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Noch eine Geschichte

geschrieben von Folk0207 
Noch eine Geschichte
30. Januar 2013 09:43
Hallo zusammen,

zunächst mal ein Kompliment an dieses Forum. Natürlich habe ich mich eingelesen, bevor ich mich selbst an die Tastatur gesetzt habe. Dass ich mich getraut habe, ist auch Euer Verdienst, denn was ich bisher gelesen habe, zeugt von Verständnis, Feingefühl und, ja, - einer gewisser Wärme.

Allein hier zu schreiben ist ein Stück Coming Out. Und es ist hart. Selbst sich zu registrieren war hart, weil es ein Eingeständnis gedeutet. Ich bin 63, seit 25 Jahren verheiratet, zwei Töchter im Studium. Eigentlich sollte ich ein glücklicher Familienvater sein. Ich habe eine tolle Frau, zwei großartige Töchter, ein schönes Zuhause. Aber kein Eheleben.

Körperliche Beziehungen mit meiner Frau sind schon seit gut 10 Jahren regelrecht eingeschlafen. Weder sie noch ich sind körperlich besonders attraktiv, auch früher nicht gewesen. Aber darauf will ich es gar nicht schieben. Ich habe schon bald nach unserer Heirat gemerkt, dass die anfängliche Passion (die war schon da. Zwingen musste ich mich damals nicht.) nachließ. Meine Frau hat das in gewisser Weise unterstützt, weil sie es nie geschafft hat, mich aufzufordern oder heiß zu machen. So war es fast immer ich, der auffordern musste. Und weil ich nie gelernt habe, sexuelle Wünsche gegenüber einem Partner offen zu äußern, wurde das immer schwerer. Irgendwann habe ich damit aufgehört, ohne dass von ihr ein Zeichen kam.

Wir sind die gleiche Generation, sie und ich. Wir haben unsere Kinder erfolgreich aufgezogen und auch in sexuellen Belangen ihnen gegenüber nie irgendwelche Tabus aufgebaut. Aber über unsere eigene Sexualität konnten wir nicht reden. Traurig.

Im Herbst war meine Frau 5 Wochen weg auf Kur. Das hat bei mir einen Umschwung bewirkt, weil ich mich zu Hause irgendwie unterhalten musste. Da habe ich zum erstem Mal gezielt nach schwulen Filmen im Internet gesucht. Seit dem habe ich fast nichts anderes mehr angeschaut. Ich habe sie verschlungen, wie ein Verhungernder. Weil ich recht gut Englisch spreche, habe ich auch keine Probleme mit amerikanischen Filmen und Serien von TLA oder Logo und anderen. Den Umschwung haben aber nicht Sexszenen bewirkt (ja, natürlich machen die mich heiß und manchmal bleibt mir regelrecht der Atem weg), der Umschwung kam mit der Selbstverständlichkeit, mit der dort zum Teil mit der eigenen Sexualität umgegangen wird. Natürlich wird in Filmen vieles in leuchtenden Farben gemalt. Das nehme ich überhaupt nicht für bare Münze. Aber es ist eine Zielvorstellung: Anerkannt und akzeptiert zu werden, als das was ich offenbar bin: Schwul.

Hätte ich das nicht schon früher wissen können? Habe ich es vielleicht auch schon lange gewusst und nur unterdrückt? Hinweise gab es viele. Ich habe eine frühe Erinnerung als vielleicht 9 bis 10-Jähriger, als ich einem Klassenkameraden hinterher geschaut habe und ich fand, dass er einen schönen Hintern hätte. Die Erinnerung hat sich eingebrannt, sie ist immer noch frisch. War es das schon? Keine Ahnung. Als Jugendlicher, in der Pubertät gruppieren sich Jungs eh zu Cliquen, da habe ich auch dazu gehört. Damals habe ich schon gemerkt, dass ich das Interesse mancher Jungs an nackten Mädchenbildern nicht teilte. Auf einem Pornobild, das in der Pause die Runde machte, faszinierte mich am meisten der Schwanz des Typen. Das ist bis heute so. Als es in die Tanzstunde ging, bemerkte ich zum ersten Mal richtig, dass ich mit Mädchen ernsthafte Kontaktschwierigkeiten hatte. Andere hatten die ersten Freundinnen (manche in schneller Abfolge sogar mehrere), ich hatte Schwierigkeiten, eine Partnerin für den Abschlussball zu finden. In der Oberstufe fingen wir an, nach dem Sport zu duschen, da habe ich zum ersten Mal nackte Jungs gesehen. Da habe ich das Blut in den Schläfen rauschen gefühlt. Einmal waren wir nur zu zweit, mein bester Freund und Klassenkamerad, und ich. Er war ein attraktiver Kerl, Typ Handballer, gedrungen, athletisch, Sixpack (sagt man heute), fester, kompakter Po, Pianistenhände. Ich seh‘ ihn noch heute. Und ich hatte Mühe, meine Erektion im Zaum zu halten. Das war so einer dieser Momente, wo man am Scheideweg steht.

Aber ich wollte nicht. Ich wollte eine Familie (ich komme aus einer heilen Familie und habe das immer geschätzt) und Kinder. Also auch eine Ehefrau. Dem habe ich sicher vieles geopfert, es aber nicht als Opfer empfunden
.
Die Ehefrau kam dann nicht gleich. Es kamen gar keine Frauen. In meinen 20igern schloss ich mich einer Gruppe von gleichaltrigen Ex-Klassenkameraden und deren Bekannten an, von denen viele unbeweibt waren und es auch lange blieben. Alles verkappte Schwule, die es sich nicht eingestehen wollten? Keine Ahnung. Es geht auch nicht um die, es geht um mich. Natürlich redet man nach ein paar Bier auch mal über die Frage der eigenen Orientierung, zumal das in der Gruppe vielen so ging. Die Fragezeichen wurden also größer. In dieser Gruppe kam es zweimal zu mehr oder weniger intimen Begegnungen. Ich hätte es dann wissen können, denn nach dem ersten Mal wollte ich mehr davon, viel mehr. Aber mein Gegenüber war durch die Intimität verstört und wollte nicht weiter gehen. Er ist heute verheiratet. Wie sehr würde mich schon interessieren. Aber ich habe den Kontakt verloren.

Mit 27, während des Studiums, habe ich zum ersten Mal mit einem Mädchen geschlafen. Das war sogar arrangiert. Ich hatte einen guten Freund (ich hatte immer gute, meist attraktive und dominante Freunde, aber irgendwie auch immer Heteros; und in die war ich auch meistens verliebt, aber natürlich ohne Erfolg), der um mein Problem wusste und ein Mädchen kannte, die mit allen schlief. Irgendwie hat er uns zusammen gebracht, fragt mich nicht wie. Das erste Mal war dann auch ziemlich katastrophal, aber da bin ich sicher nicht allein. Es hielt nicht lange, aber ich war wenigstens nicht mehr Jungfrau. Aber es war für mich ein Anker in der Heterosexualität, der lange gehalten hat.

Dann kam lange nichts, immer wieder aber attraktive Männerfreunde, mit denen ich gerne etwas angefangen hätte, mich aber nicht traute und es wegen meiner Zielvorstellung Familie, Frau und Kinder auch nicht zuließ. Mit 36 traf ich dann meine Frau und es funkte. Heute frage ich mich, ob es nur funkte, weil ich die erste und letzte Gelegenheit erkannte, meine Zielvorstellung zu verwirklichen. Wie auch immer, das habe ich erreicht.

Erst jetzt, über 25 Jahre später, bin ich an dem Punkt zu sagen, was mir noch fehlt: Mich in eine Umarmung männlicher Arme zu schmiegen und mich halten zu lassen. Wo fange ich an?

Ich liebe meine Frau immer noch (in diesem altgriechischen Sinne, der lieben und begehren unterscheidet). Wir haben zusammen etwas Wertvolles aufgebaut. Wir teilen vielfache Interessen. Nach so langer Zeit gibt es auch eine nicht unerhebliche, gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit. Sie ist eine großartige und einfühlsame Frau und ein zuverlässiger Gefährte durch Dick und Dünn. Ich kann und werde sie nicht verletzen. Ich muss einen Weg finden, ihr in kleinen Schritten klar zu machen, was mich bewegt. Wir haben zwei großartige und weltoffene Töchter, die wohl am ehesten verstehen würden, wenn ich mich ihnen öffnete.

Papa schwul? Die Antwort bleibt ungewiss.

Herzliche Grüße

Volker



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 30.01.13 09:44.
Re: Noch eine Geschichte
30. Januar 2013 21:35
Hallo Volker,

schön, dass du hier schreibst, es war gut zu lesen smiling smiley - gleichzeitig ein bisschen ungereimt für mich.

Zuerst hatte ich den Eindruck, dass dir wirklich erst jetzt klar geworden ist, du bist schwul. Aber dann ... war da scheinbar früher viel Homoerotisches in deinem Leben.

Irgendwie hast du es aber auf den Punkt gebracht: du wolltest Familie, wohl die Geborgenheit deiner Kindheit weiterführen.

Mit meinen fast 50 Jahren stecke ich im gleichen Boot, meine Frau und Kinder wissen aber bereits Bescheid. Ich hoffe noch mit meiner Frau einen guten Weg zu finden, der beide weiterführt, keinen abstürzen lässt.

Du möchtest deine Frau nicht verletzen. Sehr gut. Und sehr schwierig. Vielleicht ahnt sie etwas? Ich glaube eher nicht, weil man doch immer glaubt, was man sich wünscht, was einem nicht weh tut.
Wenn du ihr vermitteln könntest, dass ihr zusammen steht und es "nur" um Offenheit und damit größeres Vertrauen ginge ... aber. Aber du wünschst dir mehr, die Umarmung eines Mannes.

Ich kenne deine Frau nicht. Vielleicht ist sie großartig, es läuft gut. Meine Frau war sehr verletzt, obwohl ich sie höchstens in Gedanken hintergangen hatte, bevor ich ihr etwas sagte. Trotzdem meine ich, man sollte erst mit der Partnerin reden bevor weitere Schritte anstehen. Sie braucht ihre Chance, ihre Zeit zu verstehen, sich darauf einzurichten, soweit das überhaupt möglich ist.

Ich war hier seinerzeit angetreten mit dem Satz "Ich will alles behalten, was ich habe."
Wo geht das schon. Aber vielleicht gibt es etwas Neues, Bereicherndes und zwar für alle.
Du siehst, ich habe eindeutig Hoffnung. smiling smiley

Dir alles Gute.

LG
Zeev
Re: Noch eine Geschichte
01. Februar 2013 13:24
Hallo Zeev,

danke für Deine nachdenklichen Worte. Ich habe eigentlich damit gerechnet, dass Du als Erster hier antwortest, weil ich beim Durchlesen der Beiträge schon bemerkt habe, dass Du ein ähnliches Schicksal hast.

