Willkommen! Anmelden Ein neues Profil erzeugen

Erweiterte Suche

Der schwule Mann (1)

geschrieben von Mickey2 
Der schwule Mann (1)
28. Dezember 2012 14:33
Hi zusammen,

habe mal - einfach für mich - angefangen, ein wenig über meine CO-Geschichte zu schreiben. Nicht wirklich nur über mich, da es nicht 1:1 "meine Geschichte" ist, aber es sind viele meiner Gedanken, die ich hatte und habe. Aber die Personen sind erfunden, wenngleich teilweise an reale Personen angelehnt. Es ist weder literarisch noch dokumentarisch, sondern irgendwas dazwischen - naja, literarisch nicht im Sinne von "hochwertig". Vielleicht ist es total langweilig, vielleicht bringt es dem einen oder anderen was. Wenn nicht: einfach überlesen und sich nicht davon stören lassen.
Ich weiß auch noch nicht, wohin das führt, ob und wieviele Fortsetzungen es gibt. Ich spinne einfach mal ein wenig vor mich hin. Vielleicht lösche ich es auch wieder. Aber für den Moment poste ich es mal hier.

Wer sich durchquält: viel "Spaß" beim Lesen.


Der schwule Mann

Kapitel 1: Vorher



"Was ist eigentlich mit Dir und Frauen? Gibt es da eine?"

Es waren ewig wiederkehrende Sätze wie diese, die immer wieder das Bollwerk erbeben ließen. Sätze, die beiläufig beim Kaffeetisch geäußert wurden, so als seien sie zufällig und unwichtig. Dennoch aber verriet die zunehmende Dichte der Einschläge, daß sie bei weitem keine beliebigen Einschübe darstellten, sondern eine gewisse Systematik aufwiesen. Aber noch hielt das Bollwerk, Mauern waren nicht beschädigt, und selbst die kleinen Dellen, die man vielleicht mit einem besonders geschulten Auge hätte erkennen können, verrieten der Weltöffentlichkeit noch nicht, was sich dahinter verbarg.

"Nein, da ist niemand im Moment."

