Hallo Jul,
willkommen im Club :-)
Quote
Jul
... ich lebe allein ...
Seit Jahren vermute ich/ spüre ich, dass ich mich (auch) zu Frauen hingezogen fühle. Allerdings bin ich diesen Gefühlen nie nachgegangen, sondern habe sie immer zur Seite geschoben. Nun möchte ich daran etwas ändern, aber es fällt mir unheimlich unheimlich schwer. Ich habe sehr große Angst vor den möglichen Veränderungen, die auf mich ggf. zukommen. Der Berg wirkt sooo groß. Teilweise fühle ich mich total überfordert.
Wie es schon geschrieben wurde ... der Berg ist in einem selbst drin. Vorstellungen, Riten, Gewohnheiten, Weltanschauungen, Verhaltensmuster und -regeln ... alles anerzogen, angelesen, angewöhnt etc. ... und doch nicht stimmig. Genauso ging es mir auch.
Allerdings hast Du aus meiner Sich eine recht beneidenswerte Startposition. Du hast keinen "Heteropartner" und auch keine Kinder ... von daher eigentlich niemanden, der sich direkt mit seiner persönlichen Weltanschauung und Zukunftsplanung an Dich gebunden hätte ... und für den eine Welt zusammenstürzen könnte.
Zum Thema Coming-Out denke ich, DU bist die wichtigste Person, der Du es sagen musst ... ist stand vor dem Spiegel und sagte es mir selbst, und lag danach weinend auf dem Teppich (zum Glück war niemand da!)
Alle anderen brauchen kein offizielles Coming-Out. Meine Regel dabei ist, Leute, die es nicht von außen oder vom Hörensagen erfahren sollen, denen sagt man es persönlich (ggf. Familie, Mutter, Vater, Geschwister, wirklich allerbester Freund oder Freundin ...) alle anderen bekommen es frühzeitig mit oder auch nicht.
Ich weiß, dass ich mich nach emotionaler UND körperlicher Erfüllung gesehnt habe, Streicheln und gestreichelt werden, Flirten, Kuscheln und Sex, so wie ich es mag ... ohne drüber nachdenken zu müssen ...
Von daher brauchst Du wahrscheinlich etwas Mut, die einschlägigen Lokalitäten aufzusuchen. Ich bin klopfenden Herzens durch die Straßen des "Bermudaviertels" geschlichen ... hoffentlich hat mich niemand gesehen ... dann irgendwann wurde ich quer über die Straße "angerufen" ... "HAAALLOOOOO ... " ... uuups, mir rutschte das Herz in die Hose ... ein ganz normaler Bekannter (von dem man annahm, er wäre schwul) hatte mich erkannt, ich ging rüber, plauderte ... und war hin und hergerissen ... zwischen "reingehen oder weg" ... ich entschied mich damals für weg ... ich war noch nicht so weit. Allerdings hat niemand darüber gesprochen ... von daher kam ich drauf, dass es egal ist, was man macht, in "Hetero-Kreisen" oder "Auf der Arbeit" wird sowas niemals erzählt oder erwähnt, Hetero-Kollegen bekommen nichts davon mit :-)
Es hat noch eine Weile gedauert, bis ich in die erste "homo-Lokalität" gegangen bin ... ich habe "kilometerweit" weg geparkt, 1/2 Stunde gewartet, gezaudert, gezögert ... und bin dann doch klopfenden Herzens reingegangen ... klar, jeder weiß, was passiert ist ... "NICHTS!" ... pfff, alles ganz locker.
Das habe ich dann ausgebaut, bin regelmäßig dort essen gegangen (OK, Gay-Life ist etwas teuerer!), und habe die diversesten Partys besucht ... auch dort erst wieder klopfenden Herzens gewartet und gezögert, bis man an Kassierer und Garderobe vorbei ist (huch, man könnte ja gesehen werden ...) ... und dann noch in einem Outfit, welches meiner Familie und ggf. meinen Kollegen die Augen rausgefloppt hätte :-o
Klar, passiert ist nichts, niemand, aus meinem berufs- oder täglichen Leben hat mich gesehen oder angesprochen ...
Klar, natürlich ist was passiert, ich habe mich unter "Meinesgleichen" bewegt und unheimlich wohlgefühlt. Smalltalk, Flirten, Tanzen, "Bussi-Bussi" ... und und und ... das volle Programm :-x.
Mir ging es immer besser, ich fand ein wenig zu mir selbst. Die tatsächlich eintretenden Veränderungen im Aussehen, Kleidung, Ausgehverhalten, die habe ich "ausgesessen" und mich nicht abhalten lassen.
Aus meiner Sicht darf man keine Angst haben, mal in die Szene einzutauchen. Die meisten Leute, die schreiben "Szene, nie, nichts für mich, geh ich nicht hin", waren niemals dort, haben keine Ahnung, was und wie dort abläuft. Tatsache ist, dass niemandem etwas passiert, was er nicht will. Natürlich kann es sein, dass man angesprochen wird, angeflirtet, angefasst wird ... aber dazu ist man doch dort ... oder??? Ein "Nein" wird nach meiner Erfahrung bedingungslos und sofort akzeptiert ... es geht sehr tolerant zu, auch was "Klamotten" oder Kleidung betrifft.
Ein offenes, lachendes, freundliches Gesicht, eine positive Grundstimmung und Körperhaltung wiegen viel mehr, als irgendwelche hippen Kleidungsstücke ...
Ehrlich: Passieren kann überhaupt nichts, sollte Dich jemand dort sehen, wird er oder sie NICHTS sagen oder unternehmen. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, und wer Dich sieht, war auch dort ;-o
(Ist mir auch mal passiert, die ganze Familie und ich gingen bei uns zum Chinesen ... und dort an der Tür saßen ein paar junge Kerle, offensichtlich von "hier" ... die kannten mich und ich kannte sie ... vom Sehen aus der Szene der nächsten Großstadt. Sie waren mit "Mädels" und Kumpeln hier ... keine Ahnung, ob Freundin oder Bekannte ... egal, sie haben mich gesehen, mit Anhang, ich habe sie gesehen, wir haben niemals drüber gesprochen ... ;-X)
Von daher meine Empfehlung: Tauch mal ein in diese Welt, lerne sie kennen ... ganz sachte und langsam ... Du entscheidest, wie Du vor- und weitergehst ... aber wichtig: "GEH!!".
Wünsche Dir alles Gute für den "Aufbruch".
Liebe Grüße
Victor
1-mal bearbeitet. Zuletzt am 07.05.14 15:03.