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Depressiv wegen Verdrängung??

geschrieben von Phoenix 
Depressiv wegen Verdrängung??
06. Mai 2022 00:10
Ich bin eine 38-jährige alleinerziehende Mutter von 2 Kindern. Mein Exmann hat mich vor 6 Jahren verlassen und ist bald darauf mit seiner neuen jüngeren Freundin zusammengezogen. Meine Strategie, um weiter funktionieren zu können, war Verdrängung. Vor drei Jahren dann kam der große Zusammenbruch... Burnout, schwere Depressionen, Selbstverletzungen, Suizidversuch. Ich war monatelang in Psychiatrien, in Tageskliniken und bin natürlich in ambulanter Psychotherapie. Sehr sehr lange kämpfe ich ums Überleben, gegen die Überforderung, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Selbsthass. Ich versuche wirklich zu glauben, dass ich einen Selbstwert habe, mein Verstand sagt mir das schon. Doch ich fühle es nicht. Ich suche so sehr nach Dingen, die mir Freude oder die mich glücklich machen, aber ich finde nix. Die innere Leere möchte einfach nicht weichen. Ich lebe sozial komplett isoliert. Bis auf eine Freundin, die ich hin und wieder zulassen kann, einer Familienhelferin, meiner Psychologin und natürlich meiner beiden Kinder (inzwischen 9 und 12) treffe ich kaum noch Menschen. Da kam mir Corona gerade recht.
So langsam in klitzekleinen Minischritten kriege ich meinen Alltag wieder gewuppt. Doch Freude spüre ich immer noch nicht. Ich mache mir Sorgen um meine Zukunft. Meine Kinder fragen mich, ob ich denn nicht mal wieder einen Mann will, aber meine Antwort ist ganz klar: Nein! Ich muss mich erstmal selbst lieben, bevor ich wieder lieben kann. Aber einsam fühle ich mich schon. Ich merke, dass mir ein Diskussionspartner zu Erziehungsfragen fehlt, denn mit einem 12-Jährigen kann es selbst ohne Depressionen zur Belastungsprobe werden. Ich war jetzt lange gewollt allein. Und dann passierte es.... Bei einem online-Informationsabend der Schule sehe ich diese bildhübsche intelligente taff wirkende Frau auf meinem Bildschirm. In den folgenden Nächten und Tagen befallen mich Gedankenblitze wie flashbacks...

Als Teenager liege ich im Bett neben meiner besten Freundin. Es ist so eine Anspannung in der Luft... Ich möchte sie küssen, so ein Verlangen habe ich noch nie gespürt. Aber ich trau mich nicht.

Bei einem Spieleabend mit meinem Ehemann (kurz vor dem Beziehung-aus) kommt es zum Kuss mit meiner Freundin. Erst ist es ein "Pflichtkuss", doch irgendwann kann ich mich fallen lassen und verliere mich. Diese Zärtlichkeit und das gleichzeitige wilde Verlangen kannte ich nicht. Es war atemberaubend. Dieser Kuss hat mich noch lange beschäftigt und meine Phantasien mit meiner Freundin beflügelt.
Doch auch diese Erinnerung war dann irgendwann ausgelöscht.

Etwa ein Jahr nach der Trennung fand ich mich völlig betrunken in einem Vierer wieder. Ich hatte nur Augen für die Frau.

Das könnten alles nur Phasen gewesen sein, oder ich wäre eben bisexuell? Es hat mich jedenfalls nicht weiter beschäftigt, passt ja nicht in mein "Lebensmodell".

Doch was ist jetzt anders? Ich kann es nicht beschreiben. Ich habe plötzlich das Gefühl, ein Puzzle gelöst zu haben.
Ich habe mein Leben lang versucht zu funktionieren und perfekt zu sein. Habe mir nie Fehler geleistet, oder habe es eben versucht. Mein Exmann war mein erster Freund, mein erstes Mal. Ich hatte keine Vergleich, ich war zufrieden. Doch die große sexuelle Leidenschaft spürte ich nie.

Leute.... Ich weiß nicht mehr genau, wie ich zu diesen Gedanken kam, was ja auch Symptom der Depression ist... Und ich kann es noch weniger erklären. Es ist nur so, dass ein kleiner Teil da schon öfter darüber nachgedacht hat, ob ich auf Frauen stehe und diese Gedanken erhärten sich gerade massiv.
Vielleicht habe ich mein Leben lang nur eine Rolle gespielt.. Die perfekte Schülerin, die perfekte Familienmanagerin... Vielleicht fühle ich mich deshalb so leer?
Doch eins ist mir auch klar. Ich weiß nicht, ob ich den Mut finde, mich zu öffnen. Mir ist mein gesamter Mut, meine Hoffnung und Zuversicht in den letzten Jahren abhanden gekommen. Ich weiß nicht, wie es weiter geht. Und ich habe Angst, dass der Suizid wieder als attraktive Lösung erscheint.
Ich werde mich wohl zumindest meiner Therapeutin öffnen müssen und das werd ich auch.