Das war der stoische Standardsatz, welcher der immer wiederkehrenden Frage so sicher folgte wie das berühmte "Amen" in der Kirche. Und als hätte es die Frage gar nicht gegeben, schwang das Gesprächsthema dann sofort und gelenk in andere Richtungen um, in der Regel ging es dann um weniger heikle Fragen. Wenngleich Michael aber natürlich wußte, daß seine Mutter für die Dauer, da dieses Frage-Antwort-Spiel die Atmosphäre einnahm, durchaus innerlich dem Atem angehalten hatte - wie er selbst ja auch. Und beide Seiten, so meinte er zu spüren, waren erleichtert darüber, daß es nicht der heutige Tag sein sollte, da der Frage und der Antwort ein Folgesatz angehängt würde, der dann dominosteinmäßig weitere Fragen und Antworten aufwerfen würde. Heute nicht! Heute nicht!
Wann dann? Und überhaupt: sollte der Frage und der Antwort jemals etwas folgen? Eine inneres Ziehen, ein unerklärliches Unwohlsein in der Bauchregion machte deutlich, daß es besser wäre, nie diese Linie zu übertreten.
Was sollte es auch bringen? Warum was preisgeben? Wem würde es denn etwas nützen? Ihm selber? Nein! Es würde im schlimmsten Fall die Pforten zu Luzifers Reich sprengen und die Dämonen der Finsternis würden sich auf ewiglich auf alles setzen, was ihm lieb und teuer war. Wie würden seine Freunde reagieren? Wie seine liebsten Menschen, die er täglich sah und die er "liebte" - "mochte?" - nein, liebte. Ist "Lieben" nicht das höchste Gefühl, daß man empfinden kann? Dieses wohlbedachte Wort heftet man an das "Höchste der Gefühle". Und das höchste der Gefühle war nun mal die "Freundschaft". Was anderes war ja eh nicht drin. Er würde sich ja nie outen. Das ging nicht. Es war unmöglich. Was sollte es ihm bringen? Klar, es würde manche körperlichen Freuden mit sich bringen, Gelüste - ja: Gelüste. Jemanden im Arm zu halten. Oder VON jemanden im Arm gehalten zu werden. Allein bei diesem Gedanken spürte er ein wohliges Kribbeln in der Magengegend. Nein, nicht zwingend darunter: in der Magengegend. Um Sex allein ging es ja nicht, es ging um - um was denn gleich? Um "Nicht-alleine-zu-sein"? Um mal mehr zu sein als ein "guter Freund". Ja, noch nicht einmal "mehr", den "guter Freund" ist ja toll. Aber vielleicht, um noch etwas "anderes" zu erfahren. Irgendwas wie ... Ach, er wußte es ja selbst nicht.
Kaum erlaubte es Michael seinen Gedanken mal für einen Bruchteil einer Sekunde, in diese gefahrenvolle Richtung zu denken, kam aber auch schon die Klinge der Guillotine unbarmherzig herunter, die dies abbrach, denn es durfte und konnte ja nicht sein. Gar nicht erst in diese Richtung verrennen! Denn um dorthin zu gehen zu können, müsste er unweigerlich mit anderem Ungemach rechnen, daß jede, aber auch jede angenehme Situation aber sowas von in den Schatten stellen würde. Es würde alles zerstören, besetzen, niederreißen, alles, was er sich über all' die Jahre aufgebaut hatte. Nein, die Freunde würden ihn nicht verstoßen, so weit würden sie fürwahr nicht gehen. Aber es würde etwas zwischen ihnen verändern. Mißtrauen würde gesäht. Mißtrauen in den kleinen Dingen des Zusammenlebens. Gut, bei den Frauen wäre es vielleicht eine Erleichterung, nicht ständig in der "Hab-Acht-Stellung" zu sein, damit sie sich nicht in ihn verlieben. Das war nämlich oft der Fall gewesen. Eigentlich ja ein Kompliment, aber keines, was er bekommen wollte. Denn er konnte es ja nicht erwidern. Wollen? Ja, "wollen" hätte er ja schon, aber es ging nicht. Das Wort "Verlieben" war nie mit einer seiner Freundschaften mit Frauen um Zusammenhang verwendet worden. Und dabei hätte er es ja sofort ergriffen, wäre es auch nur im Ansatz da gewesen. Dann wäre ja alles einfacher, besser, normaler - ja: normaler! Dann wäre alles andere ja auch geregelt. Dann würde er auf die Frau "Ist da vielleicht eine Frau in Deinem Leben?" einfach mit "Ja" antworten. Wie schön wäre das denn? Und dann: Punkt und fertig. Vielleicht noch ein paar erfreute Nachfragen, aber dann wäre es das gewesen. Punkt. Ausrufezeichen. Und die Freunde: die wären Freunde. Punkt. Kein "Verlieben" in Hetero-Freunde. Kein Leiden, kein Schmerz, kein ständiges "In-die-Kissen-heulen". Er könnte die Freundschaften so genießen, wie sie sein sollten. Und er könnte das "Verlieben" dort genießen, wo es hingehört. Alles hätte seine Richtigkeit und die Gefühlwallungen müssten nicht ständig an der falschen Seite unterdrückt und auf der vermeintlich richtigen aufgebläht werden. Das ewige, ja: ewige - schrecklich ewige, kein-Ende-nehmen-wollendes Verstellen wäre vorbei. Kein täglichen Laientheater nach außen und keine Guillotine im Inneren mehr. Alleine der Gedanke an "Normalität" verursachte in ihm ebenfalls ein wohliges Gefühl in der Magengegend. Aber eine Kleinigkeit störte: in eine Frau verliebte er sich leider eben nie. Er war ja wachsam, immer auf dem Sprung. Wäre da mal irgendwas gewesen, hätte er - Zack! - gerne sofort zugegriffen. Stattdessen verspürte er bei Frauen allerhöchstes das, was er sich eigentlich bei Männer erhoffte. Es gab gute Freundschaften zu Frauen in seinem Leben, sehr gute! Das war nicht das Thema. Frauen waren natürlich wichtig in seinem Leben, er wollte auch nicht ohne Frauen sein. Sie gaben seinem Leben eine besondere Farbe, sie bereicherten es. Ganz klar: Frauen waren ihm wichtig. Aber verlieben? Nein, das klappte leider nicht - ja: leider! Er hätte ja gerne die Erwartungen erfüllt, die in ihn gesetzt wurden, die er sich selbst ja setzte.
Und bei Männern? Ach, da "verliebte" er sich dauernd. Da brauchte es nicht viel: ein netter Blick, ein tolles Gespräch, ein gutaussehender Typ, Aufmerksamkeit, Gemeinsamkeiten - und ZACK! schon war er Verliebt. Und ZACK! kam auch schon die Guillotine herunter, die ihm aufzeigte, daß das ja nicht geht. Und ZACK! schon hatte er Liebeskummer, Liebeskummer, ohne überhaupt richtig geliebt zu haben. Denn der angenehme Teil des Verliebens war ja schnell vorbei und sofort kam der unangenehme. Und den hatte er dann erst einmal eine Weile wie einen Klotz am Bein. Und der schmerzte. Der drückte. Der deprimierte. Der lähmte! Und war es mal überwunden, dann ZACK! kam der nächste Typ und ZACK! er war verliebt und ZACK! kam die Guillotine. Immer, immer wieder das gleiche Spiel. Und täglich grüßt das Murmeltier. Es war nie langweilig, aber es schlauchte, es machte müde.