So eine Geschichte aufzuschreiben hat schon einen Wert für sich. Ich habe Bilanz gezogen und angefangen, verschiedene Aspekte meines Lebens neu zu bewerten. Das manches, - sicher nicht nur für Dich-, ungereimt klingen mag, ist auch der Tatsache geschuldet, dass ich 50 Lebensjahre auf anderthalb Seiten reduziert habe. Aber irgendwie musste ich ja anfangen.

Ich habe das als Befreiungsschlag empfunden. Nachdem die Geschichte im Netz stand, ging es mir wesentlich besser. Ich kann das jedem nur empfehlen, der noch zögert. Ich habe ein Stück weit mehr zu mir gefunden. Ich sage das bewusst so relativ, weil da sicher auch noch viel fehlt und vielleicht kommen wird. Aber ich habe das Grundsätzliche akzeptiert, nämlich dass ich Männer deutlich anziehender finde als Frauen. Wie hat das einer hier im Forum geschrieben: „I like cock!“ That’s a little straightforward (never mind the pun!grinning smiley), but yes, I do too.

Ich habe jetzt die Freiheit empfunden, mich beim Stammtisch Schwuler Väter anzumelden. Das hätte ich mich vor der Geschichte nicht getraut. Den Link habe ich hier gefunden, schönen Dank, dass er da ist. Die Termine liegen leider etwas ungünstig, deshalb wird es sicher noch ein paar Wochen dauern, bis ich hingehen kann, aber danach werde ich hier sicher berichten.

Ich habe mich gestern Abend bei PlanetRomeo angemeldet. Ihr dürft mich dort gerne ansprechen, Username ist der gleiche. Ich mag mich nicht mehr verstecken, jedenfalls nicht vor Euch! Aber auch das hätte ich vorher nicht geschafft. Wieder ein Stückchen Befreiung. Ich habe sogar ein Bild eingestellt, allerdings was ziviles, kein „full frontal“, wie das manche tun. Ich weiß, dass ich dadurch das Risiko erhöhe, von jemandem erkannt zu werden. Aber das Risiko ist da, seit dem ich mich hier exponiert habe. Es war aber schon komisch, nach meinen Vorlieben gefragt zu werden, die ich eigentlich selbst noch nicht einschätzen kann. Und nach kleineren und größeren anatomischen Details!winking smiley Es war auch verblüffend, wie schnell und teilweise direkt die ersten Anfragen gekommen sind. Da muss ich mich erst noch dran gewöhnen.

Was das Verhältnis zu meiner Frau angeht, habe ich festgestellt, dass ich entspannter mit ihr umgehe und ihr wieder mehr Gefühle entgegen bringe. Echt verblüffend, aber warum nicht? Sexuelle Neigung ist ein Spektrum, in dem es alle Farben gibt. Daher ja auch die Regenbogenfahne. Immerhin hatte ich früher eigentlich keine Probleme, meine Kinder zu zeugen. Deshalb glaube ich, dass ich es meiner Frau behutsam beibringen kann, dass ich einen Ausgleich suche. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, mit ihr noch einmal intim zu sein.

Ich hatte neulich nicht erwähnt, das ich in meiner Familie der einzige Mann bin. Ja, Ehefrau, zwei Töchter, Schwester, Mutter, Tante, 6 Frauen und ein Mann. Wer soll da nicht schwul werden (Nein, ich weiß, so ist es nicht; aber die Frage drängt sich auf.)? Meine Frau hat schon vor einer Weile akzeptiert, dass ich den gelegentlichen Männerabend (bisher alle hetero in unserer Runde, aber ich bin nicht ganz sicher) brauche. Der Begriff Männerabend könnte so eine ganz neue Bedeutung bekommen.

Zeev, ich glaube nicht, dass meine Frau etwas ahnt. Auf der anderen Seite, wenn der eigene Mann jede Nacht neben einem liegt und es passiert 10 Jahre nichts, was denkt sich da eine intelligente Frau? Ich werde behutsam kleine Hinweise geben, mache ich schon seit einiger Zeit. Wir sind z.B. beide auf FB (nein, sage ich nicht!tongue sticking out smiley) und können unsere Timelines sehen. Ich habe angefangen, andeutungsweise schwule Posts einzustellen, die aber harmlos interpretiert werden können. Also ein Musikvideo von Scissor Sisters mit einer sehr starken Tanzdarbietung des Leadsängers oder ein Video von Chris Salvatore, auf dem er seinem Hund Franco ewige Liebe gesteht (echt toll!), wobei ich glaube, dass er in Wirklichkeit einen Lover anspricht. Ich mache Bemerkungen über attraktive Sportler und andere Leute, wenn sie im Fernsehen auftauchen. Ich weiß, das ist noch kein CO, aber es bereitet den Boden dafür. Es hat jetzt so lange gedauert, da muss auch Zeit dafür sein.

Wenn ich mir überlege, was jetzt in wenigen Tagen doch geschehen ist, geht es eigentlich recht flott voran. Und ich fühle mich wohl dabei.

Schöne Grüße

Volker
Re: Noch eine Geschichte
01. Februar 2013 22:03
hallo Volker,
ein wenig graust es mir, was deiner frau bevorsteht....ich weiß aber, als selbst betroffene Ehefrau, dass du vielleicht den weg gehen musst, den du anfängst zu gehen.
trotzdem finde ich es unfair, dass du einen weg gehst und deiner frau kleine Indizien legst, damit sie selbst drauf kommt, was los ist mit dir.
alleine die Tatsache, dass ihr lange wie Brüderchen und Schwesterchen gelebt habt muss deiner frau nicht zeigen, dass du schwul bist. denn ich denke, dass sie nicht damit rechnet, nur weil dem so ist. Die wenigsten Frauen haben überhaupt eine Ahnung, dass so etwas überhaut geht...frau...Kinder...Mann...schwul!!! das ist nicht naiv, sondern die Realität!!
das es viele von uns gibt erfährt man erst dann, wenn man selbst betroffen ist...dann sieht man, dass man nicht alleine auf der Welt ist.
ich möchte auch nicht den Moral Apostel hier spielen, doch die Verletzung so etwas heraus zu finden reißt den meisten Frauen erst einmal den Boden unter den Füßen weg....
nach so einer langen zeit, die ihr zusammen seit, solltest du ihr schuldig sein, ihr zu sagen was Sache ist. es rausfinden zu lassen ist feige....ganz ehrlich....das sehe ich so, weil ich es erleben musste.
und du nimmst deiner frau kostbare zeit, ihr eigenes leben selbst in die Hand zu nehmen.
an deinem tun sehe ich, wie befreit du bist, du befindest dich bereits im Rückzug...habe ich recht???
doch deine frau wird zeit brauchen zu realisieren, was das bedeutet, wohingegen du dich schon seit längerem auf diesen tag vorbereiten kannst.
denke mal darüber nach und nimm es mir bitte nicht übel dass ich so direkt bin!!
lg einefrau
Re: Noch eine Geschichte
02. Februar 2013 01:11
Hallo . . . Frau?
einen Namen hättest Du Dir schon geben können, wenigstens ein Pseudonym. Gerne möchte ich Dich persönlich ansprechen, aber das verweigerst Du mir leider.

Ich bin beeindruckt davon, wie anders man meinen Versuch sehen kann und verspreche, darüber nachzudenken. Mein Ansatz ist es, durch kleine Andeutungen meine Frau auf etwas vorzubereiten, was vielleicht auf einmal mitgeteilt unverdaulich wäre. Du siehst darin Feigheit, weil ich mich nicht traue, ihr die Wahrheit ungeschminkt zu sagen. Wir haben heute lange beisammen gesessen, ein paar Gläser Wein getrunken und beinahe war es wie früher. Ich war drauf und dran, sie zu fragen, ob sie mit mir ins Bett gehen möchte. Ich habe es nicht getan, weil ich fand, das wäre eine totale Irreführung und Vorspiegelung falscher Tatsachen gewesen. Aber ich hätte es gekonnt. Sogar ohne Widerwillen. Die Atmosphäre war einfach da, sanft, warm, ein wenig erotisch. Sie muss es auch so empfunden haben und hat mir keine Zeichen gegeben.

Warum ich soviel von meinem Privatleben preisgebe? Um meine Frau zu schützen. Weil ich sie immer noch liebe und respektiere, aber nicht mehr begehre. Bitte sieh das auch als Ausgangspunkt meiner Bemühungen, sie etwas vorzubereiten. Das ist keine Feigheit, soll es jedenfalls nicht sein. Ich würde es ihr lieber gestern als morgen sagen, der Druck ist so stark. Aber das kann ich nicht, ich habe da die Verantwortung von 25 Jahren Gemeinsamkeit. Und die Gemeinsamkeit ist nicht einfach deshalb vorbei, dass ich mir jetzt meine Neigung zum eigenen Geschlecht eingestehe.

Ja, Du hast recht, ich bin wirklich befreit. Ich habe heute die Bekanntschaft von zwei Leuten auf einer Schwulenplattform gemacht, die haben mich sowas von fair behandelt, das fand ich ganz toll. Ich bin nicht der Typ für Abenteuer und ich muss mir auch keine Hörner mehr abstoßen. Ich möchte irgendwann mit ein paar Leuten sprechen können, ohne eine Maske zu tragen. Dazu sollen auch meine Frau und Kinder gehören, meine Freunde, da, wo es Not tut auch mein Bekanntenkreis. Es ist nicht auszuschließen, dass ich bei diesem Vorhaben über einen Mann stolpere, mit dem ich alt werden möchte. Aber das hätte ja auch eine attraktive Frau sein können, wäre ich anders geeicht. Dann ist die Verletzung da und sicher auch nicht geringer.

Warum aber im Eingeständnis einer Veranlagung eine Verletzung besteht, verstehe ich nicht richtig. Vielleicht kannst Du das mir, uns allen hier, erklären. Ich habe mir das nicht ausgesucht und hätte es lieber einfacher gehabt. Ich habe es mir Jahrzehnte nicht wirklich eingestanden und mich davon belasten lassen. Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der Homosexualität durch den §175 StGB noch strafbedroht war und natürlich gesellschaftlich wesentlich stärker sanktioniert als heute. Ich habe mir meine Erkenntnis mühevoll errungen und höre nun, dass ich damit jemanden verletzen könnte. Wieso eigentlich?

