Willkommen! Anmelden Ein neues Profil erzeugen

Erweiterte Suche

Lesbisch: Coming In, Coming Out

geschrieben von Kaj 
Lesbisch: Coming In, Coming Out
03. Juni 2021 15:37
(Vorab ein TW: s.*** Missbr***, kommt eher nebensächlich vor, aber will niemanden mit dem Thema belasten, hab es auch unten im Text noch mal markiert)


Liebe Community,

wie so viele habe ich jetzt einige Zeit mal mitgelesen, und versuche mich jetzt mal darin, pünktlich zum Pride Month, meine derzeitigen Gedanken aufzuschreiben – so als nächster Schritt. Ich hab euch glaube ich im Januar gefunden und seitdem kam noch mal viel ins Rollen.

Ich bin w, 32, und besonders durch den Corona-Lockdown und der ganzen Zeit, die man ja so auf sich zurückgeworfen ist, habe ich in den letzten Monaten immer mehr begriffen, dass ich lesbisch bin.

Eigentlich habe ich das die letzten Jahre immer auch punktuell schon mal 'realisiert', es gab z.B. eine Frau, bei der ich wie vom Blitz getroffen war. Ich glaube sie hat das sofort gecheckt, und ich indirekt auch, aber unsere Lebensumstände waren in der Zeit so kompliziert und verschieden, dass nichts weiter passiert ist. Außerdem war sie zu der Zeit auf dem Weg in eine neue Beziehung, und in unseren Gesprächen meinte sie, dass sie hofft, dass diejenige nicht eine ist, die sich derzeit selbst im Lesbisch sein findet, darauf hätte sie keine Lust mehr – das hat irgendwie bei mir gesessen und mich dann erst mal meine Gefühle wieder verdrängen lassen. Wir haben auch seit damals keinen Kontakt mehr (das ist jetzt schon 6 Jahre her).
Während der Zeit damals war ich auch seit 5 Jahren in einer Beziehung zu meinem damaligen Freund – jetzt in der Rückschau merke ich, dass ich da nie so ganz 'authentisch' war.

Aber irgendwie sitzt seitdem auch die Angst tief, dass wenn ich mich in eine Frau verliebe, diese niemanden will, die das Coming In und Coming Out noch vor sich hat, und habe das Thema wieder total verdrängt. Angst davor, dann verletzt und zurückgewiesen zu werden.

Jetzt habe ich mich vor zwei Jahren erneut verliebt – für mich was Besonderes, aber auch wieder kompliziert, weil sie nicht in Deutschland lebt, in einer Beziehung war (sich aber von ihrer Partnerin getrennt hat). Wir haben mal 2 Wochen gemeinsam verbracht; ich habe sie besucht, als sie eine Weile in Deutschland gelebt hat. Ich habe ihr gegenüber auch bisher nichts gesagt, weil ich das Gefühl habe, dass ich mich erst mal selbst finden muss. Trotzdem habe ich mich bei ihr in so einem Nebensatz damals geoutet – witzigerweise bevor ich mir das selbst so richtig eingestehen konnte. Mir geht es auch derzeit nicht (hauptsächlich) darum, ihr näher zu kommen – wir haben relativ regelmäßig Kontakt und ich schätze das sehr (und es gibt auch Signale, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ich das interpretiere, oder da wirklich was ist zwischen uns) – sondern eigentlich darum, erst mal mein Coming In für mich klar zu kriegen.

Das geht für mich derzeit parallel mit dem Coming Out – vor Kurzem habe ich mich bei zwei Freunden geoutet, weil es halt auch beim Aussprechen noch mal realer wird. Ich war einerseits erleichtert – aber irgendwie hatte ich das Gefühl als wär das Ganze bei mir noch nicht richtig angekommen. Ich stand irgendwie so neben mir, kann auch noch nicht wirklich ausführlicher darüber sprechen bei meinen Freunden, und ich zweifle auch ständig, ob das nicht irgendwie eine Phase ist, oder ich mir was einbilde, oder die Idee toll finde, lesbisch zu sein. So Stimmen im Kopf... Bei anderen, sehr engen Freundinnen und auch bei meiner Familie steht das Coming Out noch aus – aber vielleicht brauch ich noch ein bisschen.
Andererseits gibt es Momente, in denen es glasklar ist und es sich richtig gut, befreit, richtig anfühlt, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle, als ob sich da was in mir "gerade rückt" – vor allem wenn ich draußen unterwegs bin reagiere ich inzwischen ganz anders auf Frauen, nehme sie viel bewusster wahr, was ich bis dato immer total unterdrückt habe.

