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Schon früh geahnt - nur nicht von mir

geschrieben von FlorianW 
Schon früh geahnt - nur nicht von mir
24. Juni 2022 18:36
Hallo Zusammen,

meine Geschichte ist im Grunde schnell erzählt:

Ich bin Mitte 40, seit über 20 Jahren verheiratet, 3 Kinder kurz vor dem Schulabschluss.

Geahnt habe ich, daß ich auf Männer stehe, schon mit 13 oder 14 (hab's damals allerdings nicht ernst genommen, bzw. gedacht, daß man sich das doch aussuchen könne).
1. Freundin+ 1. Sex.
2. Freundin+Zukunftspläne (Kinder, Haus, etc.)

Kurz bevor wir zusammenzogen, habe ich mich das erste Mal heftigst in einen Kerl verliebt (ganz großes Drama), aber ich bzw. wir hatten ja schon feste Vorstellungen wie es laufen sollte.

Tja, Hochzeit in weiß (ich bin nunmal rheinisch-katholisch), die Kinder kamen, Leidenschaft ging, Haus kam, Sehnsucht kam.

Als die Mutter meiner Kinder dann verkündete, sich beruflich nochmal völlig verändern zu wollen, hielt ich es für sinnvoll, ihr zu sagen, daß sie mich dabei bitte nicht mehr berücksichtigen soll. Wir haben es noch ein paar Monate im gleichen Haus versucht, bis sie mich gebeten hat auszuziehen.

Die Situation jetzt: Merkwürdig. Und perspektivlos. Mir fehlen für etliche Herausforderungen im Moment, tatsächlich die Ideen für eine Lösung.

Die Kinder wissen Bescheid, meine Familie weiß Bescheid, ihre Familie weiß Bescheid, wem sie es noch erzählt hat, weiß ich nicht (und im Grunde interessiert es mich auch nicht), meine besten Freunde wissen es.

Im Großen und Ganzen hat mich das Tempo, mit dem wir uns jetzt getrennt haben, am Ende überrollt. In den letzten Monaten ist einiges einfach an mir vorbeigerauscht ist und mir ist auch entglitten, ohne, daß ich eine Chance hatte es festzuhalten.

Lediglich drei Begebenheiten sind mir immer noch sehr präsent:

Zum einen habe ich nie, so intensive, so nahe Gespräche mit der Mutter meiner Kinder geführt, wie in den Wochen zwischen meinem Outing und meinem Auszug.

Zum anderen scheint es in meiner Familie jeder schon seit Jahrzehnten gewusst zu haben. Meine Mutter kommentierte die Mitteilung "ich steh auf Männer und wir haben uns getrennt" mit "ich hab's befürchtet" und meine Tante meinte "das haben wir doch geahnt; das haben wir deinem Vater schon angedeutet, als du noch im Kindergarten warst".

Meine Kindergarten- und Schulzeit war nicht die Hölle, aber ich hätte es mir anders gewünscht. Wobei "anders" das entscheidende Wort ist. Ich war einfach "anders" als andere Jungen. In eine "normale" Jungenclique jener Zeit, war ich kaum integrierbar, hatte also immer nur einzelne Freunde und blieb viel für mich.
Das ist übrigens bis heute so. Zwar bin ich sozial durchaus "kompatibel", aber mit den meisten Männerrunden, die mir begegnet sind, habe ich schlicht wenig zu reden.

Im Moment versuche ich mich mit Arbeit und anderen Projekten abzulenken, damit ich nicht allzuviel grübele. Mit mäßigem Erfolg, aber es muss ja irgendwie weitergehen.

Viele Grüße

Flo
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
25. Juni 2022 09:26
Hallo Flo,

schön, dass Du hierher gefunden hast und den Mut hattest, Deine Geschichte mit uns zu teilen. Das ist oft alles andere als leicht.

„… bzw. gedacht, daß man sich das doch aussuchen könne).“

Hm, dass man sich seine sexuelle Orientierung aussuchen könnte, das würde ich einmal sehr bezweifeln. Wir Menschen mögen zwar grundsätzlich bisexuell veranlagt sein, doch wird es immer eine klare sexuelle Orientierung geben. Tatsache jedoch ist, dass wir durch unsere Umfeld geprägt und beeinflusst werden, was uns oft von uns wegführt, von dem was wir wirklich sind.

Mir ging es ähnlich und mir ist auch erst mit 46 meine tatsächliche sexuelle Orientierung bewusst geworden und konnte sie dann auch sehr schnell akzeptieren, obwohl ich oft genug hin- und hergerissen war. Hetero zu leben ist eindeutig leichter in dieser Gesellschaft.

„… wir hatten ja schon feste Vorstellungen wie es laufen sollte.“

Ja, das ist oft. Die Vorstellungen im Kopf sind da und die Stimme des Herzens wird auf stumm geschalten, ebenso wie das Bauchgefühl ignoriert wird. Man passt sich wunderbar in das Klischee der Gesellschaft ein. So muss es sein und so wird es auch gemacht.

„Die Situation jetzt: Merkwürdig. Und perspektivlos. Mir fehlen für etliche Herausforderungen im Moment, tatsächlich die Ideen für eine Lösung.“

Das ist durchaus nachvollziehbar. Dein ganzes Leben ist zusammengebrochen und liegt als Scherbenhaufen vor Deinen Füssen. Aus meiner Sicht ist jetzt für Dich das wichtigste, Dir selbst die Zeit zu nehmen und zu Dir selbst zu kommen. Du wirst den Weg in Dein eigenes Inneres gehen müssen um dort danach zu suchen, wer und was Du wirklich bist. Dir darüber klar zu werden, was Du vom Herzen her wirklich leben willst. Das ist kein einfacher Weg, doch er ist not-wendig.

„Im Großen und Ganzen hat mich das Tempo, mit dem wir uns jetzt getrennt haben, am Ende überrollt. In den letzten Monaten ist einiges einfach an mir vorbeigerauscht ist und mir ist auch entglitten, ohne, daß ich eine Chance hatte es festzuhalten.“

Du warst bisher in dem Glauben, dass Du Dein Leben fest im Griff und unter Kontrolle hast. Jetzt kam ein Tsunami und hat alles weggespült. Die grosse Reinigung. Jetzt wirst Du lernen müssen, dem Leben und Deiner inneren Führung zu vertrauen und das geht nur, wenn Du den Weg in Dein Inneres gehst. Vermeide es zu versuchen Dein Leben wieder in den Griff zu bekommen und wieder zu kontrollieren. Das wird scheitern. Geh jeden Tag Schritt für Schritt. Versuche Pläne zu machen, doch lass offen, ob sie sich auch umsetzen lassen. Ich weiss sehr gut, was ich Dir hier schreibe, den ich schreibe aus meiner Erfahrung heraus.

Es ist oft so, dass andere im Umfeld sehr wohl die sexuelle Orientierung bereits erkannt haben - nur man selbst hat sie übersehen. Rückblickend war das auch bei mir so. Da gab es sogar Äusserungen in diese Richtung, doch wurde mir nie bewusst, das sie auf mich bezogen waren.

Für mich war die Schulzeit die Hölle und ich war anders. Für mich war das ein Überlebenskampf. Ich war der Aussenseiter, der Einzelgänger und habe versucht mir eine harte Schale zuzulegen, doch manchmal hat man keine Kontrolle mehr über sich und die tiefen Verletzungen brechen einfach aus einem heraus. Ich wurde Situationen ausgesetzt, wo mir vor der ganzen Klasse die Tränen kamen und dafür wurde ich dann auch noch verspottet. Niemand, der das selbst nie erlebt hat, kann nachvollziehen, was das mit einem macht.

„Im Moment versuche ich mich mit Arbeit und anderen Projekten abzulenken, damit ich nicht allzuviel grübele. Mit mäßigem Erfolg, aber es muss ja irgendwie weitergehen.“

Das wird oft gemacht und man nennt es Kompensation. Wichtig ist, dass man sich die Zeit nimmt um über alles nachzudenken. Wichtig ist jedoch auch, dass man versucht sich in eine neue positive Richtung zu bewegen, dass man an seinem Selbstwert arbeitet, Pläne für die Zukunft schmiedet, sonst wird man depressiv und fällt in ein tiefes Loch, das einen nur noch runterzieht. Das habe ich selbst oft genug erlebt und ist verdammt schwer, da wieder herauszukommen.

Ich wünsche Dir die Kraft, diese anspruchsvolle Zeit durchzustehen. Diese Kraft dazu ist in Dir, so wie auch unsere Göttlichkeit in unserem Herzen ist. Ein Quelle der Liebe und unerschöpflichen Kraft.

Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.
Die Veränderung beginnt bei mir selbst.
Liebe ist meine Rebellion.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
25. Juni 2022 09:41
Hallo Wolf,

in meiner Jugend spielte die sexuelle Orientierung überhaupt keine Rolle! Eine Feststellung der eigenen Bedürfnisse - sprich ein "Coming Out" schien völlig überflüssig. Man fand seinen Lebensgefährten und gut war. Ich hatte einfach unterschätzt, daß diese Wahl nicht mehr so einfach zu revidieren ist und es eine "entscheidende" Situation geben würde, die die Weichen für den Rest des Lebens stellen würde.

Die Idee von sexuellen Beziehungen zu Männern trage ich seit meiner Teenagerzeit mit mir herum, aber daß es sich bei diesen Sehnsüchten nicht nur um etwas handelt wie die Frage, welchen Film man als nächstes im Kino schauen will, hat mir dann irgendwann die Luft genommen.

Depressive Phasen habe ich einige hinter mir und ich gehe davon aus, daß da auch noch weitere kommen würden.

Im Moment bin ich froh, daß ich meinen Alltag verhältnismäßig souverän meistern kann.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
25. Juni 2022 13:58
Hallo Flo,

Danke für Deine Rückmeldung.

„in meiner Jugend spielte die sexuelle Orientierung überhaupt keine Rolle!“

Das kann ich gut verstehen, da es mir auch so ging. Ich wollte immer einen richtigen Freund, wobei es mir nie um Sex ging. Doch ergeben hat sich nie etwas. Mit Frauen allerdings ebensowenig.