Warum aber nichts ändern? Es würde eben "ALLES" ändern, da war er sich sicher. Seine Kumpels würden mißtrauisch. Vielleicht träfen sie sich nicht mehr mit ihm alleine? Vielleicht tauschten sie nicht mehr ihre Gefühle mit ihm, sprachen über Intimes, über Liebesdinge, über Ängste und Sorgen und über Gutes? Sie hätten Angst davor, ER könne es dann mißverstehen. Das Vetrauen könnte weg sein, und ohne Vertrauen keine Freundschaft. Und da ja Freundschaft für ihn das höchste Gut war, wäre eben das "höchste Gut" weg. Unwiederbringlich! Und was bliebe dann?
Und seine Mutter? Er war der einzige verbliebene Sohn, der Bruder war tot, der Vater war tot - und mehr gab es nicht! Er war der Letzte der Linie. Die Mutter hatte sehr viel Elend in ihrem Leben, sie hatte eh nie für sich, sondern nur für andere gelebt. Immer. Sie hatte ein Recht darauf, daß mal etwas in ihrem Leben Früchte trug, daß zumindest mal der verbliebene Sohn "Früchte trug". Streng genommen bestand ihr Leben auf der Hoffnung, daß zumindest ein Sohn von ihr Früchte trug, der andere war ja tot. Dafür lebte sie noch. Dafür atmete sie. Darin investierte sie täglich ihre Kraft, ihre Liebe, alles, was sie geben konnte. ER durfte sie nicht enttäuschen. Nein, auch sie würde ihn nicht verstoßen, aber sie wäre traurig, unsagbar traurig. Ihr "Lebensziel" wäre dahin, mit einem Schlag. Und nur, weil er sich eben nicht in Frauen "verlieben" konnte. Und obwohl das ja nun wirklich für alle besser gewesen wäre: für die Frauen, die sich ihn ihn verliebt hatten und die er am langen Arm verhungern lief. Für die Freunde, denn ihre Freundschaft würde in keine Krise gestürzt. Für die Umwelt, denn nur ein "normaler" Mensch ist ein "guter" Mensch, so zumindest war sein Eindruck. Und für seine Mutter, die es nun mal verdient hatte, daß etwa in ihre Leben gut verläuft.
Punkt:. Ein Coming Out war in unerreichbarer Entfernung. Und daher folgte auf den Satz "Was ist eigentlich mit Dir und Frauen? Gibt es da eine?" eben dann stets: "Nein, da ist niemand im Moment." Und dann würde das Thema gewechselt. Punkt. Das würde ewig so weiter gehen. Ewig?

(Fortsetzung folgt)



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.12.12 21:14.
Re: Der schwule Mann (1)
29. Dezember 2012 09:10
Diesen ersten Teil Deiner Geschichte hab ich gelesen, hab teilweise den Atem angehalten und es geht unter die Haut!
Bin gespannt auf die Fortsetzung.
Sei lieb gegrüßt, Kaffeetante
Re: Der schwule Mann (1)
31. Dezember 2012 13:41
Lieber Mickey2,

Dein Text hat mir gut gefallen, immer wieder gern weiter - es müssen ja nicht 26 Kapitel werden, 13 reichen auch smiling smiley

Ich nehme nicht für mich in Anspruch "literarisch hochwertig" von anderen Abstufungen unterscheiden zu können. Aber ich hatte einen runden Eindruck, also bestimmt mindestens "höherwertig". smiling smiley

Liebe Grüße und alles Gute für das Neue Jahr
Zeev
In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.

Klicke hier, um Dich einzuloggen