Männer haben mich im Grunde nie so richtig interessiert haben, bzw. habe ich sie nicht so wahrgenommen. In der Jugend war das eher so ein Nachahmen meiner Freundinnen, die auf einmal Jungs super fanden und sich alles nur noch darum drehte – davon war ich eher genervt, habe aber trotzdem mitgemacht, um da irgendwie dazu zu gehören.
Das wird mir aber alles jetzt erst klar – auch, dass es im Grunde seit meiner Kindheit immer wieder Frauen gab, die ich "anders" wahrgenommen habe. Wenn man das so sagen kann, bereits im Kindergarten fand ich eine meiner Erzieherinnen toll, dann gab es in der Schulzeit zwei Lehrerinnen, die ich super fand – konnte das aber überhaupt nicht einordnen und benennen. Heutzutage frage ich mich, ob nicht auch einige meiner Schulkamerad*innen homosexuell, bi-, non-binär etc. waren, und das einfach überhaupt nicht Gesprächsthema war. Ich war allerdings auch krasse Außenseiterin, sodass ich davon nichts mitbekommen habe und auch überhaupt keine Ansprechpartner*innen hatte. Es gab also gar keine Begrifflichkeit dafür.

Komisch, so eine Rückschau zu starten, es ist als würde sich die eigene Geschichte noch mal neu sortieren. Das ist aufregend, spannend und anstrengend zugleich.


TW: s.*** Missbr***

Generell ist bei mir eh das Thema Sexualität eins, das irgendwie eher total versteckt vorhanden ist – in den letzten Jahren habe ich mich erst mal darum kümmern müssen, den erlebten sex.**n Missbr*** in der Kindheit aufzuarbeiten. Ich bin darüber in den letzten Jahren sehr viel "gesünder" geworden, sodass jetzt Raum und Energie dafür da ist, zu entdecken, wer ich eigentlich bin.

TW: s.*** Missbr*** ENDE


Außerdem war mein Vater schwul, was ich allerdings erst erfahren habe, als ich 17 war, ein ganz großes Geheimnis in unserer Familie. Ich glaube, dass sich da ganz viel an tiefer Scham, Angst vor Paragraph 175 etc. unbewusst/unausgesprochen auf mich übertragen hat. Ich weiß nicht viel über die Zeiten damals, und kann ihn leider auch nicht mehr fragen, weil er schon früh gestorben ist.

Aber ich hab das Gefühl als hätte ich bishierher mein Lesbischsein auch verstecken müssen, aus Schutz (ja vor was eigentlich), übernommene Muster meiner Eltern etc., – dabei denke ich, dass das eigentlich gar nicht "mein" Gefühl ist – ich stell es mir eher schön vor, irgendwann mal in einer Beziehung mit einer Frau zu leben, offen und frei und freu mich auch, das zu entdecken. Ich wünsch mir das auf jeden Fall sehr. Auch den Sex mit einer Frau stelle ich mir als sehr schön vor – auch irgendwie "richtiger", "angekommener". Mit Männern war es zwar schön, aber dann nie so ganz stimmig, auch wenn mir das jetzt erst klar wird.

Ich hoffe echt, dass ich es in Zukunft lerne, mehr bei mir anzukommen und zu mir zu stehen, dass sich das Thema auch irgendwie "leichter" anfühlt. Vielleicht ist mein Schreiben hier einer der ersten Schritte dahin. Ansonsten ist es spannend z.B. mich in vielen Serien/Filmen/Büchern mit den Figuren ganz anders/neu identifizieren zu können, vieles dadurch auch in Worte fassen zu können, und zu sehen, dass ich gar nicht so isoliert und alleine bin, wie sich das streckenweise anfühlt. Es fühlt sich an, als ob nach und nach das Leben noch mal bunter wird / werden könnte.

