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Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …

geschrieben von BlueHoodie 
Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
23. Dezember 2022 08:31
Hallo aus Österreich!
Ich hoffe, ich bin hier trotzdem Willkommen :-)
Dass ich dieses Forum entdeckt und sofort sympathisch gefunden habe, aber scheinbar auf den ersten Blick der einzige Österreicher bin, ist ein Muster, das mich schon immer begleitet.

Ich bin 31 Jahre, verheiratet und habe eine 2-jährige Tochter.
Irgendwie war ich schon immer der eine, der allein in einer Gruppe war: ich war der einzige Junge, der hauptsächlich mit Mädchen befreundet war; ich war einer von zwei Männern während der Ausbildung zum Kindergartenpädagogen (ich glaube in Deutschland als „Erzieher“ bekannt) und bin nun der einzige Mann im Kindergarten, in dem ich arbeite.
Ich muss sagen, dass mich diese Position nie gestört hat, denn anderen Jungs oder Männern stand und stehe ich bis heute immer noch skeptisch gegenüber. Unter Frauen fühle ich mich total sicher. Immerhin hatte ich in der Familie nur negative, männliche Vorbilder und in der Schule wird man von anderen Jungs nunmal schnell abgestempelt, wenn man mit Mädchen herumhängt.

Seit ich mich erinnern kann, habe ich mich ausschließlich in Mädchen verliebt, darunter sogar mit sehr viel Herzschmerz und Drama. Manchmal kam mir mein Leben wie bei Dawsons Creek vor.

Ab der Pubertät merkte ich, dass mich auch so manche Fantasien mit anderen Männern faszinierten. In der Realität schreckten mich Männer aber ab und ich fühlte mich nie zu einem hingezogen.

Ich bin mit meiner Frau nun fast 5 Jahre verheiratet und war davor bereits etliche Jahre mit ihr zusammen. Es war ein langer Weg für uns beide - Sie extrovertiert und körperlich offen, ich introvertiert und körperlich verklemmt. Heute haben wir eine so wertvolle Vertrauensbasis, dass ich bei ihr keineswegs mehr verklemmt bin.

Mit Intimität hatte ich schon ab der Pubertät Schwierigkeiten. Ich glaube, mir ging der Übergang vom Kindsein zum Mannsein zu schnell - an einem Tag spielt man mit Pokémon Karten und das aufregendste ist küssen und Händchenhalten, am nächsten reden alle über Sex und wenn man noch keinen hatte, wird man komisch angeschaut.
Ich habe mich ins Erwachsensein durch Gruppenzwang eingefügt und somit auch in die klassische Mann-Frau-Beziehung.

Wieder fühlte ich mich alleine, umgeben von vielen anderen Hetero-Paaren, obwohl ich eine Freundin hatte.
Es schwang immer dieses Gefühl des Andersseins mit, das ich mir lange nicht erklären konnte.

Seit den Jugendjahren ist viel passiert - ich hab mir ein Leben und eine Familie aufgebaut, fühlte mich auch lange glücklich und zufrieden. Die heimlichen Männer-Fantasien wurden irgendwie zur Normalität, beeinflussten den Rest meines Lebens aber nicht.

Dann folgte die Geburt meiner Tochter und alles änderte sich. Sie löste in mir den Wunsch aus, die beste Version von mir selbst zu sein. Eine Reise begann und viele verschlossene Türen aus der Kindheit und Jugend wurden geöffnet.

Im diesjährigen Sommer wurde mir SO VIELES klar, insbesondere, dass ich bisexuell bin. Als ich es zum ersten Mal für mich aussprach, war es wie eine Last, die von meinen Schultern fiel und es fühlte sich absolut richtig an! Endlich wusste ich, was „anders“ an mir war. Ich erzählte auch meiner Frau davon und erntete Liebe und Verständnis.
Nach dieser Erkenntnis fühlte ich mich so frei wie noch nie, jedoch erst recht wieder alleine.

Niemand in meinem Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis ist auch nur irgendwie in der LGBTQIA+ Community vertreten. Und meine Heimatstadt, auch wenn sie kein abgelegenes Dorf ist, scheint komplett hetero zu sein.
Noch dazu liefert das Internet keine zufriedenstellenden Ergebnisse zur Community in meiner Nähe, geschweige denn in Österreich generell. Es hat fast den Anschein, als wäre es hier ein exklusiver Club, dem man nur durch eine persönliche Einladung und mit geheimen Handschlag beitreten kann.
Oder ich gebe die falschen Suchanfragen ein …

Mir fehlt also der Anschluss zu einer Gruppe, der ich mich zugehörig fühlen kann. Das ist mein vorrangiger Wunsch.
Ich weiß, dass ich mich selbst in die Isolation getrieben habe. Jahrelang habe ich eine Fassade aufgebaut und mein Leben als Theaterstück für die Außenwelt inszeniert. Dass meine Interessen nicht der Heteronorm entsprechen und schon oft mit blöden Sprüchen kommentiert wurden, haben dazu geführt, dass ich nur noch ich sein konnte, wenn ich komplett alleine mit mir war.
Ich habe eine tief sitzende Scham in mir, die mir gewaltig auf den Keks geht, weil ich mich im Grunde sehr gern habe - mich nervt es, dass ich in meinem Umfeld das Gefühl hatte oder mir vermittelt wurde, dass ich besser jemand anderes sein sollte.
Daher würden meine Familie und Freunde mich unter meiner Fassade vermutlich nicht wieder erkennen.

Es tut sehr gut, dass ich mich jetzt besser kenne, aber es ist umso verwirrender, wenn man eine glückliche Ehe führt, und dann plötzlich der neue bzw. jetzt zugelassene Drang nach Intimität mit einem Mann immer wieder aufkommt. Gleichzeitig schwingt trotzdem das Mistrauen und die Skepsis Männern gegenüber mit … es ist (noch) ein Teufelskreis.
Meine Frau meint, sie stünde bei jeder Entscheidung hinter mir. Es stand sogar schon das Thema „offene Ehe“ auf dem Tisch. Ich bin dennoch hin und hergerissen. Vor allem weil ich überhaupt keine intimen Erfahrungen mit Männern habe. Was, wenn es mir dann gar nicht gefällt und ich trotz Verständnis meiner Frau unsere Ehe gefährde? Es ist zum Haare ausreißen.
Ach ja, sich mit 31 Jahren plötzlich wieder total unerfahren zu fühlen, bringt natürlich wieder längst überwunden geglaubte Ängste zum Vorschein! Herrlich …

Ich würde mich über einen Austausch freuen, denn ich möchte mich nicht länger „alleine“ fühlen.

Ich hoffe, ich konnte mich klar ausdrücken und habe niemanden verwirrt - wenn doch: WILLKOMMEN IM CLUB :-)
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
23. Dezember 2022 10:33
Hallo BlueHoodie,

herzlich willkommen und Du bist nicht der einzige Österreicher*in.

Bein Lesen deiner Geschichte tauchen auch bei mir viele Paralelen wider auf.

"allein in einer Gruppe"
"um mich herum viele Mädchen/Frauen" - ich durfte sie betanzen - wenn ihre Männer an der Theke standen und Bier tranken.
"in der Pupertät - Fantasien mit Männern" - habe aber die Bedeutung nicht erkannt.
Erst mit Mitte 40 platzte der Knoten bei mir.

Prima, das Du mit Deiner Frau im Gespräch bist. So könnt ihr gemeinsam an einer Lösung arbeiten. Lasst Euch die Zeit die ihr beide braucht.
Gieße erstmal jetzt die Zeit der Erkenntniss und lass es auf dich wirken.

Wo findest Du nun andere BI-Männer, mit dennen Du dich austauschen kannst?
Ja - hier bei co30 gibt es sie auch. Du hast deinen ersten Schritt mit deinem Bericht getan.

Da du ja auch Vater bist, fällt mir das Treffen der Schwulen Väter im Waldschlösschen in Göttingen ein. Dort habe ich vor Jahren auch BI-Männer kennen gelernt. Vielleicht wäre das für dich eine Möglichkeit in Austausch zu treten.
Damals waren auch Männer aus Österreich und der Schweiz dabei.

GLG Maks


.
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
24. Dezember 2022 08:59
Hallo Maks!

Danke für deine schnelle Reaktion auf meinen Beitrag! Das zeigt mir erneut, wie sympathisch mir dieses Forum ist!
Wie bei vielen anderen hat alleine das Aufschreiben bereits geholfen und wenn dann auch gleich eine Antwort kommt, fühlt man sich wertgeschätzt! Danke dir dafür!

