Hallo liebe Gemeinde,
erst gestern bin ich auf Eure Homepage gestossen und habe viele interessante Beiträge gelesen. Meinen Respekt dafür. Ich geselle mich mit meiner Geschichte einfach mal dazu, obwohl es keine großen Unterschiede zu den anderen gibt.
Ich bin 43 Jahre alt, seit 1995 verheiratet und habe eine 15-jährige Tochter. Alles in allem ein Heteroleben, wie es im Buche steht. Wären da nicht die ersten "Erfahrungen" in der Pubertät gewesen... Aufgrund viele familärer Belastungen (Krankheit und Pflege der Eltern, Erkrankung der Schwiegermutter, Verlust eines Bruders) habe ich sehr erfolgreich, meine schwulen Gedanken verdrängt. Außerdem wurde ich so erzogen, dass ein Mann seine Familie schützen muss und unter keinen Umständen alleine lässt oder ihr gar Schaden zufügt. Aber mit 30 kam die erster Krise und ich wollte wissen, wie es sich anfühlen kann.
Das Internet war hier eine große Hilfe. Foren waren schnell gefunden und es gab die ersten Kontakte zur schwulen Gemeinde. Und in der Tat, ich lernte ihn kennen. Für mich der Mr.Right. Es waren viele schöne Momente dabei, geniessen allerdings konnte, so sehe ich es heute, keiner von uns. Zunächst war die Entfernung zwischen unseren Wohnorten größer und allein hieraus entwicklten sich Probleme. Trotzdem konnten wir sagen, dass wir uns lieben. Die ganze Geschichte war aber zum scheitern verurteilt, weil ich damals nicht bereit war, für diese Liebe zu kämpfen; hatte ich doch eine Familie. Schließlich trennten wir uns. Zurück blieb ein leere, die sich komisch anfühlte, mich aber nicht umbrachte. Irgendwann verblasste der Schmerz und widmete mich wieder komplett meiner Familie und den familiären Belastungen. Eine Sehnsucht nach Männern blieb. Auch wenn ich mich heute dafür schäme, so brach ich dann und wann aus der Familie aus und stillte eben genau diese Sehnsucht. Die Begegnungen waren allesamt sehr schnelllebig und hinterliesen kaum Spuren, weder auf der Seele noch im Herzen. Das schlimmst dabei war, dass ich mit niemanden reden konnte, wie es mich langsam innerlich zerfraß. Ich habe also weiterhin alle meine Bedüfnisse an meine Familie angepasst und komplett zurückgestellt. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.
Meine Fassade, die ich mir aufbaute, war nahezu perfekt. Die meisten hatten keine Ahnung wie es in mir aussah. Rein optisch war ich jetzt auch kein Highligt, mit einer Größe von 170 cm und nahezu 110 kg kein Mann wie er von anderen für eine Partnerschaft gesucht wurde. Die familiären Belastung im Hinblick auf die zu pflegenden Angehörigen hörte auf und plötzlich konnte ich mich auf mich selbst konzentieren. Ich spürte, dass ich unglücklich war. Irgendetwas fehlte mir zum glücklich sein. Wenn ich jetzt sagen würde, meine Ehe war eine Farce, dann würde ich lügen. Die gemeinsamen Jahre mit meiner Frau waren gut, allerdings haben wir uns irgendwann verloren und lebten wie in einer WG zusammen. Wir teilten zwar Tisch und Bett, im letzteren wurde es zunehmend ruhiger und schlief irgendwann ein. Darunter gelitten habe ich kaum, fühlte ich mich doch eh zu einem Männerkörper hingezogen. Ich stellte innerlich die Weichen und entschloss mich, wenn meine Tochter 18 Jahre alt ist, alles was mir bis dahin wichtig war, zu korrigieren. So der Plan.
Die Realität holte mich aber schneller ein. Der Schmerz des unglücklich sein, die innere Zerissenheit brachen in immer kürzeren Abständen aus und die Abstände, in denen ich aus dem Familienleben ausbrach ebenso. Es kam ein Zeitpunkt, da war es mir sogar egal, ob mich Familie, Freunde, Kollegen sehen hätten können. Ich habe es vielleicht sogar gehofft, dann wäre dieses Versteckspiel aufgeflogen und ich hätte zu mir stehen können. Aber ich war zu feige, Angst vor der Entdeckung, Angst vor dem Verlust der Familie, Freunde und auch Kollegen. Ein echter Teufelskreis.
Es begann damit, dass ich zunächst anfing, erstmal den Ballast meines Gewichtes los zu werden. Ich war erstaunt, wie gut dies doch funktioniert und sich mein Körper zum positiven veränderte. Mein Selbstbewusstsein wuchs und das blieb auch kaum jemanden verborgen. Ich ging zum Sport, hielt mein Gewicht und änderte meinen Kleidungsstil. Plötzlich konnte ich die Farben tragen, die ich mochte und legte schwarz und grau ab. Teilweise habe ich damit provoziert und ich denke, die ersten Menschen haben gemerkt was los, sich aber nicht getraut mich anzusprechen.
