Hallo Jürgen,
ich schließe mich meinen Vorrednern an.
Aus meiner eigenen Erfahrung gab es da eine Zeit, da hatte ich ein enormes Bedürfnis, es allen zu sagen. Hab ich zum Glück nicht getan, sondern klein angefangen: Zuerst meiner Frau, dann einem alten Schulfreund, zwei Freunden aus meinem SPD-Ortsverein. Die waren mir einfach wichtig und alle haben es gut aufgenommen. Dann war der erste Druck schon weg.
Später kamen dann meine erwachsenen Töchter dazu, aber später nur deshalb, weil sie im Studium woanders leben und ich es ihnen erst bei einem Besuch gesagt habe. Telefon oder Skype kamen nicht in Frage, Brief oder Email schon gar nicht. Noch später hab ich es meiner Schwester gesagt, wiederum bei einem Besuch.
Alle sind Personen, die mir wichtig sind, vor denen ich nicht mit einer Lüge leben möchte. Alle haben es akzeptiert, aber auch dabei geschluckt. Es ist natürlich nicht so, dass ich diesem Personenkreis mein Intimleben offenlege. Meine Homosexualität ist kein regelmäßiges Gesprächsthema. Ich habe auch ganz selten selbst mal das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Aber sie wissen es und reagieren auch.
Du weißt ja, dass ich auf Facebook bin. Da habe ich sehr sorgfältig meine schwulen Freunde in einer Gruppe von den Anderen getrennt, damit Posts in diese Richtung von dem Rest meiner Familie, Freunden und Bekannten nicht gesehen werden. Es ist nicht so, dass es mir was ausmachen würde, es macht IHNEN was aus. Sie wollen offen schwule Inhalte nicht sehen. Das respektiere ich. Sonst laufe ich Gefahr, dass sie mich komplett aus ihrer Liste nehmen.
Es ist also eine Sache, als Schwuler von Familie und Bekannten akzeptiert zu werden, aber eine ganz andere Sache, Familie und Bekannte dazu zu bekommen, auch die Begleiterscheinungen zu akzeptieren und darüber zu reden.
Ich lerne, das zu trennen, es würde mich brennend interessieren, wie das die Anderen hier machen. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass solche Themen regelmäßig in der Unterhaltung mit schwulen Bekannten aufkommen. Diese "Wie ist das bei dir?"-Frage beschäftigt sie alle. Es ist gut, sich im Gespräch darüber auszutauschen. Mit der eigenen Familie? Eher nicht.
Also, zurück zu Deiner Frage: Mir kommt es so vor, als würde Deine Familie sagen: "Du hast es uns doch geschrieben, müssen wir jetzt auch noch drüber reden?" Schau, sie haben vermutlich alle die gleichen Probleme, ich kenn das doch: Sie haben pauschale Vorurteile darüber, was das bedeutet, einen schwulen Sohn, Bruder, Vetter etc. zu haben. Sie befürchten, das es heraus kommen könnte und SIE SELBST ihren Sohn, Bruder, Vetter gegenüber Dritten in Schutz nehmen müssten. Das die Nachbarn tuscheln, der eigene Bekanntenkreis sich abwendet. Der Gedanke von gleichgeschlechtlichem Sex erschreckt sie, widert sie an. Ich habe ein-zwei Mal mit meiner Frau darüber gesprochen, aber immer nur unter 4 Augen und bei einem Glas Wein. In passender Atmosphäre, mit einer langen Einleitung, die es erlaubte, tiefer einzusteigen.
Wenn Du Dich ihnen öffnen willst, musst Du sie vorher für Dich öffnen.
Schöne Grüße
Volker