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Jungfrau, männlich 52 Jahre

geschrieben von cahil 
Jungfrau, männlich 52 Jahre
09. Februar 2023 23:11
Hallo zusammen,

einige Zeit habe ich jetzt hier schon ohne Registrierung mitgelesen und nun den Entschluss gefasst selbst zu schreiben. Mir ist meine „Unerfahrenheit“ ein wenig peinlich, also bitte seit nachsichtig.

Im Gegensatz zu vielen anderen, deren Beiträge ich lesen dufte, war mir schon früh klar dass ich auf Jungs stehe. Mit 13 oder 14, was für einen Jungen vom Land schon frühreif ist, hatte ich beim Anblick eines nackten Klassenkameraden in der Umkleidekabine spontan „Schmetterlinge im Bauch“……und danach eine ganze Nacht, in der mir die gesehenen männlichen Tatsachen und eine nicht enden wollende Erektion, den Schlaf raubten.

In Meinem Umfeld hat es leider niemanden gegeben, mit dem ich über mein Erlebnis und die aufkommenden Fragen sprechen konnte. War ich der einzige Mensch auf der Welt der solche Empfindungen hatte? Was stimmt mit mir nicht? Internet gab es nicht und Schwul war ein Schimpfwort, das wohl etwas sehr schlechtes bedeuteten musste. Offensichtlich war ich nicht ganz normal, wahrscheinlich sogar krank oder pervers?

Ich fasste den Entschluss dass das abnormale unterdrückt und versteckt werden musste. Daher habe ich jeden Augenkontakt mit, für mich attraktiven, Jungs vermieden. Je interessanter er war, je schneller habe ich die Flucht ergriffen; habe Geburtstage und Partys frühzeitig verlassen oder bin gar nicht erst hingegangen.

Das war bald kein Problem mehr (eingeladen wurde ich nicht mehr); gleichaltrige spürten wohl instinktiv dass da etwas mit dem dicklichen Jungen nicht stimmt. Man hat mich gemieden und den auch zunehmend gemoppt. Täglich wurde auf den Arm oder in den Bauch geboxt, Ha, Ha ist doch alles nur Spaß………Das hat mir, in einer Zeit wo ich nach Anerkennung und Verständnis suchte, sehr weh getan und jeden Rest an Vertrauen zerstört. Das Gefühl weniger wert zu sein machte mich fertig. Hatte ein unattraktiver, zu dicker Homo wie ich überhaupt das Recht am Leben zu sein? Die geklaute Schachtel-Schlaftabletten habe ich aber nie genommen, dazu war ich dann doch zu feige.

Da ich mich nicht einfach spurlos auflösen konnte, musste ein emotionaler Schutzpanzer her, keiner durfte mir mehr zu nahe kommen, keiner durfte wissen dass ich ein perverser homo bin……….

Natürlich ist mir heute klar, dass diese Symptome krankhaft sind und einen klassischen Fall einer Depression mit Kontaktverlust darstellen. Leider hat damals niemand erkannt, dass der schüchterne, verängstigte Junge dringend Hilfe brauchte.

Nach dem pubertären Gefühls-Chaos blieb auch in den 20igern die Angst vor Entdeckung, das Mistrauen anderen Menschen gegenüber und die abwehrenden Verhaltensmuster konnten sich über viele Jahre einbrennen. Später habe ich mich dann in die Arbeit gestürzt und dort berufliche Erfüllung gesucht. Ein „fast normales“ Privatleben mit wenigen, aber guten Freunden geführt (die aber nie mein letztes Geheimnis erfahren haben) und auch durchaus Spaß am Leben gehabt.

Nur wenn sich mal ein schlanker junger Mann in meine Nähe verirrte, der wieder „Schmetterlinge im Bauch“ auslöste, kamen die früheren Dämonen zurück. Augenkontakt vermeiden, eine unverschämte oder verletzende Bemerkung fallen lassen (damit das Gegenüber auf keinen Fall merkt dass ich es mag) und dann möglichst schnell das Weite suchen. Man möchte ja niemanden (schon gar keinen hetero) belästigen und die Erkenntnis mittlerweile zu alt oder Beziehungsunfähig zu sein (was wahrscheinlich sogar stimmt) machte sich breit.

