Willkommen! Anmelden Ein neues Profil erzeugen

Erweiterte Suche

Gedanken "Engagierte Zärtlichkeit"

geschrieben von philom 
Gedanken "Engagierte Zärtlichkeit"
16. April 2012 10:20
Hallo Zusammen,

ich habe einen Text entdeckt, den ich Euch nicht vorenthalten möchte ! Er beschreibt authentisch und ehrlich folgende Aspekte: Identität, Coming Out, Gefühlswelt.
Die Beschreibungen, passen jedenfalls zu mir. Ich wünsche Euch neue Erkenntnisse und Diskussion.
Ach so, ich bin 40 Jahre ungeoutet. Ich hoffe nicht mehr lange. So nun folgt der Text:


Ich leide nicht darunter, dass ich schwul bin. Es ist meine Chance zu lieben und glücklich zu werden. Schwer machen es mir die Mitmenschen, die sich unnötig durch mich verunsichert fühlen.
Ich glaube, dass die Lesben und Schwulen sich gemeinsam mehr zu ihrer Neigung bekennen müssen und sich nicht verstecken dürfen. Sonst sind sie selbst verantwortlich, wenn sie immer im Verborgenen leben.
"Homophobie ist ein Ableger der Xenophobie, d.h. der gesteigerten Furcht vor allem, was anders, fremd oder nicht der Ordnung entsprechend (= wild) ist. Solange die gleichgeschlechtliche Liebe von Teilen der Gesellschaft als etwas Fremdes oder Anderes angesehen wird, werden wir immer wieder mit manifesten und latenten Erscheinungen der Homophobie zu tun haben."
Ich kenne den Schmerz über sterbende Illusionen, aber ich weiß auch, wie befreiend und belebend es ist, wenn an ihre Stelle Träume treten, die sich verwirklichen lassen.
Der Sinn des Lebens besteht darin Spuren zu hinterlassen, d.h. in seiner Identität greifbar zu sein, die sexuelle Identität nicht ausgeblendet zu lassen, sondern dazu zu stehen. Wer sich verhüllt, die Spuren im Sand wieder verwischt, nicht zu seiner Identität steht, wird sein Leben niemals als sinnvoll, sondern als sinnlos und deprimiert empfinden. Identität gipfelt daher in der Stellungnahme des Individuums zu sich selbst. Identität heißt zu sich zu stehen und sich nicht immer wieder vor anderen auf die Flucht zu begeben, sich nicht durch andere verfolgt zu fühlen oder in andere Ersatzwelten (Theaterwelt, Computer, Sport, Wissenschaft) zu flüchten. Identität ist, sich um Dialog mit anderen selbst einzubringen, wer man ist, aber auch die Erwartungen der anderen zu managen, um eine Synthese, einen Kompromiss beider Aspekte zu erreichen.

Erarbeitete Identität: Sie umfasst die Elemente der Identitätsbildung, die man kraft eigener Bemühungen und Anstrengungen erlangt hat. Wer seine Art schwul zu sein durchdenkt und bewusster entscheidet, was und wie er sein will, bildet unter besonderen eigenen Anstrengungen eine Identität. Man legt sich auf Werte, Einstellungen, Verhaltensweisen und ein "Sich-schwul-geben" nach eigenen Vorstellungen fest die selbst aus einer breiteren Fülle herausgewählt wurden.
Der kognitive Stress ist reflexiv und kognitiv sehr komplex. Im Intimitätsbereich besteht die Fähigkeit zu tiefen Beziehungen, nicht-defensive Stärke kann gezeigt werden und der Einsatz für andere ohne Eigennutz tritt verstärkt auf.Schwule und Lesben entwickeln und besitzen eine differenziertere kognitive Struktur, die ihnen mehr Kompetenzen ausweisen läßt als heterosexuelle Menschen. Da gleichgeschlechtlich empfindende Menschen reflexiv werden müssen, ereignet sich ein "erhöhtes kognitives Geschehen". Die Kompetenzen zeigen sich in vielfältigen Aspekten: der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, zum Um-die-Ecke-denken, im Humor (der z.T. darauf beruht), zu einer differenzierten Wahrnehmungsfähigkeit. zu Einfühlungsvermögen und Empathie, in Gelassenheit und genereller menschlicher Reife aufgrund ihrer Erfahrungen, die sie im Lauf ihrer Entwicklung gewinnen durften; schnelle Anpassungsfähigkeiten, soziale Kompetenz, u.s.f.
Viele tragen vor ihrem Coming-out Masken, die sie fürchten abzulegen. Und keine davon sind sie. Sie machen den Eindruck, als seien sie umgänglich, als sei alles heiter in ihnen und als bräuchten sie niemanden - ihr Äußeres mag sicher erscheinen, aber es ist eine Maske, darunter sind sie in Furcht und allein. Aber das verbergen sie hinter einer verzweifelten Maske als lässige Fassade, die sie vor dem wissenden Blick sichert, der sie erkennt. Dabei wäre gerade dieser Blick ihre Rettung. Wenn es jemand wäre, der sie annimmt und sie liebt. Sie haben Angst davor, abgewiesen zu werden. Und so spielen sie ihr verzweifeltes Spiel, eine sichere Fassade außen und ein zitterndes Kind innen. Sie bitten: "Höre sorgfältig hin und versuche zu hören, was ich nicht sage, was ich gerne sagen möchte, was ich aber nicht sagen kann." Sie möchten wirklich echt und spontan sein können. Jedes mal, wenn wir sie versuchen zu verstehen, bekommt ihr Herz Flügel. Die Kraft des Verstehens gibt ihnen Leben, die Befreiung aus der Einsamkeit. Aber es sind oft dicke Mauern: Sie wehren sich gegen das, wonach sie schreien. Je näher wir ihnen kommen, desto blinder schlagen sie zurück. Aber Liebe ist stärker als jeder Schutzwall. Darauf müssen wir setzen.