LG, Volker
Re: Noch eine Geschichte
02. Februar 2013 12:23
hallo volker,
ich erde mir gleich ein pseydonym ausdenken...smile. dann kannst du mich mit namen anreden.
wo liegt die Verletzung, das ist nicht so einfach zu erklären, oder doch???
was mich am meisten verletzt hat, ist die Tatsache, dass mein mann mich bereits betrogen hatte, und das über jahre bevor er den weg gegangen ist, den du grad gehst. er hat sich verändert, auch kleine Indizien gelgegt, er hat darauf hingearbeitet, dass ich etwas bemerke, und das ist ihm dann ja auch gelungen. wie viele, hatte ich dann das coming dahinter...er war befreit, die last war von seinen schultern. doch wie gesagt, er hatte lange zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten, wohingegen eine frau von jetzt auf sofort damit konfrontiert wird.
das schlimmste für mich war aber die Tatsache, dass er mich jahrelang betrogen hat...wenn auch aus anderen Beweggründen, nämlich die, seine wahre Identität leben zu können.
das entschuldigt so ein verhalten zwar nicht, aber mir war auch von anfang an bewusst, in welcher Situation auch er gesteckt hat all die jahre.
ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn er mir vor seinem Affären gesagt hätte was mit ihm los ist. ob alles anders gekommen wäre und ob es leichter gewesen wäre. doch meine Meinung ist nun einmal, bevor man etwas neues anfängt, sollte man das andere erst einmal klären. sicher tut auch das weh...aber man wurde eben nicht betrogen.
mich hat es unendlich verletzt zu wissen, dass mein mann seinen kopf soweit abschalten konnte und diesen weg heimlich gehen konnte...die Gefühle sind sehr schwer auszudrücken...es hat mich zerrissen und unendlich traurig gemacht.
mir war aber auch von anfang an klar, dass ich niemenden hatte, gegen den ich hätte kämpfen können...das ist offensichtlich, dass eine frau nicht gegen einen mann ankämpfen kann.
wie bei dir kamen wir uns nach dem Outing aber auch sehr viel näher...unsere Geschichten könnten sich sehr ähneln, nur aus anderer Sichtweise. das deine frau darauf nicht reagiert ist sicher schon bedenklich...wer weiß, was sie beschäftigt?? dazu kann ich leider nichts sagen.
wir habe uns nicht sofort aufgegeben...ich wollte meinen mann nicht verlieren, weil ich ihn liebte...doch dann kommt der Moment, wo man sich eingesteht, dass einer von beiden sich hätte aufgeben müssen um weitehin zusammen zu bleiben.
und wie so oft musste ich als frau den schritt gehen, und ihn verlassen. damit habe ich uns beide gerettet.
Den männern fällt es so schwer uns Frauen loszulassen, doch ich bin der Meinung, dass müssen sie, wenn sie für sich ganz klar wissen, das sie fortan nur noch schwul leben können und die eigenen frau nicht mehr wirklich körperlich begehren können. liebe alleine reicht oft nicht...eine frau möchte auch begehrt werden. das mag nicht auf alle zutreffen. ich denke aber schon für die meisten ist das ein sehr wichtiger aspekt.
das soll für den anfang erst mal eine kurze Erklärung sein auf deine fragen
glg eni
Re: Noch eine Geschichte
02. Februar 2013 20:19
Hallo Volker,

es hat mich gefreut, dass du wieder geschrieben hast. Es gibt leider zun viele, die nur auftauchen und dann verschwunden bleiben. Da macht man sich manchmal schon Gedanken, ob man etwas falsches geantwortet hatte, zumal ich zu schnell das Gefühl habe, etwas schreiben zu müssen. (Im Zweifel zu viele eigene Ungereimtheiten smiling smiley ).

Deinen Weg mit den Indizien für deine Frau fand ich auch fragwürdig. Ich bin aus Erfahrung ziemlich sicher, dass man (und Frau) nur das wahrnimmt, was man wahrnehmen möchte. Wenn ich meinem Mann kritisch gegenüberstehe, glaube, er betrügt mich, dann suche ich Indizien dafür. Wenn ich ihm aber vertraue, dann suche ich dafür Bestätigung.

Für mich kam mein Kopf dazu. Schlechtes Gewissen, was auch immer. Bevor ich ganz harmlos erstmals in ein schwul-lesbisches Zentrum fuhr, brauchte ich es einfach, dass meine Frau Bescheid wusste. Genauso hat mich sofort das Argument überzeugt, dass der Frau Zeit gegeben werden muss, dass ihr Kenntnis für eine eigene Entscheidung zusteht.

Jeder Fall ist anders und manches gleich. Du hast angedeutet, dass du vielleicht irgendwann "mit einem Mann alt werden möchtest". Also braucht deine Frau Kenntnis, eigene Chancen. Die Indizienspur klingt für mich sehr nach Schrecken ohne Ende, denn: solange kein Schrecke empfunden wird, sind die Indizien offensichtlich wertlos. Mit den "wertvollen Indizien" fängt dann eine belastende Ungewissheit an, die später in dem Vorwurf münden kann, "Warum hast du es mir nicht früher gesagt?!"

Da ich hier kein eigenes überzeugendes Ergebnis präsentieren kann - nimmt mich nicht ernst, wenn Euer Leben eindeutig anders besser läuft.

LG
Zeev

PS: Im Baum links ist zwar die Rubrik nicht zu sehen, aber wenn du auf co30 Forum klickst, findest du "Ehepartner, die zurück bleiben" und darunter einen aus meiner Sicht sehr interessanten Faden zu den Problemen der Ehefrau eines Schwulen. Vielleicht hast du es schon gelesen, auch wenn ich dort einsteigen musste smiling smiley



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 02.02.13 20:24.
Re: Noch eine Geschichte
02. Februar 2013 21:15
Liebe CO 3o ger, lieber Volker, mit Interesse habe ich Deine Geschichte gelesen. Der eine merkt es mit 14 der andere mit 40 und ein anderer erst mit 60. Leider sind wir Volker, Kinder der Nachkriegszeit, aufgewachsen mit dem § 175, vor gut 70 Jahren wurden solche wie wir im Konzentrationslager ermordet es gibt heute noch Länder wo Homosexualität mit dem Tode bestraft wird. Dass ich diese Neigung habe wurde mir 1973 bewusst ich habe es dann über Jahre verdrängt, dass ich diese Neigung meiner Frau beichte kam mir nicht in den Sinn, der § 175 ist in der DDR gerade abgeschafft worden. Ich frage euch „einefrau“ und „kaffeetante“ würdet ihr, die ihr von uns verlangt den Partnern die Wahrheit zu sagen, das unter dem Druck, unter dem auch Eure Männer standen, auch tun? Einefrau Du schlägst hier mit der Verbalkeule um Dich, dass ich mich frage ob Du überhaupt weißt was in Deinem Mann bis zu seinem inneren Comingout vorgegangen ist. Welche Kämpfe er ausgestanden hat.
Auch meine Frau war geschockt als sie erfahren hat dass ich auf Männer stehe, aber sie wollte wissen wie Männer ticken die schwul, bi sind, sie hat Sachbücher über Homosexualität gelesen. Sie hat sich mit Schwulen unterhalten. Wir haben uns gemeinsam Filme wie „Coming Out“ und „Brokeback Mountain“ angesehen. Und sie hat sich entschieden mit mir und meiner Neigung weiterzuleben, weil wir uns lieben. Sie hat mir zugestanden das ich diese ausleben Kann und akzeptiert meinen Freund. Sie engagiert sich mit mir in einem Schwulen und Lesben verband für die Interessen von schwulen Lesben Bisexuellen und Transsexuellen.
Re: Noch eine Geschichte
03. Februar 2013 08:46
Hallo Rudolf,
ich hab überlegt Dir direkt zu schreiben, war aber unsicher, daher hier nur kurz da Du u.a. mich angesprochen hast- ich verlange von keinem Mann hier etwas. Ich habe nur angeregt offen zu sein und habe meine sehr persönliche Seite geschildert. Bei uns ist sehr viel dadurch kaputt gegangen das mein Ex mich klar belogen hat. So oder so ist es ein Schock und die Frau fragt sich selbstverständlich was es mit ihr zu tun hat usw. Wenn Deine Frau so leben kann und das für sich möchte ist es gut und ihr Weg. Ich hatte gar keine Chance und mein Ex wollte ja auch nicht mehr mit mir leben- wir reden nicht von Liebe. Ich fühle mich ausgetauscht, in meinen Augen hat er mich warm gehalten bis er einen Freund hatte und dann hatte ich meine Schuldigkeit getan. Mit den Folgen muss ich leben! Mir geht es zur Zeit sehr schlecht, das möchte ich hier nicht ausbreiten daher nur ne kurze Antwort auf Deine Frage. Was diese Sache mit den Spuren angeht- wir Frauen sind doch nicht doof o.ä. aber wenn man seinem Mann vertraut denkt man doch nicht daran das er plötzlich lieber mit einem Mann leben möchte. Aber das vertiefe ich jetzt mal lieber nicht, denn da wären meine Antworten weniger diplomatisch als sonst.

Liebe Grüße, Kaffeetante
Re: Noch eine Geschichte
03. Februar 2013 10:14
Hallo Ihr alle,

danke für Eure Zuschriften. Womit ich nicht gerechnet habe ist der Effekt, den meine anfängliche Geschichte bei mir selbst auslösen würde. Sie hat mich zwar befreit, das haben ja auch einige festgestellt. Aber sie hat auch einen enormen Druck erzeugt, mich mitzuteilen. Den habe ich total unterschätzt. Ich habe so lange den Deckel auf dem Topf gehalten, er war am überkochen.

Gestern Abend habe ich sehr lange sehr offen mit meiner Frau gesprochen. Sie war schon geschockt und überrascht und braucht noch Zeit, damit zurecht zu kommen und es zu verdauen. Aber verletzt ist sie nicht. Ich habe sie ja auch nicht mit jemandem betrogen. Das Gespräch hat dazu geführt, dass wir sehr tief über unsere intime Situation gesprochen haben, das erste Mal überhaupt. Warum sie glaubte, dass ich mich zurück gezogen habe und vieles mehr, was hier nicht hingehört. Es hat auch dazu geführt, dass ich gemerkt habe, wie tief unser Gefühl füreinander ist. Sie hat gesagt, dass sie Zeit braucht, dass sie mich akzeptiert so wie ich bin und dass sie sich nicht vorstellen kann, sich von mir zu trennen. So sehe ich das auch. Es sind keine Tränen geflossen, außer bei mir selber. Es war sehr hart, aber auch sehr gut.

Sie hat festgestellt, dass ich mich wohl werde finden müssen und mir dafür ihr Einverständnis gegeben. Das hat mich am meisten überrascht. Sie hat mich nur gebeten, es nicht allzu sehr in der Nachbarschaft zu machen. Sie hat mich auch gebeten, es jetzt nicht überall herum zu posaunen, aber dafür bin ich sowieso nicht der Typ.