Und plötzlich ist Man 50ig und immer noch Jungfrau.

Ich bin keiner der verpassten Chancen nachtrauert, das bringt ja auch nichts. Gleichzeitig kann ich es nicht fassen, wie jemand über so viele Jahre jede Möglichkeit auf eine Beziehung (nach der ich eigentlich Sehnsucht habe) aktiv abwehren kann. Bitte kein Mitleid, ich bin ja weitgehend selbst dafür verantwortlich. Aber euren Rat und Hilfe würde ich gerne in Anspruch nehmen:

Seit einigen Monaten versuche ich schon einen „geschützten Raum“ zu finden wo ich schwule Kontakte finden kann.
Auf den bekannten Gay und Kontakt Portalen werden einem ja schnell eindeutige Bilder zugeschickt, die das Angebot beinhalten den abgebildeten Schwanz tief in den A……. geschoben zu bekommen. Ja, O.K kann man machen…..mich verstört das eher.

Ich brauche Zeit und lange Gespräche mit gleichgesinnten, um mich selbst und damit auch andere wieder mögen zu können. Gibt es da etwas was Ihr empfehlen könnt? Ich wohne im Raum Stuttgart (wobei ich nicht sicher bin ob ich schon den Mut habe persönlich irgendwo hin zu gehen und mich zu outen) oder auch gerne im Netz.

Danke
Cahil



10-mal bearbeitet. Zuletzt am 09.02.23 23:26.
Re: Jungfrau, männlich 52 Jahre
10. Februar 2023 14:16
Hallo Cahil,

vielen Dank für das Teilen deiner sehr persönlichen Geschichte.

Dein Wunsch, nach einem geschützten Raum, um Gleichgesinnte zu finden, wo tiefe Gespräche möglich sind stimmt mich tatsächlich nachdenklich.
Wenn ich so recht überlege, dann gibt es sowas im Prinzip nicht. Für Jugendliche bis 27 gibt es (zumindest hier in Köln und in ein paar anderen Städten) immerhin ein queeres Jugendzentrum. Auch der SC Janus, als größter LGBT-Sportverein bietet hier Möglichkeiten. Außerhalb von Köln und darüber hinaus gibt es halt die Szene oder eben die einschlägig bekannten Seiten, wo man aber leider keinen geschützten Raum finden wird, sondern nur tief verletzte Menschen, die wiederum selbst andere verletzten.

Das Forum hier bietet immerhin eine gute Möglichkeit zum Austausch, also bist du hier erstmal richtig smiling smiley

Ich kenne mich im Raum Stuttgart leider nicht aus, aber es gibt hier den ein oder anderen, der aus der Ecke kommt. Vielleicht hat jemand da einen Tipp.
Was Online angeht, biete ich dir gerne mal ein persönliches Gespräch an.

Ich werde mir mal Gedanken zum Thema "Gleichgesinnte in einem geschützten Raum finden" machen. Danke für den Input, nun hab ich ein neues Projekt smiling smiley

Ich möchte aber gerne noch auf deine Geschichte eingehen.

Was das Thema "Unterdrücken von Empfindungen" angeht, kann ich dir sagen, dass das glaube ich zu 100% jeder von uns erlebt hat.
Es gab ja auch keine andere Möglichkeit. Sich zu zeigen war zu gefährlich. Also bist du definitiv schon mal nicht alleine damit.
Was ich so tückisch daran finde ist, dass dieser ehemalige Schutzmechanismus, der uns damals das Leben gerettet hat, uns es heute erschwert ein freies Leben zu führen.
Denn im Grunde ist die Sache doch recht einfach: Wir wollen einfach so geliebt werden wie wir sind und uns auch so zeigen können ohne Schuld und Scham.

Der Gedanke aber, sich bei anderen zu öffnen ruft eben diese tief eingeprägte Schamgefühle hervor, die uns dann just in dem Moment blockieren. "Ich bin falsch", "Ich bin pervers" etc...
Die Fassade wird aufrechterhalten, das Versteckspiel geht weiter.