Und danke für den Tipp zur Kontaktaufnahme - ich werde es im Hinterkopf behalten!

Ich wünsche dir frohe Weihnachten!
Vielleicht „liest“ man sich ja noch bei anderen Beiträgen :-)
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
25. Dezember 2022 15:44
Hallo BlueHoodie,

ich bin gerade so begeistert wie Du hier deine Gedanken "zu Papier" bringst. Da hat sich Vieles aufgestaut und darf nun hinaus in die Welt. Vielen vielen Dank.

Es ist gerade so, wie eine Raupe - die zwar schon immer wußte das aus Ihr mal ein Schmetterling werden würde. Hatte aber bis dato gar keine Ahnung wie das geht.

Oder , wie der kleine Pandabär auf dem Weg in sein neues Gehege. Er kannte nur die Transportkiste und sie war im zu eng. Und nun, durch einen kleinen Spalt kann er sein neues Zuhause schon sehen. Was erwartet Ihn? Welche Gefahren lauern - aber auch welche Freiheiten wird er erfahren?

GLG Maks
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
28. Dezember 2022 10:58
Lieber BlueHoodie,

vielen Dank für deine Worte. Ich bin in einer ganz ähnlichen Situation...allerdings noch ein paar Steps vorher.

Ich bin 32, glücklich verheiratet und mein größter Wunsch ist es, mit meiner Frau eine Familie zu gründen.

Das wollen wir jetzt auch angehen - doch plötzlich wird meine Gedankenwelt ein Problem. Seit ein paar Jahren weiß ich, dass ich mich auch von Männerkörpern angezogen fühle. Das hatte ich mit heimlichem Porno-Konsum und gelegentlichem Sexting im Griff. Bis jetzt. Jetzt bin ich nervlich ziemlich am Ende. Gar nicht, weil ich diese Anziehungskraft real ausleben will, sondern eher, weil ich das Gefühl habe, meiner Freundin das Geheimnis verraten zu müssen, bevor wir eine Familie gründen. Andererseits hab ich so unglaublich große Angst, dass unsere Beziehung wegen meiner Bisexualität in die Brüche geht.

Du siehst: Ich bin also auch im Club, in dem das Gedankenkarrussel sich fleißig dreht und ich das Gefühl habe, mit niemandem sprechen zu können.

Habe jetzt auch schon Psychotherapeuten angeschrieben und nach einem Termin gefragt.

Liebe Grüße
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
28. Dezember 2022 12:28
Hallo benni91,

herzlich willkommen hier auf co30.
Spontan fällt mir hier auch die Geschichte von Michael1982 ein.
Auch wenn er damals noch nicht verheiratet war, aber es "musste" eine Endscheidung fallen.
Vieleicht findest Du dich da auch etwas wieder.

GLG Maks
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
28. Dezember 2022 19:36
Hallo benni91!

Du hast ja wirklich absolut recht, dass du in einer ähnlichen Situation steckst. Fast 1:1 wie ich zugeben muss. Aber eben noch einige Steps früher.
Und du hast bereits mehr richtig gemacht als ich:
1. Du setzt dich VOR einer Familiengründung damit auseinander. Das ist absolut richtig. Ich war damals noch nicht so weitsichtig und zu tief in der Verdrängung.
Ich liebe meine Tochter über alles! Erst durch sie bin ich „wach“ geworden. Plötzlich begreift man, dass man nicht mehr für sich alleine verantwortlich ist. Das hat viel ins Rollen gebracht. U.a. dass ich mir über vieles vorher im Klaren hätte sein können - aber hätte, sollte, müsste - es kam eben wie es kam und so ist es jetzt.
Mein Tipp: finde zu dir, lerne dich selbst kennen und da hilft
2. dass du eine Psychotherapie starten möchtest bestimmt sehr viel! Ich bin auch in Therapie, aber (noch) nicht wegen meiner Sexualität - das wird irgendwann noch einfließen. Dieser Schritt ist echt wertvoll! Ich wünsche dir, dass es dir weiterhilft.
3. Du hast dieses Forum entdeckt und kannst hier aus vielen Erfahrungen schöpfen! Auch ich habe Maks‘ Tipp gleich genutzt und die Geschichte von Michael gelesen. Selbst, wenn man die eigene Situation als weniger schlimm wahrnimmt, man weiß nie wie sich das Leben so dreht und wendet.

Ich heiße dich ebenfalls herzlich Willkommen, auch wenn ich selber noch sehr neu hier bin :-)
Schön, dass du da bist!

Liebe Grüße!
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
28. Dezember 2022 21:43
Hallo BlueHoodie, Hallo Benni,

willkommen hier im Forum. Und herzlichen Glückwunsch - denn einen ganz großen Schritt habt ihr durch das Aufschreiben Eurer Berichte schon gemacht.
Seid euch sicher: ihr seid nicht alleine. Wir sind ganz viele in genau der Situation, in der ihr jetzt gerade seid.

Ich bin auch noch nicht allzu lange dabei, aber der Austausch hier und die Menschen, die ich über das Forum kennengelernt haben, haben mir sehr geholfen.

Lest euch doch mal meine Geschichte durch und wenn ihr Lust auf einen Austausch habt, meldet euch gerne per PN.

LG
Kai74



2-mal bearbeitet. Zuletzt am 28.12.22 21:45.
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
03. Januar 2023 08:05
Hallo BlueHoodie und Benni,

ich schließe mich meinen Vorrednern an und heiße euch hier willkommen smiling smiley
Aufschreiben ist immer eine tolle Idee, also schreibt unbedingt eure Gedanken auf ein Blatt Papier auf (am besten handschriftlich). Denkt nicht darüber nach, was ihr schreibt, lasst die Gedanken einfach kommen.

Das Wichtigste ist, sich endlich irgendwo dazugehörig fühlen. Hier gehört ihr nun dazu! Also nutzt die Chance zum Austausch.

@BlueHoodie
Sich jetzt noch mal wieder unerfahren zu fühlen bringt natürlich viele Ängste mit sich. Auf der anderen Seite hat es aber auch etwas Aufregendes, weil du nun wieder ausprobieren darfst. Angst vor dem Ausprobieren kann ein lähmendes Gefühl sein. Wenn du dich aber trotz Angst ausprobierst und die Erfahrung machst, dass auch bei einem Misserfolg (wie auch immer der aussehen mag), nichts Schlimmes passiert und sich die Welt weiter dreht, dann entwickelst du dich in so vielen Bereichen deines Lebens positiv weiter, wie du es dir jetzt vielleicht noch gar nicht vorstellen kannst. Warte nicht, bis die Angst verschwunden ist, das wird nie passieren. Handle trotz Angst und du hast den Schlüssel zu echter Freiheit gefunden.

@benni
Die Situation, die du beschreibst ist natürlich sehr belastend, aber tatsächlich geht es fast allen so, die das durchmachen. Und das ist eine gute Sache, denn das bedeutet, dass auch du, wie schon so viele davor, eine Lösung finden wirst. Therapie ist immer eine sehr gute Idee!
Du wirst nicht drum herumkommen, das Thema mit deiner Frau irgendwann zu adressieren. Solange du aber selbst noch auf der Suche nach dir bist, setze dich nicht unter Druck es sofort tun zu müssen. Arbeite am besten mit deinem Therapeuten oder deiner Therapeutin darauf hin, dass du dich in der Lage fühlst das auszudrücken, was in dir vorgeht.
Für dich habe ich auch etwas in Sachen Angst, was dir vielleicht Mut macht:

Das was uns Angst macht, ist ein negatives Ergebnis als Folge einer Aufgabe und die relative Gewissheit, dass es auch schlecht ausgehen wird.
Die Wahrheit ist aber: Wir haben keine Kontrolle über das Ergebnis, nur über die Aufgabe die zu dem Ergebnis führt.
Es gibt ein englisches Sprichwort: "Devot to the task, but surrender to the result"
Das Einzige, was du tun kannst ist dich so gut es geht auf das Gespräch mit deiner Frau vorzubereiten. Am besten mit Hilfe und dann, wenn du dich bereit fühlst, das Gespräch zu suchen wohlwissend, dass du das Ergebnis nicht beeinflussen kannst.
Lies dir hierzu gerne mal die ganzen Geschichten durch. Es gibt viele positive Beispiele, wo die Frauen gut reagiert haben.
Tausche dich mit diesen Menschen hier doch aus, wie sie da Sache angegangen sind.