Meine komplette Veränderung wirkte aber eben auch auf andere, insbesondere auf Männer. Ich wurde begehrt und genoss es. Es fehlt aber etwas; glücklich sein. Und dann kam er. Was mit einer flüchtigen Bekanntschaft begann und auch so bleiben sollte, entwickelte sich zu einer echten Beziehung. Ich spürte so etwas wie glücklich sein. Sehr zu meinem Leidwesen, hat die Beziehung nur ein Monate gehalten und wir trennten uns. Das Gefühl glücklich sein, war plötzlich weg, dafür spürte ich Schmerz. Und nicht wie sonst, der nur ein paar Tage anhielt, nein es Tat mehrere Wochen weh. Ich spürte so etwas wie Leben in mir und ich wusste, das ich genau das Leben, welchem ich immer hinterher lief. Aber meine Tochter war noch keine 18. Was sollte ich also tun? Weiter abwarten, der Schmerz wird schon vergehen oder sich aber dem zu stellen, was ich fühlte. Ich wollte mich nicht mehr verstecken, keine Geheimnisse mehr haben, endlich ein Gefühl von Freiheit haben.
Der Trennungsschmerz lies in der Tat nach ein paar Wochen nach und ich begann mein Leben zu ordnen. Der Fahrplan wurde aufgestellt. Wie es mit Plänen immer so ist. Es kommt immer anders und trifft dich unvorbereitet. Es war kurz vor Weihnachten 2013, die Glühweinstände auf den Märkten waren im vollen Gange und ich lernte wieder jemanden kennen. Es war so ganz anders, es war einfach nur schön. An einem Abend, wir waren jeder mit unseren Freunden verabredet, kam das Gespräch auf meine Familie zu sprechen. Diese Freunde ahnten schon, dass ich nicht mit mir im reinen bin, also sagte ich zunächst, dass wohl eine Trennung ins Haus steht, diese aber erst nach Weihnachten vollziehen werden. Die Freunde wurden unsicher, akteptierten dies, bis eine Freundin nachfragte, ob es denn schon eine andere Frau gäbe. Und plötzlich war alles da, wie ich es haben wollte, keine Lügen, keine Geheimnisse mehr. Ich antworte darauf, nein keine Frau, aber einen Mann. Rumms es war raus und tat gar nicht weh. Die Gesichter ich sehe sie noch heute vor mir, waren göttlich. Für einen Moment verstummten sie irritiertm hatten sie richtig gehört? Ich konnte es endlich sagen, ich bin schwul und dann war es auch gut. Es wurde akzeptiert. Kann das so einfach sein, dachte ich mir. Am gleichen Abend trafen sich beide Freundeskreise und selbst in der Öffentlichkeit hatte ich keine Scheu, diesen Mann in den Arm zu nehmen. Da war es wieder.... ich spürte Glück!
Aber wo Glück ist, ist meistens auch das Gegenteil. Ich konnte so nicht weitermachen und musste mich meiner Frau und meine Tochter offenbaren. Jetzt war sie wieder da, die Feigheit, die Angst und ich fühlte mich wieder klein und gefangen. Was tue ich den beiden an? Habe ich eine Recht dazu, sie unglücklich zu machen um selbst glücklich zu sein? Ich wusste es nicht mehr. Zufällig waren er und ich am nächsten Wochenende wieder verabredet und aus ein paar Stunden wurden zwei Tage an denen ich um mich herum alles vergaß. Natürlich blieb dies meiner Familie nicht unentdeckt und so kam es, dass meine Frau tags darauf, die alles entscheidende Frage stellte, was los sei. Ich hätte doch jemanden kennengelernt und nun mit der Sprache rausrücken sollte.... Mann oder Frau! Ich war wie gelähmt. Ich konnte nicht mehr lügen und erzählte ihr die Geschichte. Jetzt war es raus. Neben allen Emotionen, hat meine Frau großartig reagiert und ich bewundere sie dafür. Unserer Tochter erzählten wir ein paar Tage später, dass ich, ihr Vater, schwul bin. Das war auch der schwerste Moment und hat mich fast zerissen. Von nun an gab es kein zurück mehr. Nach ein paar Tagen voller Tränen und Unsicherheit konnten wir unsere Angelegenheit klären. Es war klar, dass ich mir eine Wohnung suchen werde, auch wenn dies nicht dem Wunsch meiner Frau entsprach. Alles andere hätte aber nicht funktioniert. Beide haben mich in dieser Phase meines neuen Leben unterstützt und tun es heute noch, wofür ich beiden sehr dankbar bin.
Heute drei Monate später, habe ich mein vollständiges Coming-Out hinter mir, Familie, Freunde und Kollegen wissen, dass ich schwul bin und dieses Leben jetzt leben möchte. Ich habe meine eigene kleine Wohnung und neue tolle Menschen kennengelernt. Auch wenn es zwischen meiner Frau und mir nicht immer ohne Reibung geht, so sind wir auf einem sehr guten Weg, sehr gute Freunde zu werden. Man kann eben fast 20 Jahre Ehe nicht verleugnen. Und zu wem kann man soviel Vertrauen haben.
Ich bin endlich angekommen und geniesse jeden einzelnen Tag. Es stellt sich auch nicht die Frage, nach einem frühreren richtigen Zeitpunkt, nein, denn diesen gibt es nicht.
Ich wünsche Euch allen einen schönen Tag.
Viele Grüße
Manne