Hallo,
vielen Dank für die Möglichkeit, hier meine Geschichte zu erzählen. Ich bin seit ich denken kann schwul. Für mich gab es hieran nie einen Zweifel. Bereits in der Schule habe ich mich in Klassenkameraden verguckt. Soweit, so gut.
Allerdings habe ich es nie geschafft, zu meiner sexuellen Orientierung zu stehen. Ich habe nie einen Mann daraufhin angesprochen, war nie in - aus meiner unerfahrenen Sicht - schwulen Clubs o.ä., oder hab mich irgendwie anders geoutet. Früher hat mich das noch beschäftigt, heute ist das für mich eher Routine. Das gesamte Thema Sexualität habe ich weitestgehend verdrängt. Jetzt bin ich 38 und hab noch nie in einer Beziehung gelebt oder hätte sexuelle Kontakte/Sex. Zwar habe ich mit einem Schulfreund, in den ich mich verliebt hatte, während des Studiums in einer WG zusammengelebt, aber auch da war ich stark selbstkontrolliert. Da er über Jahre keine Freundin hatte, und sich auch nicht erkennbar für Frauen interessiert hatte, hab ich mir 10 Jahre Hoffnung gemacht. Mittlerweile hat er aber ein Kind und will mich als Trauzeugen. Skurril.
Wenn ich zurückblicken, habe ich schon immer Angst vor dem Thema Homosexualität gehabt. Vielleicht liegt es daran, dass Sexualität in unserer Familie nie besprochen wurde. Von meinem Vater habe ich mal beim Film Philadelphia zu hören bekommen, so nebenbei, dass man die Schwulen "umoperieren oder ins Arbeitslager stecken müsste". Ich habe ihn aber auch nicht damit konfrontiert (und jetzt kann ich es auch nicht mehr). Und es war in der Tat die einzige Äußerungen zu dem Thema, an die ich mich in unserer Familie erinnern kann. Als Begründung oder Ausrede für mein verkorkstes Nich-Liebesleben taugt das aber nicht.
Vielmehr habe ich das Thema Beziehung immer vor mir hergeschoben. Zunächst das Studium fertig machen, dann im Job ankommen, nur noch die Dissertation fertig machen, aber dann... nichts. Ich hab mich immer gedrückt, um eine Ausrede (gegenüber mir selbst) nie verlegen. Dabei bin ich in anderen Bereichen nicht ängstlich. Ich hab Vorlesung vor 1000 Studenten gehalten, Projekte in Vorstandsetagen eingeworben... aber nie zu meiner Sexualität gestanden.
Heute habe ich einen Bauch (und finde mich selbst nicht attraktiv - hab ich aber auch früher nicht getan) und stell mir die Frage, ob der Zug für mich schon abgefahren ist. Nur zu Klarheit, ich spiele nicht mit dem Gedanken, mir etwas anzutun, oder so. Ich frage mich aber schon, ob ich nicht vielleicht weiter die Verdrängungstaktik fahren sollte. Schließlich kenne ich mich mit (Homo)Sexualität null aus. Natürlich habe ich Sachen im Netz gelesen, aber noch nie mit jemanden drüber wirklich gesprochen, geschweigeden bin ich "praktisch" geworden. Ich hab keine Ahnung, wie man schwule Männer findet, erkennt, anspricht. Ich kenne auch niemand schwulen (oder erkenne ihn nicht). Ich konnte mich noch nicht dazu überwinden, in ein Szenelokal zu gehen oder eine Partnerplattform zu nutzen. Auch den Gedanke, mit einem Eskort Erfahrungen zu sammeln, hab ich nicht in die Tat umgesetzt.
Was will ich mit dieser wirren Geschichte nun sagen? Das weiß ich selber nicht genau. Ich merke nur, dass mir etwas im Leben fehlt. Soviel zum Thema erfolgreiche Verdrängung. Vielleicht hat ja jemand ähnliche Erfahrungen, weiß, was gute erste Schritte wären oder kennt einen sinnvollen Ratgeber für Schwulsein (und zwar nicht für Teenager sonder 30plus)...
Über Ideen würde ich mich freuen. Vielen Dank und viele Grüße, Markus