Für euch beide gilt: Ihr seid nicht mehr allein und gehört nun dazu smiling smiley
Ich freue mich auf weiteren Austausch!

Michael Kensy
Coming-out Coach
[www.michael-kensy.de]
[www.tiktok.com]
[www.instagram.com]
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
08. Januar 2023 17:07
Hallo BlueHoodie, hallo benni91,

wie schön, dass ihr hier eure Geschichte aufgeschrieben habt!
Ich konnte beim Lesen vieles sehr gut nachvollziehen, was geschrieben wurde:
Etwa das Gedankenchaos, das immer mal wieder zurückkommt, auch wenn in vielen Dingen doch schon Klarheit herrschte.
Oder die Schüchternheit und die Ängste als komplett Unerfahrener die schwule Welt zu entdecken.
...


Aber gerade zum Thema "sich allein fühlen" möchte ich noch ein paar Gedanken hinzufügen:
Das abstrakte Gefühl, irgendwie anders zu sein und nicht dazu zu gehören, kenne ich auch aus vielen Situationen in meinem Leben. Durch mein inneres Coming-Out kam dann die Erkenntnis, einen Grund dafür gefunden zu haben.
Danach wusste ich zwar mehr über mich selbst, war aber trotzdem irgendwie wieder allein (und in meiner damaligen Vorstellung auch so wahnsinnig spät dran mit damals 30 winking smiley). Denn in der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, kenne ich niemanden, der irgendwie queer ist. Und ich hatte auch sonst keinen Anknüpfungspunkt in meinem Umfeld.

Was hat mir geholfen? Zuerst mal Erfahrungsberichte lesen und hören, auf die ich gestoßen bin (etwa hier im Forum). Zu erfahren, dass es Menschen in vergleichbaren Situationen gibt, die ganz ähnlich fühlen, hilft schon sehr dabei, sich nicht allein zu fühlen.

Aber ganz entscheidend ist auch der persönliche Austausch.
BlueHoodie, du schreibst, dass du dir den Anschluss an eine Gruppe wünschst: Durch den Austausch hier im Forum hat sich dieser Wunsch hoffentlich schon ein bisschen erfüllt. winking smiley
Aber auch persönliche Treffen sind gut. Vielleicht gibt es in einer größeren Stadt in deiner Nähe Gruppenangebote, die du dir mal anschauen kannst, oder eine Beratungsstelle. Das wäre vielleicht ein erster Anknüpfungspunkt, wo du auch weitere Informationen und Angebote erfahren könntest. Auch wenn du aktuell nichts gefunden hast: Irgendwann bietet sich bestimmt eine Chance, einfach Augen und Ohren offen halten und immer wieder mal nach Angeboten suchen.
Ich bin nach einiger Zeit auf eine Gruppe mit sehr netten Leuten aufmerksam geworden. Auch wenn die meisten einige Jahre jünger als ich sind, waren wir doch alle in einer ganz ähnlichen Situation (jeder auf seine Art) und haben uns sofort gut verstanden. Ich denke z.B. gleich an unser erstes Treffen zurück. Auf dem Weg nach Hause hatte ich ein unglaublich gutes Gefühl, richtig dazu zu gehören und verstanden zu werden. Der Austausch untereinander und das gemeinsame Weiterentwickeln haben mich sehr weitergebracht. Und wenn man nicht allein ist, traut man sich manches auch eher.
Ein Treffen geht aber z.B. auch mit Leuten aus dem CO30-Forum (persönlich oder online). Da weiß ich aus eigener Erfahrung, wie wertvoll das sein kann.

Fühlt euch also herzlich willkommen - ihr seid ganz bestimmt nicht allein. smiling smiley



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 08.01.23 17:10.
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
12. März 2023 11:05
Hallo BlueHoodie

Deinen Wunsch nach Austausch kann ich sehr gut nachvollziehen. Ging mir lange genau so. Obwohl größere Städte gar nicht so weit weg liegen, bekam ich keinen Fuß in die queere Szene. Auch Beratungsformate, Vereine und Co schienen nicht zu mir zu passen. Wenn man mal sucht, wirds kurios ... das Angebot ist entweder für sehr junge Lesben oder für sehr alte, dann müsste ich noch bi, trans und oder xyz sein ... Ich fühlte mich also eher ausgeschlossen, weil ich all die Kriterien nicht erfüllen konnte.

Was hat mir also geholfen? Ich war vorwiegend in zwei Foren aktiv, habe angefangen, mit einigen Frauen private Freundschaften zu schließen, auch wenn sie weit weg wohnten. Der Austausch war unfassbar kostbar und belebend für mich. Dann kam der entscheidende Schritt, ich habe meine Selbstwirksamkeit entdeckt und meine Bedürfnisse in meinen Profilen der jeweiligen Foren formuliert. Dass ich Lust hätte, eine eigene queere Gruppe zu gründen. Tja und jetzt ist es so weit.

Ich fand auf diesem Wege eine Frau, die das gleiche Anliegen hatte. Und gemeinsam ging es viel einfacher, wir haben eine Stadt, einen Raum, einen Termin und die Einladung ist raus smiling smiley Ich bin gespannt wie sich das entwickelt. Aber schon jetzt ist es ein Gewinn, weil ich bereits zwei tolle Menschen in meiner Region kennengelernt habe. Wir unternehmen mal was zusammen und ich genieße es, mich frei unterhalten zu können. Ich stecke einfach noch voller Gesprächsbedarf, was mein spätes Coming-out betrifft und wir stärken einander. Es gibt so viele Ähnlichkeiten und dann entsprechend Verständnis.

Es ist so, dass es in deiner Gegend Menschen jenseits der Heteronormalität gibt! Wir sind überall smiling smiley Garantiert! Wir müssen uns nur finden.

Ich wünsche dir alles Gute . Beera

PS und wer Lust auf ein queeres Frauen-Treffen in Grimma hat, kann sich gern bei mir melden smiling smiley
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
22. April 2023 11:06
Hallo!
Mir ist gerade danach, mal wieder etwas zu teilen smiling smiley

Es sind jetzt gute 4 Monate her, dass ich dieses Forum gefunden habe. Inzwischen konnte ich mich schon mit anderen austauschen, was sehr guttut!

Ich merke, dass ich immer mehr Verständnis und Akzeptanz für meine Sexualität und mein eigentliches Ich finde. So erleichternd und erfreulich das ist, gibt es dennoch Kehrseiten. So wurde die Selbstisolation stärker, weil ich mich jetzt erst recht wie ein Quadrat unter lauten Kreisen fühle. Zudem ist mir besonders in den letzten Wochen immer mehr bewusst geworden, dass meine Bedürfnisse und meine Interessen nicht länger in mein jetziges Leben passen. Diese Erkenntnis hat mich emotional fertig gemacht, sodass sich eine Leere und Taubheit in mir breit gemacht hat.

Nun stand ich vor ein paar Tagen vor der Entscheidung: gehe ich den Weg, den ich schon immer gehe und der mir zwar Sicherheit aber auch innerliche Unzufriedenheit verschafft oder wage ich einen neuen Weg, der voller Ungewissheit und Herausforderungen ist?

Ich wusste, dass ich diese Entscheidung nicht alleine treffen kann. Immerhin beeinflusst sie auch das Leben meiner Frau und meiner Tochter.
Nach einem sehr ernsten und ehrlichen Gespräch wurde ein Mittelweg als Kompromiss gewählt. Wichtig ist uns vor allem, dass wir unserer Tochter ein gutes Vorbild sind und ihr keine Lüge von einer gestellten Beziehung vorspielen.
Meine Frau und ich sind noch nicht bereit unsere Ehe einfach so aufzugeben, wir wollen aber auch nicht krampfhaft aneinander festhalten. Wir schauen nun, wo der Mittelweg hinführt. Vielleicht wird er sich für jeden von uns mal kurz abzweigen und wieder zusammenführen oder es entstehen zwei getrennte Wege. Was auch passiert, wir wollen ehrlich und respektvoll mit einander umgehen.
Gemeinsam haben wir auch schon „was wäre, wenn“-Szenarien besprochen und die möglichen Lösungen oder Anpassungen dafür festgelegt. Darunter eben auch, wie es nach einer möglichen Trennung weitergeht. Es war anfangs ziemlich befremdlich für uns beide, und doch gab es uns mehr Sicherheit und Klarheit.
Momentan haben wir unsere Beziehung auf „Freundschaft“ zurückgestellt. Jeder von uns hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt und ist gewachsen, aber irgendwie haben wir das nie wirklich zur Kenntnis genommen, weshalb wir uns jetzt die Chance geben wollen, einander „neu“ kennenzulernen.