Ich hätte da aber eine Frage an Euch da draußen, vor allem die Ehefrauen. Wie ist das mit einem zu öffentlichen CO: Wir leben hier in einer ländlichen Kleinstadt, eigentlich nur ein Dorf. Wie wird man denn in so einer Umgebung als Frau behandelt, wenn der eigene Mann sich als Schwuler outet? Ich kann mir vorstellen, dass da nur noch der Umzug bleibt.

Also: Es gibt ein paar Leute, die es nach und nach wissen sollen und wenn mich jemand direkt fragt, werde ich mich nicht mehr verstecken. Die „Normalen“ tragen ja ihr Privatleben auch nicht öffentlich zur Schau! Und meine Frau hat vorgeschlagen, dass wir unsere Eigentumsverhältnisse regeln, falls es doch einmal zu einer Trennung kommen sollte.

Darüber hinaus muss ich abwarten, wie es läuft. Die Eigendynamik, die sich da entwickelt hat, war schon recht beeindruckend. So ganz Herr des Verfahrens bin ich sicher nicht.

Danke Eni für Deine Vorhaltungen, auch wenn ich sie sicher nicht als angenehm empfunden habe. Zeev, Deinen Beitrag habe ich gestern nicht mehr lesen können, wir waren den ganzen Tag unterwegs, aber ich denke, es ist jetzt sowieso alles ganz anders. Ich war gestern und vorgestern in dieser Situation so von meiner eigenen Gefühlswelt beherrscht, dass ich die Wahrnehmung für die Empfindungen meiner Frau nicht mehr hatte. So bin ich jetzt den geraden Weg gegangen. Leicht war es nicht, aber richtig.

LG Volker
Re: Noch eine Geschichte
03. Februar 2013 13:15
lieber volker,
hut ab vor deiner sicher angst machenenden Entscheidung diesen weg zu gehe. ich habe den vollsten Respekt davor und bin froh, dass du mir zugehört hast. auch wenn Rudolph der Meinung ist, ich hätte verbalangriffe gegen dich losgelassen, dem ich nicht zustimmen kann. und ich sehe, dass ich dich damit zum nachdenken gebracht habe, eine Entscheidung zu treffen die du sicher nie bereuen wirst und deine frau dir irgendwann danken wird, dass du dich ihr so früh offenbart hast.
nun werdet ihr einen gemeinsamen weg der Offenheit gehen können, jeder weiß woran er ist und kann für sich alleine auch Entscheidungen treffen, sofern das nötig ist. mehr wollte ich dir mit meinen worten nicht sagen.

wie Kaffeetante schon auf rudolphs antwort gepostet hat...wir Frauen sind nicht doof und uns ist durchaus bewusst, was das für ein innerer kampf für die Männer ist. lange zeit habe ich mich damit auseinandergesetz um zu versteheh. habe gelesen, jedes búch was es auf dem markt gibt und auch Gespräche zu schwulen männern gesucht um all meine fragen beantworten zu können...soviel mal zu den vorwürfen die mir indirekt gemacht wurden. mein mann ist heute noch dankbar dafür, dass ich die ganze zeit immer zu seinem eigendlichen ich gestanden habe. sein schwul Sein war nie mein Problem...im Gegenteil...das gerade habe ich an ihm geliebt, allerdings ohne zu wissen, dass er schwul ist. nur teilen, dass konnte ich nach 3 Jahren nicht mehr, ich habe es versucht, aber wir beide haben zu sehr darunter gelitten...

was das Outing betrifft, haben wir nur positive Erfahrungen gemacht. dafür habe aber auch ich gesorgt, da ich meinen Exmann immer geschützt habe. für andere Menschen ist er ja auch der geblieben, der er immer war!! nur für mich, da änderte sich eben etwas. und das habe ich in unserem Umfeld immer betont. er ist gut aus der Sache heraus gekommen und wird weiterhin so akzeptiert wie er ist und immer war.

nun hoffe ich sehr, dass ihr weiterhin sachlich einen weg finden werdet, welchen auch immer wird die zeit zeigen. deine frau scheint sehr besonnen zu sein. bin gespannt wie es weiter geht bei euch...und wie gesagt, falls sie gesprächsbedarf braucht, es gibt ja Anlaufstellen im netz für betroffene Ehefrauen...

in diesem sinne glg
eni
Re: Noch eine Geschichte
03. Februar 2013 17:26
Lieber Volker. Mein Kompliment für Deine schnelle Entscheidung und für Deine Frau, die zu Dir steht. Als ich vor dem CO stand war dieses Forum u.a. eine grosse Hilfe für mich. Im übrigen habe ich, bei meinem nächtlichen CO,auch auf Knien vor meiner Frau gelegen und geweint wie ein kleines Kind. Nach dem CO hat meine Frau hier viele Coming Out Berichte gelesen, die teilweise voller Dramatik waren. Noch heute liest sie mit. Auch Deine Geschichte hat sie gelesen.
Mit dem schnellen öffentlichen CO würde ich warten, in der Euphorie haben wir das damals einigen Freunden erzählt. Meine Frau bereut das heute, denn es kamen zweifelhafte Ratschläge von Heteroehepaaren denen jegliches Vorstellungsvermögen fehlte. Einige wenige wissen es , meine Tochter hat es auch nach einiger Zeit erfahren, sie lernte dann auch meinen Freund kennen. Ich hätte und habe für mich persönlich keine Probleme mit dem CO , Kollegen wissen es und der schwule Freundeskreis sowieso. Es ist eher zum Schutz meiner Frau, denn sie hätte Erklärungsbedarf. Und im übrigen, welches Ehepaar spricht über seine sexuellen Gepflogenheiten.
Mit lieben Gruß und für die kommende Woche wünsche ich Dir noch viel Kraft für die wahrscheinlich vielen Gespräche.
Rudolf
Re: Noch eine Geschichte
26. Februar 2013 22:58
Update

Hallo zusammen,

ich will Euch mal zusammenfassen, was so geschehen ist in den letzten 3 Wochen seit meinem CO am 2. Februar. Zunächst, meine Frau hat es einigermaßen gut aufgenommen, aber hat schon auch kräftig dran zu knabbern. Wir haben nach dem allerersten Gespräch mehrfach drüber gesprochen. Sie hat akzeptiert, dass ich mir das Schwulsein nicht ausgesucht habe und dass ich nicht mit einer Lüge leben will. Ich habe ihr mehrfach gesagt, dass ich sie immer noch schätze, aber nicht mehr begehre. Das tut ihr weh, läßt sich aber nicht ändern. Ich versuche schon, es so schonend wie möglich auszudrücken, aber ohne ihr dabei Hoffnung zu machen.

Natürlich habe ich ihr die Frage gestellt, wie sie reagieren würde, wenn ich etwas mit einem Mann hätte. Das wäre für sie der Bruchpunkt, hat sie erklärt und hätte ich vorher schon etwas gehabt, würde sie es nicht mehr mit mir unter einem Dach aushalten. Sie würde dann zu ihrer Familie zurückgehen. Zumindest im Moment ist sie außerstande zu akzeptieren, dass ich wieder ein Sexleben haben möchte. Fairerweise muss ich sagen, dass sie natürlich auch keins hat. Wie ich an anderer Stelle bereits geschrieben habe, bleibt mir im Moment die Wahl zwischen einem Bruch, heimlichem Sex oder einem Leben wie ein Mönch. Ach ja, Handbetrieb ist auch noch im Angebot.

Dennoch gibt es auch Lichtblicke. Sie möchte gerne weiter mit mir zusammen leben. Möchte ich eigentlich auch. Die Wahrscheinlichkeit, dass morgen ein Prinz in scheinender Rüstung (oder besser ganz ohne ;-) ) vorbeikommt, ist ohnehin gering. Deshalb vertraue ich darauf, dass genügend Zeit und Gelegenheit zu Gesprächen, aber auch zum Nachdenken eine Wendung bringen wird. Und das braucht Zeit.

Leider hat sie den Vorschlag, mit anderen betroffenen Ehefrauen wie bei Tangiert zu sprechen total abgeblockt. Aber vielleicht ist es dazu zu früh. Ich glaube allerdings, dass sie nach der ersten Aufregung begonnen hat, darüber nachzudenken. Was mir auffiel ist, dass sie besonders erbost und erschrocken darüber war, dass ich für den Kontakt zu tangiert.de meine Anonymität aufgegeben haben könnte (habe ich nicht). Sie fürchtet die Entdeckung viel stärker als ich, den Spott und das Mitleid der Umgebung und Nachbarschaft hier in unserem 2500-Seelen Ort.

Zwei guten Freunden habe ich mittlerweile reinen Wein eingeschenkt. Der eine ist ein Schulfreund seit meinem 14. Lebensjahr. Mit dem hatte ich so 17-18 auch mal ein kurzes Gefummel. Sehr erstaunt war er nicht und damit war es auch schon vorbei. Den anderen kenne ich über unser gemeinsames Hobby. Der hat mich dann so seltsam angeschaut, als ich ihm erzählte, ich hätte schon 15 Jahre nicht mehr mit meiner Frau geschlafen, dass ich ihn gerade heraus gefragt habe, was bei ihm los ist. Da kam dann alles heraus. Bingo, noch einer im Club. Aber ich glaube nicht, dass er seinen Weg hierher finden wird.

Letztes Wochende bin ich mit einem befreundeten Orchideengärtner (Orchideen sind auch eins meiner Hobbies) nach Bad Eilsen zur Orchideenschau gefahren. Es war eigentlich gedacht als eine Erholung von meiner Neuorientierung und all den Begleiterscheinungen. Und was ist passiert? Im Stand neben uns war ein Typ, total was ich mir so vorstelle, und offen schwul. Eine Schwuppe, wie er das nannte, schöner Ausdruck! Groß, bärig, umgänglich, angegraut, sanft, direkt, Bierbauch, grüne Augen, OMG die Augen! Und in festen Händen. Er hat mich nur einmal angeschaut und wusste Bescheid. Ich fühlte mich wie das Kaninchen vor der Schlange. Einmal mit dem kleinen Finger geschnippt und ich wäre ihm hilflos ausgeliefert gewesen, das Gefühl war sowas von machtvoll. Rate mir bitte keiner mehr, nicht mit dem Schwanz zu denken. Es gibt Situationen, da geht das nicht mehr, jedenfalls bei mir. Aber er hat nicht geschnippt. Er hat mich total fair behandelt und ich habe mit ihm und seinem Mann ein total entspanntes (wenn auch aufgeladenes) Wochenende verbracht, jedenfalls die Tage. Ich habe es sehr genossen und ich glaube, wir sind Freunde geworden. Und mir z.B. von ihm beibringen lassen, wie man unseresgleichen erkennt. Und plötzlich sehe ich so viele, dass ich manchmal an überhitzte Phantasie denke, aber es ist wohl eher Realität. Wahnsinn.

