi Nichi,

und herzlich willkommen im Forum!

Ich habe ein wenig den Eindruck, bei Dir mischen sich zwei Themen.
Einerseits beschreibst Du als heterosexuell lebende Frau, Dir vorstellen zu können, auch mit Frauen zu schlafen. Was für mich dabei nicht ganz klar herauskommt, ist, ob Dich dabei der Sex mit Frauen per se reizt oder ob Du eine mögliche Bi-/Homosexualität als Konsequenz aus der fehlenden Anziehung von Männern ableitest.
Andererseits spricht Dein Dating-/Beziehungsverhalten auch bei Dir für eine gewisse Bindungsangst. Ich habe kürzlich das Buch „Jein!“ von Stefanie Stahl gelesen, das Bindungsstörungen thematisiert. Ich habe mich bei der Lektüre teilweise gefühlt als hätte ich meine Biografie vor mir. Seither ist mir vieles, auch mein Verhalten in früheren, teils recht langen Beziehungen, wesentlich klarer. Vielleicht könnte das etwas für Dich sein, was Dir hilft, Deine Gedanken zu sortieren.

Ich (m) kenne diese Gedankenkarusselle sehr gut; seit knapp zwei Jahren lebe ich nach Jahren des Zauderns offen bisexuell, alte Muster und frühere Prägungen hindern mich aber dennoch, eine Beziehung einzugehen - völlig egal ob mit Mann oder Frau. Langsam beginne ich aber vieles zu verstehen und versuche an meinen Ängsten zu arbeiten bzw. mich ihnen zu stellen.

Alles Gute für Dich!
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
05. Februar 2024 09:37
Hey Wechselstrom,

vielen vielen Dank für deine Antwort! Das klingt mir auch nach sehr viel Nerven zehrendem hin und her bei Dir und da fühle ich sehr mit. So gut, dass du offen an deine Bisexualität herangehst und sicher weißt, dass da ein Bindungsangstthema dahinter steckt. Wenn dem so ist, auch echt nicht leicht sich dem zu stellen.

Ich denke ich bin noch an dem Punkt herauszufinden, ob es auch Bindungsangst ist oder ob ich mir einfach keine Beziehung mit einem Mann mehr vorstellen kann. Dann wäre meine Anspannung einfach nur ein Alarm Signal, dass mir laut und deutlich sagt, ich sollte diese Bindung nicht eingehen. Insgesamt habe ich mich schon so unendlich viel mit diesem allen auseinander gesetzt: Stefanie Stahl gelesen, gehört, Bindungstheorien durch gewälzt , mich mit Relationship OCD beschäftigt (auch hoch spannend), Homo-/heterosexualität, Homo/Heteroromantik/Aromantik (sicherlich gibt es da noch so viel mehr was ich nicht weiß), aber habe mich noch nie mit jemandem unterhalten, dem es vllt. ähnlich geht.
Deshalb bin ich dir sehr dankbar für deine Zeilen!

Viele Grüße



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 05.02.24 12:11.
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
12. Februar 2024 14:59
Liebes Forum,
jetzt muss ich euch nochmal frage, weil mir das so auf dem Herzen liegt und diese Frage in meinem Umfeld irgendwie niemand so richtig beantworten kann: Kennt das denn jmd, dass man sein Leben lang kurze Beziehungen führt und merkt, sobald es ernst wird, taugt es nicht mehr und man bricht es ab, weil man unaushaltbar angespannt ist? Kann das ein Zeichen sein, dass man homosexuell/romantisch ist? Ist das einfach ein klares Anzeichen?
Ich freu mich nach wie vor sehr über eure Erfahrungen.
Liebe Grüße
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
12. Februar 2024 20:28
Hallo Nichi,

So wie du dich fühlst so fühle/fühlte ich mich auch.
Ich war Dating-Weltmeister und traf mich laufend mit neuen Typen. Alles tolle und nette Menschen. „Auf dem Papier“ hätte es immer passen müssen und die meisten fanden mich auch toll.
Und ich? Bei mir war nix. Keine Gefühlsregung. Ich traf mich mit den meisten öfter um zu schauen ob sich etwas entwickeln würde. Das Einzige was sich immer entwickelte war dann innerer Druck. Immer wenn es ernster wurde wollte alles in mir nur weg. Gefühle gab es keine und ich konzentrierte mich höchstens auf das was nicht passte. Meine Freiheit war bedroht und ich konnte mit einfach keine Beziehung vorstellen weil ich das Gefühl hatte dadurch eingeengt zu werden. Außerdem war ich nicht verliebt. Also musste ich meinen Dates immer wieder mitteilen, dass es nicht gefunkt hat und so hinterließ ich viele enttäuschte Herzen.