Ist das der richtige Weg? Keine Ahnung. Wir werden es gemeinsam herausfinden.

Ich fühle mich aber deutlich freier. Es tut gut, vom gewohnten Weg abzukommen. Die Taubheit lässt nach. Ich spüre die Aufregung vor den unbekannten Möglichkeiten.

Mal sehen, wohin der Weg führt smiling smiley
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
10. August 2023 12:24
Es ist so einiges passiert und ich habe wieder das Bedürfnis es mit euch zu teilen! Neben einigen Coming-outs (wie in meinem Beitrag bei den Coming-outs beschrieben), habe ich mich in einer bestimmten Freundesgruppe geoutet, wo bereits zwei queere Personen dabei sind. Zudem war ich mit ihnen schon in einer Gay-Bar! Und ich hatte mein erstes Date mit einem Mann ...

Ich stelle nachfolgend jede Geschichte einzeln rein smiling bouncing smiley
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
10. August 2023 12:30
Anfang Juli 2023 war es endlich so weit, dass ich mich mit einer Freundesgruppe traf, die nach einem gemeinsame Workshop entstanden war! Bei ihnen hatte ich mich von Anfang an wohl gefühlt. Vielleicht oder gerade weil, zwei der Personen queer sind? Jedenfalls wollte ich mich schon seit langer Zeit bei ihnen outen, aber irgendwie hatte ich jedes Mal dann doch einen Rückzieher gemacht.

Diesmal wollte ich es aber endlich schaffen!

Mann, wenn ich gewusst hätte, was dieser Abend alles so mit sich bringt ...

Wir waren nicht gleich vollzählig, da sich eine Person um 45 min verspäten sollte. Also verinnerlichte ich mein Vorhaben: Beim allgemeinen "wie gehts" würde ich mit "chaotisch" antworten, aber darauf verweisen, dass ich erst dann darauf eingehen würde, wenn alle da sind.

Witzig war, dass es zum ersten Mal keine "wie gehts"-Runde gab ^^ Irgendwie entstand gleich ein Gespräch über den Umzug des (schwulen) Mitglieds unserer Truppe. In diesem Gespräch sind wir dann auch zur Pride-Flagge gekommen (fragt mich nicht, wie das passierte, ich weiß es selbst nicht mehr).

Wir sprachen über sexuelle Orientierungen und die richtige Verwendung von Pronomen, etc. Natürlich blieb ich da eher zurückhaltend, denn wir waren ja noch nicht vollzählig.

Als dann unser letztes Mitglied kam (eine hetero Frau), wartete ich, ob es diesmal zu einer "wie gehts"-Runde kam. Fehlanzeige. Denn sogleich wurde sie auf ihre vergangene 8-wöchige Reise im Ausland angesprochen. Dabei erzählte sie, dass sie nicht alleine unterwegs war. Noch in Gedanken vom vorherigen Gespräch über Pronomen bezeichneten wir ihre Begleitung einfach als "die Person" und recht bald kam heraus, dass sie mit dieser Person auch intim wurde. Als dann endlich gefragt wurde, wie "er" denn so sei, antwortete sie, dass es kein "er" sondern eine "sie" wäre.

Mein erster Gedanke war "Echt jetzt?!" (aber nicht im negativen Sinne ^^)
Die beiden queeren Mitglieder waren aus dem Häuschen und gratulierten. Die Stimmung war total schön und fröhlich - und da erschien das Teufelchen auf meiner Schulter mit der Frage "Willst du diesen schönen Moment jetzt wirklich mit deiner Geschichte zerstören?" Ich war schrecklich verunsichert. Ich überlegte, ob ich eine Weile warten sollte, bis dieses Hochgefühl bei allen abgeflaut war.

Auf einmal kam die eher spaßige Frage, wer nun als nächster mit großen Nachrichten dran käme. Plötzlich sah ich mich aufzeigen. Meine Freunde lachten, weil sie glaubten, ich würde bloß in den Spaß mit einsteigen. Dann zeigte ich ihnen meine Hand, an der kein Ehering mehr war. Sofort wurden alle still.

In einem Atemzug erzählte ich von der Entscheidung der einvernehmlichen Trennung von meiner Frau. Ich erhielt die üblichen Beileidsbekundungen. Diese störten mich so sehr, dass ich sogleich klarstellte, dass ich nicht traurig bin. Ich erzählte von meiner Therapie und den Erkenntnissen und kam dann überraschend schnell und klar zum Punkt, indem ich auf das Thema meiner Vorrednerin zurückkam und erklärte, dass ich mir eingestanden habe, sowohl auf Frauen als auch auf Männern zu stehen.

Und dann war ich bereit die Stille auszuhalten.

Was soll ich sagen? Die Stille hielt nicht lange an, da die beiden queeren Freunde plötzlich zu kreischen begannen, auf einander zeigten und sagten: "Wir wussten es!". Dann gab es ein kollektives Gelächter.

Und von da an war irgendwie alles anders. Besser. Freier. Schöner. Der Abend wurde soooooooooo toll! Ich habe alle anderen Tische um mich ausblenden können, habe frei von der Seele geredet, bin auf zweideutige Witze eingegangen, habe gelacht, habe selber zweideutige Anspielungen gemachte und .... habe mich einfach frei gefühlt.

Am nächsten Tag sagte ich zu meiner Frau folgenden Satz "Ich wusste nicht, wie wundervoll es sich anfühlt, wenn man mit Leuten zusammen ist, bei denen man ganz einfach man selbst sein kann.“

Ich bin nach diesem Treffen wirklich ein neuer Mensch. Wieder ein Stückchen freier und mehr ich selbst.
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
10. August 2023 12:35
Kurze Zeit nach meinem Outing in der Freundesgruppe, wurde auch prompt der Plan vorgeschlagen, eine queere Bar zu besuchen. Was eigentlich eine Tour durch mehrere Bars hätte sein sollen, wurde dann nur ein einziger Barbesuch. Was mich nicht störte, da ich an diesem Abend ohnehin ziemlich angespannt war.

Hier ein kleiner Einblick, wie es mir gegangen ist:

Ich war anfangs toooooootal nervös und angespannt - gut, das war ich die ganze Zeit, ich bin absichtlich mit dem Rücken zum Geschehen gesessen.
Ich wurde vorher sogar bei der U-Bahn Station (vermeintlich) angebaggert - da kam ein leicht angetrunkener Typ, der meinte, dass seine Freunde ihm irgendeinen Standort geschickt hätten und er fragt einfach „möchtest du mich begleiten?“
Ich nur so: „ich muss selber wohin“. Abgesehen davon war ich viel zu nervös wegen dem bevorstehenden Barbesuch, dass ich da sogar Brad Pitt abblitzen hätte lassen.

In der Bar wurde ich bei meinen Leuten mit der Zeit lockerer, war aber nur auf sie konzentriert.
Als ich aufs Klo musste, hab ich extra einen Freund gefragt ob er mich begleitet, weil ich mich alleine nicht getraut hätte.

Ich wurde am Klo 2x als „Schwester“ bezeichnet hahahahaha

Je später es wurde, desto mehr hab ich gemerkt, dass ich mich wohler als in normalen Bars fühle, weil da keine Macho Alpha hetero Typen waren.

Im Grunde waren dort nur Menschen, die selber alle unsicher sind und einfach Leute zum Reden gesucht haben und einen Ort brauchten, wo sie sich wohlfühlen.

Ich weiß auch, dass ich noch einige Zeit brauchen werde, bevor ich auch nur an so was wie Augenkontakt denken kann smiling smiley
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
10. August 2023 12:46
Mein erstes Nicht-Date und mein ersten richtiges Date mit einem Mann:

Vor fast zwei Wochen hat mich der queere Freund aus oben genannter Freundesgruppe zum Filme schauen eingeladen.