„Ich hatte einfach unterschätzt, daß diese Wahl nicht mehr so einfach zu revidieren ist und es eine "entscheidende" Situation geben würde, die die Weichen für den Rest des Lebens stellen würde.“

Das sehe ich allerdings ähnlich. immerhin hat sich aus dieser Wahl auch etwas ergeben, wie Kinder und eine doch lange Zeit in der man sein Leben entwickelt und etwas aufgebaut hat.

Ich habe in meiner Zeit, als ich noch aktiv in der Szene unterwegs war einige Männer kennengelernt, die verheiratet war und Kinder hatten, bis sie merkten, dass da noch etwas anderes ist. immerhin haben es einige geschafft zu einem männlichen Partner zu kommen. Nur eben auf die Jahre gesehen, wenig glücklich. Es gab in dieser Zeit einige Beziehungen - trotz Trauschein - die zerbrochen sind. Ausserdem habe ich genug Schilderungen von Männern gesehen, die mit einer Frau verheiratet waren und sich darüber beklagt haben, dass sie von schwulen Männern abgelehnt wurden.

„Die Idee von sexuellen Beziehungen zu Männern trage ich seit meiner Teenagerzeit mit mir herum, aber daß es sich bei diesen Sehnsüchten nicht nur um etwas handelt wie die Frage, welchen Film man als nächstes im Kino schauen will, hat mir dann irgendwann die Luft genommen.“

Ja sicher, diese Sehn-sucht ist etwas, das in weiter Ferne ist und nach dem man süchtig ist. Es ist etwas in einem, das gelebt werden will und man hat keine Chance es zu verdrängen, weil es immer wieder auf den Bildschirm ploppt. Man könnte sich Schwulenpornos ansehen so viel und oft man will, das wird nie das ersetzen, wonach man sich sehnt. Abgesehen davon, welche negativen Auswirkungen ein solcher Pornokonsum nach sich zieht.

Depressive Phasen hat man immer nur dann, wenn man von seinem Lebensplan abkommt, wenn man sich weigert das anzuerkennen, was in einem nach Erfüllung drängt, wenn man gegen seine eigenen Bedürfnisse verstösst.

Die Kompensation ist zweifelsfrei hilfreich um seinen Alltag bewältigen zu können, doch wenn sie zum Dauerzustand wird und das was gelebt werden will ausbleibt, kann es auch zu Krankheiten führen und das wäre dann die schlechte Lösung.

Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.
Die Veränderung beginnt bei mir selbst.
Liebe ist meine Rebellion.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
04. Juli 2022 10:37
Überwältigt. Fasziniert. Blockiert.

Ich denke, so kann ich meine Eindrücke vom CSD - Danke an Maks und alle anderen, die dabei waren - am ehesten zusammenfassen.

Es war eine Lawine an Bildern, teilweise faszinierend, teilweise auch abschreckend (und für kurze Momente nicht ganz Herr meiner Sinne zu sein hatte ich in dieser Form auch schon Jahrzehnte nicht mehr - wobei "peinlich" in diesem Kontext ohnehin ein völlig deplacierter Begriff sein dürfte).

Aber ich kann mich in diese Welt nicht wirklich reindenken. Es war für mich jetzt eher ein Schaufenster an dem man sich wünschend und sehnend in der Vorweihnachtszeit die Nase platt drückt, denn eine Tür, durch die man hindurchgeht.

Die schiere Menge an Menschen, löste bei mir wohl eher eine Irritation aus wie bei Fischschwärmen, die durch ihre Formation Haie davon ablenken können, sich ein bestimmtes Opfer zu fixieren und zu schnappen. Ich kriege die Bilder immer noch nicht sortiert, einiges überlagert sich wie bei den Doppelbelichtungen in der grauen Vorzeit der Photographie.

Mir ist tatsächlich schwindelig und einen klaren Gedanken zu fassen, fühlt sich fast unmöglich an.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
06. Juli 2022 20:23
Hallo Florian,

immerhin bis Du zum CSD gekommen.

Ich habe mich darüber gefreud. So konntest Du auch meine "Mitstreiter" kennen lernen.
Auch wenn es dich etwas überwältigt, fasziniert und blockiet hat. Beim nächsten Mal wird es nicht mehr ganz so heftig. Dafür vielleicht anders. Freue dich auf den Weg der noch vor Dir liegt.

So ein CSD ist schon anstrengend. Ich brauchte auch noch den Montag um wieder im Altag anzukommen. Wie früher.

GLG Maks
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
06. Juli 2022 20:55
Maks schrieb:
-------------------------------------------------------
> Hallo Florian,
>
> immerhin bis Du zum CSD gekommen.
> [...]
> So ein CSD ist schon anstrengend. Ich brauchte
> auch noch den Montag um wieder im Altag
> anzukommen. Wie früher.

Die letzten beiden Nächte waren jedenfalls kurz. Schlafen ist zur Zeit etwas schwierig.

Die beiden Arbeitstage waren auch eher schwierig. Ich schätze, daß ich noch mindestens diese Woche brauche um wieder bei zu kommen.

Heute wurde dann auch mit zwischendurch wieder alles zuviel, mittlerweile geht's wieder einigermaßen.

Angst wirkt lähmend auf alle Bereiche.

Viele Grüße

Flo
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
10. Oktober 2022 16:46
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten etliche Gespräche mit Leuten geführt, die mich schon sehr lange (d.h. mehr als 20 Jahre) kenne und bin ein wenig schockiert gewesen.

Es scheint meinem gesamten Umfeld, d.h. meiner Schulklasse, allen meinen Freunden, meiner Familie - im Prinzip jedem völlig klar gewesen zu sein, daß ich "anders" bin. Und das schon bis weit in die früheste Jugend hinein.

Und ich habe ALLE Hinweise ignoriert. Obwohl Freunde mich angesprochen hatten, obwohl ich selbst davon erzählt habe.

Das wäre ja noch verständlich gewesen, wenn es irgendeinen konkreten Anlass gegeben hätte, warum ich es hätte verbergen MÜSSEN, aber es gab keinen. Zumindest keinen, dessen ich mir heute noch bewusst wäre. Im Gegenteil hätte mein Umfeld damals mit meinem Outing keinerlei Probleme gehabt - es wäre nur das Offensichtliche in Wortform gewesen.

Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es wirklich nicht.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
14. Oktober 2022 18:13
Ja, das ist das wirklich Schlimme und Tragische, dass wir uns selber so wenig kennen, dass wir das Offensichtliche an uns selbst vollkommen übersehen. Andere sehen uns sehr klar, doch es kommen selten wirklich klare Worte von denen, die uns so schockieren, dass wir uns selbst reflektieren müssen. Die Jahre vergehen, die Jahrzehnte vergehen und wenn wir dann in uns diese Leere empfinden und wir anfangen zu erkennen, dass da etwas in uns ist, das gesehen werden will…

Ist es jetzt schon zu spät?
Haben wir noch eine Chance?

Für mich selbst ist die Hoffnung, das leben zu können, was ich leben möchte schon gestorben. Für mich bleibt nur noch die Kompensation mit Dingen, die ich gerne mache, während ich den zwischenmenschlichen Bereich vollkommen abspalten muss um überleben zu können.

Es ist egal, ob wir Mann oder Frau sind und unsere weibliche Seite zutiefst verletzt ist. Es spielt auch keine Rolle mehr, ob wir diese jetzt heilen können oder ob die Verletzungen weiterhin bestehen bleiben. Solange wir das, was wir tief uns spüren ohne es in der Wirklichkeit leben zu können versagt bleibt, wird diese Leere in uns keine Erfüllung finden.

Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.
Die Veränderung beginnt bei mir selbst.
Liebe ist meine Rebellion.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
02. November 2022 20:47
Hallo ihr Lieben,

können wir überhaupt so alt werden, dass die Hoffnung schon gestorben ist?? - ich finde nein!
Vielleicht mal für ein paar Stunden, aber dann geht es wieder aufwärts (ich habe heute die Sonne gesehen) smiling smiley

Ansonsten die Sache mit dem Verstehen - ich habe auch mit mir gehadert (inzwischen gut 10 Jahre geoutet, damals waren die Kinder halbwüchsig). Rückblickend war ich eindeutig immer schwul, aber dies einzugestehen bzw. zu akzeptieren - nie und nimmer!

Ich erkläre es mir mit der Erwartungshaltung unserer Gesellschaft, der Familie, ein Automatismus, der alles in Richtung Fortpflanzung drängt, dem wir in unserem Grundgesetz durch den Schutz von Ehe und Familie huldigen.
Kinder haben sehr feine Antennen für Erwartungen, lt. einer Untersuchung verbrennen sich Kinder, die immer vor der heißen Herdplatte gewarnt werden, öfter als andere Kinder (sie wollen der Erwartung der Eltern entsprechen).

Wer will nicht dazu gehören, die Geborgenheit der großen Masse genießen? Da kann der Kopf noch so viel erkennen, der Bauch muss spüren, dass es so nicht geht - und das dauert halt manchmal.

Wer etwas für sein Glück tut, der kann Glück ausstrahlen, jedenfalls würde ich meine Erfahrung so sehen. Seit meinem Outing werde ich positiver wahrgenommen und das öffnet so manche Türen. smiling smiley

Fühlt euch feste gedrückt

LG
Zeev
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
03. November 2022 17:26
Hallo Zeev und all die anderen,

„können wir überhaupt so alt werden, dass die Hoffnung schon gestorben ist?? - ich finde nein!“

Ich gehe mal davon aus, dass diese Aussage auf meinen Post bezogen war und möchte dazu in der Weise Stellung nehmen, dass es auch auf den Urheber dieses Beitrages und viele andere zutreffen kann.