Kommt dir das auch so bekannt vor?

Wenn ja, dann kann ich dir sagen, hat es nichts mit der Sexualität zu tun. Es ist ein reines Bindungsangst-Thema, unabhängig vom Geschlecht oder Charakter des anderen Menschen. Aber spür mal selber für dich, ob das stimmig ist mit der Beschreibung.


Tief im Inneren glauben wir bindungsängstliche nicht zu genügen, irgendwie falsch zu sein und dass bloß keiner herausfinden darf wie wir wirklich sind. Denn dann würde sich ein anderer sofort abwenden. (Fun fact: Also machen wir das lieber zuerst)
Als Gegenmaßnahme verlieren wir den Kontakt zu uns und unseren Bedürfnissen und sind nur beim anderen.
„Was könnte er erwarten“, „Wie muss ich für ihn sein, damit ich nicht abgelehnt werde“. Dadurch glauben wir natürlich, dass der andere die Beziehung bestimmt, alles nach seinen Regeln geht und wir die Beziehung „ertragen“ müssen, weil wir sie ja nicht mitgestalten können.
Guess What? Bei so einer Vorstellung ist es doch völlig natürlich Druck zu empfinden, keine Gefühle zuzulassen und wegzulaufen oder? 😅

Vielleicht hast du eh keinen besonders guten Zugang zu deinen Gefühlen? Schottet dich irgendwas davon ab die volle Klaviatur an Gefühlen zu empfinden? Positiv wie negativ? Willkommen in der Bindungsangst.

Das würde dir bei Mann und Frau gleichermaßen passieren.
Findest du dich in der Beschreibung wieder?

Liebe Grüße

Michael Kensy
Coming-out Coach
[www.michael-kensy.de]
[www.tiktok.com]
[www.instagram.com]



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.02.24 20:45.
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
12. Februar 2024 22:13
Hallo Michael,

Du schreibst über Deine Situation im Präsens, gemischt mit Präteritum - ich schließe hieraus, Dir zumindest zu einem gewissen Grad zur Überwindung Deines Problemes gratulieren zu können.

Ich kann zu 100 Prozent nachempfinden, was Du formuliert hast.

Wie bist Du das tief sitzende Thema (zielführend) angegangen? Hast Du das alleine in Angriff genommen?
Der Grundstein ist ja erst einmal die Erkenntnis, seine Denkmuster und die immerwährende Selbstsabotage zu überwinden, steht jedoch noch einmal auf einem eigenen Blatt.


@Nichi: ich will Dir hier nicht Deinen Thread klauen, aber ich nehme an, das ist auch für Dich interessant. Hoffe also, mein Eingreifen ist okay und in Deinem Sinn.
Was Michael schreibt, kann ich zumindest für mich persönlich absolut bestätigen. Ich war unglaublich verknallt in meinen Exfreund und kaum haben sich die meterhohen Wände des Erwartungsdrucks (ob eingebildet oder berechtigt vermag ich nicht so recht zu beurteilen) vor mir aufgetürmt, wollte ich ihn nur noch loswerden. Was insofern tragisch ist, als er ein 6er im Lotto war/ist. Ich kriegs einfach nicht hin. Ich dachte immer meine jahrelange Miesepetrigkeit und das „Ertragen müssen“ meiner Partnerschaften läge hauptsächlich an meiner unterdrückten Sehnsucht nach Männern, aber das Problem sitzt sehr viel tiefer. Warum ich das so ausführe: ich glaube wir sind uns in der Hinsicht sehr ähnlich.


