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Zerrissen

geschrieben von Hummel 
Zerrissen
04. Juli 2013 16:30
Hallo an alle zusammen,

jetzt nehm ich mal meinen ganzen Mut zusammen und schreibe hier auch. Ein sehr netter Mensch hat mir den Link zu eurer Seite geschickt, die ich jetzt seit einigen Tagen sehr interessiert beobachte.
Es tut gut durch die einzelnen Geschichten Mut zu fassen.. neue Sichtweisen kennenzulernen.. Anregungen zu erhalten.. oder einfach das Gefühl zu bekommen: ich sitze nicht alleine im Boot.

Vielleicht kann ich durch meine Geschichte auch der/dem einen oder anderen (in welcher Form auch immer) neue Sichtweisen erschließen..
Mir ist aufgefallen, daß der Männeranteil hier wohl überwiegt. Meine Geschichte ist ähnlich nur eben "andersrum"..

Ich bin Mitte vierzig und seit über 20 Jahren mit dem (in meinen Augen) besten Mann der Welt verheiratet. Wir führten eine sehr harmonische Beziehung mit absolutem Vertrauen, Respekt und Liebe.
Vor ca zwei Jahren traf ich eine frühere Schulkollegin wieder. Sie lebt schon seit vielen Jahren geoutet und ausschließlich mit Frauen. Früher hatten wir nie engeren Kontakt. Einfach, weil es sich nicht ergeben hatte. Jetzt waren wir gleich auf einem Nenner und haben uns als "normale" Freundinen mehrmals getroffen.
Vielleicht klingt es verrückt aber ich hatte nie darüber nachgedacht, daß ich mehr auf Frauen stehen könnte als andere. Das änderte sich schlagartig..
Es hat mich total verwirrt, als ich merkte, daß wir plötzlich flirten und sie mich extrem anzieht. Wie sich herausstellte beruhte das auf Gegenseitigkeit. Ich bin nicht stolz darauf aber um es kurz zu machen: wir landeten im Bett. Es fühlte sich vom ersten Moment vertraut an, was mich noch mehr verwirrte. Ich konnte damit garnicht umgehen. Die Situation und meine Gefühle haben mich total überfordert. Ich liebte doch meinen Mann!!! Ich dachte mir: das liegt nicht daran, daß sie Frau ist sondern an ihr als Person... Deshalb brachen wir den Kontakt komplett ab. Auch von ihrer Seite.
Obwohl mein Mann mein engster Freund und Vertrauter war hab ich es ihm zu dem Zeitpunkt verschwiegen. Ich bekam es gedanklich einfach selbst nicht sortiert und hoffte wenn ich sie aus meinem Leben verbanne wird alles wieder wie früher.
Das ging in etwa ein halbes Jahr mehr oder weniger gut. Dann kam eine andere Frau... In dem Moment musste ich damit anfangen darüber nachzudenken, daß es vielleicht doch nicht (nur) personenbezogen war, sondern tatsächlich was damit zu tun hat, daß mich Frauen generell anziehen..
Ich redete mit meinem Mann. Es gab viele Tränen auf beiden Seiten. Wir konnten beide nicht glauben, was da gerade passierte. Wir liebten uns doch so sehr (und tun es heute noch)! Wir haben so sehr viel gemeinsam erlebt. Sind so eng miteinander verbunden.. Wie kann das sein???
Nach einem weiteren halben Jahr, das wahnsinnig schmerzhaft für uns beide war, wussten wir, daß etwas passieren muß!
Ich wusste selbst nicht wie es weitergehen soll... wohin mein Weg führt.. was ich will.. WER ICH BIN.. Ich liebe ihn und es macht mich fertig weh zu tun, ihn unglücklich zu sehen..
Und trotzdem hatte ich das Gefühl mich entscheiden zu müssen. Nicht zwischen ihm und einer anderen Frau.. Sondern zwischen ihm und mir :-(
Ich wohne seit einigen Monaten alleine. Mein Mann unterstützt mich dabei wo er kann. Ja, er liebt mich immernoch und versucht es mir zu ermöglichen mich selbst zu finden. Ich hab auch eine Freundin, die allerdings 500 km entfernt wohnt. Das weiß er und natürlich geht es ihm nicht gut damit.. Ich bin immernoch zerrissen... Ich hatte das beste Leben mit dem wunderbarsten Mann.. und ich bin eine Lesbe..?!?

Ich möchte an dieser Stelle gerne noch etwas an die zurückgelassenen Frauen richten: Ich bin nicht stolz darauf und es macht mich wirklich fertig wie weh ich einem so wunderbaren Menschen tue. Aber verurteilt nicht die Männer...wie ihr seht gibt es auch den umgedrehten Fall..