Am Donnerstag bin ich auf dem Weg nach München, diesmal Orchideenschau im Heide-Volm in Planegg, bis Sonntag. Bin mal gespannt was diesmal passiert. Irgendeiner von Euch aus der Gegend? Meldet Euch!

Schöne Grüße

Volker
Re: Noch eine Geschichte
26. Februar 2013 23:11
Quote

Und mir z.B. von ihm beibringen lassen, wie man unseresgleichen erkennt. Und plötzlich sehe ich so viele, dass ich manchmal an überhitzte Phantasie denke, aber es ist wohl eher Realität. Wahnsinn.

wenn man erstmal den Blick dafür hat, sind es wahnsinnig VIELE (auch wenn man die "wishful thoughts" abzieht ...)

Und, wie Du schreibst, man kann viele "nette Leute" kennenlernen, aber wie weit man geht, entscheidet man selbst (zumindest wenn man noch mit dem Kopf denken kann ...)
Re: Noch eine Geschichte
07. März 2013 22:23
Hallo Volker,

habe jetzt mal Deine Geschichte ganz durchgelesen.

Ich kenne die Situation nur zu gut. Auch bei mir war zur Selbsterkenntnis eine Woche "alleine" notwendig ... und von der habe ich viele viele Stunden vor dem PC und im Vorgängerforum verbracht ...

Ja, die Griechen unterscheiden Liebe, als sehr sehr tief empfundene Zuneigung ... und das BEGEHREN, die Lust auf Körper und Sex. Es ist natürlich sehr schön, wenn das zusammen passt, und man das auf eine einzige Person konzentrieren kann ... aber ich musste erkennen, es geht nicht.

Auch ich habe über 10 Jahre neben meiner Frau gelegen ... sie hatte mich gebeten, den "Handbetrieb" bittes selbst zu übernehmen ... eine überschäumende Libido (bei mir) und doch irgendwie nicht den Dreh und den Draht, eine Frau zu erregen ... DA STIMMT WAS NICHT.

Die Erkenntnis war bitter: "habe ich keinen Bock auf sie, kommt sie auch nicht in Wallung". Das Problem war also nicht sie, sondern ICH ... ich wollte eigentlich garnicht ... (sex mit ihr!)


Ganz wichtig bei einem CO ist, dass man es "halbwegs" leben kann.

Mein ganz dringender Tip: BITTE NICHT VORHER FREMDGEHEN!!! Das zerstört das Vertrauen komplett.
Allerdings fühlte ich mich danach frei, Sex zu haben, wann und mit wem ich wollte ... ok, hat eine weile gedauert, bis ich wusste wie man Männer anmacht (ich musste meine Pubertät nachholen ... eine Zeit, in der man Liebe und Sex kennen lernt ...)

Ich lebe auch auf dem Dorf ... hier wissen es offiziell nur ein paar eng befreundete Familien, dass ich schwul bin ... und der eigentliche Grund für unsere "teilweise" Trennung.

Ich habe meine Frau freigegeben, ihr wortwörtlich erlaubt, sich zu verlieben, sich Sex und Zärtlichkeit zu holen und zu genießen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Es hat eine Weile gedauert, und die Gelegenheit ergab sich ... und ich habe es zugelassen, weil ich weiß, wie gut man sich "danach" fühlt.

Hier im Dorf geht sie mit ihrem Freund einkaufen, zu lokalen Ereignissen, und ich bin auch oft dabei. Am Wochenende steht oft ein weiteres Auto bei uns vor dem Haus.

Seit ich einen Freund habe, ist noch ein Mann mehr bei uns "zu Gast". Die eine Nachbarin weiß, dass es mein Freund ist, die anderen Nachbarn sind wahrscheinlich auch nicht blöd (ich komme mit ihm heim, bringe ihn morgens zum Zug, etc.) Beim lokalen Bauernladen oder im Supermarkt hole ich mit ihm die Sachen ab, die meine Frau mit ihrem Freund zusammen bestellt hat. Neulich trafen wir beide die anderen beiden vor der Fleischtheke und haben dann gemeinsam diskutiert, was wir denn kaufen und kochen wollten ... (keine Ahnung, was die Leute und das Personal gedacht haben ... EGAL)

Niemand muss irgendjemandem was erklären. Man kann es einfach leben, und vielleicht kommt man mal ins Plaudern ...

Wenn man sich in der Familie bzw. Partnerschaft einig ist, und keine schmutzige Wäsche nach außen und in die Nachbarschaft trägt, kann man eigentlich recht normal leben (natürlich wird es Leute geben, die den Kontakt einschränken, wenn sie davon erfahren ... aber die Leute die einem wichtig sind, und denen man wichtig ist, die werden sich zwar brennend dafür interessieren, aber den Kontakt nicht abbrechen lassen)

Da ich öfter in der Kinder- und Jugendarbeit tätig bin (auch in Schul-AGs) hatte ich überlegt es öffentlich zu machen. Aber ein befreundeter Schuldirektor (auch schwul, aber das habe ich erst nach meinem CO erfahren ...) sagte mir, dass auch dort die alte Regel gilt. "Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schaps". Es geht niemanden etwas an.

Drei Betreuerinnen habe ich irgendwann 2011 abends beim Bier und beiim Kartenspielen erzählt, warum ich eine Woche zuvor pünktlich am Bahnhof sein musste ... (nämlich um meinen Freund abzuholen) ... Nein, sie haben kein Problem damit.

Der Gruppenleiter hatte damals nichts mitbekommen. Er sprach mich erst an DIESEM Wochenende (2013) an, ob ich denn die nächsten Freizeiten wieder als Betreuer mitmachen würde ... "oder ob ich jetzt andere Prioritäten hätte" ... äääh, tja, da hat wohl jemand geplaudert *grins* (Wenn es terminlich passt, werde ich es wieder machen ... offensichtlich brauchen sie mich ... auch oder gerade WEIL ich nicht genauso bin wie sie ... habe lange gebraucht, um das zu erkennen ...)

Von daher denke ich, Deine Frau wird sich dran gewöhnen müssen, und Deine Frau wird LOSLASSEN müssen. Das ist die Hauptsache, und das ist das Problem in den Partnerschaften "schwuler Mann + Frau". Bei uns hat es über 1/2 Jahr gedauert. Aber wenn man erkennt, dass fast die ganze platonische Liebe noch vorhanden sein kann, auch wenn man das Bett (und ein paar andere Stunden) mit jemand anderem teilt, dann kann es richtig gut werden ...

Meine Kinder haben es aktzeptiert (obwohl sie es wohl immer noch peinlich finden würden, wenn ich meinen Freund in der Öffentlichkeit intensiv küssen würde ... )

Sie sagen ab und zu im Scherz, sie hätten jetzt eben 3 Väter (mich, den Freund meiner Frau, und meinen Freund).

Wünsche Dir Geduld, aber auch Hartnäckigkeit, DEINEN Weg zu gehen, Deine Sexualität zu leben und zu genießen.

Ganz liebe Grüße
Victor
Re: Noch eine Geschichte
15. März 2013 08:36
Update 2

Und erneut: Hallo zusammen,

meine Güte, die Zeit vergeht! Ich war wohl naiv, vor ein paar Wochen. CO in meiner Situation bedeutet nicht, es seiner Frau zu erzählen und das wars. Es bedeutet eine lange Serie intensiver Gespräche, oft auch mit helfender Unterstützung eines Glases Wein, um die Zunge zu lockern. Aber die Gespräche bringen mich voran und meine Frau auch.

Victor, ich habe mir ein wenig von Dir abgeschaut. Gestern Abend hatten wir wieder so ein Gespräch, bei unserem Stammitaliener, und dabei habe ich meine Frau "freigegeben" und sie hat das akzeptiert und mir gleichzeitig ebenfalls Freiheit gelassen, meinen Trieben nachzugehen. Meine Frau ist Engländerin und ich habe sie nach anglikanischem Ritus geheiratet. Im Eheversprechen heißt es, ich verspreche "to love and to cherish ...", zu lieben und zu ehren, daran habe ich mich gehalten. Desire, Begehren kommt darin nicht vor. Wäre auch unchristlich.

Das Gespräch war ein Geben und Nehmen, sie wollte von mir wissen, auf was für Männer ich stehe und ich habe mir bei solchen Themen eine rückhaltlose Offenheit zugelegt. Ich habe ihr die Geschichte von dem schwulen Bär erzählt, die oben im vorherigen Update steht. Das ist sehr gut angekommen. Wir haben über Begehren gesprochen und was es für mich bedeutet. Sie hat das verstanden und auch gebilligt. Wir haben aber auch wieder gemerkt, was wir aneinander haben, dass wir uns gegenseitig hoch schätzen "cherish", einander stützen können und es bei einem Minimum an Feingefühl zu keinen Konflikten kommen muss.

Vor ein paar Tagen war hier im Ort Starkbieranstich, da sind wir hingegangen und dort hat sie ein Typ, der zufällig am gleichen Tisch saß, ziemlich unverholen angeflirtet und ich habe daneben gesessen und mich darüber amüsiert. Ich habe ihr gestern gesagt, dass ich mich für sie freue, dass sie weiter attraktiv auf Männer wirkt, weil es mir ein Stück weit die Last nimmt, dass sie allein bleiben könnte. Und dass ich überhaupt nicht eifersüchtig war.

Deshalb hat sich nach dem gestrigen Abend bei mir die Unruhe etwas gelegt. Wir sind auf einem guten Weg.

Schöne Grüße

Volker



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 15.03.13 08:39.
Re: Noch eine Geschichte
15. März 2013 09:16
Hallo Volker...

...ich schreibe hier nicht sehr viel, lese aber sehr viel. Ich hab grad Dein Update 2 gelesen und ich beglückwünsche Dich und Deine Frau. Ich hatte es genauso, auch meine Frau und ich haben uns jeder sehr viel Freiheit gegeben und damit sind wir lange sehr gut und ohne Stress weitergekommen. Letztlich habe ich mich dann doch in einen Mann verliebt und habe mich getrennt, aber das dann zu einem Zeitpunkt, wo jeder von uns wusste, dass es so kommen kann oder kommen wird, und der "Trennungsstress", so nenn ich es mal, war nicht so groß. Schmerzlich war und ist es nachwievor trotzdem für meine Frau, aber sie hat mir nie Vorwürfe gemacht.

Ich wünsche Euch beiden weiterhin viel Kraft, dass Ihr Euren Weg weitergeht, ganz besondern auch Deiner Frau, weil ich finde, solche Frauen verdienen ganz viel Achtung, dass sie das mit ihren Männern mitmachen. Der einfachste Weg ist halt immer ausbrechen, Vorwürfe, um Frust rauszulassen, oder was sonst alles so gemacht wird. Nein...gemeinsam weitermachen und in aller Ruhe einen Weg finden, der für beide der Beste ist, das ist das, was eine gute Partnerschaft ausmacht, warum man sich ja irgendwann mal geliebt und geheiratet hat.