Wie Du zutreffend schreibst, stellt unsere Sozialisation sehr wohl ERWARTUNGEN UND ANFORDERUNGEN an uns als Individuum, der wir gerecht werden sollen. Wir werden geprägt und von uns selbst weg erzogen. Tatsache ist jedoch auch, dass es Menschen gibt, die sich schon recht früh, manchmal vor der Pubertät oder erst in dieser als homosexuell empfinden und damit ihre sexuelle Orientierung für sich selbst finden. Diese leben sie dann auch tatsächlich und kommen mit anderen Homosexuellen in Kontakt und manchmal ergeben sich daraus auch Beziehungen bis hin zu Partnerschaften. Leider sind diese nach Studien, vor allem bei Männern, wenig beständig.

Für mich selbst, war es so, dass ich weder in meiner Jugend noch später das erlebt habe, was man als „verliebt sein“ bezeichnet, mit diesen Schmetterlingen im Bauch. Es gab keine Anziehung zu Mädchen/Frauen und auch keine zu Jungen/Männern. Wenn es ein Interesse von mir gab, dann war das einseitig und das war auch so, wenn Frau/Mann etwas von mir wollte. Mir ist erst mit 46 Jahren bewusst geworden, dass ich schwul bin und es gab NUR von Männern schon viele Jahre früher Hinweise darauf, was ich allerdings nie verstanden habe. Offenbar bin ich hier kein Einzelfall. Das Eintauchen von sieben Jahren in die Szene hat mir allerdings auch keine Beziehung eingebracht. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich einerseits hochsensitiv bin und damit Nähe schwierig ist, als auch mit meinem Wesen. Vom Wesen her empfinde ich mich als der weiblich geprägter Mann oder eher noch die Frau im Mann und das hat mich im Leben sehr oft zwischen Frau und Mann im Aussen hin und her geworfen, weil für mich beide offenbar keine Option geboten haben.

Ich habe mich seit meine Jugend mit Astrologie beschäftigt und habe über 100 Fachbücher zu diesen Thema. Astrologie ist eine Jahrtausende alte Erfahrungswissenschaft, die sehr wohl klare und eindeutige Aussagen über einen Menschen treffen kann, wenn ein Geburtshoroskop vorliegt. Unser Geburtsauftrag ist dort eben so klar definiert, wie die Erfahrungen, die wir in diesem Leben machen sollen. Wenn sich wie bei mir, hieraus ein Mond-Auftrag ergibt, der auf die Gründung einer Familie hin weisst, dann wird das mit der Homosexualität schwierig. Tatsache ist jedoch bei mir auch, dass meine fehlende Komponente im Horoskop und damit auch in mir, ist, dass die Konstellation für Beziehungen und Partnerschaft fehlt und es darüber hinaus zwei eindeutige Hinweise auf einen „Frauenhasser“ gibt. Entsprechende Verletzungen durch Frauen haben seit meiner Geburt über die gesamte Lebensspanne hinweg statt gefunden. Ich kenne mich besser als jeder andere Mensch, weil ich über 25 Jahre lang Heilungsarbeit und Bewusstseinsentwicklung an mir selbst praktiziert habe.

Wir haben „angeblich“ einen freien Willen und sind Schöpferwesen, die ihr Leben selbst bestimmen können - ALLERDINGS NUR IM RAHMEN UNSERES LEBENSPLANES! Wer bitte von uns erinnert sich an diesen, da wir doch alle durch die Türe des Vergessens hier her auf die Erde gekommen sind?

Es heisst „Ehen werden im Himmel“ geschlossen. Wenn das zutrifft - also unsere Partner bereits im Lebensplan verabredet sind oder es eben keine gibt, Dann habe wir im Leben wohl keine Möglichkeit das zu verhindern oder zu erzwingen.

Wenn man so lange alleine gelebt hat wie ich und ich kenne viele andere, denen es ebenso ergeht - egal ob Frau oder Mann -, dann ist auch irgendwann einmal die Hoffnung gestorben, auch nur eine Beziehung zu bekommen. Wieviel Menschen flüchten schon jetzt vor der Liebe und erst recht, wenn sie denn ins Leben kommen sollte.

Unsere Gesellschaft ist extrem Materialistisch geprägt und zudem extrem oberflächlich, was auch dazu führt, dass niemand nach dem Wesen in diesem Körper fragt. Nur der Körper ist wichtig und den will man dann auch durch Sex ge- oder missbrauchen. Genau das erleben ich schon seit mehr als sieben Jahren auf Datingseiten. Wenn es um eine Beziehung geht, kommt die Frage „was man macht“ um über den Beruf schliessen zu können, ob es eine materielle Absicherung gibt. Ansonsten kommt die Frage nach den sexuellen Modalitäten. Das ist doch zutiefst krank. Wie auf GR - Sex ohne sich zu kennen, ohne Liebe, ohne Gefühle, ohne Vertrauensgrundlage in einem Bereich der so extrem verletzlich ist! Bitte, für mich geht so etwas NIE, weil das mein Wesen nie zulassen wird, was ich auch schon genau so erlebt habe. Ich fühle mich schon durch eine sachte Berührung am Arm bedroht.

Es gibt Menschen, die können sich mit jedem x-beliebigen einlassen und Sex haben und für andere geht so etwas überhaupt nicht, weil die anders gestrickt sind.

Man kann sein glücklich sein ausstrahlen, man kein mit einem offen Herzen Liebe in diese Welt ausstrahlen (wie ich) und trotzdem gibt es niemanden der passt. Andererseits habe ich auch schon genug Menschen mit einer fürchterlichen Ausstrahlung erlebt, die sehr wohl zu Beziehungen kommen.

LG

Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.
Die Veränderung beginnt bei mir selbst.
Liebe ist meine Rebellion.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
03. November 2022 22:21
Hallo lieber Wolf,

(das "einsamer" möchte ich weglassen, weil ich es für einen Zustand halte und keine Eigenschaft von dir smiling smiley)
Danke für deine ausführlich Antwort.

Jeder hat seine Erfahrungen und familiären Hintergründe, ist geprägt davon. Insoweit kann ich deine Sicht der Dinge nachvollziehen.
Ich persönlich würde wohl etwas anders werten. Mir scheint es Tragik zu sein, wenn Zufälle und Umstände zu Problemen führen zu denen ich auch Einsamkeit zählen würde. Auch in meinem Leben hadere ich manchmal mit Tragik - aber es hilft nichts, vorwärts gehen ist angesagt.

Nach Familie mit einer Frau und einer Gesprächstherapie bin ich heute mit einem Mann verheiratet, den ich nicht auf GayRomeo oder so kennen gelernt habe (ich war nie auf diesen Seiten angemeldet, fühle mich viel zu unsicher für Sex ohne ein Gefühl der Geborgenheit).
Dabei fällt es mir schwer, an Vorbestimmung zu glauben - ich weiß, dass ich offen für eine Beziehung war, er auch, man schlittert darein und es ist passiert smiling smiley.

LG
Zeev
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
04. November 2022 10:34
Hallo Zeev,

danke für Deine Rückmeldung.

„(das "einsamer" möchte ich weglassen, weil ich es für einen Zustand halte und keine Eigenschaft von dir)“

Dann ist das ein Zustand, der seit meinem neunten Lebensjahr dauerhaft anhält, egal was ich unternehme um ihn zu ändern.

„Jeder hat seine Erfahrungen und familiären Hintergründe, ist geprägt davon.“

Da stimme ich Dir absolut zu. Man wird nur durch die Erkenntnis, dass es so ist und der eigenen bewussten Entscheidung diese aufzuarbeiten auch etwas in seinem Leben verändern können. Ansonsten werden oft genug die Fehler mehrere Generationen fortgeführt, was ich aus meinen Sippen sehr gut nachvollziehen kann.

„Ich persönlich würde wohl etwas anders werten. Mir scheint es Tragik zu sein, wenn Zufälle und Umstände zu Problemen führen zu denen ich auch Einsamkeit zählen würde. Auch in meinem Leben hadere ich manchmal mit Tragik - aber es hilft nichts, vorwärts gehen ist angesagt.“

Zunächst möchte ich hier gerne anmerken, dass es keine Zufälle gibt. Etwas fällt einem zu und das hat eine Ursache die zu der Wirkung führt, dass es einem zufällt. Das ist das universelle Gesetz von Ursache und Wirkung, dem alles unterworfen ist.

Meine Oma hat immer gesagt: „Das Leben ist ein Kampf“ und damit hatte sie recht. Wenn wir unseren Sonnen-Auftrag leben wollen - was wohl die wenigsten wirklich tun - dann ist das ein einsamer Kampf der Sonne, die scheinen will, so wie auch das Licht ins uns Menschen scheinen will. Dafür werden wir selten belohnt, sondern oft genug abgelehnt. Selbst Mozart, der seine Sonne über die Musik mit Sicherheit voll gelebt hat, war bettelarm. Das Leben besteht selten aus Glück und Freude. Auch wenn Dieter Broers immer sagt: „Freude ist Liebe in Aktion“. Es ist unsere Aufgabe zu kämpfen, damit wir das sind, wozu wir hierher auf die Erde gekommen sind. Das bedeutet auch, vorwärts zu gehen und jeden Tag so zu nehmen wie er kommt. Die Sonne ist mit unserem Herzen verbunden und mir sind gerade in letzter Zeit zwei Menschen mit der Sonne im Krebs begegnet, die Herzinfarkte hatte. Wenn man seinen Sonnen-Auftrag vermeidet, dann wird man dies oft genug - wenn alle vorherigen Warnung und Hinweise ignoriert wurden - durch einen Herzinfarkt deutlich gezeigt bekommen.

Einsamkeit muss keineswegs ein Problem sein. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen. Mit meinem Mond-Auftrag werde ich dazu gezwungen, weil etwas in mir möchte, dass ich mich mit mir selbst auseinandersetze. Ich bin auf mich selbst zurückgeworfen. Nur ist mir noch unklar, was das Leben von mir will. Was genau soll ich tun, um diesem Auftrag gerecht zu werden.

Es ist jetzt die Zeit, dass wir ALLE bewusst werden und die Verantwortung für unser Leben in die eigenen Hände nehmen, anstatt uns zu verhalten wie Kleinkinder, die geistig in der oralen Phase stecken geblieben sind, was ich überall sehe.