Was ich aus Erfahrung sagen kann ist, dass dieser Mechanismus leider auch bei dem Thema Beziehung- und Partnerschaft fortgeführt wird.
Zwar weiß mein potenzieller Partner bei einem Date von mir, dass ich auch schwul bin, aber wenn ich nie gelernt habe mich ohne Scham so zu zeigen wie ich wirklich bin, dann werde ich das erst recht nicht bei jemandem schaffen, der droht mir zu nahe zu kommen und meine verwundbare Seite zu entdecken.
Das trifft dann auf beide Seiten des Dates zu und so ist es nicht verwunderlich, dass die schwule Community als oberflächlich, materialistisch und körperbezogen wahrgenommen wird, weil niemand gelernt hat sich wirklich verletzlich gegenüber jemand anderem zu zeigen. Das sind alles Menschen die sich ihr Leben lang verstecken mussten, die tief verletzt wurden und nun vom Opfer zum Täter werden, indem sie selbst diskriminieren.

Bei dem Satz "Augenkontakt vermeiden musste ich tatsächlich etwas schmunzeln"

Ich habe das auch sehr sehr lange gemacht, nur mir ist das nie aufgefallen, bis ich mal angefangen habe mich damit auseinander zu setzten.
Wenn ich durch die Stadt ging fiel es mir 0,0 schwer einer Frau lange in die Augen zu blicken oder einem Mann, der für mich uninteressant war. Aber sobald da jemand war, den ich toll fand und der mich angeschaut hat *zack musste ich wegschauen. Es war nicht auszuhalten für mich.
Aber auch das hängt wieder mit diesem Urmechanismus zusammen, das die Empfindungen unterdrückt wurden.

Jetzt, wo ich gelernt habe offen mit mir umzugehen und wo es mir auch nicht mehr schwerfällt mit anderen darüber zu reden, kann ich anderen tollen Männern lange in die Augen schauen oder sogar anlächeln. Dann sind sie es meistens, die dann irgendwann wegschauen (oder sogar zurück lächeln) smiling smiley Ich mach da fast schon ein Spiel draus. Aber dahin zu kommen war ein mühsamer Weg. Aber es ist möglich, für jeden.

Was mich noch interessiert. Was hat sich für dich geändert, dass du nun doch den Kontakt suchst und das Thema angehen möchtest?
Gab es einen Auslöser?

Sei in jedem Fall hier sehr Herzlich Willkommen unter Gleichgesinnten.

Michael Kensy
Coming-out Coach
[www.michael-kensy.de]
[www.tiktok.com]
[www.instagram.com]
Re: Jungfrau, männlich 52 Jahre
14. Februar 2023 21:58
Hallo Cahil,
schön das Du hierher gefunden hast.
In kleinem Umfang sind hier auch im Chat Privatgespräche möglich.
Vielleicht kannst Du so einen Gesprächspartner finden.

Außerdem gibt es in der schwulen Gesellschaft eine Gruppe von Männern die als Schwule Väter bezeichnet werden.
Das sind in der Regel Männer, die lange als Hete meist in einer Ehe gelebt haben. Sehr oft sind dadurch auch Kinder entstanden.
Aber irgend wann schlägt das Leben zu und man will nun schwul leben.
Für diese Männer (und natürlich auch für alle anderen) gibt es Hilfe zum Einstig in einen NORMALES Schwules Leben.
Die Hilfe kommt von sog. Selbsthilfegruppen. Meistens treffen sich die Schwulen Väter einmal im Monat irgendwo in einem geschützten Raum.
Und da alle in irgendeiner Weise Leidensgenossen sind, können alle von der Erfahrungen der Anderen profitieren.
Bei den Treffen ist sehr ausdrücklich das Thema Sex nicht so gerne gesehen.
Woher ich das weis ?
Auch mir hat so eine Selbsthilfegruppe damals viel geholfen. Später habe ich dann zusammen mit zwei Anderen schwulen Vätern ( und unseren jeweiligen schwulen Lebenspartnern) eine eigene Selbsthilfegruppe in Bremen gegründet. Name: "An Andere Ufer"

Lange Rede kurzer Sinn:
in vielen Großstätten gibt es die Selbsthilfegruppen der Schwulen Väter.
Da sind natürlich auch Nicht Väter herzlich willkommen.
Es gibt auch eine Bundesweite Seite mit Adressen der einzelnen Gruppen.
Tante Google kann da bestimmt helfen.

Viele Liebe Grüße
Fred
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