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Dienstreise

geschrieben von Martin1977 
Dienstreise
17. Dezember 2012 22:21
Bin eigentlich länger schon Gast hier. Möchte euch allen danken. Zu lesen, dass es anderen nicht anders/besser geht als mir gibt mir immer wieder Kraft, aber ich lese auch Gutes und das zeigt mir, dass das Leben auch schön sein kann. Geschichten un Kommentare zu schreiben ist meine Sache nicht, nicht nur deswegen hab ich mich bis jetzt nicht registiert.
Kurz zur Vorgeschichte. Nein, ich hatte mein Coming our noch nicht. Bis jetzt hab ich mir immer diverse Gedankenkostrukte zusammengebastelt um es mir selbst nicht zugeben zu müssen. Nicht einmal mein bester Freund weiss es, obwohl er es lange schon vermutet. Er hat mich mal drauf angesprochen, aber glücklicherweise wurden wir dann auf der Party gestört und so konnt ich ihm geschickt (?) ausweichen.

Nun, das Leben hat mich für 6 Monate nach Mitteldeutschland verschlagen. Ich wohn gemeinsam mit drei Kollegen. Nicht zusammen. Jeder hat sein eigenes Apartment. Einer, mein bester Freund hier, ist extrem homophob. Da ich eigentlich immer mit ihnen unterwegs gewesen bin hat sich die Frage "ein eigenes Leben" zu führen nicht gestellt und ich bin im Heterofluss mitgeschwommen, hab viel getrunken und über weiber (sorry mädels, soll jetzt keine beleidigung sein) geredet.

"Das neue Leben" hier hat vieles verändert und ich hab es dennoch geschafft mit mir ins Reine zu kommen. Sobald ich zuhause bin werd ich meinen engsten Freundeskreis informieren. I like cock. Ich bin schwul und mir endlich darüber im Klaren.
Interessanterweise, seither einige Leute getroffen, die definitiv auch schwul waren.

Anzumerken wäre hier ein Taxifahrer der mich um zwei in der Früh zum Flieger gebracht hat. Ungefähr mein Alter. Wir waren cirka eine halbe Stunde unterwegs und hatten ein absolut tolles Gespräch. Am Schluss, als er davon zu erzählen begonnen hat wie und warum er noch keine Frau gefunden hat, ist mir eigentlich auf der Zunge gelegen ihn zu fragen ob wir uns nach meiner Rückkehr wiedersehen wollen. Die gleiche Geschichte in exakt den selben Worten erzähl normalerweise ich. Diese Leier kenn ich in- und auswendig. Dabei hab ich ihn gar nicht danach gefragt. Beim wegfahren hat er mir genauso nachgeschaut wie ich ihm und am liebsten wär ich ihm nachgelaufen. Ich hab ihn klar nicht wieder getroffen.

Drei mal hab ich es geschafft mich von der Gruppe abzusondern und in eine Schwulenbar zu gehen. Zweimal davon war ich vorher bereits so sturzbetrunken, dass ich sicherlich keine gute Figur abgegeben hab sad smiley
Voriges Wochenende, mein letztes hier, ist mein Kollege abgestürzt. Ich bin dann noch zum late-shop und hab mir zigaretten besorgt. Fährt die Tram vorbei, ich steig ein und fahr in die Stadt.
Die Hütte gerammelt voll. Einige Leute hab ich wiedererkannt. Uninteressant und sie haben mich ohnehin ignoriert.
Steh ich da und trink mein Bier sitzt neben mir er. Kein Deutscher. Hello I´m Martin, how are you what are you doing here? Eigentlich nur dankbar, dass wenigstens er mit mir spricht und ich Konversation hab bis ich mein Bier fertig hab und the hell out of here. Schwachsinnige Idee wieder mal.

Fragt er mich, ob ich des öfteren in Gay Bars bin. Hin und her und ehe ich nachdenken kann frag ich ihn, ob er mit zu mir kommen will und wir sitzen im Taxi und fahren zu mir. War mir nicht sicher ob er nicht vielleicht nur auf ein Bier mitkommen wollte. Aber er ist nicht deswegen mitgekommen, sondern wegen mir. Er war die ganze Nacht da und selbst in der Früh nach dem Munterwerden war er immer noch da. Und er ist auch den ganzen Sonntag geblieben und wir haben die Zweisamkeit genossen.

Das Leben kann so schön sein. So wunderwunderschön.

Donnerstag verlass ich die Stadt um für einige Monate an einem Projekt in Norwegen zu arbeiten. Keine Chance ihn jemals wiederzusehen. Das hab ich ihm auch gesagt als er mich nach einem Treffen am nächsten Wochenende gefragt hat. Wir haben zwar Kontakte ausgetauscht, aber realistisch gesehen werden wir uns niemals mehr wieder sehen.

Oh bittersüsses Leben.

Mir hat dieses Halbjahr allerdings einiges gezeigt.

Sobald man diese sinnlose Mauer fallen lässt, sobald man eins ist mit sich selbst tun sich völlig neue Wege auf. Ich glaube ich habe den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht und will diesen Weg weiter beschreiten. Es ist ein guter Weg.
Re: Dienstreise
18. Dezember 2012 23:32
Hallo Martin,
das klingt hoffnungsvoll und anstrengend zugleich. Oh, es ist leichter, seine Rolle weiterzuspielen als sich und anderen einzugestehen, in welche Richtung du tendierst. Immerhin hast du es dir eingestanden, und deine beruflichen Veränderungen machen es dir vielleicht auch einfacher, dich nach außen zu outen. Die Skandinavier sind oft toleranter. Ich wünsche dir Erfolg.
Re: Dienstreise
19. Dezember 2012 21:16
Du, ja. Noch vor sechs Monaten wär instinktiv dieses antrainierte "Schwulenbar? Was? Das hab ich gar nicht bemerkt!"-Gewaschel gekommen. Geschweige denn, dass ich mich offen in so eine Bar getraut hätte. Ich hätt die Flucht ergriffen und mich dann dafür wieder monatelang gehasst.
Es ist erschtaunlich wie viele neue Wege sich auftun, ist man sich selbst erst mal im Klaren; sofern man das überhaupt sein kann.

Morgen fahr ich über Weihnachtn heim und da werd ich bei meinen engsten Freunden den point of no return überschreiten. Ich werde mein coming out haben und alles wird gut werden.

Es ist sicherlich noch ein langer Weg, aber zumindest die Richtung stimmt mal.
Re: Dienstreise
20. Dezember 2012 10:08
Viel Glück und wunderschöne Weihnachten!
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