LG
wechselstrom



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 12.02.24 23:23.
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
13. Februar 2024 10:24
Hallo ihr Beiden,

tausend Dank für eure Antworten. Ich kann es so gut nachempfinden und bin so dankbar, dass da jemand ähnlich fühlt.
Dann fühlt man sich gleich weniger wie ein Alien auf diesem Gebiet. Tatsächlich ist es bei mir exakt genau so wie ihr es beschreibt. Immer wieder treffen, sympathisch finden, nicht verlieben, Dating aufgeben. Länger treffen, hoffen dass ein Funke fliegt, Druck spüren, aufgeben. Letztlich ist das auch eigentlich nicht schlimm, nur wenn es seit 10 Jahren so geht wird ehrlich gesagt fast unerträglich. Das einzige was ich bei mir nicht weiß ist ( und Wechselstrom du mir voraus hast) ist, ob es sich vllt. beim anderen Geschlecht anders anfühlt, weil ich diesen Teil einfach noch nie zugelassen habe. Vielleicht führt auch kein Weg daran vorbei es einfach auszuprobieren. Letztlich müsste ich dann merken, ob es nun Bindungsangst ist, oder ob noch was anderes mitschwingt.
@Wechselstrom: diese Miesepetrigkeit und das "Ertragen müssen" kenne ich auch nur all zu gut. Vor allem aus einer Beziehung die ich eingegangen bin und bei der ich im Nachhinein sicher weiß, dass ich einfach nicht verliebt war und mich viele Sachen gestört haben. So soll es ja eigentlich nicht sein. Man möchte sich frei fühlen mit einer Beziehung. Frei, richtig und angekommen.

Was ich mich bei dir Wechselstrom noch gefragt habe ist, ob es denn sich bei Männern jetzt anders anfühlt? Immerhin scheinst du dich zu verlieben und dann erst kommt der Druck? Oder kanntest du das bei Frauen auch?

LG
Nichi



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 13.02.24 10:52.
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
13. Februar 2024 13:49
Hi Nichi,

ich denke auch, dass es auszuprobieren das einzige ist, das Dir vielleicht Klarheit bringen kann. Sich immer nur zu fragen „was wäre wenn?“ bringt einen nicht weiter, so viel kann ich Dir versichern. Was hat man schon zu verlieren? Die Frage kann ich jetzt so provokant stellen, da ich weiß, dass es nichts zu verlieren gibt. Sollten sich Menschen abwenden, dann ist es so. Aber möchte man Menschen im Umfeld haben, die einen mitsamt seiner Natur und Bedürfnissen ablehnen? Ich jedenfalls nicht.

Ich verliebe mich allgemein äußerst selten, aber es kommt bisweilen schon vor. Ich erinnere mich aber auch noch gut daran, wie es mit meiner letzten Freundin war. Ich war fürchterlich verliebt und wollte sie unbedingt. Nachdem ich sie zwei Monate hatte, lag ich im Weihnachtsurlaub depressiv und mit Panik im Bett und hab mir eingeredet, ich liebte sie ja nicht und hab mich gefragt, was ich mir da nun wieder eingebrockt habe.
Ich habe es aber weitergeführt und offen mit ihr über meine Angst gesprochen. Mit der Zeit wurde es besser und ich habe für ca. zwei Jahre wirklich große Liebe (nicht verwechseln mit Verliebtsein) empfunden, es war eine wirklich schöne Zeit. Interessanterweise auch typisch für Bindungsängstliche: Fernbeziehungen können lange funktionieren, und so eine war das.
Kaum waren wir zusammengezogen, und die „Vorschriften“ begannen (Lächerlich- und Selbstverständlichkeiten wie Staubsaugen oder Wäsche machen), habe ich mich schlagartig wieder bevormundet und in meiner Freiheit beschnitten gefühlt und dicht gemacht. Naja, die weiteren 2,5 Jahre war ich kreuzunglücklich und habe eben alles mitgespielt, was sie von mir erwartet hat, weil ich ja nur geliebt werden kann, wenn ich zu 100% ihren Vorstellungen entspreche, so meine Gedanken damals. Also hab ich mich mit Leuten getroffen, die mir absolut zuwider waren, mein komplettes Leben nur nach ihr ausgerichtet. Es war fürchterlich, aber mir fehlte die Kraft, auszubrechen.