Ich wünsche uns allen, daß irgendwann wieder glückliche Zeiten kommen!!!



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 04.07.13 22:59.
Re: Zerrissen
04. Juli 2013 23:18
Hallo Hummel,

herzlichen Glückwunsch zu dem Mut, hier einen Teil Deiner Geschichte zu schreiben!

Kann nur sagen, mir ging es ähnlich. Ich hatte die beste Frau der Welt ... ok im Bett haperte es etwas bzw. war dann irgendwann zu Ende ... aber wir passten und passen wirklich super gut zusammen.

Und dann brach sich der Drang nach Männern seinen Weg ... unaufhaltsam ... keine Moral, keine Konventionen, keine noch so starke innere Ablehnung ... es drohte rauszuplaten ... also fand ich mit Hilfe dieses Forums vor vier Jahren den Mut, es meiner Frau zu sagen.

Ok ... die Wogen haben sich geglättet, der Rauch ist verzogen ... wir sind noch Freunde ...und bleiben noch eine Familie bis die Kinder aus dem Haus sind.
Fürs Gemüt und andere Sachen hat sie einen Freund ... und ich auch ... von daher passiert es öfter, dass bei uns jetzt sechs (statt nur vier) Personen um den Esszimmertisch sitzen ...

... geht ... wenn man sich immer noch mag.

Wünsche Dir viel Kraft, Glück und Sympathie von Deinem Mann !!!

Ganz liebe Grüße
Victor
Re: Zerrissen
05. Juli 2013 08:04
Hallo Victor,

vielen lieben Dank für Deine Begrüßungsworte :-)

Toll wie ihr das hinbekommt. Ich drück euch die Daumen, daß es weiter so läuft.
Ich bin auch der Meinung, daß es klappen kann. Vielleicht auch erst nach einer gewissen Zeit. Aber so viel Verbundenheit sollte es doch möglich machen.
Wobei ich natürlich durchaus die schwierige Lage der "anderen Seite" auch sehe.
Ich werde berichten..

Herzliche Grüße,
Hummel
Re: Zerrissen
05. Juli 2013 22:59
Liebe Hummel,

schön, das Du Dich hier eingefunden hast. Ich kann mir gut vorstellen, wie es Dir geht. Erst im Februar habe ich nach 25 Jahren Ehe meiner Frau gestanden, dass ich auf Männer stehe.

So wie ihr haben wir versucht, es mit Vernunft zu lösen, denn wir lieben uns immer noch, aber ich begehre sie nicht mehr. Meine Frau akzeptiert, dass ich in Sachen Sex andere Wege gehe. Aber es tut ihr weh.

Und mir tut es weh, dass es ihr weh tut. Wie damit umgehen?

Zunächst einmal, ich habe, seit ich mit anderen über dieses Thema rede, noch keinen Mann kennengelernt, der sich aussuchen würde, schwul zu sein, wenn er denn die Wahl hätte. Ich denke, das wird bei Lesben nicht anders sein? Wir haben uns das nicht ausgesucht, wir haben es einfach mitbekommen, wie die Augenfarbe. Man kann die nicht umtönen. Ich glaube, mir ist es gelungen, meine Veranlagung mit offenen Armen anzunehmen. Schließlich hatte ich über 40 Jahre Zeit, darüber nachzudenken. Das ist ein Teil. Ich hadere nicht mit mir.

Meine Frau sagt, sie fühle sich in ihrer Weiblichkeit nicht mehr für voll genommen. Vielleicht geht es umgekehrt Deinem Mann ähnlich? Dass er darunter leidet, seine Frau nicht völlig für sich einnehmen zu können? Denke darüber nach, wie Du ihm da helfen könntest. Ich versuche meiner Frau zu helfen, neue Freunde zu finden, so wie ich auch neue Freunde finde. Denn die Frage ist ja immer: was wird jetzt aus ihr? Für sie kam das wie ein Naturereignis.

Ohne Schmerzen geht es nicht. Du hättest natürlich Deine Veranlagung auch nach Deinem inneren Eingeständnis weiter unter der Decke halten können. Aber hätte das selbst dein Mann von Dir verlangt? Habt Ihr Euch nicht versprochen, Dinge im Guten wie im Bösen zu teilen? Gewiss, man kann sehr selbstsüchtig sein, sich in der neu gefundenen Befreiung austoben und den früheren Partner mit all seinen Schmerzen zurücklassen. Das hast Du wohl nicht getan.