„Nach Familie mit einer Frau und einer Gesprächstherapie bin ich heute mit einem Mann verheiratet, den ich nicht auf GayRomeo oder so kennen gelernt habe (ich war nie auf diesen Seiten angemeldet, fühle mich viel zu unsicher für Sex ohne ein Gefühl der Geborgenheit).
Dabei fällt es mir schwer, an Vorbestimmung zu glauben - ich weiß, dass ich offen für eine Beziehung war, er auch, man schlittert darein und es ist passiert.“


Immerhin hasst Du es geschafft, Dir Hilfe von aussen über eine Gesprächstherapie zu holen. Etwas das viele Männer nie schaffen und in dem Irrglauben sind, dass sie alleine damit fertig werden. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die so bewusst sind, dass sie sich selbst reflektieren können. Meine Versuche mit Hilfe von aussen sind gescheitert, allerdings habe ich auch das Bewusstsein, mir selbst helfen zu können. Ich war schon oft genug hier auf der Erde und mir reicht es jetzt.

Ich finde es super, dass Dir Dein Mann genau auf dem Wege begegnet ist. Diesen Weg sehe ich auch für mich als den einzig gangbaren Weg an, doch mir blieb er bis heute versagt, obwohl ich wahrlich genug versucht habe um diesen Weg auch gehen zu können. Ich war offen für eine Beziehung, habe mich danach gesehnt. Nein, es sollte wohl nicht sein.

Es gibt eine Vorbestimmung, sonst wäre die Astrologie kein Werkzeug um entsprechende Aussagen zu machen. Es liegt jedoch auch an uns, was wir aus den Gaben machen, die uns in die Wiege gelegt wurden. Die Energien der Planeten sind da, wie wir sie leben, liegt an uns. Wir können jedoch nur das im Aussen anziehen, was wir selber sind.

Beruflich war ich immer ganz überwiegend von Frauen umgeben und es gab erst so ab meinen Zwanzigern Frauen, die etwas von mir wollten. Weder haben mich Mädchen noch Frauen je wirklich angezogen, sondern immer nur Jungs oder junge Männer, die sich dann meist als Hetero herausgestellt haben. Auch in der Szene haben mich schwule Männer nie angezogen. Die haben auch ganz erhebliche Schwierigkeiten mit ihrer Weiblichkeit (abgesehen von dem tuntigen) und im Besonderen mit Gefühlen und Zärtlichkeit, was für mich wichtig ist.

Wenn man so lange alleine lebt wie ich, nie Beziehungserfahrungen sammeln konnte und sich ausprobieren konnte, dann wird es schwierig sich überhaupt noch mit jemanden einzulassen. Das war bei vielen hier anders, auch wenn sie zunächst eine Familie hatten.

Hinweis:
MYSTICA.TV - Silke Schäfer - Die Astrologie der Neuen Zeit

LG

Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.
Die Veränderung beginnt bei mir selbst.
Liebe ist meine Rebellion.



1-mal bearbeitet. Zuletzt am 06.11.22 18:18.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
09. November 2022 14:05
Hallo zusammen,
da ist für mich viel geschrieben und pauschaliert worden.
Wir sind aber alle Individuen und was vielleicht bei den meisten zutrifft, ist für andere vielleicht gänzlich unpassend.
Ich habe auch bei GR sehr liebe Menschen kennengelernt, so auch meinen jungen Freund.
Tiefe Beziehungen oder ein erfüllter gemeinsamer Lebensweg können aber nie einseitig gelebt oder bestimmt werden. Es wird von jeder Seite ein Geben und Nehmen, ein Aufeinanderzugehen und absolute Offenheit erforderlich. Ich kann mir nicht vorstellen, wie da Astrologie oder Vorstellungen über vorgegebene Lebensentwürfe und eine gedeihliche Partnerschaft mit gemeinsamer Weiterentwicklung zusammenpassen.
Wir haben für unsere Ehe sehr interessante und positive Gedanken im Buch „Bisexualität und Partnerschaft“ von Jürgen Höhn gefunden, die mir auf viele Lebensbereiche und Partnerschaften anwendbar erscheinen. Aber auch die sind wieder nur individuell zu werten.
Mir hat einmal eine Aussage imponiert und die hat sich für mich auch stets bewahrheitet: „Man kommt dort an, wohin man schaut.“
Mit einer positiven Sicht erlebe ich auch viel mehr Positives.
In diesem Sinne: gute Sicht!

Viele Grüße
Tom
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
09. November 2022 17:26
Hallo zusammen oder mit-einander,

„da ist für mich viel geschrieben und pauschaliert worden.“

Gut. Konkretisiere doch bitte, was „pauschaliert“ wurde, damit wir wissen, auf das Du hinaus willst.

„Wir sind aber alle Individuen und was vielleicht bei den meisten zutrifft, ist für andere vielleicht gänzlich unpassend.“

Das ist absolut zutreffend ausgedrückt. Leider ist es allerdings so, dass viele Menschen von sich auf andere schliessen und damit dieser Aussage widersprechen. Wir haben in dieser Gesellschaft auch schon seit langem eine „gleichmacherei“, was wohl doch sehr prägend für diese Gesellschaft war. Die Masse der Menschen ist sehr angepasst, um dazu zu gehören, schon auch aus dem Grund, weil es für viele schwierig ist alleine zu sein. Sie brauchen andere Menschen. Das kommt auch dadurch zum Ausdruck, das man die gleiche Mode (Markenartikel) trägt, die Frisur bei sehr vielen ähnlich ist, es heute kaum noch jemanden ohne Tattoo gibt usw. Dass man sich mit dieser „gleichmacherei“ jedoch niemals aus der Masse abhebt und damit ein INDIVIDUUM ist, scheint niemand wirklich wahrzunehmen.

Wenn jemand jedoch ein Individuum ist, dann ist er nie Teil der Masse, den er wird ausgegrenzt. Er ist eine Bedrohung für die Masse, weil er anders ist. Das müssten gerade Homosexuelle sehr gut empfinden können, denn sie sind anders. Das trifft auch auf HochSensitive zu die in dieser Gesellschaft mit ca. 10 Prozent Anteil vertreten sind, doch kaum jemand weiss, was HochSensitivität ist und man will sich auch gar nicht damit auseinandersetzen - ist jedenfalls mein Eindruck.

„Ich habe auch bei GR sehr liebe Menschen kennengelernt, so auch meinen jungen Freund.“

Es mag ja durchaus sein, dass es auf GR liebe Menschen gibt. Es gab auch schon Männer, die sich dort gefunden haben und sich eine Partnerschaft daraus entwickelt hat. Deswegen habe ich auch wieder ein Profil dort, um mir zumindest eine Chance zu geben, obwohl meine Erfahrungen seit 2012 eher sehr ernüchternd sind. Die Tatsache, dass es dort sehr viel Aggressivität gibt, wenn man einen anderen Mann erst einmal kennenlernen möchte, anstatt ohne Liebe und ohne Gefühle Sex mit ihm zu haben, wird wohl gerne unter den Teppich gekehrt. Die Frustration bei vielen ist deutlich zu spüren, nur ändern will sich niemand. Das ist auch ein Thema, das ich in vielen anderen Lebensbereichen sehe. Man leidet lieber weiter, denn das gibt einem Sicherheit, anstatt etwas zu ändern.

„Tiefe Beziehungen oder ein erfüllter gemeinsamer Lebensweg können aber nie einseitig gelebt oder bestimmt werden. Es wird von jeder Seite ein Geben und Nehmen, ein Aufeinanderzugehen und absolute Offenheit erforderlich.“

Auch in diesem Punkt bin ich absolut mit Dir. Mit dem Geben und Nehmen habe ich so meine Erfahrungen gemacht. Da ich durchaus auch ein Mann bin, so habe ich immer gerne gegeben (männlich), wenn ich das wollte. Sehr oft war es dann allerdings so, dass das Nehmen (weiblich) bei anderen kaum Grenzen kannte. Wenn ich mich dann allerdings leer fühle, weil ich immer nur gegeben habe und nie das bekommen habe, was ich brauche, dann ist bei mir Schluss. Allerdings waren das nie intime Beziehungen.

„Ich kann mir nicht vorstellen, wie da Astrologie oder Vorstellungen über vorgegebene Lebensentwürfe und eine gedeihliche Partnerschaft mit gemeinsamer Weiterentwicklung zusammenpassen.“

Auch hier sehe ich wieder das, was ich schon so oft gesehen habe. Man wertet und urteilt über ein Thema (Astrologie), ohne sich überhaupt je die Mühe gemacht zu haben, sich damit intensiv auseinander zu setzen. Hierzu könnte ich eine ganz Liste von Themen aufstellen, bei denen es ebenso ist. Mir wird dann regelmässig der Vorwurf gemacht, dass das doch unwissenschaftlich sei. Tatsache jedoch ist, dass man nur dann WISSEN schaffen kann, wenn man sich offen und ohne Vorurteile intensiv mit einem Thema auseinandersetzt. Das ist jedoch regelmässig nie der Fall. Warum?

Wenn ich mir ein Wertung oder ein Urteil über ein Thema erlauben will, dann MUSS ich darüber ein gutes und fundiertes Wissen haben. Ansonsten macht man sich selbst der „Unwissenschaftlichkeit“ schuldig.

Man kann sich nur dann etwas vorstellen, wenn man es erlebt, erfahren hat. Wenn sich jemand nicht vorstellen kann, wie es ist eine Nahtoderfahrung zu haben, dann kann er sich das genau so wenig vorstellen, wie wenn man noch nie Sex mit einer Frau hatte, um einmal echte Extreme gegenüber zu stellen.

„Mir hat einmal eine Aussage imponiert und die hat sich für mich auch stets bewahrheitet: „Man kommt dort an, wohin man schaut.“

Diese Aussage finde ich durchaus interessant, da sie auch mit einer anderen Aussage in Einklang steht: „Energie geht immer dorthin, wohin die Aufmerksamkeit geht“. Allerdings habe ich andere Erfahrungen damit gemacht, die diese Aussage einschränken oder gar aufheben.