Ja, ich weiß, alleine da kommt doch bei jedem gleich "Netflix and chill" in den Kopf. So auch mir. Denn seit unserem Barbesuch ist es ein bisschen komisch zwischen uns. Es gab damals nämlich einige versehentliche(?) aber harmlose Berührungen, die halt ein gewisses Kribbeln in mir ausgelöst haben. Und seither haben sich auch gewisse Fantasien ergeben …

(Anmerkung: besagter Freund hat mir gebeichtet, dass diese Berührungen nicht wirklich versehentlich waren ^^)

An jenem Filmeabend war ich ein nervliches Wrack! Es war zwar amüsant und wir haben wirklich nur Filme geschaut, aber es gab so Berührungen, wie ein Bein auf meinem Oberschenkel, weil das Sofa zu kurz war.
Alleine diese Berührung hat in mir alles mögliche an Gedanken und Emotionen ausgelöst. Ich war gefühlt alle 20 Minuten pinkeln (und normalerweise kann ich stundenlang ohne Klopausen auskommen eye popping smiley ). Ständig hatte ich Herzrasen, mein Organismus schien total überfordert, weil ich die ganze Zeit nicht wusste, was dieser Filmeabend bedeutet? Sollte mehr passieren? Wollte ich, dass mehr passiert? Warum springt mir mein Herz gleich aus der Brust?!

Es war eine emotionale Achterbahn. Dabei saß mein Freund die ganze Zeit unschuldig neben mir und hat nicht mal irgendwelche Andeutungen gemacht oder wirkliche Annäherungsversuche unternommen.
Ganze 8 Stunden war ich bei ihm. Ich hab mich ja trotzdem wohl gefühlt und die Filme haben mir auch gefallen. Ich wusste ja, dass das Chaos in meinem Kopf nur wegen mir da ist und hab versucht, es anzunehmen. Tja, geendet hat das Ganze dann in fürchterlichen Magenkrämpfen - hab ich ja toll hinbekommen ^^

Ich bin daraufhin fluchtartig gegangen. Ich hab ihm angesehen, dass er total irritiert war. Ich konnte das dann auch nicht so stehen lassen und hab zu Hause noch ziemlich lange mit ihm geschrieben und ihm von meinen Komplexen und meinem Misstrauen anderen Männern gegenüber erzählt.

In den folgenden Tagen haben wir dann jeden Tag, rund um die Uhr geschrieben und uns gegenseitig sehr tiefe Einblicke in unsere "seelischen Abgründe" gegeben.

Kurzer Einschub: Er hat mir ein wundervolles Buch geliehen -  "Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums". Normalerweise gehen mir Bücher nicht nahe. Aber in diesem Buch habe ich mich so sehr in den Hauptcharakter (Aristoteles) wiedergefunden, dass es mir Angst gemacht hat. Da war ich nun - 32 Jahre alt und hatte haargenau dieselben Ängste und Sorgen wie ein fünfzehnjähriger (fiktionaler) Junge. Dem gegenüber stand sein Freund (Dante), der so viel lockerer und zufriedener mit sich selbst war. Und auf einmal war es mir zu blöd, ständig Angst zu haben. Sollte ich etwa nochmal 15 Jahre wegen meiner Sexualität bangen und das Leben an mir vorbeiziehen lassen? Nein, danke.

Daraufhin kanalisierte ich meinen inneren Dante und fragte meinen Freund, ob er schon mal daran gedacht hatte, mit mir auf ein Date zu gehen.

(Anmerkung: so einfach ging es natürlich nicht. Ich habe ungefähr 100 verschiedene Entwürfe vorab verfasst und überarbeitet. Die Frage kam dann aber doch spontaner als ich es von mir erwartet hatte.)

Mein Freund sagte ja und dass er schon bei unserem ersten Treffen vor 2 Jahren daran gedacht hatte, aber er halt nicht wusste, ob ich interessiert bin und weil ich zu dem Zeitpunkt ja noch (scheinbar) glücklich verheiratet war.

Wir verabredeten uns für einen Tag (der ursprünglich später angesetzt war). Nichts besonderes, nur spazieren und quatschen.

Ich war aber ungeduldig und rastlos. Noch zwei Wochen warten? Ich wollte nicht so lange warten!
In meinem Kopf entstanden natürlich die wildesten Fantasien, was bei dem Date alles passieren könnte.

Trotzdem wollte ich nicht sooooooo lange darauf warten!!!

Und dann ergab es sich, dass ich schon eine Woche früher Zeit hatte. Ich sagte es ihm, weil auch er schon mehrmals geäußert hatte, dass ihn das Warten störte - und Schwupps! war unser Date vorgeschoben. Ohne wirklichen Plan, weil das Wetter auch in Österreich zu der Zeit seinen eigenen Willen hatte.

Ich war super aufgeregt und fühlte mich aber auch richtig mutig. Ich wusste, dass ich unbedingt einen Kuss haben wollte. Ich nahm mir sogar vor, ihn gleich beim Begrüßen zu küssen, damit das Eis gebrochen ist und wir nicht wie zwei schüchterne Jungs nervös darauf warten, bis es passiert. Ich war mir auch bis kurz vor seiner Haustür sicher, dass es so ablaufen würde.

Tat es aber natürlich nicht ^^

So wie er die Tür öffnete, übermannten mich sämtliche Ängste und Komplexe.
Es war dann anfangs ein sehr konservatives Date smiling bouncing smiley wir spielten Schach. Ja, richtig. SCHACH! grinning smiley

Wir tranken auch ein bisschen Wein und der half zum Glück. Die Tage davor hatten wir über WhatsApp eine sehr ehrliche und offene Kommunikation und der Wein half, diese nun auch ins persönliche Gespräch einzubringen.

Wir fragten uns dann, was wir uns von diesem Abend vorgestellt hatten. Wir waren uns einig, dass wir mit Allem oder auch mit Nichts rechneten.

Ich erzählte ihm, dass ich Schwierigkeiten mit Nähe hatte und dass das bloße Nebeneinandersitzen mich schon aus dem Konzept brachte.
Dann lagen wir auf dem Sofa und er fragte, ob er seinen Kopf an meine Schulter lehnen durfte, was ich bejahte. Irgendwann berührte er meine Hand und nahm sie in seine, weil sie so kalt war (was immer der Fall ist, wenn ich furchtbar nervös und angespannt bin). Es fühlte sich gut an und das sagte ich ihm auch.

Und dann schien der Wein wieder meinen inneren Dante zum Vorschein zu bringen. Was ich plötzlich sagte, war aber alles andere als sexy oder Hollywood-reif eye popping smiley

Ich sagte: "Wollen wir uns in dein Bett legen und uns berühren?“

(Anmerkung: Kurz vorher hatten wir darüber gesprochen, wie sehr wir trotz unserer Ängste körperliche Nähe bräuchten und uns das viel zu selten zugestehen. Daher kam dann meine sehr ungeschickte Frage cool smiley )

Es sorgte für kurzes Kichern. Mein Freund stimmte aber zu.

So, und genau wo es spannend wird, beende ich aber meine Schilderungen und überlasse den Rest der Fantasie.

Das Ergebnis des Ganzen ist jedoch, dass ich richtig viele Knutschflecken am Hals habe und das ist mir furchtbar unangenehm. Besonders, weil ich danach noch mit dem Zug nach Hause fahren musste ... Zum Glück hatte ich einen Hoodie mit Kapuze mit eye rolling smiley

Was ich aber nicht vorenthalten will, ist die anschließende Unterhaltung mit meiner Frau.
Ich war beim Heimweg so überfordert von all den Eindrücken und Erlebnissen, dass ich ihr gleich schreiben musste und ich sie auch wegen der Knutschflecken vorwarnen wollte. Ich hatte ziemlich große Schuldgefühle. Es fühlte sich an, als hätte ich sie betrogen.

Wie durch ein Wunder war sie noch war (es war immerhin schon 23:30) und sie antwortete mir, wie sie es als meine neue beste Freundin eben tat: "Duuuuuuu Luuuuuder!“

Sie meinte, dass sie sich total für mich freute und wollte unbedingt alles wissen.
In der Früh haben wir weitergesprochen. Ich habe mich gewunden, wie ein Regenwurm am Trockenen. Es war so unglaublich seltsam meiner Frau von dem Date zu erzählen. Und sie freute sich ehrlich für mich. Sie sagte, wäre es mit einer anderen Frau passiert, hätte es sie vermutlich schon gestört.
Sie umarmte mich und war wirklich wie eine beste Freundin, die den neuesten Gossip hören will ^^

Mein Fazit zum Date: es war wirklich wunderbar. Und die Fantasie kann noch so aufregend sein, die Realität ist um vieles aufregender smiling smiley
Wir werden uns auch weiterhin treffen, aber ich habe auch klar gesagt, dass ich jetzt keine Beziehung oder andere Verpflichtungen eingehen möchte. Wir wollen das locker angehen und nur mal genießen.
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
27. August 2023 14:21
Hallo BlueHoodie,

wow, da ist aber einiges in deinem Leben passiert! Ich finde es unglaublich toll, wie du von deinen neusten Entwicklungen schreibst, sowohl von den großen Glücksgefühlen als auch von den Zweifeln und Befürchtungen. Danke, dass du das alles mit uns teilst!