Lieben Gruß

Martin
Re: Noch eine Geschichte
15. März 2013 21:16
Oh Volker,

ich freue mich so für Dich.

"to love and to cherish" ja, genauso ist es, Liebe, Achtung, Zuneigung, Pflege, Fürsorge ... alles das wollte ich mit meiner Frau (ich habe sie nicht wegen Sex geheiratet).

Und im Moment halten wir es so.

Endlich können wir über Sex, Begehren, Vorlieben, Erlebnisse reden, sie über ihre, ich über meine ... (ok, natürlich nicht jedes Detail, aber das ist auch nicht interessant ...)

Meine Frau ist Teil meines Lebens, ohne sie wäre ich nicht da wo und das was ich bin (und sie natürlich auch nicht).

Von daher verbindet uns viel viel mehr als Sex ...

Ok, ein wenig der gemeinsamen Aktivitäten geht uns (mir) verloren, weil ja auch ihr neuer Partner, und meiner, einen gewissen Teil des Lebens beanspruchen ...

Aber ich habe festgestellt, das Herz kann wohl mehr als NUR eine einzige Person "beherbergen" ... :-)

(Und wenn der Sex stimmt, geht alles viel viel einfacher!!!!)

Wünsche Euch beiden viel viel Glück und Geduld und neue Erfahrungen auf Eurem Weg.

Liebe Grüße
Victor
Re: Noch eine Geschichte
04. Mai 2013 10:21
Update 3

Hallo liebe Freunde und Leser,

gut 6 Wochen sind seit meinem letzten Update vergangen und soviel ist passiert!

Das Verhältnis zu meiner Frau ist stabil, aber es hat Höhen und Tiefen. Gemeinsam sind wir für 5 Tage nach Dresden und eine Woche später zu unserer älteren Tochter nach Paris (sie studiert dort) gefahren. Das war Kitt für unsere Beziehung und hat auch geholfen.

Ich habe aber jetzt eingesehen, dass es für mich kein Entkommen gibt. "Anfechtungen" smiling smiley gibt es zu Hauf, z.b. in Paris in folgender Situation: Ich stehe in einem kleinen Restaurant an der Kasse, mit meiner Entourage an Frauen (Tochter, Ehefrau, Schwester, Mutter, alle dabei!) und an der Bar sitzt ein Typ, so Mitte 40, sympatisch, schaut mir in die Augen, lächelt und beginnt mich anzuquatschen. Ich kann selbst ein bisschen Französisch und habe ihm dann gesagt, dass es leider nicht geht. So einfach! habe ich gedacht. Meine versammelten Damen haben davon überhaupt nichts mitbekommen, so nach dem Motto, was ich nicht sehen will, sehe ich auch nicht.

Meine Frau und ich sind abends dann noch mal auf einen Drink zu zweit weggewesen und ich habe es ihr dann erzählt. In dieser Weise darüber zu sprechen, hilft ihr, sich in die neue Situation hinein zu finden.

Am 20. März bin ich Victors Einladung nach Frankfurt auf die Party des Club78 gefolgt. Auch das war für sie hilfreich, denn ich konnte sie über längere Zeit darauf vorbereiten, dass ich auf meine erste Schwulenparty gehe.

Einen kompletten Bericht über diesen Abend habe ich hier [www.co30interaktiv.de] im Forum eingestellt.

Ich war um 8:30 Uhr wieder zu Hause und habe meine Frau beim Frühstück angetroffen. Sie wollte natürlich wissen, wie es war und ich habe ihr mit leuchtenden Augen davon erzählt. Es hat sie richtig angesteckt, dass ich so positiv war, ich konnte ihr das ansehen. Aber es macht sie dann auch nachdenklich und traurig, weil es ihr klar macht, dass ich mich von ihr entferne. Dennoch ist das ein notwendiger Prozess für sie und für mich, denn nur so können wir zu einer neuen Stabilität finden.

Ein Teil davon ist, dass sie jetzt weiß, dass ich mit Victor auf PlanetRomeo chatte und mit einigen anderen Bekannten, die ich in früheren Berichten schon erwähnt habe. Die sind ja aber alle irgendwie "ungefährlich", weil ich mit denen nur nette Freundschaften pflege, aber nichts Intimes.

Da hat sich allerdings etwas entwickelt. Denn obwohl man auf den blauen Seiten einer Menge seltsamer Gestalten begegnet, ab und zu ist auch mal eine Perle dazwischen. So eine Perle habe ich am 2. April rein zufällig entdeckt, als ich einen User ansprach und sich daraus ein fast 3-wöchiger Chataustausch entwickelte. Sehr langsam, sehr sorgfältig, sehr tiefgründig, irgendwann waren wir an dem Punkt, wo man sich einfach treffen muss. Das haben wir getan und jetzt entwickelt sich da eine richtige Beziehung, jedenfalls hoffen wir das.

Die ersten paar Male haben wir uns Abends nach der Arbeit getroffen und ich war zu zivilen Zeiten wieder zu Hause. Aber vorletzten Samstag habe ich zu meiner Frau gesagt, dass ich über Nacht weg bin. Das schien abends noch ok zu sein, aber als ich am nächsten Morgen heim kam, war sie doch sehr aufgewühlt. Ihr Hauptproblem ist es, dass sie überhaupt niemanden hat, mit dem sie reden kann. Sie muss das alles allein verarbeiten. Vor zwei Tagen saß ich mit einem meiner besten Freunde hier vor Ort zusammen, dem ich mich auch schon offenbart habe. Er kennt meine Frau gut und hat angeboten, ihr als Gesprächspartner zu Verfügung zu stehen. Das nenne ich echte Freundschaft! Ich habe ihr das kurz darauf auch gesagt und es hat sie sichtbar aufgerichtet.

Sie hat dann gesagt, dass sie einfach Zeit braucht, alles zu verdauen, es einzuordnen, damit zurecht zu kommen. Sie gibt sich solche Mühe, rational zu reagieren und nicht ihren Gefühlen nachzugeben, die ihr sagen: pack den Koffer und bricht die Zelte ab! Da ist es wieder, das alte Thema Zeit: das Tempo herausnehmen, sich Zeit lassen, sich Zeit füreinander nehmen.

Schöne Grüße

Volker
Re: Noch eine Geschichte
04. Mai 2013 15:46
Nachtrag

Als ich heute Nacht nach Mitternacht heim kam, war meine Frau schon schlafen gegangen und heute (Samstag) früh musste sie bis 13 Uhr arbeiten.

Vorhin haben wir uns unterhalten. Ich war gestern Abend in einer Vereinsversammlung. "Und warum hat das so lange gedauert?", hat sie gefragt.
Und ich war ehrlich und habe gesagt, dass ich anschließend meinen neuen Freund besucht habe. Ich glaube, ich bin sogar ein wenig rot geworden, jedenfalls heiß ist es mir geworden.grinning smiley

Da hat sie gesagt, sie habe das sofort gewußt, als ich ins Schlafzimmer gekommen bin, weil der Zigarettenrauch (er raucht, leider) in meinen Kleidern hing. Ein Glück, dass ich ehrlich war!
Und sie hat gelächelt, wie bei dem kleinen Jungen, den man gerade beim Klauen von Süßigkeiten erwischt hat. Sie hat gesagt, dass sie damit gerechnet hat, dass ich gestern Abend da noch hingehe! Das ist eine neue Qualität!

Und vorhin haben wir drüber gesprochen, warum ich nicht auf einen Ball gehen will und sie hat augenzwinkernd und mit einem Lächeln in der Stimme auf die vielen feschen jungen Männer hingewiesen, die ich dort treffen könnte! ABER HALLO !!!!

Was für eine Frau!!!

Schöne Grüße

Volker



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 04.05.13 16:04.
Re: Noch eine Geschichte
06. Mai 2013 07:24
Folk0207 schrieb:
Quote

Ein Glück, dass ich ehrlich war!

Ja, dieses Glück, ehrlich sein zu können, ist eines der schönsten Gefühle und Errungenschaften des Coming-Outs.
thumbs up
Re: Noch eine Geschichte
23. Juni 2013 18:58
Update 4

Wie sag ich's meinem Kinde?

Meine Töchter sind 22 und 23 Jahre alt und beide studieren an englischen Unis. Deshalb sind sie auch die meiste Zeit nicht zu Hause. Ihnen per Skype oder Telefon zu erzählen, dass sich ihr Vater fürs's andere Ufer entschieden hat, war schlicht keine Option. Ich wollte ihnen gegenübersitzen, sie zur Not in den Arm nehmen können.

Vor drei Tagen war es so weit. Sie waren zu Besuch, sind es noch, denn die Semesterferien liegen bei ihnen anders. Nachdem ich es jetzt schon ein paar Freunden und Bekannten gesagt hatte, war ich ein wenig überrascht, wieviel Überwindung es mich kostete. Es war hart, viel schwerer als bei Freunden.

Ich versuchte einen indirekten Weg zu nehmen und begann damit, ihnen zu sagen, dass sich bei mir im privaten Bereich eine "schwerwiegende Veränderung" ergeben hätte, von der sie ein Recht hätten zu wissen. Das löste bei beiden große Ängste aus, denn in meiner Familie gibt es eine Häufung von Krebsfällen und in den letzten 3 Generationen ist kein Mann älter als 70 geworden.

Als ich dann fortfuhr, ihnen zu sagen, dass ich Männer als Geschlechtspartner bevorzuge, kam dies geradezu als Erleichterung: Papa ist nicht totkrank, er ist nur schwul! Beide hatten Tränen in den Augen, aber es waren Tränen der Erleichterung.

Es ergab sich natürlich ein Gespräch, in dem sie aber mit der neuen Erkenntnis sehr unbefangen umgingen. Beide haben in ihren studentischen Bekanntenkreisen mittlerweile offen schwule Kommilitonen, mit denen sie keine Berührungsängste haben und beide haben dadurch einen sehr klaren, aufgeklärten Standpunkt, was die gesellschaftliche Position und Rechte von Schwulen angeht. Papa schwul,- kein Problem. Die Hauptfrage war, wie es mit der Familie weiter ginge, wie es meine Frau aufgenommen hat.