So habe ich mir einmal den Spass erlaubt (ganz nach Rupert Sheldrake), und bin hinter drei Jungen hergelaufen, die von der Schule nach Hause gingen. Ich habe sie intensiv am Hinterkopf angestarrt. Einer der Jungen hat sich sofort umgedreht, weil er meine Intension gespürt hat. Der zweite Junge hat deutlich länger gebraucht und der dritte Junge hat gar nicht reagiert. Ein Tier, das von einem Jäger ins Visier genommen wird, spürt das sehr schnell.

Ich bin vollkommen auf Männer fokussiert und trotzdem sind es immer Frauen, die etwas von mir wollen. Wenn ich mich liebevoll auf einen jungen Mann konzentriere der mich interessiert und im lichtvolle Gedanken sende, erfahre ich dennoch Abweisung. Das passt also kaum zu dieser Aussage, die offenbar nur eine relative Wahrheit beschreibt.

„Mit einer positiven Sicht erlebe ich auch viel mehr Positives.“

Das kann durchaus so sein. Doch woher willst Du wissen, ob das, was Du aus Deiner Sicht als „positiv“ siehst auch in einem grösseren Kontext wirklich so positiv ist?

Aus einer höheren Sicht (der Adler-Perspektive), kann das ganz anders aussehen. Dort siehst Du die Weite, anstatt nur die nächste Umgebung.

Als Beispiel nehme ich einfach einmal mich. So empfinde ich mich als schwul und eher als die Frau im Mann. Das Wesen in mir ist eine Frau und die sucht einen körperlichen Mann, was meiner sexuellen Identität entspricht. Nehmen wir an, dass in meinem Lebensplan vorgesehen ist, mit einer Frau zusammen zu kommen und ein Kind zu zeugen (Adler-Perspektive). Habe ich dann je die Möglichkeit, mit einem Mann zusammen zu kommen und meine Homosexualität zu leben? Egal, was ich bisher in meinem Leben versucht habe, hat nie dazu geführt, dass ich mit einem Mann das er-leben durfte, wonach ich mich sehne. Dafür habe ich zahlreiche Frauen, die etwas von mir wollten abgewiesen. Wie erklärst Du mir das, was ich erlebe?

Nur so nebenbei und zur Ergänzung, könnte ich eine ganze Reihe von Menschen auflisten, denen es ähnlich ergeht bzw. erging wie mir. Ich befinde mich also durchaus in einer Art Gesellschaft.

Vielleicht sollten wir uns darum bemühen unsere Sicht (zumeist der Tunnelblick) zu erweitern und offen für das zu sein, was wir mit unseren sehr begrenzten fünf Sinnen wahr nehmen können. Da sind uns viele Tiere weit voraus.

LG

Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.
Die Veränderung beginnt bei mir selbst.
Liebe ist meine Rebellion.
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
11. November 2022 00:16
Lieber Wolf,
wie ich schon ausgeführt habe, ist für mich jeder Mensch ein Individuum und es gibt für ihn keine Schablone, somit auch keine übertragbaren Grundsätze oder Gesetze für dessen Leben.
Für mich erscheint dein geschildertes Leben und deine geäußerte Haltung schwierig. Dennoch werte ich es nicht. Ich muss selbst mit einem etwas eigenen Lebensstil und Empfinden eines unserer Kinder umgehen. Darüberhinaus bin ich selbst ja auch mit meiner Bisexualität nicht „in der Norm“. Unter anderem daraus habe ich die Erfahrung gemacht, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, mit den eigenen Prägungen und Eigenheiten umzugehen. Ich kann mich als eine Art Opfer fühlen und mir aus der äußerst umfangreichen (Fach)literatur zu Mensch, Sexualität und Psyche die passende Bestätigung suchen, oder mich eben nicht dem vermeintlichen Schicksal ergeben und stetig sowie unbeirrt nach Auswegen aus dem „Karma“ suchen.
Dabei gibt es tatsächlich unerklärliche Entwicklungen/Ereignisse, wenn ich mich völlig öffne und sie zulasse. Aber zwingen kann man eine Entwicklung nur selten.
Man kann sich somit m.E. leichter (zufällig) finden lassen, als dass man gezielt jemand findet.
Das sind also meine Überzeugungen, die ich gerne äußere und vertrete, aber genauso akzeptiere ich es, wenn jemand anderer Auffassung ist.
Das macht die Vielfalt unserer Gesellschaft aus.
Mit dieser Einstellung pflege ich auch Beziehungen und mache damit überwiegend gute Erfahrungen.
Nun habe ich meinen Beitrag hier eingebracht und jeder möge nach seinem Empfinden damit umgehen.
Liebe Grüße
Tom
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
13. November 2022 09:19
Hallo Florian,
entschuldige, deine Nachricht vom 10.10. ist jetzt ein wenig in den Hintergrund getreten.
Du suchst nun Erklärungen für die Vergangenheit. Es ist zwar manchmal wichtig, die Vergangenheit aufzuarbeiten, vor allem wenn sich Traumatas eingenistet haben. Aber welches Ergebnis ergäbe sich aus der Erkenntnis, warum du „das nicht gemerkt hast, aber dein Umfeld“?
Nun, dazu darf auch eines nicht vergessen werden: im Nachhinein gibt es immer viele schlaue Leute, die ja alles schon vorher gewusst haben. Zum anderen scheinen deren Bewertungen sehr auf Klischees zu basieren. Wenn sich einer so oder so verhält oder einfach anders ist, gibt es nur schwarz oder weiß, schwul oder hetero. Gibt es für dich auch nur zwei Welten?
Wenn nicht, was hat dann deine Fragestellung eigentlich noch für eine Bedeutung?
Und wenn du dir vorher nicht die Frage gestellt hast, scheint es für mich so, dass du doch ein Leben gelebt hast, das nicht unbedingt unglücklich war.
Wenn du dich also nicht unwohl gefühlt hast, kannst du dich doch über das Leben mit deiner Frau und den Kindern freuen.
Verständlich ist natürlich, dass du jetzt nach deiner völlig neuen Entdeckung und Ausrichtung an einem gewissen Nullpunkt stehst und vielleicht bedauerst, dass du durch dein früheres Leben nun eben „unvorbereitet“ bist für den kommenden Lebensweg. Und da kann es leicht passieren, dass man aus einer Art Torschlusspanik auch mal etwas forsch und unüberlegt, aus dem Bauch heraus handelt. Aber behalte einfach deinen klaren Kopf, behalte dir gute Ratgeber aus deinem Freundes- und Familienkreis, erhalte dir deine Liebe und Gefühle deiner Familie und Frau gegenüber, soweit sie selbst das zulässt, und du wirst die Ruhe finden, mit deren Ausstrahlung nach außen du auch für andere Menschen interessant und von ihnen gefunden wirst.
Die verzweifelte eigene Suche kann leicht zu Enttäuschungen und Verletzungen führen.
Viel, viel Glück und eine gute Zeit.
Tom
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
13. November 2022 16:52
Danke für Eure Antworten.

Am Mittwoch ist mein "rosa Geburtstag" - also der Tag an dem ich mich meiner Ex gegenüber geoutet habe.

Ich glaube ich möchte dieses Jahr bitte ersatzlos aus dem Kalender streichen.

Die Vergangenheit ist für mich immer wichtig gewesen - wichtiger als die Zukunft über die man eh nichts sagen kann, die nicht planbar ist, die immer von anderen Einflüssen abhängig ist.

Und jetzt sitze ich hier. Allein. Übriggeblieben. Die Reste vom Tage. Oder so ähnlich.

In den letzten Tagen habe ich glaube ich 60x oder öfter "Corpse Bride - Hochzeit mit einer Leiche" angeschaut. Ein anderes Leben, eine andere Welt, eine Sphäre in der es Erlösung gibt, Glück, Liebe...
Ich denke an meine Hochzeit - an die Kirche, die Verwandten, meine Ex, wie sie den Gang hereinkommt.
An meine Kinder und deren Hochzeiten - wenn sie denn jemals passieren.
An Weihnachten - und das organisatorische Chaos, das passieren wird...

Ich möchte weg, weit weg. Flüchten, wie ich es immer gemacht habe... Vielleicht wird es dann mal besser...

Aber wohin?

Viele Grüße

Flo
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
14. November 2022 15:32
Hallo Florian,

ich kenne auch das Gefühl flüchten zu wollen. Einfach weit weg. Neu anfangen in der Hoffnung, dass dann alles besser wird.
Es gibt nur leider ein Problem an der Sache: Egal wo du hingehst, du nimmst dich immer mit.

Wenn dich deine Vergangenheit beschäftigt, habe ich hier ein paar Gedanken, die dir helfen können.
Schau mal mit welchen dieser Gedanken du resonierst:

Wenn du jetzt noch mal jung wärst und neu entscheiden müsstest, ohne das Wissen von heute, würdest du trotzdem alles genau so wieder machen. Denn jede Entscheidung die du getroffen hast, war damals mit deinem Entwicklungsstand die Richtige, da du es nicht besser konntest oder wusstest. Keiner trifft absichtlich falsche Entscheidungen.

Es ist unwichtig wie alt wir sind, wenn wir uns unserer sexuellen Orientierung bewusst werden. Auch wenn wir sie gerne verteufeln, unsere Psyche ist ein Wunderwerk der Natur, die uns beschützt. Dass du dir deiner Sexualität noch nicht früher bewusst warst bedeutet lediglich, dass deine Psyche der Meinung war, dass du noch nicht so weit warst. Denn sonst wärst du mental vielleicht völlig auseinander gebrochen.

Jugendliche, die sich früh outen und ihre Sexualität "vermeintlich" ausleben können, haben nicht automatisch ein besseres Leben. Sie sind vielleicht Mobbing und Ausgrenzung in der Schule ausgesetzt und haben mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, die wir uns gar nicht vorstellen können.

In der Vergangenheit zu suchen, warum wir so sind wie wir sind und warum einige Dinge nicht so funktionieren ist zwar hilfreich, um zu heilen, aber nicht zwingend notwendig. Man kann sich auch ohne ausführliche biografische Forschung positiv nach vorne entwickeln.