Nunja, nachdem ich nach der Beziehung dann begonnen hatte Männer zu treffen, war ich erst mal befreit und habe es richtig genossen. Ich habe zwei Männer kennengelernt, mit denen am Anfang alles wunderbar war und auch hätte bleiben können, aber wie weiter oben schon oben geschrieben, habe ich die nun wieder drohenden hohen Erwartungen an mich nicht ausgehalten und Ciao, Kakao.

Ich habe allgemein einen sehr schlechten Zugang zu meinen Gefühlen. Im Kino kann ich heulen wie ein kleiner Junge, aber wenn es um meine eigenen Belange geht, bin ich eine emotionslose, funktionierende Hülle (geworden). Es ist über die Jahre aufgrund vieler verschiedener Ursachen, u.a. ein kaltes Elternhaus und schlechte Erfahrungen in Beziehungen wie gravierende Vertrauensbrüche ein Panzer gewachsen, durch den nichts mehr hindurchgelangt. Das wieder zu ändern, ist nun das hehre Ziel und ich stehe auf einer langen Warteliste für eine tiefenpsychologischen Therapie.

Hier steh‘ ich nun, ich armer Tor und bin zumindest ein wenig klüger als zuvor, aber der Weg ist noch lang. Ich würde alles dafür geben, wieder so fühlen und vertrauen zu können wie früher. Schleichend zu vereinsamen, obwohl man das Gegenteil möchte, macht das Leben nicht besonders lebenswert und verursacht weitere Probleme.

Quote

Dann fühlt man sich gleich weniger wie ein Alien auf diesem Gebiet. Tatsächlich ist es bei mir exakt genau so wie ihr es beschreibt.

Lustigerweise dachte ich früher immer, Bindungsangst sei ein so dahingebrabbelter Terminus, der gerne für Leute herangezogen wird, die es nicht aufgeben wollen, jedes Wochenende eine neue Eroberung im Bett zu haben. Now I know better. 😄

LG



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 14.02.24 11:54.
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
14. Februar 2024 11:51
Lieber Wechselstrom,

danke nochmal für deine Nachricht. Ich höre in deiner Geschichte genügend Frust den ich nur all zu gut kenne. Kurz: I feel you!

Was ich sehr interessant finde ist, dass es laut ICD-10 Bindungsangst garnicht gibt. Beschreiben tun es allerdings einige Menschen. Wahrscheinlich hat die Welt hierzu auch noch nicht alles ganz genau verstanden. In jedem Fall gibt es aber Menschen die eine Beziehung zwar unbedingt wollen, sie aber nicht leben können, weil es sich unfrei und einengend und falsch anfühlt, sobald man sie lebt.

Quote
Ich würde alles dafür geben, wieder so fühlen und vertrauen zu können wie früher. Schleichend zu vereinsamen, obwohl man das Gegenteil möchte, macht das Leben nicht besonders lebenswert und verursacht weitere Probleme.

Auch hier glaube ich deinen Gedankengang und deine Gefühle komplett verstehen zu können. Zumindest komme ich mir manchmal so vor, als wäre ich "beziehungsunfähig",wie es Nast ja auch schon beschreibt, und das ist unendlich frustrierend.
Ich lerne deshalb gerade mich zu lösen von der Idee auch einsam sein zu müssen, weil man keine intime Beziehung führt und merke, dass ich freundschaftliche Beziehungen so viel mehr schätze als alles andere. Vor allem freundschaftliche Beziehungen zu Frauen in meinem Fall. Sie bieten genügend Abstand, um sich wohl zu fühlen und vielleicht können sie in einem gemeinsamen Wohnmodell auch Familienersatz sein. Ich habe inzwischen Hoffnung, dass die Welt hierfür gerade offener erscheint als je zu vor. Ich finde das würde zumindest den Einsamkeitsgedanken und den damit verbundenen Druck ein wenig nehmen.