So mancher scheitert an der Frage: Warum so und nicht anders? Warum ich und nicht der? Warum gerade jetzt und nicht ein anderes Mal? Lass dir sagen, dass diese Fragen ohne Antwort sind. Denn wenn es einen Sinn gibt, so sind wir Menschen mit unseren geringen Mitteln niemals in der Lage, diesen Sinn zu verstehen, darum ist eine solche Frage müßig. Gehe deinen Weg gut. Ein Mensch, der geht, ist unterwegs. Jeder andere bewegt sich nicht. Wer sich aber nicht bewegt, ist tot. Du bist allein wie jeder andere auf dieser Welt. Doch wenn du dich den anderen geöffnet hast, wirst du deine Einsamkeit teilen. Und sie ist nicht mehr eine Last, welche dich zu erdrücken droht. Du hast nun die Wahl zwischen vielen Wegen. Doch welcher es auch immer sein mag, den du gehst: gehe ihn mit deinem ganzen Herzen. Zu lange hast du nun schon gesucht. Nun gib das Suchen auf und lerne finden. Steh zu dir, denn du bist das Wertvollste, das du auf dieser Welt hast.
Re: Gedanken "Engagierte Zärtlichkeit"
16. April 2012 20:52
Hallo Philom,
da hast Du ja eine ersten Schritt getan, indem Du diesen Text gefunden hast und Dich darin (oder zumindest in Teilen davon) wiedergefunden hast. Und wenn der Text Dir Ermutigung gibt, dann kann er Dir ja ein großer Wegweiser sein.
Wenn ich den Text für mich interpretierend lese, finde ich drei wichtige Aussagen:
Erstens: Nicht ich habe Probleme mit meinem Schwulsein, sondern die äußeren Umstände hindern mich mein Schwulsein zu leben.
Zweitens: Wichtig ist es mein Schwulsein als Teil meiner Identität zu betrachten.
Drittens: Manche Schwule bauen aus Angst vor Entdeckung einen meterhohen Schutzwall um sich. Und Liebe soll diesen Schutzwall durchdringen.

Ich habe die Aussagen sehr holzschnittartig zugespitzt, um sie einfach fassbarer zu machen.
Zur ersten Aussage:
Wenn Du in einem schwulenfeindlichen Umfeld lebst, dann ist es doch wichtig einen geschützten Rahmen zu finden, in dem Dein Schwulsein als etwas normales wahrgenommen wird. Das kann z.B. eine Coming out Gruppe sein. Ich war bei Rubicon in Köln in einer Coming out Gruppe. Da traf ich Menschen alle vor dem Coming out in sehr unterschiedlichen Situationen. Einfach mal in einem geschützten Rahmen über sein schwulsein spechen, die Erfahrungen von anderen hören. Vielleicht gemeinsam mal die "schwule Szene" erkunden.

Denn wenn das Ziel Identitätsbildung ist, dann entwickelt sich Identität nicht durch das Lesen von Büchern, sondern durch den Austausch mit anderen. Wichtig dabei sind auch Rollenvorbilder. Und da finde ich es wichtig einfach andere Menschen zu treffen, die vielleicht in einer ähnlichen Situation stecken oder die eben auch schon ein Coming out hinter sich haben.
Und mit denen man sich über die Schritte, die man gegangen ist oder zu gehen beabsichtigt austauschen kann.

Problematisch finde ich ja die dritte Aussage. Sicher viele Schwule haben um sich herum einen Schutzwall errichtet. Aber diesen Schutzwall kann kein anderer abtragen, da kann die Liebe noch so groß sein, sondern nur der, der ihn gebaut hat. Sicher kann Liebe so einen Schutzwall zum Schmelzen bringen. Aber die Anforderung an den anderen sind doch schon sehr sehr groß und erfordern ein höchstes Maß an Einfühlung und die Fähigkeit auch Rückschläge wegstecken zu können.
Ich finde es viel wichtiger selber zu überlegen, wo kann mein Schutzwall Öffnungnen bekommen und wo kann ich andere Menschen an mich heranlassen?

Aber indem Du den Text gepostet hast, hast Du ja schon einen Schritt aus Deinem Schutzwall herausgetan. Das ist doch schon mal sehr viel.
LG Finn
Re: Gedanken "Engagierte Zärtlichkeit"
19. Juni 2013 15:24
Hey!
Musste erst mal ne Runde heulen beim lesen.
wahre Worte, triffts genau.
Gruß C.
In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.

Klicke hier, um Dich einzuloggen