Es kann schwer sein, den folgenden Gedanken anzunehmen, aber mir hat er schon oft geholfen:
Egal wie schwer es gerade ist und auch wenn wir es nicht verstehen. Für irgendwas ist es gut, auch, wenn wir das vielleicht erst in 10 Jahren erkennen.

Sei geduldig mit dir und überfordere dich nicht selbst.

Liebe Grüße
Michael

Michael Kensy
Coming-out Coach
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[www.instagram.com]
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
14. November 2022 15:50
Hallo Michael,

Danke für deine Antwort.

Ich weiß nicht, ob ich wirklich alle "Entscheidungen" so nochmal treffen würde.

Ich war mit 19 unsterblich in einen Kumpel verliebt - ein Wort von ihm und meine Beziehung zu meiner späteren Frau wäre erledigt gewesen (wir waren einige Zeit vorher zusammengekommen).

Eine Freundin von mir hat sich mit meiner Ex ganz gut verstanden, sie wusste von meinen Gelüsten, hat sich aber als es ernst wurde meinen Wünschen und Vorstellungen gebeugt anstatt mit meiner Ex zu reden und ihr von unserer Hochzeit abzuraten.

Meine Entscheidungen waren sehr häufig auch einfach die Entscheidung eines anderen als gegeben zu nehmen.

Im Moment bin ich erschlagen von der Sinnlosigkeit. Selbst die Aufgaben, die mich eigentlich aufrecht erhalten müssten und denen ich ich gar nicht ausweichen können dürfte, schiebe ich vor mir her. Einfach, weil mir jede Motivation fehlt es anzugehen.

Ich weiß, daß das mit meiner Depression zusammenhängt und auch, daß ich das durch das Handeln am sinnvollsten besiegen könnte. Aber ich komme nicht drüber.

Dazu kommen die miesen Erfahrungen, die ich mit Männern in den letzten Monaten gemacht habe und bei denen mein emotionales Engagement sich als verschwendete Energie herausgestellt hat.

Es gibt wenige Dinge, die mir noch sowas wie Lebensfreude geben und es werden immer weniger.

Viele Grüße

Flo
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
16. November 2022 16:12
Hallo Flo,
deine letzte Nachricht lässt eine große Frustration und gefühlte Perspektivlosigkeit bei dir erahnen. Ich kann dich da gut verstehen.
Aus deinen bisherigen Schilderungen scheinst du ein Mensch zu sein, der sehr von einem bestimmten Muster geprägt war, der aber auch sein Leben entsprechend nach diesem Muster gelebt und damit seine Richtung und Sicherheit erhalten hat. Deshalb hast du auch nicht „das gemerkt, was so viele schon gewusst haben wollen“. Anscheinend war dir dieses Leben ja größtenteils auch zumindest nicht unangenehm. Dann hast du vor einem Jahr dein Leben plötzlich völlig umgekrempelt und ihm eine andere Richtung gegeben, das bisher gekannte und gelebte Muster erst einmal verworfen.
Aber suchst du es nicht doch irgendwie wieder in deinem neuen Umfeld? Hast du nicht „viel investiert“, um eine gewisse Vorstellung zu realisieren? Wessen Interesse stand denn da im Mittelpunkt? Und hast du dich mit den „Investitionsobjekten“ dabei ausgiebig abgestimmt?
Könnte man so einen späten Lebensumbruch vielleicht auch ein wenig mit der Situation der Wende vergleichen, wo das ostdeutsche Volk plötzlich in einer anderen Welt gelandet war? Wie lange hat da der Anpassungsprozess gedauert? War da eine optimale Abstimmung der gegenseitigen Wünsche und Vorstellungen gegeben? Welche Reaktionen gab es darauf? Manche haben das neue System schnell verinnerlicht, andere haben es mit Schwierigkeiten und vielleicht mit der Hilfe Dritter mit der Zeit doch gepackt, andere haben einen Teil des alten Lebens mit dem neuen gemischt, wieder andere sind in zweifelhafte Strukturen geflüchtet und einige haben einfach resigniert. Kann man daraus nicht ersehen, welche Wege so ein Umbruch plötzlich auftut? Könntest du dir vorstellen, auch andere Varianten, als Flucht oder Resignation in Betracht zu ziehen? Könnten da vielleicht liebe Menschen in deinem Umfeld, vielleicht deine Kinder, Freunde oder sogar deine Ex-Frau Unterstützer sein oder dir Motivation geben? Wärst du bereit, sie auch um Hilfe zu bitten? Oder wäre das ein Zeichen von Schwäche für dich? Ich konnte mit meiner Frau bei der Beratungsstelle Ehe und Familie ganz wertvolle Hilfe erfahren.
Möchtest du statt den genannten Film ständig anzusehen mal öfter das Lied „Streets of London“ hören?
Ist ein „misslungenes“ Jahr von rd. 45 wirklich schon so eine schlechte Bilanz?
Ja, Außenstehende haben immer leicht reden. Deshalb habe ich dir auch keine Rede gehalten, sondern dir nur Fragen gestellt. Ich würde mich freuen, wenn du dich denen ein wenig widmen könntest.

Liebe Grüße
Tom
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
16. November 2022 17:24
Bi-Senior schrieb:
-------------------------------------------------------
> Hallo Flo,
> deine letzte Nachricht lässt eine große
> Frustration und gefühlte Perspektivlosigkeit bei
> dir erahnen. Ich kann dich da gut verstehen.
> Aus deinen bisherigen Schilderungen scheinst du
> ein Mensch zu sein, der sehr von einem bestimmten
> Muster geprägt war, der aber auch sein Leben
> entsprechend nach diesem Muster gelebt und damit
> seine Richtung und Sicherheit erhalten hat.
> Deshalb hast du auch nicht „das gemerkt, was so
> viele schon gewusst haben wollen“. Anscheinend
> war dir dieses Leben ja größtenteils auch
> zumindest nicht unangenehm.

Hallo Tom,

ich habe dem Wunsch eine Familie zu gründen, der Tradition zu genügen, dem Ideal einer heilen Welt zu folgen, alles untergeordnet. Wirklich alles. Meine Träume, meine Wünsche, meine Gesundheit.

„Unangenehm“ ist ein dehnbarer Begriff, denn wirklich „glücklich“ war ich nie. Die ersten Risse kamen schon kurz nachdem wir zusammengezogen sind und sie wurden letztlich immer nur tiefer.

> Dann hast du vor einem
> Jahr dein Leben plötzlich völlig umgekrempelt
> und ihm eine andere Richtung gegeben, das bisher
> gekannte und gelebte Muster erst einmal
> verworfen.
> Aber suchst du es nicht doch irgendwie wieder in
> deinem neuen Umfeld? Hast du nicht „viel
> investiert“, um eine gewisse Vorstellung zu
> realisieren? Wessen Interesse stand denn da im
> Mittelpunkt? Und hast du dich mit den
> „Investitionsobjekten“ dabei ausgiebig
> abgestimmt?

So ganz kann ich Dir nicht folgen. Wie gesagt in das alte Leben habe ich eine Menge investiert. Und eine Zeitlang habe ich mich auf das Leben „danach“ sogar richtig gefreut. Ich hatte eine wahnsinnige Panik davor (weshalb ich das Outing ja auch so lange hinausgezögert hatte, bis es gar nicht mehr anders ging), weil ich keinen Plan hatte.

Und den habe ich immer noch nicht. Nicht so richtig.

Ich habe mit vielen Männern Kontakt gehabt, mit ein paar wenigen auch sexuellen Kontakt, aber diese Welt bleibt mir in vielem einfach fremd.

> Könnte man so einen späten Lebensumbruch
> vielleicht auch ein wenig mit der Situation der
> Wende vergleichen, wo das ostdeutsche Volk
> plötzlich in einer anderen Welt gelandet war? Wie
> lange hat da der Anpassungsprozess gedauert? War
> da eine optimale Abstimmung der gegenseitigen
> Wünsche und Vorstellungen gegeben? Welche
> Reaktionen gab es darauf? Manche haben das neue
> System schnell verinnerlicht, andere haben es mit
> Schwierigkeiten und vielleicht mit der Hilfe
> Dritter mit der Zeit doch gepackt, andere haben
> einen Teil des alten Lebens mit dem neuen
> gemischt, wieder andere sind in zweifelhafte
> Strukturen geflüchtet und einige haben einfach
> resigniert. Kann man daraus nicht ersehen, welche
> Wege so ein Umbruch plötzlich auftut? Könntest
> du dir vorstellen, auch andere Varianten, als
> Flucht oder Resignation in Betracht zu ziehen?

„Anpassung“ ist der Knackpunkt. Ich will mich an das, was ich bisher getroffen habe nicht anpassen. Schneller, unverbindlicher Sex ist nicht meins. Leute einfach stehen lassen, kann ich nicht. Ich komme mir wieder vor, wie ein Exot. Nun kenne ich Beispiele von „ganz normalen“ schwulen Paaren aus meinem direkten Umfeld – aber diese „Normalität“ erscheint mir im Moment unerreichbar. Es kommt mir so vor, als liefe mir die Zeit davon. Die Zeit in der ich noch so etwas wie „normale“ Sexualität genießen könnte. Die Zeit in der man jemanden findet, mit dem man dann vielleicht doch alt wird.

> Könnten da vielleicht liebe Menschen in deinem
> Umfeld, vielleicht deine Kinder, Freunde oder
> sogar deine Ex-Frau Unterstützer sein oder dir
> Motivation geben? Wärst du bereit, sie auch um
> Hilfe zu bitten? Oder wäre das ein Zeichen von
> Schwäche für dich? Ich konnte mit meiner Frau
> bei der Beratungsstelle Ehe und Familie ganz
> wertvolle Hilfe erfahren.

Die Art Hilfe, die ich bräuchte, kann mir meine Familie nicht geben. Ich wüsste überhaupt niemanden, der dieses Wunder vollbringen kann (und ich bin gläubiger Katholik…).

> Möchtest du statt den genannten Film ständig
> anzusehen mal öfter das Lied „Streets of
> London“ hören?