Ich bin jetzt einiges losgeworden und überlege noch, ob ich einiges kürzen oder rausstreichen soll.... So wie ich es bei meiner Therapeutin auch gern mache. Ich bin noch nicht bereit, dass schwarz auf weiß zu sehen.

Tut mir leid, ihr merkt, wie durcheinander ich bin und was da so los ist in meinem Kopf.

Wie habt ihr gemerkt oder seid euch sicher darüber geworden, dass ihr homosexuell seid?

Liebe Grüße
Re: Depressiv wegen Verdrängung??
06. Mai 2022 07:21
Liebe Phönix, herzlich willkommen hier auf co30. Deine Geschichte ist ein Riesen Schritt für dich selbst. Es schwarz auf weiß zu schreiben und immer wieder lesen zu können. Nimm es als dein "Tagebuch" an. Es ist ja erstmal anonymisiert.
GLG Maks
Re: Depressiv wegen Verdrängung??
06. Mai 2022 09:14
Hallo Phoenix,

wow, dein Lebensweg war ein sehr steiniger bis hierher. Ich finde es zeigt viel Stärke, deine Geschichte mit uns zu teilen, vielen Dank dafür.
Was du so beschreibst, lässt meiner Meinung nach klar erkennen, dass du dich zu Frauen hingezogen fühlst. Du schreibst es fühlt sich an wie ein Puzzle gelöst zu haben. Darf ich dir dazu gratulieren? Diese Erkenntnis ist was Wunderschönes!
Ich habe selbst erst mit Mitte 30 entdeckt, dass ich lesbisch bin, da ich meinen Mann auch kennengelernt habe, als ich gerade mal 18 Jahre alt war. Ich hatte auch nie in Frage gestellt, vielleicht etwas anderes als hetero zu sein. Ich kann sehr gut nachempfinden, wenn du schreibst, du wolltest immer perfekt sein. Und eben diese Menschen, die sich selbst bis zum Äußersten treiben um perfekt für andere zu sein, landen in einer Depression. Mir ging es genauso. Heute bin ich mit mir mehr im Reinen als je zuvor. Ich liebe meine Frau, die ich letztes Jahr geheiratet habe, über alles und lebe offen homosexuell. Auch die Tatsache, dass ich zwei Kinder habe, steht dem nicht im Wege, ganz im Gegenteil. Es ist nicht wichtig, was andere davon halten, oder ob sie über mich reden, denn ich DARF verdammt nochmal so leben, wie es für mich richtig ist. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig! Vielleicht kannst du dir das selbst auch sagen.

Du fragst dich, ob du bisher nur eine Rolle gespielt hast, eben die, die von dir erwartet wurde. Google mal Heteronormativität und Zwangsheterosexualität, da dürftest du viele Antworten finden.

Hast du Angst davor, eventuell lesbisch zu sein? Vielleicht kannst du es als Chance für einen Neustart sehen. Damit rückt der Schmerz der Scheidung von deinem Ex vielleicht ein kleines Stück in den Hintergrund, wenn du erkennen kannst, dass er, allein schon weil er ein Mann ist, nicht der Lebenspartner war, den du brauchst. Es ist nichts falsch daran sich zum gleichen Geschlecht hingezogen zu fühlen. Ich hab damals bei meinem Coming Out mit vielen negativen Kommentaren gerechnet, aber das Gegenteil war der Fall, was mich sehr überrascht hat.

Ich darf dir sagen, es es schön seinen Platz in der Regenbogen Community zu finden. Man darf mit gutem Gewissen stolz sein, "besonders" zu sein thumbs up

Alles Liebe

Confused33x
Re: Depressiv wegen Verdrängung??
06. Mai 2022 22:13
Vielen Dank für eure lieben Worte und dass ihr mich so lieb aufgenommen habt!

Ich habe einen Tag im Wechselbad der Gefühle hinter mir. Ich bin nach einer schlaflosen mit Alpträumen durchzogenen Nacht mit schwerem Herzen aufgewacht und hab mir gedacht: "Oh Gott, hast du das jetz echt abgeschickt? Wie kann ich das sofort wieder löschen?"
Um so erleichterter war ich, als ich eure Kommentare gelesen hab. Und ich hab sie heute immer und immer wieder gelesen. Und mit jedem mal fühlt sich das weniger seltsam und fremd an. Ab und zu läuft mir sogar ein wohltuender Schauer über den Rücken. Sich endlich jemanden anvertraut zu haben ist ein Befreiungsschlag. Auch wenn ich immer noch nicht sagen kann, ob ich jemals den Mut aufbringen werde zu mir zu stehen. Aber ihr habt recht, ein großer Schritt ist getan. Jetzt braucht es Zeit.
Ich bin im Moment eh nicht bereit für die Liebe. Dafür hab ich noch zu viele Baustellen.