Allein beim Lesen kann man dabei richtig mitfühlen. Einiges davon kommt mir selbst sehr bekannt vor (z.B. nicht gut mit körperlicher Nähe klarkommen, aber trotzdem danach suchen). Und auch wenn man auf dem langen Weg noch nicht dort angekommen ist, wo du gerade stehst, ist so eine Geschichte doch immer sehr ermutigend.
Ich wünsche dir, dass diese Dynamik anhält und du weiter deinem inneren "Dante" folgst. smiling smiley
Freue mich schon darauf, bald wieder von dir zu lesen.
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
01. September 2023 11:05
Hallo Eins!

Dein positives Feedback veranlasst mich, ein weiteres kleines Update zu geben.

Nur wenige Tage nachdem ich meine Geschichten hier hochstellt habe, hat mich die Realität eingeholt. Ich war diesen Sommer buchstäblich in Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Ich wollte in nur wenig Zeit alles schaffen: so viele Coming-outs wie möglich, Erfahrungen aller Art und mich selbst in all dem finden.

Tja, und dann war plötzlich mein Urlaub vorbei und der normale Alltag kehrte zurück.

Ich wollte zu viel und zu kurzer Zeit und war dann echt mit allen Eindrücken überfordert.

Ich hab meine Treffen mit dem Freund vorerst beendet, wir pflegen aber weiterhin einen sehr guten Austausch. Ich musste einfach einen Gang zurückschrauben.

Es war ein wunderbarer Sommer. Ich muss mich nicht beeilen oder verpasste Chancen nachholen. Ich habe Zeit. Ich muss mich ja nicht mehr verstecken. Vermutlich hatte ein Teil von mir die Angst, dass ich nur für eine begrenzte Zeit „frei“ bin.
Es ist beruhigend, dass ich nun aber alle Zeit der Welt habe smiling smiley

Liebe Grüße!
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
03. September 2023 11:22
Hallo BlueHoodie,

Deine Geschichte kommt mir vor wie die neueste Serie/Staffel - SOMMER2023 hot smiley

Eine aufregende Reise unterm Regenbogen. Wie das mit so Serien ist, man kann Sie gut portioniert, über einen längern Zeitraum sehen oder an einen Stück. Eine Folge nach der Anderen. Letzteres kostet halt Energie und irgenwann holt einem der Altag wieder ein. Daher, meine Empfehlung, auch wenn das "am Stück gucken/leben" so viel Spass machen kann. Portionsweise schauen/leben.
Ich freue mich schon auf deine nächte Staffel smiling bouncing smiley
Und wie es bei so Serien/Staffeln so ist, bis die nächste Staffel kommt, dauer es für die "Herstellung" etwas. cool smiley

GLG Maks
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
19. Oktober 2023 20:48
Ein neues Kapitel: Dating Apps

Halleluja, was habe ich gegrübelt, endlos lang nachgedacht, hin und her überlegt. Ich wollte unbedingt neue Kontakte knüpfen. Neue Leute kennenlernen. Mehr Menschen wie mich treffen.
Nun, das waren mal die Grundgedanken.
Für manch einen ist der Schritt in den AppStore leicht - nicht für mich. Nein, warum soll auch etwas leicht sein? Eine App runterladen, kein Problem - Solitär, Kalorienzähler, … alles kein Problem. Dating App? Plötzlich sind meine Finger aus Stein und sie halten das Handy vor sich, wie eine Statue aus der Antike.

Bin ich dafür wirklich bereit?
Will ich das überhaupt? Jeder weiß doch, wie es auf solchen Apps zugeht.
Was, wenn ich dort jemanden finde, den ich kenne?
Was, wenn mich jemand dort wiedererkennt und es in der Arbeit herumerzählt?
Und welche App soll ich nehmen?
2 Wochen vergingen und viele neue Fragen waren dazu gekommen. Erfahrungsberichte aus dem Internet waren wie erwartet allesamt negativ - Abzocke, Fakeprofile, zu wenig Matches, Matches nur mit kostenpflichtigen Abos möglich, … die Liste der Gründe, die gegen online Dating sprach, wurde länger und länger.

Ich suchte auch nach anderen Möglichkeiten, queere Leute kennenzulernen. Aber leider gibt das Internet kaum etwas her. Ein paar Workshops, das war’s.
Ein paar Vereine boten Treffen an, jedoch wirkten die schon total eingesessen und ich wollte nicht als auffälliger Neuling dort reinschneien.

Ich kam wieder auf die Apps zurück. Inzwischen schaffte ich es schon in den AppStore. Aber installieren brachte ich nicht über mich.

Und dann reichte es einer Arbeitskollegin von mir und sie schnappte sich mein Handy. Schwups, hatte ich eine Dating App am Handy.
Während sie alles eingerichtet hat, starb ich tausend Tode! Als würde sich ein richtig dicker Brocken durch meine Eingeweide winden.
Ich bekam das Handy zurück und sollte nun swipen. Männer nach ihrem Aussehen und ein paar wenigen Infos beurteilen. Nein, das kann ich nicht!
Ich legte das Handy immer wieder weg. Dann nahm ich es wieder, legte es wieder weg. Nahm es, legte es weg.

Der erste Weg-Swipe war furchtbar. Ich fühlte mich, als hätte ich einem fremden Menschen gerade ins Gesicht gesagt „du bist nicht schön genug!“
Das ist doch totaler Schwachsinn! Was mache ich hier?!
Die Männer werden alle dasselbe mit meinem Foto machen. Wegswipen und meinen Selbstwert wieder vernichten,

Ich könnte mich auch auf andere Art und Weise foltern. Auswahl gäbe es genug. Ein Peitschenhieb ist sicher angenehmer, als auf einer Dating App zu verweilen.

Irgendwann gewinnt das swipen aber eine Eigendynamik. Furchtbar, wie schnell man dabei abstumpft. Man fällt in eine Art Rausch. Links, rechts, links, links, links, rechts, …

Die App wurde schnell langweilig. Es kamen zwar likes, aber keiner der Männer sprach mich optisch an.
Schrecklich, wie schnell einen die Oberflächlichkeit einnimmt.

Am Abend war ich so abgestumpft, dass ich eine zweite App installierte. Sie war gleich viel sympathischer und die Auswahl an Männern war um vieles besser. Ich swipte und swipte. Durch detaillierte Infos zu den Profilen gelang es mir sogar von der Oberflächlichkeit wegzukommen und konnte mich auch durch gemeinsame Interessen und Hobbys zum Rechts swipen bewegen!

Es war wie ein Spiel.

Tja, am nächsten Morgen erlebte ich mein blaues Wunder.
Match. Noch ein Match, noch ein Match, …
Ich verstand die Welt nicht mehr. Wer sollte sich für mich denn wirklich entscheiden?!?!

An dieser Stelle verläuft meine Online Dating Erfahrung in eine komplett andere Richtung. Und ich weiß, dass es nicht der Norm entspricht, dass wirklich jedes Match total sympathisch ist und auch tiefgründige Gespräche mit sich führen lässt. Oberflächlichkeit? Keine Spur. Jeder von ihnen erzählt mir, dass sie eigentlich eher ungute Erfahrungen machen.
Ich musste unglaubliches Glück haben. Standen die Sterne in einer Reihe? Wollte es das Schicksal einfach mal gut mit mir?
Die Antworten auf diese Fragen werden noch kommen.

Jedenfalls hat sich bereits ein Kaffee-Date ergeben, aber dazu folgt in kürze mehr smiling smiley
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
21. Oktober 2023 19:28
Das Kaffee-Date bzw. mein erstes Date überhaupt

Es hat doch etwas ziemlich Ironisches, dass ich nach so langer Zeit als Möchte-gern-Hetero mein allererstes Date dann doch mit einem Mann hatte. Meine Frau hatte ich damals in der Schule kennengelernt und da hatte es kein wirkliches Date gegeben. Bloß eine wilde Knutscherei im Keller bei den Spinden ... aber diese Geschichte würde wohl in ein anderes Forum gehören ^^

Nun gut. Mein erstes Date ...