Um mich die ganze Zeit mit dem alten Mann in den ausgetretenen Schuhen zu identifizieren? winking smiley

> Ist ein „misslungenes“ Jahr von rd. 45
> wirklich schon so eine schlechte Bilanz?

Morgen jährt sich mein Outing zum ersten Mal. In diesem Jahr bin ich von Depressionen heimgesucht worden, hatte dank eines Typen (der hoffentlich an irgendwas qualvoll erstickt) einen Nervenzusammenbruch, war in der Psychiatrie, bin jetzt wieder alleine und wende all meine Kraft dafür auf, mein äußeres Leben im Griff zu behalten.

Emotional bin ich völlig im Fluchtmodus, traue niemandem, flüchte mich in Scheinwelten (und Schweinewelten).

Von mir aus, könnten wir dieses Jahr tatsächlich streichen.

Viele Grüße

Flo
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
18. November 2022 14:28
Hallo Flo,

ich kann gut verstehen, dass die "neue" Welt, die du auf dem CSD gesehen hast, abschreckend gewesen sein muss.
Ich habe mich am Anfang auch erschlagen gefühlt.
Zum einen glücklich, weil ich nun wusste, warum ich mich in der heterosexuellen Gesellschaft so fremd gefühlt habe und dann erschrocken, dass die schwule Community auch nicht das war, wo ich mich zugehörig fühlen wollte. Ein Dilemma.....erstmal....aber:

Ich möchte dir helfen einen vielleicht anderen Blick darauf zu gewinnen.
Was du dort auf dem CSD gesehen ist, sind auch nur ein bestimmter Kreis an Personen einer viel größeren Community, die zum Teil gar nicht sichtbar ist.
Die Menschen, die sich schrill, laut, extravagant und freizügig zeigen, tun dies, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass sie sich nun frei fühlen von den Zwängen einer Gesellschaft, die sie vorher eingeschränkt hat. Dass sie das teilweise in einem übertriebenem Maß tun kann man gut finden oder nicht, es ist aber eben ein persönlicher Ausdruck der einzelnen Menschen. Nicht mehr und nicht weniger.

Das bedeutet insbesondere nicht, dass die gesamte Community so ist. Es ist eben nur der sichtbare Teil. Ein viel größerer Teil ist erst einmal unsichtbar und unscheinbar.
Freue dich mit ihnen mit, dass sie ihren Weg für das Ausleben ihrer Sexualität gefunden haben, aber fühle dich nicht dazu verpflichtet denselben Weg gehen zu müssen.

Du musst ja jetzt niemand mehr sein der du nicht sein willst. Schau dir an, was für unterschiedliche Menschen es gibt und überlege dir, wer von ihnen dich inspiriert und wer eben nicht. Verurteile aber niemanden dafür.
Ich habe das Gefühl, dass du den kleinen Ausschnitt, den du bisher von "der anderen Seite" gewonnen hast für das komplette Bild hältst und dich zu früh wieder versteckst im Glauben, dass die Welt nichts für dich zu bieten hat. Die Wahrheit ist, die Welt hat immer mehr für uns zu bieten, als wir uns im Moment vorstellen können. Wir dürfen neugierig bleiben.

Was du brauchst in deiner Phase ist ein kleines Erfolgserlebnis und etwas Unterstützung am Anfang.
Es gibt Phasen im Leben, die kann man und muss man auch nicht alleine mit sich selbst ausmachen.

Du warst in Köln auf dem CSD? Dort gibt es das Rubicon. Eine Beratungsstelle für queere Menschen von queeren Menschen. Die können dir vielleicht helfen dabei dein Leben etwas zu ordnen?
Wäre das etwas, was du in Betracht ziehen könntest?

Michael Kensy
Coming-out Coach
[www.michael-kensy.de]
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Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
18. November 2022 21:04
Hallo Michael,

der CSD war mein erster direkter Kontakt mit dieser Welt. Es war für mich wie die Schaufensterfronten der Kaufhäuser als Kind in der Adventszeit. Am liebsten hätte ich alles ausprobiert…

Was mich entsetzt hat – und da muss ich auch das Rubicon in gewisserweise einbeziehen – war das eher merkwürdige Verhältnis der Szene zu Sexualität. Selbst in Beratungssituationen (die ich ja auch schon hatte), steht das „Probier alles aus“ im Vordergrund. Mir sind Gaysaunen und Fetischclubs als erste Anlaufstellen genannt worden. Und natürlich Romeo. Nun, es gibt nicht nur Spinner dort, aber sehr, sehr viele.

Was mich immer noch erschreckt ist das Problem „Einsamkeit“. Nach meinem Eindruck ist Sex (vorallem der schnelle, anonyme, unverbindliche) ein Mittel der Kompensation der Beziehungslosigkeit. Das an sich fände ich ja noch völlig verständlich, wenn es nicht so ein Breitenphänomen wäre. Und ein Phänomen, das die Aufnahme echter Beziehungen (so wie ich das eigentlich kenne) erschwert um nicht zu sagen verhindert.

Nun kenne ich durchaus auch Beispiele für „spießige“ schwule Paare – aber sie sind für mich im Moment in der Wahrnehmung tatsächlich in der Minderheit.

Meine Depression war auch durch ein paar sagen wir kritische Erfahrungen mit Männern verstärkt, auf die ich einfach reingefallen bin. Im Moment taste ich mich vorsichtig an einen Mann heran mit dem mich sehr viel verbindet, wo ich aber noch nicht abschätzen kann, ob das eine Zukunft hat. Für jemanden, der ein Vierteljahrhundert keine Übung mehr in Partnersuche hat, eine Herausforderung.

Wer oder was mir wirklich helfen könnte, kann ich nicht beantworten. Mein Hirn ist zur Zeit wieder im depressiven Kreisverkehr und ich komm nicht ins Handeln (wobei eine der Fragen ist, was ich denn überhaupt tun soll). Das vereinfacht die Sache nicht gerade.

Eins meiner Grundthemen ist seit jeher, daß ich nicht auf Fremde zugehen kann. Also nicht ohne ein sicheres Thema. D.h. selbst wenn ich an einem öffentlichen Ort jemanden sehen würde, käme ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht an ihn ran. Die Reste vom Vortag bietet man halt keinem an und so fühle ich mich im Moment immer noch, auch wenn ich mir permanent sage, daß das völliger Humbug ist.

Ich habe gestern mit einem schwulen Pärchen 2 Stunden telefoniert – die beiden haben sich wirklich bemüht mir zu helfen aus dem Loch zu krabbeln. Es ist einfach alles sehr mühselig.

Viele Grüße

Flo
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
28. November 2022 09:27
Lieber Flo,
sorry, ich hatte zwei Missverständnisse. Zum einen verstand ich das "Investieren" in die Phase nach deinem co für eine neue Partnerschaft und dass das eben misslungen wäre. Und zum anderen dachte ich, dass du noch in gutem Kontakt mit deiner Ex-Frau stehst, weil du mal geschrieben hattest, dass ihr beide nach deiner Offenbarung ihr gegenüber so viel miteinander gesprochen habt, wie nie zuvor. Aber tatsächlich schreibst du von ihr ja nur noch als Mutter deiner Kinder.
Du befindest dich in einer herausfordernden Situation, die ich bedauere. Sie fordert dich aber nur so sehr, wie du selbst Forderungen an dich und deine Umwelt stellst. Und diese Forderungen könnten doch aus einer Art Torschlusspanik rühren. Dabei hast du statistisch gesehen doch noch so viel Zeit.
Ein asiatisches Sprichwort lautet: Willst du schnell vorankommen, gehe langsam.
Meinst du, es wäre dir möglich, zunächst einmal wirklich ganz zur Ruhe zu kommen und vielleicht auch manches in deinem Leben einfach mal passieren zu lassen, ohne selbst aktiv zu werden?
Glaubst du daran, dass man auch einfach gefunden werden kann, ohne ständig aktiv auf der Suche zu sein?
Kannst du mir zustimmen, dass dabei die Chancen vielleicht deutlich höher sind, wenn man eine positive Ausstrahlung vermittelt?
Ich weiß, dass das leicht so von außen geäußert werden kann. Deine psychische Ausgangsbasis ist schwierig, aber noch lange nicht hoffnungslos.
Könntest du nicht Frieden mit deiner Vergangenheit schließen? Das bedeutet ja nicht, alles gutzuheißen, aber die Vergangenheit ist doch passiert und kann nicht ausgelöscht werden. Kann da ein Hadern vorwärtsbringen? Wäre es möglich, die dir unliebsamen Ereignisse als Ansporn zu sehen, künftig in solchen Situationen "besser" zu agieren? Oder sie einfach in die Kategorie "unnötig" abzulegen?
Kann es sein, dass du dich selbst fast mehr hasst, als du dich selbst liebst? Da wirken deine negativen Erfahrungen in der Gay-Welt und deine Fluchten in die Schein/Schweinewelten fast wie ein "Brandbeschleuniger". Ich weiß, wie man regelrecht abdriften kann und statt Befriedigung stellt sich ein immer größer werdendes Loch ein. Menschen mit solchem Defizit sind stets auf der Jagd und ihnen begegnet man folglich auch immer zuerst. Du wohl auch und deshalb ist deine Enttäuschung auch so groß. Du tust aber einer großen Anzahl von Menschen Unrecht, wenn du diese Erfahrungen pauschal auf die Gay-Welt oder auch auf gayromeo überstülpst. Ja, ich habe auch viele Jäger kennengelernt (war auch mal einer), aber auch wunderbare Menschen. Und an denen orientiere ich mich, denn sie tun mir gut und ich habe meinen Frieden, eine innere Ruhe und einen lieben Freund gefunden. Sowohl meine Frau, als auch mein Freund sind tatsächlich nicht das Ergebnis einer intensiven Suche. Sie waren plötzlich da und die Verbindung entstand.
Ich wünsche dir eine ruhige, friedliche Adventszeit und viel Liebe für dich selbst.