Aber Du schreibst: "Mein Mann unterstützt mich dabei wo er kann. Ja, er liebt mich immernoch und versucht es mir zu ermöglichen mich selbst zu finden." Das klingt mir ein bisschen einseitig. Wo versuchst Du denn, es ihm zu ermöglichen, sich selbst zu finden? Ich glaube, wenn Du da etwas tust, wird das auch Deine Schuldgefühle lindern.

Schöne Grüße

Volker
Re: Zerrissen
06. Juli 2013 08:45
Lieber Volker,

vielen Dank für deine Worte. Die machen mich gerade sehr nachdenklich..

Ich möchte deinem Rat sehr gerne folgen. Dazu würde mich interessieren, wie du dir Hilfe für meinen Mann vorstellst.

Bisher ist die Situation folgende:
Für ihn war unsere Beziehung perfekt (so hab ich es ja auch empfunden). Am liebsten hätte er gern wieder alles wie es war, was leider offensichtlich nicht geht. Ganz hart trifft ihn das "alleine-sein".

Ich empfinde ihn nach wie vor als engsten Freund und Vertrauten und verbringe gerne Zeit mit ihm zusammen. Wir reden immer noch über alles (ausgenommen meine Freundin). Er erzählte mir z.B. auch davon, sich auf einer Single-Seite angemeldet zu haben und ich war/bin auch genau über die "Ergebnisse" im Bilde, die leider bisher nicht den gewünschten Erfolg hatten..

Manchmal kann er keinen Kontakt zu mir haben. Einfach, weil er gerade nicht damit umgehen kann mich zu sehen. Das ist extrem hart für mich aber ich akzeptiere es natürlich. Ich überlasse ihm, wann und wie oft wir Kontakt haben. Aber er weiß, daß ich jederzeit da bin.
Ich würde gern öffter etwas mit ihm unternehmen, bin aber nicht sicher ob das gut ist.. Bin ich dann nicht eher ein Hindernis für neue Kontakte, speziell zu Frauen?

Es würde mich sehr freuen deine/eure Meinung darüber zu erfahren.

Liebe Grüße,
Hummel
Re: Zerrissen
06. Juli 2013 10:50
Liebe Hummel,

es ist sehr schwer und sicher auch gefährlich, Dir etwas raten zu wollen. Ich kann nur beschreiben, was für uns hier bisher funktioniert. Ein wesentlicher Unterschied zu euch ist es, dass wir weiter zusammen in der gleichen Wohnung leben.

Meine Frau hat (verkürzt dargestellt) zu mir gesagt: "Ich kann verstehen, dass Du aus Deiner Haut nicht heraus kannst, aber was wird aus mir?"

Wenn ich abends weggehe, um schwule Bekannte zu treffen (was selten genug statt findet!), dann will sie nicht allein zu Hause sitzen und drüber grübeln, was ich da wohl gerade tue. Also hat sie mich gebeten, wenn es denn geht, ihr solche Treffen vorher anzukündigen, damit sie für sich etwas organisieren kann, Freunde oder Freundinnen besuchen, ausgehen.

Ich ermutige sie und unterstütze sie dabei, ihren Bekanntenkreis so zu erweitern, dass er nicht mehr mit meinem überlappt. Viele unserer Freunde haben wir gemeinsam (und die allermeisten haben bisher keine Ahnung, was zwischen uns läuft, aber sie müssen es auch nicht wissen). Es ist für sie wichtig, einen eigenen, unabhängigen Freundeskreis zu entwickeln.

Den könnte Dein Mann sicher auch gut brauchen. Wir Jungs (schwul oder nicht) gehen doch gerne abends mal ohne Frauen aus, auf ein Bier, ein Glas Wein, Skat, Doppelkopf oder was weiß ich. Hat er keine solchen Freunde? Hat er vielleicht einen besten Freund, dem gegenüber er sich öffnen und reden könnte? Oder sind die von der Sorte, die ihm sagen würden (bitte entschuldige meine Sprache) er sei nicht Manns genug gewesen, um Dich bei der Stange zu halten? Meine Frau hat auch lange darunter gelitten, dass sie niemanden hatte, mit dem sie reden konnte. Er wäre auch hier im Forum herzlich willkommen!

Schöne Grüße

Volker
Re: Zerrissen
07. Juli 2013 23:53
Hallo Volker,

vielen Dank für deine Denkanstöße. Muß ich erst mal noch etwas drüber nachdenken, wie ich die umsetzten kann..
Ich geb dir auf alle Fälle recht, daß ein neuer und eigener Bekanntenkreis für meinen Mann sehr wichtig wäre.
Ich werde ihn sicherlich darin bestärken...

Liebe Grüße,
Hummel
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