Auch darüber wurde lange gesprochen. Ich erklärte ihnen, wie sich die Situation seit meinem ersten CO meiner Frau gegenüber am 2. Februar entwickelt hatte. Natürlich ist meine Frau nach wie vor tief betroffen und, wie sie neulich sagte, in ihrer Weiblichkeit verunsichert. Gleichzeitig haben wir begonnen, wieder mehr zusammen zu unternehmen, mit dem Ziel unsere Gemeinsamkeiten zu stärken. Ebenso gleichzeitig unterstütze ich meine Frau im Aufbau eines Bekanntenkreises, der sich nicht mit meinem eigenen deckt, so dass sie von mir unabhängiger wird. Aber wir sind ohne Zweifel ebenso beste Freunde, wir haben gemeinsam ein Viertel Jahrhundert erfolgreich hinter uns gebracht. Ich habe die Freiheit, einen schwulen Bekanntenkreis aufzubauen. Wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe, haben wir neulich bei einem Glas Wein darüber gesprochen und auf die Frage meiner Frau, was für eine Freundschaft ich denn da hätte, aber ich gesagt: "Eine intime." Mehr wollte sie gar nicht wissen, aber wir haben anschließend doch sehr ausführlich über schwulen Sex gesprochen, wo sie ein paar falsche Vorstellungen hatte.

Meine Frau hat nun gestern angedeutet, dass mein Freund bei uns zu Hause willkommen sei. Als es neulich zu einer Krise kam, war sie mein bester Ratgeber. Sie hat bemerkt, was für einen positiven Effekt diese Beziehung auf mich hat, der sich auch auf unseren gegenseitigen Umgang positiv auswirkt. Ich will das im Moment nicht überstrapazieren, aber hier deutet sich eine Normalisierung, eine Rückkehr zu unbefangenem Umgang miteinander an, der sicher noch Zeit brauchen und sicher auch noch Tiefpunkte haben wird. Aber es geht voran.

Deshalb konnte ich meinen Töchtern vermitteln, dass jedenfalls zur Zeit kein Anlass besteht, zu befürchten, die Familie könne auseinander brechen. Im Gegenteil, meine Frau hat jetzt Gesprächspartner in meinen Töchtern. Als ich ihr abends erzählte, dass ich mit den Mädchen gesprochen hatte, war sie sichtlich erleichtert und dankbar. Ich bin überzeugt, unsere Töchter werden ihrerseits alles daransetzen, die Familie zusammen zu halten. Meine ältere Tochter hat mittlerweile einen festen Freund, den ich auch kenne und schätze und ich habe ihr die Erlaubnis gegeben, mit ihm darüber zu sprechen.

Ich habe meinen Töchtern jederzeitige Gesprächsbereitschaft signalisiert. Das ist in unserer Familie von Anfang an üblich gewesen, über alles und jedes sprechen zu können. Schade nur, dass es zwischen meiner Frau und mir in sexuellen Dingen früher nicht möglich war, aber auch das hat sich geändert.

Schöne Grüße

Volker
Re: Noch eine Geschichte
23. Juni 2013 23:44
Hallo Volker,

Glückwunsch zu dem Coming-Out innerhalb der Familie. Ich hoffe, ihr haltet genauso zusammen, wie IMMER:

Quote

Meine ältere Tochter hat mittlerweile einen festen Freund, den ich auch kenne und schätze und ich habe ihr die Erlaubnis gegeben, mit ihm darüber zu sprechen.

Meine Meinung: Wer anderen etwas erzählt, überlässt es ihnen, damit verantwortlich umzugehen. (alle Mahnungen, abegrungenen Versprechen, Verschwiegenheitsschwüre sind sowieso nur Schall und Rauch)

Unsere Kinder wissen es seit dem 2. Tag. Wir haben ihnen immer wieder versichert, dass sie selbst darüber entscheiden können, wem und wann sie es jemandem erzählen.

Der Knüller war, als unsere Tochter laut überlegt, ob sie es ihrer besten Freundin sagen sollte und angelegentlich ihren Bruder fragte, ob und wem er es denn wohl vielleicht sagen würde ... "Mario und seine Familie wissen es schon!" kam zurück und ein Grinsen auf seinem Gesicht zog ein langes Gesicht auf ihrer Seite nach sich :-)

Ich habe keine Kontrolle darüber wem sie was gesagt haben. Allerdings passierte es in jüngster Vergangenheit öfter, dass Freunde der Kinder bei uns zu Besuch waren, im Wohnzimmer herumlungerten, während mein Freund da war, wir kochten, auch Fernsehen schauten oder sonstwas machten ... (egal, sie werden sich ihren Teil denken, oder wissen, oder sonstwas).

Ganz liebe Grüße
Victor
Re: Noch eine Geschichte
27. Juni 2013 14:30
Hallo Volker,

das liest sich gut. Schön das deine Familie so positiv damit umgeht. Ich wünschte ich wäre schon soweit, dass ich das "Wie sage ich's meinem Kinde" hinter mir hätte und dann so entspannt wäre wie du.

LG Billy
Re: Noch eine Geschichte
05. Oktober 2013 22:02
Update 5

Ein Vierteljahr seit meinem letzten Update und es hat sich einiges getan.

Dass ich meine Töchter ins Vertrauen gezogen habe, hat meiner Frau geholfen, denn die Mädchen sind für sie akzeptable Gesprächspartner. Sie hat auch mit ihnen gesprochen. Was genau weiß ich nicht, aber eines ist klar: es geht uns allen um den Zusammenhalt der Familie.

Als meine Töchter zu Hause waren ergab sich eine Episode, die ein bezeichnendes Licht darauf wirft, wie wir miteinander umgehen: Wir haben gemeinsam eine Fernseh-Talkshow gesehen und einer der Teilnehmer war ein sehr attraktiver Kerl, so Anfang 40, ganz mein Typ (ich will das hier nicht vertiefen! winking smiley ) Da fragte mich meine ältere Tochter doch, ob der nicht etwas für mich wäre, und dann vertieften sie das noch gemeinsam mit meiner Frau und feixten! Es war mir fast peinlich, aber auch total entspannt. Aber der Bursche sah wirklich gut aus!

Im Juli und August mussten die Mädchen Umzüge an Ihren Universitäten bewältigen und wir waren dort und haben geholfen. Das verbindet und festigt die Beziehungen. Anschließend bin ich mit meiner Frau 10 Tage in Österreich gewesen, unser erster Urlaub ohne Kinder seit 23 Jahren. Auch das ist problemlos und harmonisch verlaufen, wir hatten Zeit zum denken und zum entspannen. Dort hat sie mir dann auch signalisiert, dass sie kein Problem damit hat, wenn ich mich mit Männern treffe. Sie will nur die Chance bekommen, ihrerseits etwas zu unternehmen, wenn ich aus bin, damit ihr zu Hause nicht die Decke auf den Kopf fällt.

Gestern Abend dann, bei einem Glas Wein, habe ich ihr von den zahlreichen Bekannten erzählt, die ich mittlerweile habe und ihnen auch Namen gegeben. Sie hat erneut gesagt, dass ich gerne solche Freunde auch nach Hause bringen kann, wobei unausgesprochen allerdings die Erwartung dahinter steht, nicht intim zu werden.

Wo ich diese Bekannten kennengelernt habe? Ganz einfach: wenn die Welt nicht zu Dir kommt (und das tut sie nicht), musst Du selber hingehen. Das ist hier nicht ganz einfach. Ich lebe im ländlichen Unterfranken und mit Schwuleneinrichtungen ist es tote Hose. Ich bin deshalb ein aktiver Nutzer der Foren GayRoyal (bevorzugt) und PlanetRomeo. Natürlich muss man dort ein dickes Fell haben, weil man auch jede Menge unangenehme Angebote bekommt oder Dinge mitbekommt, die dem eigenen Geschmack entgegenstehen. Aber dazwischen, versteckt, findet man die eine oder andere Perle und die gilt es dann zu pflegen. Natürlich geht es auch um Sex. Ich will nicht das Unschuldslamm spielen. Aber auch da schaue ich schon recht genau hin, wen ich an mich heranlasse.

Diese Gemengelage hat dazu geführt, dass ich beginne, abends häufiger auszugehen, um meine Bekannten zu treffen. Meine Frau hat aufgehört zu fragen, wo ich hingehe, schon allein deshalb wohl, weil sie das nicht immer wissen möchte. Aber die Situation ist trotzdem deutlich entspannt.

Meine Beziehung zu einem Mann, von der ich noch im Juni gesprochen hatte, gibt es nicht mehr. Ich will hier nicht die Scherben ausbreiten, die Buchung erfolgte unter Lehrgeld. Ich konnte bereits damals mit meiner Frau darüber sprechen und sie war mir ein treuer und ehrlicher Ratgeber. Sie ist es immer noch.

Seitdem gab es andere schöne Kontakte und es wird weitere geben. Mein CO im Februar war die richtige Entscheidung. Ich habe meine Veranlagung ohne wenn und aber angenommen, ich bin mit mir im Einklang.

Schöne Grüße

Volker
Re: Noch eine Geschichte
06. Oktober 2013 23:57
Glückwunsch Volker,

Du hast eine absolut tolle Frau.

Diese Geschichte bestätigt meine Theorie, dass nur pure und komplette Offenheit die Chance birgt, einen großen Teil der Beziehung in das "neue Leben" hinüberzuretten. (Schwindel und Versteckspiel setzen die andere Person herab, nehmen sie nicht ernst, und werden mit Schimpf, Schande , Dreck, schmutziger Wäsche und viel mehr Schmerz bezahlt, als nötig).

Das mit dem "Ausgehen" in die schwulen Welt und das mit den Kontaktforen kann ich bestätigen. Man muss wissen, wie man damit umgeht ... und das mit dem Lehrgeld, das ist auch so ....

Alles, das, was wir als Jugendliche in der Pubertät nicht gemacht haben, Lieben, leben, Sex, miteinander gehen, verlassen, verlassen werden, verkuppeln, verkuppelt werden ... das muss man eben im Schnelldurchgang lernen und erleben. Aus meiner Sicht kann man das auch nicht umgehen oder überspringen ... alle, die, die sofort in die Partnerschaft auf Wolke 7 abschweben wollen, werden niemals abheben ...

... Und die gutgemeinten Ratschläge, doch nicht so kindisch zu sein, oder sich "altersgerecht" zu benehmen, die kann man getrost in den Wind schlagen ... die Leute gewöhnen sich dran.

(Auch meine Kinder fragen ab und zu, ob der Kerl "da eben" nicht etwas für mich sei ... und meine Tochter hat gestern so locker gesagt: "Der Papa zieht sich halt jugendlicher an" ... und meine Frau fragte ganz erstaunt, ob es ihr nichts mehr aus mache ... die Antwort war nein ... ... Hartnäckigkeit zahlt sich eben aus ... )

Von daher, Jungs traut Euch, es ist einfacher als man denkt.

lg.
Victor
Re: Noch eine Geschichte
29. November 2013 09:41
Update 6

Hallo liebe Freunde, Mitleser, Begleiter, Beginner, Unsichere ...

Jetzt ist es fast ein Jahr. Am 23. Dezember letzten Jahres habe ich den Mut gefunden, mir hier einen anonymen Nick zu geben.

