Hallo Cahil,
vielen Dank für das Teilen deiner sehr persönlichen Geschichte.
Dein Wunsch, nach einem geschützten Raum, um Gleichgesinnte zu finden, wo tiefe Gespräche möglich sind stimmt mich tatsächlich nachdenklich.
Wenn ich so recht überlege, dann gibt es sowas im Prinzip nicht. Für Jugendliche bis 27 gibt es (zumindest hier in Köln und in ein paar anderen Städten) immerhin ein queeres Jugendzentrum. Auch der SC Janus, als größter LGBT-Sportverein bietet hier Möglichkeiten. Außerhalb von Köln und darüber hinaus gibt es halt die Szene oder eben die einschlägig bekannten Seiten, wo man aber leider keinen geschützten Raum finden wird, sondern nur tief verletzte Menschen, die wiederum selbst andere verletzten.
Das Forum hier bietet immerhin eine gute Möglichkeit zum Austausch, also bist du hier erstmal richtig
Ich kenne mich im Raum Stuttgart leider nicht aus, aber es gibt hier den ein oder anderen, der aus der Ecke kommt. Vielleicht hat jemand da einen Tipp.
Was Online angeht, biete ich dir gerne mal ein persönliches Gespräch an.
Ich werde mir mal Gedanken zum Thema "
Gleichgesinnte in einem geschützten Raum finden" machen. Danke für den Input, nun hab ich ein neues Projekt
Ich möchte aber gerne noch auf deine Geschichte eingehen.
Was das Thema "Unterdrücken von Empfindungen" angeht, kann ich dir sagen, dass das glaube ich zu 100% jeder von uns erlebt hat.
Es gab ja auch keine andere Möglichkeit. Sich zu zeigen war zu gefährlich. Also bist du definitiv schon mal nicht alleine damit.
Was ich so tückisch daran finde ist, dass dieser ehemalige Schutzmechanismus, der uns damals das Leben gerettet hat, uns es heute erschwert ein freies Leben zu führen.
Denn im Grunde ist die Sache doch recht einfach: Wir wollen einfach so geliebt werden wie wir sind und uns auch so zeigen können ohne Schuld und Scham.
Der Gedanke aber, sich bei anderen zu öffnen ruft eben diese tief eingeprägte Schamgefühle hervor, die uns dann just in dem Moment blockieren. "Ich bin falsch", "Ich bin pervers" etc...
Die Fassade wird aufrechterhalten, das Versteckspiel geht weiter.
Was ich aus Erfahrung sagen kann ist, dass dieser Mechanismus leider auch bei dem Thema Beziehung- und Partnerschaft fortgeführt wird.
Zwar weiß mein potenzieller Partner bei einem Date von mir, dass ich auch schwul bin, aber wenn ich nie gelernt habe mich ohne Scham so zu zeigen wie ich wirklich bin, dann werde ich das erst recht nicht bei jemandem schaffen, der droht mir zu nahe zu kommen und meine verwundbare Seite zu entdecken.
Das trifft dann auf beide Seiten des Dates zu und so ist es nicht verwunderlich, dass die schwule Community als oberflächlich, materialistisch und körperbezogen wahrgenommen wird, weil niemand gelernt hat sich wirklich verletzlich gegenüber jemand anderem zu zeigen. Das sind alles Menschen die sich ihr Leben lang verstecken mussten, die tief verletzt wurden und nun vom Opfer zum Täter werden, indem sie selbst diskriminieren.
Bei dem Satz "
Augenkontakt vermeiden musste ich tatsächlich etwas schmunzeln"
Ich habe das auch sehr sehr lange gemacht, nur mir ist das nie aufgefallen, bis ich mal angefangen habe mich damit auseinander zu setzten.
Wenn ich durch die Stadt ging fiel es mir 0,0 schwer einer Frau lange in die Augen zu blicken oder einem Mann, der für mich uninteressant war. Aber sobald da jemand war, den ich toll fand und der mich angeschaut hat *zack musste ich wegschauen. Es war nicht auszuhalten für mich.
Aber auch das hängt wieder mit diesem Urmechanismus zusammen, das die Empfindungen unterdrückt wurden.
Jetzt, wo ich gelernt habe offen mit mir umzugehen und wo es mir auch nicht mehr schwerfällt mit anderen darüber zu reden, kann ich anderen tollen Männern lange in die Augen schauen oder sogar anlächeln. Dann sind sie es meistens, die dann irgendwann wegschauen (oder sogar zurück lächeln)
Ich mach da fast schon ein Spiel draus. Aber dahin zu kommen war ein mühsamer Weg. Aber es ist möglich, für jeden.
Was mich noch interessiert. Was hat sich für dich geändert, dass du nun doch den Kontakt suchst und das Thema angehen möchtest?
Gab es einen Auslöser?
Sei in jedem Fall hier sehr Herzlich Willkommen unter Gleichgesinnten.
Michael Kensy
Coming-out Coach
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