🌈Danke für's Lesen und Happy Pride Month! Schön, dass es euch gibt. 🏳️‍🌈
Liebe Grüße
Kaj
Re: Lesbisch: Coming In, Coming Out
03. Juni 2021 19:35
Nun liebe Kaj ,

das hört sich an als hättest du dich auf den Weg zu dir selber gemacht.

Da wird dir sicher noch einiges begegnen.

Klar nehmen und übernehmen wir vieles was wir von den Eltern abgeschaut und gelernt haben .
Ist dann manchmal gar nicht so einfach sich da selber zu finden .

Was sexuellen Missbrauch angeht ist das für mich kein Tabuthema , damit belästigst du niemanden . Meine Meinung .
Ich kenne mehrere Frauen und auch einige Männer die das in ihrer Kindheit / Jugend erleben mussten .
Denke es ist gut wenn endlich in der Öffentlichkeit darüber geredet wird.

Deine Unsicherheiten zur Zeit sind verständlich , ich habe dem was ich da fühle am Anfang auch nicht so über den Weg getraut , Gezweifelt ob das nicht nur eine Phase sein könnte .

Spätestens beim ersten mal Sex war ich mir dann aber 100% sicher , da ging alles wie von selbst . Einfach so aus mir raus.

WÜnsche dir weiter alles Gute
Re: Lesbisch: Coming In, Coming Out
04. Juni 2021 14:31
Liebe Daniela,

vielen lieben Dank!

Ja, ich finde auch, dass man mehr über so Themen sprechen muss – so viele sind ja in irgendeiner Form betroffen, finde aber trotzdem, dass es fair ist, ne TW zu machen, falls es Leute gibt, die es emotional aufgrund eigener Geschichte dann raushauen könnte, wenn sie ungewollt drauf stoßen.

Das klingt gut, dass es bei dir beim ersten Sex dann 100% sicher war und aus dir heraus kam – das hoffe/wünsche ich für mich auch, weil einfach erfüllender.

Ich frag mich halt auch echt, wie viel ich in den Jahren vielleicht übersehen habe – vielleicht (bestimmt?) gab es auch Frauen, die mit mir geflirtet haben, ohne dass ich es realisiert habe. Umgekehrt (unbewusst) vielleicht auch?

Und auch: Wie erkenne ich lesbische Frauen, einen Flirt?
War da noch nie so gut drin, grad bei Männern, die es über Komplimente versucht haben, hab ich echt immer so eine Schranke empfunden – so als wäre das nicht authentisch, auf gewisse Weise eine "Performance".... hab das nie so richtig gecheckt grinning smiley

In einem anderen Thread zu schwulen Männern habe ich gelesen, dass sobald man(n) drauf achtet, sie viel leichter erkennbar sind – ist das bei Frauen auch so, oder subtiler? Bin halt echt total neu – fühlt sich an, wie eine zweite Pubertät (oder halt jetzt eine, die authentischer ist).

Was habt ihr für Erfahrungen?

Liebe Grüße
Kaj
Re: Lesbisch: Coming In, Coming Out
07. Dezember 2021 13:58
Hallo Kaj,

es war als ob ich meine Geschichte lese. Auch ich habe den Missbrauch erlebt, habe mich immer wieder in Frauen verguckt , aber wollte es nicht als das wahrhaben was es ist. Ich habe natürlich auch Männer gedatet aber irgendwie hat es nie gepasst. Deswegen hatte ich bis heute noch keine Beziehung und bin mir über viele Sachen nicht im Klaren. Seit einigen Wochen bin ich dabei mit mir selbst ins Reine zu kommen. Ich bin mir immer noch nicht sicher in welche Richtung ich gehe. Bin ich lesbisch oder bi? Dann bin ich wahnsinnig unsicher...wer nimmt eine unerfahrene, übergewichtige Frau, die nich genau nicht weiß was sie möchte?
Re: Lesbisch: Coming In, Coming Out
07. Dezember 2021 17:26
Jemand der dich liebt würde ich sagen .....der nimmt eine unerfahrene , übergewichtige Frau ......weil es ziemlich egal ist wie du aussiehst und ob du Erfahrung hast, wenn dir der richtige Mensch vor die Füße läuft.