Liebe Grüße
Tom
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
22. Dezember 2022 18:20
Hallo Tom,

eine Beziehung zu einem Mann habe ich bisher noch nicht gehabt - ich habe auch noch überhaupt keine Idee, wie so eine Beziehung aussehen könnte. Was ich im Moment mit meinem "Freund" ausprobiere ist jedenfalls anders als alles, was ich kenne.

Das Verhältnis zu meiner Noch-Frau (wir sind noch lange nicht geschieden) ist nicht schlecht. Für mich ist allerdings da mittlerweile eine Wand zwischen uns, die ich nicht durchdringe. Hat allerdings außer einer leicht unterkühlten Atmosphäre keine wirklichen Konsequenzen.

Die "viele Zeit" hatte ich mir erhofft - seitdem ich dieses Jahr wegen der Depression im Krankenhaus war, ist bei mir allerdings noch soviel nebenbei diagnostiziert worden (einiges chronisch), daß sich zwischendurch schon die Frage stellte, ob das Outing wirklich notwendig war. Als körperliches (und seelisches) Wrack in eine neue Beziehung zu gehen, ist einfach nicht das, was ich vorhatte. Ein paar Dinge sind vielleicht noch einstellbar, aber anderes eben nicht - wobei mich das eine runterzieht, was die Depression verschärft, die verhindert, daß ich mich wenigstens um den Rest kümmere. Die Phantasien, die ich im Bezug auf Männer hatte, werden exakt das auch bleiben: Phantasien. Um sie real umzusetzen fehlen mir jetzt nicht mehr nur der/die Partner sondern ich mir selbst.

Über meine Vergangenheit im Sinne von "was wäre gewesen, wenn..." denke ich tatsächlich nicht mehr nach. Das reißt mich nicht mehr vom Hocker.

"liebe... wie dich selbst" sollte mir als gläubigem Katholiken eigentlich im Blut liegen, aber es ist tatsächlich ein Faktor, daß ich diese Selbstliebe nicht empfinde. Ich bin nach meinen eigenen Ansprüchen - die wirklich nicht sonderlich hoch sind - einfach nicht liebenswert. Was mit ein Grund ist, warum ich keine LiveDates habe oder keine Leute live kennenlernen möchte/kann.

Dazu kommt, daß ich zwei meiner Unterstützer verloren habe. Was auch nicht wirklich hilft.

Viele Grüße

Flo
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
23. Dezember 2022 11:07
Lieber Flo,
nach dem Eindruck, den ich beim Online-Treffen von dir gewonnen hatte, bin ich ich eigentlich positiver gestimmt, als deiner Antwort hier zu entnehmen ist. Ja, du scheinst da ein paar Päckchen zu tragen, aber es war doch erfrischend, wie du dich an der Unterhaltung beteiligt hast. Wären wir räumlich näher zusammen, könnte ich mir dich als Gesprächspartner für gelegentliche ernsthafte oder auch mal „Feierabendbier“-Gespräche gut vorstellen.
Du hast also überhaupt keinen „kaputten Eindruck“ hinterlassen.
Und deshalb bin ich da so positiv gestimmt, dass du mit diesem Eindruck auch Menschen begegnen wirst, die dich ebenso als liebenswerten Gesprächs-, Freizeit- oder sogar Lebenspartner entdecken werden. Habe Mut und Vertrauen, die kommende Zeit gut zu meistern. Als gläubiger Christ kannst du für dich deine Kraft und eine dich tragende Einstellung finden und damit vielleicht auch ein kleines Wunder geschehen lassen.
Wie du ja schon festgestellt hast, dieser ganze Trubel um ein coming out beschäftigt und besetzt einen vielleicht viel zu sehr. Du bist, wer und wie du bist. „So ist es einfach“, ist da manchmal eine gute Einstellung und auch ein Abschluss für so manche, auch quälende, Denkprozesse.
Lasse dich nun einfach ein wenig von Weihnachten verzaubern. Und wenn wir da mal das ganze süßliche Gedöns, was man darum gemacht hat, ausblendet, dann kommt die wirkliche Botschaft hervor.
In diesem Sinne, ein frohes Weihnachtsfest
Tom
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
03. Januar 2023 07:37
Hallo Flo,

wie Tom schon gesagt hat, hast du auch auf mich auch nicht den Eindruck gemacht "ein Wrack" zu sein.
Im Gegenteil war das, was ich von dir wahrgenommen habe sehr positiv.
Das was du berichtet hast, ist einfach eine normale Phase nach dem Coming-out, die fast jeder durchmacht
(Stichwort: Erstverschlimmerung).

Dass dein Körper unter der seelischen Verdrängung gelitten hat ist auch nicht ungewöhnlich. Nur über den Körper kann sich die Unstimmigkeit ausdrücken, wenn die Seele leidet aber ignoriert wird.

Du darfst nun aber nicht den Fehler machen und dir einreden, dass es nie wieder besser wird und du nirgendwo mehr dazugehörst. Dann wirst du in diesem Zustand stecken bleiben.
Gehe weiter Richtung Zukunft, such dir etwas aus, auf das du dich freuen kanns: Eine tolle Beziehung, ein freies Leben, was immer für dich erstrebenswert ist. Und dann geh los, auch wenn es sich jetzt nicht nicht gut anfühlt.

Fehlende Selbstliebe ist der Klassiker bei uns. Wir lehnen uns selbst ab und projizieren das auf andere uns sind daher der festen Überzeugung, andere lehnen uns zwangsläufig auch ab.
Aus Erfahrung: Andere denken immer deutlich positiver über uns als wir selbst. Wenn du also einen Weg finden kannst, an dir zu arbeiten, dass du dich selbst langsam, Schritt für Schritt mehr akzeptierst, wirst du die wundersame Erfahrung machen, dass es andere auch tun.

Michael Kensy
Coming-out Coach
[www.michael-kensy.de]
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Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
03. Januar 2023 08:10
Vielen Dank für Eure Rückmeldungen.

Nun - daß ich "positiv rüberkomme" sagt mir, daß mein schauspielerisches Talent noch funktioniert. Verstellung war (und ist) im Grunde mein tägliches Brot. Keine negative Stimmung erzeugen, sich selbst nach Möglichkeit zurückzunehmen, allen Anwesenden einen angenehmen Aufenthalt bieten (ich hätte Animateur werden sollen...) sind so Grundprinzipien, wenn ich in einer Gruppe bin.

Im Moment möchte ich aussteigen. Nicht nur, weil Männer Idioten sind (oder sich unter schwulen Männern überproportional viele davon finden). Ich kann im Moment keine Nachrichten schauen, keine aktuellen Dokus angucken, selbst Filme oder Serien sind für mich kaum zu ertragen. Jeder gegenderte Text, jedes "Pride-Event", versetzt mir einen Stich, verursacht mir körperliche Schmerzen. Der politische Wahnsinn treibt mich in den selbigen. Mir ist, als hätte ich nicht nur meine alte Beziehung und mein "falsches" Leben hinter mir gelassen und wäre in einem anderen Alptraum aufgewacht. An dem Eindruck, unverstanden zu sein, nicht hierher zu gehören, hat sich jedenfalls nicht gebessert.

Viele Grüße

Flo
Re: Schon früh geahnt - nur nicht von mir
03. Januar 2023 16:16
Hallo Flo!

Ich beziehe mich jetzt auf deinen letzten Beitrag (deine Geschichte habe ich bereits vor einigen Tagen gelesen :-) Danke, für deine Einblicke!)

Also ich kann mich mit dem ersten Absatz zum "schauspielerischen Talent" 100% identifizieren. Das hab ich irgendwie schon immer aufrecht erhalten wollen, weil, wenn alle gut drauf sind, dann habe ich keine Probleme, um die ich mich kümmern muss (auch, wenn es niemand von mir verlangt - egal, ich fühle mich dennoch verantwortlich)
Nun gelingt mir aber seit einiger Zeit dieses Schauspiel nicht mehr so ganz. Auslöser war der Beginn meiner Psychotherapie, die ich aus eigener Überzeugung endlich gestartet habe - davor war Therapie für alle anderen gut, aber ich wollte (musste?) meine Probleme immer selber in den Griff bekommen, weil ich mir damit vermutlich zeigen wollte, wie stark ich bin. Jedenfalls hat die Therapie viel ins Rollen gebracht und es war dann auch, als wäre mir der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Ich hatte zwei Wochen sehr dunkle Phasen. Da ging es mir wie dir. Keine Nachrichten, keine Serien/Filme, gar nichts - alles hat meine Stimmung nur noch dunkler gemacht. Am liebsten hätte ich mich auf eine einsame Insel abgesetzt. Ich habe dann über meine Frau gehört, dass meine Mutter zu ihr sagte "ich finde es schade, dass er jetzt so traurig ist, er hatte doch sonst auch immer ein Lächeln im Gesicht."
Diese Aussage hat mich lustigerweise wieder aus der Dunkelheit geholt. Plötzlich wurde mir klar, dass mein Schauspiel tatsächlich wirkungsvoll war. So wirkungsvoll, dass ich meine Mutter hinters Licht führen konnte und ihr damit vor allem in jungen Jahren verwehrt habe, mir Hilfe anzubieten oder zu ermöglichen. Gut, da kann man diskutieren, ob sie als Mutter hinter meine Fassade hätte blicken können, etc. Dem war nicht so - auch Eltern sind nur Menschen.
Mir hat es jetzt die Augen geöffnet und so kann ich Stück für Stück das Schauspiel weniger anwenden. An manchen Tagen gelingt das gut, an anderen könnte ich wieder ein Oscar-Kanditat sein.

Vermutlich haben meine Worte keinen Effekt auf dich. Ich wollte dich auch nicht versteckt belehren oder sonstiges. Ich kann deine Situation und deine Gefühlswelt sehr gut verstehen. Falls du dich darüber austauschen willst, kannst du mir jederzeit eine PN schicken. Auch ich kämpfe weiterhin damit, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu entwickeln. Wenn man sich so lange als "unwürdig" oder "falsch" oder "abnormal" bezeichnet, wird man das schwer wieder los.

Liebe Grüße!
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