Die Wochen davor, also jetzt vor einem Jahr, waren gefüllt mit der wachsenden Erkenntnis, auf welche Seite des Ufers ich gehöre. Waren gefüllt mit dem Druck, damit umgehen zu müssen, umgehen zu wollen, nach Wegen zu suchen. Ich weiß nicht mehr, wie ich auf dieses Forum gestoßen bin. Aber es war ein Glücksfall!

Seitdem ist soviel geschehen! Und es ist alles gut gegangen! Meine Frau, meine Töchter haben mich akzeptiert, wie ich bin. Ich selbst habe mich entwickelt, von einem scheuen Schwulen, der sich nicht traute, sein Gesicht auf den Blauen Seiten zu zeigen, zu einem in sich ruhenden Menschen, der gelassen mit seiner Neigung umgeht und sein Gesicht zeigt.

Ich habe einen wachsenden Freundeskreis, in dem ich mich sehr wohl fühle. Lauter anfängliche Zufallsbekanntschaften, die mit viel gegenseitigem Abtasten zu guten Freunden geworden sind. Menschen, Männer, mit denen tiefe Gespräche genauso möglich sind, wie ein entspannter Flirt oder eine hingeworfene Bemerkung. Ja, Männer mit denen ich zu einem kleinen Teil auch Intimitäten austausche, weil auch das ein Weg ist, um die gegenseitige Wertschätzung auszudrücken und zu festigen. Keineswegs mit allen, aber mit manchen. Ich habe eine Liste mit 55 Nicks (sonst kann ich mir das alles gar nicht merken), und mit 24 davon habe ich Name und Adresse ausgetauscht.

Meine Situation zu Hause entspannt sich weiter. Meine Frau und ich sitzen regelmäßig zusammen, um unsere Terminkalender abzustimmen. Sie hat abends oft ehrenamtliche Termine, ich bin kommunalpolitisch in der SPD engagiert. Da kommt Einiges zusammen. Vor drei Wochen z.B., da fragte sie mich: "Bist du dieses Jahr nochmal länger weg?" und ich sagte, das Wochenende 22. bis 24. November wollte ich wegfahren. Eingetragen, abgehakt. Ja, ich bin an dem Wochenende zu einem Freund nach Stuttgart gefahren, weil wir uns mögen und weil wir uns brauchen. Meine Frau kennt seinen Namen und seine Adresse. Sie hat mich an dem Freitag zum Zug gefahren, wir haben halt nur ein Auto. Und am Sonntag auch wieder abgeholt.

Und mein Freund in Stuttgart? Der würde mir den Kopf abreißen, wenn ich meine Familie gefährdete. Und von der Sorte habe ich noch ein paar Freunde. Das tut richtig gut.

Ich bin auch auf Facebook aktiv, ihr werdet das vielleicht schon von einigen Posts hier bemerkt haben. Dort habe ich mich in wachsendem Maße mit schwulen Freunden und in letzer Zeit schwulen Gruppen und Organisationen verlinkt. Auch das ist ein Stück Coming Out. FB macht mich öffentlich, denn es schlägt ja meine Kontakte auch wieder anderen vor. Ich sehe das nicht mehr als Risiko. Alle, die mit mir verlinkt sind, dürfen sich gerne dabei denken, was sie wollen.

Und wenn sie den Mut aufbringen, mich zu fragen, dann werden sie auch eine offene Antwort bekommen.

Bleibt dieses Forum. So viele Kontakte, fast alle anonym. Ja, kann ich gut verstehen! Ich brauchte das auch einmal. Aber nicht mehr. Mein Name ist [vom Verfasser entfernt, weil dadurch dieser Post in der Google-Suche gefunden wird. Es kann mich aber jeder per PN fragen! Und der Name stand auch lange genug hier.]. Es bleibt natürlich beim Du und bei Volker! Aber wer es möchte, kann mich jetzt finden. Auf Facebook, im Telefonbuch, wo auch immer. Willkommen!

Schöne Grüße

Volker



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 22.06.15 08:19.
Re: Noch eine Geschichte - mit Namen
29. November 2013 19:46
Lieber Volker,

vielleicht bin ich mal wieder zu spontan mit meiner Antwort, aber du hast mich sehr erstaunt.

Jeder geht seinen Weg, muss eigene Kraft, Mut und Lebenserfahrung investieren und auf Glück hoffen. Du hast von allem etwas, so wie ich das hier verfolgt habe und das freut mich für dich. Vielleicht hast du dir unbewusst seinerzeit die passende Frau dafür ausgesucht, es hätte auch anders laufen können.

Und es könnte auch jetzt anders laufen - ich meine mit der großen Familie hier. Ich habe mich hier auf co30 immer wohlgefühlt, was nicht heißt, dass ich hier jeden heiraten würde smiling smiley

Aber wer weiß? Ich schaffe es nicht, die ganze Welt zu umarmen und in mein Wohnzimmer zu holen. Also braucht auch nicht die ganze Welt zu wissen, wer ich bin. Selbst wenn ich keine Zielscheibe würde, vielleicht könnte meine Frau oder meine Kinder eine werden, also besser nicht.

Es wäre bestimmt nett, sich mal zu sehen, ein bisschen zu klönen - nur, wer hat schon Zeit für mehrere Leben?

Wie gesagt, du hast mich erstaunt und ich würde vermuten, dass du diesen Schritt nicht mit deiner Frau abgestimmt hast.
Ich bin gespannt, ob dieses Outen irgendwelche (positive oder negative) Folgen für dich hat (vielleicht bricht facebook zusammen aufgrund der großen Zahl an neuen Freundschaftsanfragen smiling smiley ).

Ich wünsche dir weiter alles Gute und freue mich für deine Erfolge und glückliche Zeiten.

LG
Zeev
Re: Noch eine Geschichte - mit Namen
29. November 2013 21:29
Hallo,

Quote
Zeev
Wie gesagt, du hast mich erstaunt und ich würde vermuten, dass du diesen Schritt nicht mit deiner Frau abgestimmt hast.
Ich bin gespannt, ob dieses Outen irgendwelche (positive oder negative) Folgen für dich hat (vielleicht bricht facebook zusammen aufgrund der großen Zahl an neuen Freundschaftsanfragen smiling smiley ).

hmm ... sorry, dass ich das so schreiben muss, wie es mir einfällt, aber ich habe keine anderen Worte ...

so wie Du das schreibst, kling das sehr "verklemmt" und irgendwie nicht positiv bzw. Zukunftsgewandt.

Ich habe Volker kennengelernt, schon damals hat er mir erzählt, wie das mit seiner Frau läuft ... (so ähnlich, wie bei mir), und ich bin mir ziemlich sicher, dass er das genauso lebt und mit seiner Frau abstimmt, wie er das schreibt.

Im Gegensatz zu einigen andere hier, hat er seine Frau lieb, achtet sie, und lässt sie an seinem Leben teilnehmen, soweit es geht. Und er traut sich, sein Leben zu gestalten (Urlaub, Besuche etc. ohne seine Frau, aber abgesstimmt!)

Das ist der einzige Weg, das zu konservieren, was schwulen Mann und seine Frau zusammengeführt hat. Wenn es nach dem CO nicht dafür reicht, das "neue" Leben zumindest wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen und das, was noch übrig ist zu konserviere, dann fällt es mir schwer zu glauben, dass man auf eine wirklich glückliche goldene Hochzeit zugesteuert hätte .... (sooo viele Familien von Schulfreunden meiner Kinder sind "normal" getrennt ... da ist es bei uns noch Gold dagegen ... sagen die Kinder ...)

Ich weiß, dass es geht ... zumindest bei Volker und mir.

Ich weiß aber auch, dass es einigen hier nicht möglich ist, über den eigenen Schatten, in eine neuen Lebensabschnitt zu springen (mein Freund packt das auch nicht, obwohl er es 2 Jahre lang mitbekommen hat ...)

Hi Volker,

Ich wünsche Dir viel Glück auf Deinem neuen Weg, deiner Frau auch, die sich sicherlich neu orientiert, und euch beiden, dass ihr das behaltet, was die Beziehung eigentlich ausgemacht hat.

Volker, "bitte kehre dem Forum nicht komplett den Rücken" ... wer soll sonst der Ehrlichkeit, Offenheit, Selbstbestimmtheit und Achtung vor dem Partner und den Angehörigen noch die Fahne hochhalten .... ???

Wünsche alles Gute
Victor
Re: Noch eine Geschichte - mit Namen
02. Dezember 2013 09:23
Hallo Zeev, hallo Victor,

ich habe ehrlich lange gezögert, den Inhalt des letzten Updates hier im Forum zu bringen. Ich sehe mich sehr wohl ein bisschen privilegiert, weil mir zu gelingen scheint, was so viele sicher gerne möchten, aber nicht hinbekommen.

Ich habe gezögert, weil ich keinen Druck ausüben wollte. Weil ich weiß, aus langer Erfahrung, dass es oft nicht möglich ist, über den eigenen Schatten zu springen. Weil ich noch frisch in Erinnerung habe, welche Kraft es mich gekostet hat, die ersten Schritte zu gehen. Weil ich diejenigen, die noch zögern, die dies nur lesen ohne selbst zu schreiben, nicht mit etwas verstören wollte, was sie vielleicht selbst als Utopie sehen müssen.

Aber wir brauchen Utopien, um in der Realität vernünftige, zukunftsweisende Lösungen zu finden.

Ich biete allerdings keine Lösungen an. Ich vermeide es, wo immer es geht, Ratschläge zu geben, weil ich die Besonderheit meiner eigenen Situation und Erfahrung sehe. Was ich kann, was ich gerne möchte, ist mein Ziel zu leben und durch mein Beispiel anderen zu zeigen: Es gibt Wege. Ihr müßt nur Euren eigenen Weg finden. Euren eigenen!

Zeev, nein, so weit geht meine Abstimmung mit meiner Frau nicht. Das ist auch nicht nötig. Ich verheimliche ja nichts. Sie weiß, dass ich eine wachsende Zahl solcher Kontakte pflege. Und FB zeigt nur einen sehr begrenzten Anteil meiner Aktivitäten Dritten. Und wie gesagt, wenn die sich dann wundern und fragen ... kein Problem.

Victor, wir müssen mal wieder auf Party. Oder durch ein paar einschlägige Kneipen. Ich hab schon andere Freunde gefragt, ob sie mal dahin gehen würden, aber die fühlen sich alle zu ALT!!!! Aber erst im Neuen Jahr. Nein, diesem Forum gehe ich nicht so schnell verloren, keine Bange. Ich bin gerne hier. Es ist auch ein bisschen Wohnzimmer, und obwohl ich die Namen oft nicht kenne, sitzen eine Menge nette Leute drin.

Schöne Grüße

Volker
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