Was ich in Fachbüchern gelernt habe: Bindungsangst überwinden bedeutet Exposition/Konfrontation, zumindest in der Verhaltenstherapie. So lange bis die Angst abnimmt. Es hört sich für mich so an als hättest du das in dieser einen Beziehung auch geschafft und sogar ein Modell gefunden, dass für dich passt? Beziehung mit Abstand. Irgendwie habe ich für mich wenig Hoffnung, dass sich mein Gefühl allein mit Exposition lösen lässt, letztlich weil ich mir nicht sicher bin, ob es sicher Angst ist oder einfach nur ein riesengroßes Warnsignal meines Unterbewusstseins, dass mir meine Grenzen aufzeigt. Deshalb hast du völlig recht. Ausprobieren ist die einzige Chance das heraus zu finden.
Die Angst mir einzugestehen, dass ich evtl. bisexuell oder auch homosexuell sein könnte ist jedoch mindestens genau so riesig, weil ich mich in dieser Hinsicht komplett planlos und unerfahren fühle. Da ist also wenig Euphorie, sondern auch großer Druck. Und vielleicht stoße ich wie du genau auf das selbe Problem und merke, dass die Angst eine Beziehung einzugehen genau so mit dem anderen Geschlecht da sein wird. Es ist verhext.

@Michael: Danke für deine Fragen und Hinweise. Es gibt gewisse Punkte in denen ich mich wieder finde. Eigentlich hatte ich immer einen sehr guten Draht zu meinen Gefühlen und war mir Ihnen auch immer bewusst. Vielleicht hat sich das aber auch verändert. Ich kann nicht ganz herausfinden, ob ich mich ganz tief im Unterbewusstsein vor Ablehnung schützen mag und frage mich, wie genau sich das anfühlt? Es verschwimmt das "ich will nicht" und "ich trau mich nicht". Vielleicht kennt das hier ja auch jemand.

Jetzt habe ich glaube ich viel ausgeholt und wir sind ganz schön in das Bindungsthema eingestiegen. Ich hoffe es ist trotzdem ok, dass das hier seinen Platz findet, falls sich jmd hiermit identifizieren kann. Für mich sind diese Foren daher so wichtig. Einen anonymen Ort zu finden und daher in den Austausch über Themen zu kommen, die sonst verborgen bleiben.

Liebe Grüße



6-mal bearbeitet. Zuletzt am 14.02.24 12:13.
Re: Homoromantisch?Bisexuell?
14. Februar 2024 20:43
Hallo ihr zwei,

danke für eure spannenden Geschichten smiling smiley Da möchte ich doch auch noch meinen Beitrag zu leisten.

Also ja, Wechselstrom, ich will nicht behaupten, dass ich meine Bindungsangst überwunden habe, aber ich bin schon sehr weit. Auf meiner Reise habe ich mir darüber auch unfassbar viel Wissen angeeignet und kann ja mal ein paar meiner Erkenntnisse hier mit euch teilen.

Vielleicht zu meinem Background. Ich bin ausgebildeter Verhaltenstherapeut, habe sehr tiefes Wissen in klinischer Psychologie und studiere selbst auch Psychologie. Kurzum: Ne ganze Menge Wissen aus dem Bedürfnis heraus, mich selbst zu verstehen und "heilen" zu können. Ich denke es ist aber klar, dass Wissen alleine nicht ausreicht und vor allem, dass man es vermutlich kaum alleine schaffen kann. (Sonst würden die Lektüren von Stefanie Stahl ja ausreichen, und alles wäre gut).
Wir sind nun mal alle in unserer Realität gefangen und sehen die Welt durch die Brille unserer eigenen Erfahrungen und Prägungen und da braucht es jemand anderen, der nicht in unserer Welt gefangen ist, um uns da raus zu holen. Deswegen ist Coaching und Therapie ja auch so wirkungsvoll und Selbsttherapie nur in Ausnahmefällen erfolgreich.

Zu meiner Bindungsangst-Reise:

Ich hab mir das ganze Wissen dazu über eine sehr lange Zeit angeeignet und wusste also perfekt, was das Problem war:
Ich gab nie was von mir preis, aus Angst dass der andere mich dann blöd findet. Ich hab nur geschaut welche Erwartungen der andere hatte ohne zu spüren, was ich denn eigentlich will (aus Angst der andere findet das blöd). War konfliktscheu und hab immer Ja zu den Vorschlägen der andere gemacht etc.
Mit dem Wissen und ganz viel Mut habe ich mich in nachfolgenden Dates langsam vorgearbeitet und geöffnet. Habe meine Ängste offen angesprochen (was für ne Überwindung, das kann ich euch sagen 😅), habe immer mehr von mir Preis gegeben und mich immer mehr getraut auch zu sagen, wenn ich etwas nicht mochte und selbst Dinge vorgeschlagen, die ich gerne machen würde. Also Expositionstherapie wie sie im Buche steht. Alle Problempunkte habe ich adressiert und durch neues Verhalten ersetzt. Was ist dadurch passiert? Also erstmal ist es nie eingetreten dass der andere mich blöd fand. Ganz im Gegenteil, alle fanden das total toll und sympathisch, dass ich offen darüber geredet habe.
Ich bin meine sozialen Ängste losgeworden, was ein netter Nebeneffekt war. Aber meine Bindungsangst, war immer noch da. Immer noch keine Gefühle, kein Verliebtsein, immer noch das Gefühl, eingeengt zu sein wenn es eng wird, immer noch starke Unlust, denjenigen zu treffen, wenn sich mehr Nähe anbahnte. Es war zum verrückt werden.
Offensichtlich fehlte mir immer noch ein wichtiges Puzzelteil zur Lösung
Also habe ich weiter gesucht nach Lösungen und bin nun bei folgendem Thema fündig geworden:

(Kleiner Theorie-Abriss 😅)
Ja Nichi, Bindungsangst taucht nicht im ICD-10 auf (im ICD-11 übrigens auch nicht). Es ist vor allem ein Begriff aus der Alltagspsychologie.
Was man weiß ist, dass Bindungsangst in der Form, wie wir sie erleben dem ängstlich-vermeidenden Bindungsstil entspricht, welcher in der Kindheit entstanden ist, weil sich kein Urvertrauen bilden konnte (einfach mal die Bindungstheorie nach Mary Ainsworth googlen).
Fehlendes Urvertrauen bei Kindern bedeutet, dass sie sehr sehr früh für sich entschieden haben, dass die Welt ein gefährlicher Ort ist. (Seid ihr anderen Menschen gegenüber auch tendenziell eher misstrauisch und fällt es euch schwer Vertrauen aufzubauen generell?)
Dieser verehrende Schluss kann meiner Meinung nach nur durch Vernachlässigung oder Gewalt (emotional, psychisch, sexuell) passieren, was also bedeutet, das Kind hat ein Entwicklungstrauma.

Traumata sind für den logischen Verstand nicht zugänglich und können auch mit der besten kognitiven Therapie nicht gelöst werden (Jap, hab ich gemerkt). Das macht sich z.B: dadurch bemerkbar, dass man kaum Zugang zu den eigenen Gefühlen hat und diese automatisch unterdrückt werden, ohne dass man das will und dass man in ähnlichen Situationen (wie z.B: es wird enger in Beziehungen) dieselben körperlichen und gedanklichen Muster aktiviert ohne dass uns das bewusst ist oder wir das ändern können.

Hier bedarf es meiner Meinung nach einer Therapie, die den Körper also mit einbezieht. Ich bin hier auch beim Thema Focusing gelandet. Eine erstaunliche Form, die Sprache seines Körpers wieder zu lernen, inneren Anteilen, die abgespalten wurden durch den Körper Gehör zu verschaffen und zu reintegrieren. Es gibt im deutschsprachigen Raum eine Erweiterung davon, die radikale Erlaubnis von Mike Hellwig. Er beschreibt z.B. exakt diesen blockierten Zugang zu den Gefühlen und hat ein sehr anschauliches Modell entwickelt.
Das schwierige daran ist, dass man körperzentrierte Therapien nicht mit dem Verstand verstehen oder beschreiben kann, sondern nur im eigenen Körper erleben kann. Daher reicht es nicht aus ein Buch zu lesen und sich zu sagen "Jap, hab ich verstanden". Es geht nur über das regelmäßige praktizieren und selbst erleben. Das kann mitunter frustrierend sein, wenn sich Anfangs kaum Fortschritte zeigen, aber dran bleiben lohnt sich so unfassbar.

So, bevor das hier aber in eine Vorlesung ausartet, mach ich lieber mal Schluss.
Wenn ihr mögt und das Thema vertiefen wollt, können wir uns gerne mal über Zoom oder so austauschen 😁

Liebe Grüße

Michael Kensy
Coming-out Coach
[www.michael-kensy.de]
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