Ich muss hier anmerken, dass ich ein absolut großes Problem mit Spontanität habe. Da bekomme ich innere Krämpfe. Das ist in etwa dasselbe Gefühl, wie wenn jemand mit Fingernägeln an einer Tafel kratzt. Ja, Spontanität ist fast körperlicher Schmerz, weil ich muss doch bitte mindestens 1 Woche im Vorhinein informiert werden, wenn etwas ansteht und selbst dann ist nicht sicher, ob ich zu diesem Zeitpunkt auch wirklich Lust habe ...
Gut, damit wäre also geklärt, dass ich sowas von nicht spontan bin.

Kurzer Ausflug zurück zur Dating App.

Ich schrieb bereits mit einem sehr netten Typen, der, wie sich herausstellte, ebenfalls bi ist und das fand ich natürlich gleich noch interessanter. Wir schrieben und irgendwann meinte er dann, ob wir uns nicht treffen wollten? Ein Glück schlug er Samstag vor, also 6 Tage Zeit sich darauf vorzubereiten, damit konnte ich leben. Ich willigte ein und prompt hatten wir einen Ort und einen Plan.

Keine zehn Minuten später bekomme ich eine neue Nachricht in der App. Es war ein anderer, den ich sogar zuerst angeschrieben hatte. Da von ihm bis zum Abend keine Antwort gekommen war, hatte ich schon mit ihm abgeschlossen. Und plötzlich ergab sich eine weitere Unterhaltung. Er war witzig, klug und hatte etwas an sich, das ich so noch nicht kannte. Plötzlich sagt er, er möchte mich unbedingt kennenlernen, hätte aber nur am nächsten Tag Zeit, da er dann beruflich für eine Woche wegmusste.
Ehe ich mich versah, hatte ich zugesagt

Wie bitte?! Ich hatte zugesagt?! FÜR DEN NÄCHSTEN TAG?!?!?!?!?!?!?

Wie hatte er es geschafft, dass ich SPONTAN zusage?
Das löste Herzklopfen in mir aus. Und zwar ein so intensives, dass es bis zum nächsten Tag anhielt. Ich konnte nicht schlafen, wälzte mich die ganze Nacht im Bett. Gefangen zwischen Panik und Vorfreude.
Es hörte nicht auf. BUMM, BUMM, BUMM!!!
Ich konnte nicht essen. Ich hatte absolut keinen Hunger. Das ist total gegen meine Natur. Ich kann immer essen. IMMER. Nur nicht an diesem Tag. An diesem Tag, wo mein Herz beinahe aus meiner Brust heraussprang.
Ich versuchte in mich hineinzufühlen. Da war nämlich keine Panik im Sinne von: "Ich will das nicht". Sondern eher: "Oh, Gott! Ich mach das wirklich!"

Am Vormittag schrieben wir nochmal, da wir noch ein Lokal finden mussten. Er schlug vor, einen Kaffee zu trinken. Ich sagte zu, auch wenn ich gar kein Kaffee-Trinker war. Und dann schaffte er etwas, was ich wieder nicht verstand: er brachte mich dazu, ein Café auszusuchen. Ich suche NIE etwas aus, weil ich mich immer nach den anderen richte. Und wenn ich dann mal was vorschlage, dann nur ein Lokal, das ich bereits kenne - in dem ich mich AUSKENNE.

Und so suchte ich ein Café heraus, das ich nicht kannte, was mir normalerweise Angst bereitete. Gut, keine Grusel-Angst, sondern eine "Angst vor neuen Dingen"-Angst.

Je näher das Treffen kam, desto wilder schlug mein Herz. Es schrie mir nun zu: "Hey, du triffst dich jetzt mit einem anderen Mann. MIT - EINEM - MANN!!!"
Da begriff ich auf einmal, warum mein Körper so verrückt spielte. Es war nicht bloß Aufregung. Es war Verwirrung. All die Jahre hatte ich mir nicht erlaubt, andere Männer anzuschauen; hatte mir ausgeredet, dass ich Männer attraktiv finde; hatte verinnerlicht, dass Homosexualität nicht normal ist; und vieles mehr.

Na, ist doch klar, dass sich mein Körper und mein Kopf nicht auskennen!!! Mein Kopf denkt an das Treffen und mein Körper reagiert mit der einzig ihm bekannten Methode: mit Stress. DAS IST NICHT IN ORDNUNG! ODER DOCH? DAS IST FALSCH! ODER NICHT? DAS IST NICHT NORMAL! ODER DOCH?

Trotz dieses inneren Chaos begab ich mich zu dem Treffen. Kurzzeitig schloss ich nicht aus, mich übergeben zu müssen.

Noch 6 Minuten entfernt.

Ich gehe durch die belebten Straßen. Was wenn die Leute jetzt wüssten, dass ich mich gleich mit einem Mann treffe. MIT EINEM MANN!!!!
Irgendwie fühle ich mich ausgeschlossen von der Menschenmenge. Ich gehöre nicht dazu. Aber ich habe dennoch ein Ziel vor Augen. Und das betrifft die anderen Menschen gar nicht. Sie wissen nicht, wohin ich gehe und es interessiert sie auch nicht. Und mich interessiert plötzlich nicht, was sie denken könnten.

Noch 2 Minuten.

Natürlich setzen jetzt andere Gedanken ein: Was, wenn er mich sieht und enttäuscht ist? Was, wenn wir kein Gesprächsthema finden? Was, wenn er mich langweilig findet? Was, wenn ich ihn langweilig finde?

Ankunft vor dem Café.
Er wartet davor. Er sieht anders als auf seinem Profilfoto aus. Besser. Echter.
Ich komme mir blöd dabei vor - aber nur, weil ich keine Ahnung habe, ob man sich zur Begrüßung die Hand gibt, nur winkt oder ...salutiert?!
Er übernimmt die Initiative und umarmt mich flüchtig.
Mein erster Instinkt: zu viel Körperkontakt! Und doch bin ich froh, dass er bei der Begrüßung die Führung übernommen hat und kein peinlicher Moment entstanden ist.

Wir betreten das Café.
Und dann haben wir 1 1/2 Stunden nur geplaudert. Das Herzklopfen verschwand rasch. Die Unterhaltung wirkte harmonisch, nicht gezwungen. Ich hörte mich im Café Sachen wie "bisexuell" sagen, ohne innerlich zusammenzukrampfen. Mir war zum ersten Mal egal, ob jemand mithörte, denn vor mir saß jemand, der mich verstand, der mich nicht verurteilte, der ehrlich interessiert schien. Und er war halt zufällig ein Mann.

Das Treffen war total angenehm und wir waren uns beide einig, dass wir uns wieder treffen werden.

Anschließend war ich körperlich fix und fertig. Und unglaublich hungrig ^^

Das war als mein erstes Date mit einem Mann.

Achja, das Treffen mit dem anderen Typen kam leider nicht zustande, da er krank wurde.

Mal schauen, wie es weitergeht smiling smiley
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
27. Oktober 2023 08:33
Lieber BlueHoodie,

ich fühle mich bei deiner Erzählung zum ersten Date gerade 40 Jahre zurückversetzt und heute kann ich wirklich richtig darüber schmunzeln.
Damals gab es noch keine Dating-App, aber die Münchner Stadtzeitung mit einigen Inseraten. Da ging dann alles noch über Briefe :-D
Dann kam das Internet und man konnte nun schon chatten. Da hatte ich ein weiteres sehr einprägsames Erlebnis. Das Date von damals ist heute noch ein sehr guter Freund von mir und meiner Frau. Wir treffen ihn dann mal gelegentlich in Köln, wenn wir dort sind.
Den Start von gayromeo und die weitere Entwicklung habe ich auch miterlebt. Da gab es einige schöne und viele unschöne Erfahrungen.
Vor knapp vier Jahren habe ich über gr aber einen lieben jungen Mann kennengelernt, der seitdem mein bester Freund ist. Wir haben eine sehr vertrauensvolle Freundschaft über den Sex hinaus. Selbst meine Frau mag ihn von seinem Wesen her sehr und aktuell arbeiten wir bei Renovierungsarbeiten zu dritt sehr gut zusammen.
Es gibt sie tatsächlich, die Stecknadel im Heuhafen, auch auf Dating-Apps.
Da wünsche ich dir viel Glück bei deinen Dates und dass du da richtig liebe Menschen kennenlernst. Stelle dich aber auch auf richtige Faker ein und lasse diese gar nicht erst zu nah an dich ran.
Nach ein paar unverbindlichen Treffen zum Kaffee, zum Spaziergang oder mal in die Disco hast du schnell erkannt, wer dir guttut und wer nicht.
Ich freue mich auf deine weiteren Posts.
Alles Gute und viele angenehme Erlebnisse.

liebe Grüße
Tom
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
24. Dezember 2023 08:42
Ein Jahr ist um.

