Über Hobbies und andere InteressenIch wollte schon lange mal über dieses Nebenthema schreiben. Bis Ende 2012 war ich ein Mann mit enorm vielen Seiteninteressen.
Das begann schon früh, so mit fünf, sechs Jahren begann ich, was ich später "Wissen sammeln" nannte. Damals (1953-55) mit Wälzern (Die Wunder der Natur) von Büchern mit Kupferstichbildern, ich kannte sie alle auswendig, auch wenn ich noch nicht lesen konnte. Die Bücher hab ich noch!
Dann wurde ich von meinen Eltern und meinen Tanten für die Schönheit von Pflanzen geimpft, damals besonders alpine Flora, Steingärten etc. Das zog sich dann durch ... mit acht fand ich meinen ersten Sonnentau in einem Hochmoor ... mit 13 hatte ich meinen ersten Cactus (leider nicht mehr!), mit 14 meine erste Orchidee (für kurze Zeit). Mit den Anfängen der Pubertät explodierte das "Wissen sammeln", ich hatte die KOSMOS-Hefte, Bild der Wissenschaft, später Scientific American, gleichzeitig explodierten die Hobbies, ich begann eine sehr ansehnliche Kakteensammlung aufzubauen, mit Nebenästen zu anderen exotischen Pflanzen.
Das ging mehr oder weniger so weiter. Meine Pflanzen konnte ich nicht überall hin mitnehmen, aber während meiner 4 Jahre in London war ich ein häufiger Besucher des Botanischen Gartens in Kew, habe dort Samen gesammelt und einige der Pflanzen habe ich immer noch. Es kamen dann Orchideen in größerem Maßstab hinzu, besonders nach meiner Hochzeit stürzte ich mich in dieses Hobby.
Nach der Geburt meiner Töchter weiteten sich meine politischen Interessen aus. Dies war der Zeitraum, als ich mich schrittweise von meiner Frau zurück zog. Ich beteiligte mich an einer Bürgerinitiative, trat in die SPD ein, wurde Ortsvereinsvorsitzender, Stadtrat, Fraktionsvorsitzender, wurde wieder abgewählt, zog um, engagierte mich erneut politisch, wo es ging.
Die exotischen Pflanzen nahmen gleichzeitig schier überhand, ich begann eine Grenze zu sehen, wo ich nicht mehr hinterher kommen würde, nach dem Umzug hatten wir uns auch noch einen Garten zugelegt ...
... und
dann ... kam mein Eintritt in dieses Forum, im Dezember 2012.
Es kam die Erkenntnis meiner Präferenz, Männer zu mögen, schwul zu sein. Und Schluss war mit Hobbies und Politik und Nebeninteressen. Jedenfalls fast.
Es war, als ob ich den Stecker rausgezogen hätte. Ich bin intelligent genug, neben mir zu stehen und zu staunen, wieviel mentale Energie meine nicht ausgelebte Sexualität freigesetzt und in andere Bahnen gelenkt hatte. Ich hatte plötzlich keine freie Energie mehr zur Verfügung.
Alles floss in zwei Bereiche: Der Eine war die Beschäftigung mit der Frage, wie es mit meiner Frau, meiner Familie weitergehen würde. Der Andere, allerdings erst nach meinem Coming Out bei meiner Frau, war das plötzlich aktive Interesse, Männer zu treffen, um mit ihnen intim zu werden. Besonders dieser zweite Bereich, ihr dürft ihn gerne ganz ohne Beschönigung "Geilheit" nennen, hat mich total und völlig unerwartet getroffen und übermannt (selten passt ein Verb so schön auf einen Vorgang!). Und zwar nicht nur für ein paar Tage, es ist eher ein halbes bis dreiviertel Jahr gewesen.
Es beeinträchtigte auch weitere Bereiche. Nur mit Mühe konnte ich mich motivieren, meiner selbständigen Arbeit nachzugehen und meine Kunden nicht zu vernachlässigen. Was die Hobbies angeht, kann ich von Glück sagen, dass die Kakteen das total ohne Probleme überstanden haben und die Orchideen zum größten Teil. Denn mit Gießen und Sprühen war nicht mehr viel, mir fehlte die Energie und es war mir wurscht.
Politik ist ein Gebiet, da braucht man Drive und der war weg. Nur mein eingebauter Sinn für Loyalität hat mich bei der Stange gehalten (und ein paar Freunde, die wußten, womit ich kämpfte). Aber alles geht einmal zu Ende, auch so eine Phase.
Mittlerweile habe ich mein inneres Gleichgewicht wieder gefunden. Meinen Kakteen geht es so gut, wie lange nicht mehr, den Orchideen auch. Beruflich zeigt vieles in Richtung besser (in der Selbständigkeit weiß man aber nie ...), politisch habe ich mich bei unserer Schwulenorganisation gemeldet und mache deren lokalen Internetauftritt (auf Facebook, Victor, entsetzlich!
) und arbeite weiter aktiv in der Kommunalpolitik mit. Mein Interesse an Wissen ist als einziges in dieser Zeit nicht erloschen. Bemerkenswert! Die Neugierde bezieht ihre Energie wohl aus einer anderen Quelle.
Aber so kann's gehen.
Und es bringt mich zum Nachdenken, denn ich frage mich, wieviel politisches, ehrenamtliches und Hobby-Engagement sich wohl aus frustrierter Sexualität nährt? Wo würde dieses Land hinkommen, wenn wir jeden Tag gut befriedigt aus dem Haus gingen?
Schöne Grüße
Volker