Da musst du auch nicht wissen wer oder was du bist ....das merkst du dann selber .

Lg Daniela
Re: Lesbisch: Coming In, Coming Out
09. Februar 2022 20:05
Hallo Kaj,

ich geb jetzt auch mal meinen Senf dazu weil ich deinen Thread gerade gelesen habe.
Zum Thema Phase würde ich sagen, wenn dir mit 32 klar wird, dass du dich zu Frauen hingezogen fühlst und auch in deiner Vergangenheit Anzeichen dafür gefunden hast, ist das keine Phase. Wärst du 16, könnte man darüber nachdenken, mit Ü30 eher nicht mehr. Da du dich aber ohnehin mit der neuen Identität wohl fühlst, kann ich dir zu dieser Erkenntnis nur gratulieren.

Natürlich stellst du dir die Frage, wieso du erst Anfang 30 deine wahre Sexualität entdeckt hast, das ging mir ganz genauso. Ich hab mich mit 33 unsterblich in eine Frau verliebt, obwohl ich schon 14 Jahre mit meinem Mann zusammen war und ich kann ehrlich sagen, ich hatte bis dato keinen blassen Schimmer, dass ich eigentlich lesbisch bin. Also wie kann das sein, dass man so lange selbst nicht merkt? Die Antwort ist so simpel wie traurig: Wir leben in einer hetero normativen Welt und als wir jung waren fehlten einfach homosexuelle Rollen Bilder, an denen wir uns hätten orientieren können. Heute ist es anders. Dank Fernsehen und Internet gibt es mehr als genug Vorbilder, an denen sich die Jugendlichen Häuten heute orientieren und sich selbst finden können. Homosexualität ist kein Tabuthema mehr und so können Jugendliche heute ihre Sexualität viel eher infrage stellen, als einfach davon ausgehen zu müssen, dass JEDER heterosexuell ist, so wie es uns vorgelebt wurde.

Ich würde jetzt auch mal behaupten, wenn dein Vater schwul ist, fällt der Apfel vielleicht nicht weit vom Stamm. Hab ich in vielen Familien beobachtet. Ich finds schön!

Ich freue mich, dass du schreibst, dass es sich richtig anfühlt, zu sagen, dass du lesbisch bist. Das ist eine wunderschöne Erkenntnis und du kannst dich glücklich schätzen, diesen Weg jetzt gehen zu können/dürfen.

Was den Sex betrifft, kann ich Daniela zustimmen. Noch nie hat es sich so richtig angefüllt, wie mit einer Frau. Es war einfach alles natürlich, ich musste nicht bewusst daran denken den Kopf abzuschalten, es war einfach nur wunderschön. Wenn es bei dir soweit ist, wirst du sofort merken, wie anders es ist.

Was das erkennen von anderen Regenbogenkindern betrifft, das wird besser mit der Zeit, das kann ich dir fast versprechen. Ich hatte überhaupt kein Gaydar bzw. Homo Radar und ein paar Jahre später bin ich wirklich gut darin das relativ sofort zu sehen. Dein Gaydar wird wachsen wie eine Blume, wirst schon sehen. Ich würde ja fast behaupten, es ist so eine Art gay super power, sich untereinander zu erkennen. Fasziniert mich selbst immer wieder.

Wie dem auch sei, ich werde hier mal meinen Senf beenden und wünsche dir alles Gute für die Zukunft.
Sei stolz darauf, ein Regenbogenkind zu sein. Du bist Teil einer großen und wunderschönen Community.

Ganz liebe Grüße

Confused33x
In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.

Klicke hier, um Dich einzuloggen