Es fühlt sich an, als hätte ich alleine in diesem Jahr mehr Angst, Mut und Entwicklungen durchgemacht, als in den Jahren zuvor.
Und ich bin unendlich stolz darauf!

Gleichzeitig bin ich frustriert, weil ich meinen Mut und das daraus resultierende, wundervolle Lebensgefühl am liebsten allen verzweifelten, unglücklichen, hoffnungslosen, traurigen Menschen in diesem Forum und auch außerhalb übertragen möchte!
Letztes Jahr dachte ich wirklich, es würde ein langer, harter, steiniger Weg werden. Intensiv war es allemal. Aber es war es auch wert.

Ich möchte so gerne jedem die Kraft mitgeben, sein Leben nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen zu leben! Ja, das ist immer mit unmöglich scheinenden Hürden verknüpft und zu oft fragt man sich, warum man so viel Mühe aufwenden soll?!

Es sollte reichen, dass du es dir selbst wert bist! Du bist es wert! Du bist wertvoll! Du bist besonders! Du bist einzigartig und zwar auf die beste Art und Weise!

Auch wenn du am Boden liegst und das Gefühl hast, die ganze Welt würde dich mit Füßen treten. Es gibt Hände, die dir aufhelfen wollen. Sei mutig, nimm sie an. Nutze die Erfahrung, die du am Boden gemacht hast. Auch wenn sie dich furchtbar verletzt und geschwächt hat, es hat dich dennoch stärker gemacht.

Ich weiß, ich klinge vermutlich wie ein Regenbogen spuckender Irrer, aber ich meine es ernst.

Ich schicke euch meinen Mut und meine Zuversicht, dass ihr zu allem fähig seid, wovor ihr Angst habt!

Frohe Weihnachten smiling smiley
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
01. Januar 2024 20:58
Lieber BlueHoodie,

das war wirklich eine sehr schöne und ermutigende Weihnachtsbotschaft. Mit wenigen Worten hast du alles Wichtige auf den Punkt gebracht. Dein weiterer Beitrag unter Coming Out ist eine passende Ergänzung.
Ich gratuliere dir zu dem vergangenen Jahr mit den erreichten persönlichen Erfolgen.
Es ist tatsächlich so, dass jeder Mensch seinen Selbstwert hat. Nur lassen sich manche diesen Selbstwert von außen, von anderen bestimmen oder beeinträchtigen.
Die Frage ist tatsächlich nicht die, wem ich gefallen oder entsprechen muss (außer natürlich den heutigen rechtlichen Vorgaben), sondern wer mich mit meinem Wesen, meiner Veranlagung, meinem Ich und Selbstwert akzeptiert und liebt. Nicht ich muss wider meine Natur leben, sondern es liegt an meiner Umgebung, wie sie auf mein Leben reagiert.
Und da wäre es für mich wider die Natur, wenn Eltern deswegen ihre Kinder verstießen, gute Freunde plötzlich brächen. Denn wahre Liebe ist tatsächlich stärker.
Natürlich muss man den Eltern, der Umgebung auch zugestehen, dass sie neue Situationen vielleicht erst einmal "verdauen" müssen und vielleicht auch ein wenig Zeit zur Selbstreflexion benötigen. Aber wenn wir von uns aus nicht die Brücken zu ihnen abbrechen, können wir darauf vertrauen, dass alle uns zugetane Menschen über diese Brücke wieder zu uns finden. Ich wünsche dir und allen dieses Vertrauen und eine weitere Stärkung deines/ihres Selbstwertgefühls.
Auf ein gutes, erfolgreiches Jahr 2024!
Re: Bisexuell - schlauer, aber verwirrter denn je …
26. März 2024 05:58
Jedes Mal wenn ich einen Beitrag verfasse, denke ich "Jetzt hab ich den Dreh raus!" - jetzt bin ich Experte in diesem neuen Leben, für das ich mich entschieden hab. Tja, ich bin gespannt, wie es bei meinem Beitrag nach diesem aussehen wird, denn wieder mal glaube ich zu wissen wie der Hase läuft.

Gehen wir nochmal zum Beitrag von meinem ersten Date zurück.
1. den Typen vom Café-Date habe ich nicht mehr getroffen.
2. der Typ, der krank wurde und unser Date absagte, hingegen würde in den nächsten Monaten eine große Rolle spielen.

Zuerst noch mehr Kontext:
Nach dem Café-Date sah ich mich plötzlich mit 5 sehr sympathischen Männern schreiben und jeder von ihnen hatte etwas anziehendes. Als ich dann aber jenen traf, der vor dem ersten Date krank wurde, spürte ich sofort eine spezielle Anziehung. Er redete sehr viel und sehr gerne. Normalerweise habe ich keine Geduld für sowas, aber bei ihm war es genau umgekehrt. Stundenlang konnte ich ihm zuhören. Dabei war er Lehrer in genau jenen zwei Fächern, die ich absolut langweilig fand und trotzdem klebte ich an seinen Lippen, während er begeistert davon berichtete. Ich wusste recht schnell, dass ich ihn aus diesen 5 Männern als den "Einen" erwähle. Nicht, weil ich schon unsere gemeinsame Zukunft plante, sondern, weil ich mich nur auf eine Person konzentrieren konnte.

Sehr noble Einstellung, nicht wahr? Mein innerer People Pleaser empfand das anders. Sich für einen zu entscheiden, bedeutete, 4 anderen (womöglich) wehzutun. Nun, einer nahm sich selbst aus der Rechnung, da er plötzlich nicht mehr schrieb. Ich hatte große Angst, die anderen 3 zu enttäuschen, aber ich nahm meinen Mut zusammen, weil es einfach der Anstand verlangte und überbrachte jedem die Nachricht. Und siehe da, meine Aufrichtigkeit wurde belohnt. Jeder von ihnen schätzte meine Ehrlichkeit und so gingen wir mit freundlichen Worten wieder getrennte Wege. Bis auf einen, bei dem sich inzwischen eine Freundschaft entwickelt hat smiling smiley

Zurück zu dem "Einen".
Ich hatte doch von meiner Schwierigkeit in Bezug auf Spontanität erzählt. Tja, die war auf einmal gänzlich verschwunden. Auf einmal trafen wir uns jeden zweiten Tag, stets spontan, stets um Uhrzeiten, zu denen ich für gewöhnlich nicht mehr aus dem Haus ging, besonders unter der Woche. Aber das war plötzlich egal. Ich hatte so viel Energie, trotz regelmäßigen Schlafmangels. Die Aufregung, die Spannung, die Schmetterlinge im Bauch - als das entzündete ein Feuer in mir. Wenn ich mit dem "Einen" zusammen war, schien er mich aus allen meinen Komfortzonen zu holen. Er entfachte nicht nur Feuer in mir sondern auch Mut. Es war unbeschreiblich.

Es war in der ersten Zeit wirklich magisch. Aber dann ...
... dann holte mich mein früheres Beziehungsmuster ein - obwohl wir keine Beziehung hatten und ich auch gar keine Beziehung wollte.
Sorgenvoll schaute ich auf mein Handy - wann würde endlich wieder eine Antwort kommen?
Jedes Handyvibrieren löste Herzklopfen und Schweißausbrüche aus. Und Unmut, wenn es keine Nachricht von ihm war.
Wenn wir uns trafen, war ich ihm Hoch, wenn wir auseinander waren, fiel ich in ein Tief.

Dieses emotionale Auf und Ab entzog mir jene Energie, die zuvor grenzenlos schien. Und auch die Treffen wurden von Mal zu Mal ein bisschen anders. Ich spürte, dass es so nicht ablaufen sollte. Es sollte nicht mühsam und kräftezehrend sein. Und es lag nicht an ihm, sondern an mir.

Vor einem Monat beendeten wir unsere Treffen und ich hatte einen Entschluss getroffen: die nächsten 6 Monate gehören nur mir. Keine Dates, keine Liebeleien. Nichts. Denn da gibt es noch jemanden, dem ich jetzt Zeit und Aufmerksamkeit schenken möchte: mir selbst.
Wer bin ich alleine ohne zweite Person?
Was gefällt mir nur für mich alleine?
Was möchte ich für mich selbst erleben?

Nach meinem Coming-Out wollte ich viele Erfahrungen machen (oder nachholen?). Doch ich hatte noch gar keine Zeit, mich selbst in diesem neuen Leben kennenzulernen. Dafür möchte ich mir jetzt Zeit nehmen.
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