Aber vielleicht ist das der Schlüssel für mich, mich endlich annehmen und lieben zu können. Endlich keine Rolle mehr spielen zu müssen. Sich angenommen und willkommen zu fühlen.

Ich danke euch dafür!
Re: Depressiv wegen Verdrängung??
30. Juni 2022 12:09
Hallo zusammen,

nachdem ich vor paar Wochen meinem Gefühls- und Gedankenchaos hier Raum geben konnte, habe ich mich bewusst wieder zurückgezogen, weil mich das alles sehr belastet hat.

Inzwischen ist mir bewusst geworden, dass ich sehr in meine beste Freundin verliebt war. Nur war das eben keine Option. Doch ich hätte es erkennen müssen, als mir der Verlust dieser Freundschaft nur wenige Wochen nach Scheitern meiner Ehe wesentlich schwerer zu schaffen machte, als die Trennung zu meinem Mann.
Leider brach der Kontakt zu ihr komplett ab, was mich sehr sehr traurig machte.

Diese Erkenntnis war befreiend und beunruhigend zugleich.
Ich fühle mich zu Frauen hingezogen.

Ich habe mich meiner Therapeutin, einer lesbischen Freundin und diesem Forum anvertraut. Doch hat mich das alles auch sehr überfordert und bin ich in mein altbewährtes Verhaltensmuster zurückgefallen... Verdrängung, Kompensation, Abschalten, Funktionieren!
Was erst gut und nötig war, doch bringt mich das auch nicht weiter.
Meine Nerven liegen blank, ich bin überfordert und schnell gereizt. Ich muss mich wohl oder übel wieder auf die Reise zu mir selbst begeben.
Ich denke, wenn man diesen Weg erst mal angetreten ist, sollte man ihn nicht unterbrechen und sein Wesen mit all seinen Gefühlen, Gedanken, Sehnsüchten und Neigungen unterdrücken.

Die vermeintlich heile Welt meiner Kinder wurde vor 6 Jahren zerstört, als ihr Papa zur neuen Freundin zog, dann vor 3 Jahren erneut, als ihre Mama plötzlich monatelang in der Psychiatrie verschwand. Jetz versuch ich, mein mir möglichstes zu geben, um auf mich und meine psychische Gesundheit zu achten, um ihnen einen erneuten Verlust der Mama zu ersparen.
Ich rede sehr viel mit meinen Kindern, auch über die Vielfalt und Diversität der Menschen und versuche sie, zu offenen und toleranten Menschen zu erziehen.
So hoffe ich, dass sie es verständnisvoll aufnehmen können, wenn ich mich irgendwann mal wieder verlieben sollte, auch und gerade dann, wenn es eine Frau ist.

Liebe Grüße,
Phoenix
Re: Depressiv wegen Verdrängung??
30. Juni 2022 17:16
Hallo Phoenix,

„Ich denke, wenn man diesen Weg erst mal angetreten ist, sollte man ihn nicht unterbrechen und sein Wesen mit all seinen Gefühlen, Gedanken, Sehnsüchten und Neigungen unterdrücken.“

Ja, das sehe ich auch so und es entspricht auch meiner Erfahrung. Es ist wichtig diesen Weg weiter zu gehen. Es ist allerdings auch wichtig, das was man im Moment fühlt und wie man sich im Moment fühlt so anzunehmen wie es ist. Viele verurteilen sich selbst dafür und das ist eine Sackgasse. Es hat einen tieferen Grund, warum man sich so fühlt und das hat mit alten Verletzungen zu tun, die erkannt und gefühlt werden wollen.

Es fällt mir immer wieder auf, dass viele das Gefühl des verliebt seins haben, doch was genau ist es denn, was man am anderen so wunderbar findet, das man sich verliebt. Findet man genau das heraus, dann ist das ein Zeichen dafür es in sich selbst zu verwirklichen. Da ist etwas das gelebt werden will und das man bisher übersehen oder gar verdrängt hat.

Hinzu kommt, so wie ich es heraus lese eine Verlustangst, die ich in letzter Zeit bei sehr vielen und vor allem bei Frauen erlebt habe. Das hat ganz viel mit der Kindheit zu tun. Man fühlt sich oft abhängig und dann kommt der Verlust und man hat das Gefühl als verliere man den Boden unter den Füssen. Genau das wovor man Angst hat zieht man magisch an und es begegnet einem im Aussen.

Es ist jetzt für uns ALLE die Zeit, die Reise nach Innen anzutreten und zu sehen, welche Verletzung - insbesondere aus Kindheit - noch in uns stecken und uns davon abhalten, das zu leben, was wir leben wollen und was auch unser Geburtsrecht ist. Allerdings ist das auch eine verdammt harte Arbeit an sich selbst, wie ich von mir selbst nur zu gut weiss.

Jedenfalls, wünsche ich Dir die Kraft, Deinen Weg zu gehen und zu Dir selbst zu finden.

Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand.
Die Veränderung beginnt bei mir selbst.
Liebe ist meine Rebellion.
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