Hallo ihr Lieben,
ich bin neu hier und auf der Suche nach Antworten. Ich stehe an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich 1. nie sein wollte und 2. es nie hab kommen sehen. Es kostete mich schon viel Kraft mich hier anzumelden und hoffe nun einfach, dass mich eure Antworten bzw. eure eigenen Erfahrungen in irgendeiner Weise weiter bringen.
Nun zu meiner Geschichte:
Ich bin Mitte 30 und voriges Jahr hat sich mein Leben und das wer ich bis dahin geglaubt habe zu sein um 180 Grad gedreht.
Ich habe meinen Mann als Teenager kennengelernt und bald darauf geheiratet, weil ich mir sicher war, meinen Traummann gefunden zu haben. Mittlerweile sind wir 15 Jahre ein Paar und sind durch viele Höhen und Tiefen gegangen. Vor sechs Jahren kam unser Sohn zur Welt, der unser Glück komplettierte. Vor ein paar Jahren haben wir ein Haus renoviert für das wir Schulden aufgenommen haben und noch beim Unterschreiben des Kreditvertrages war uns klar, dass wir unser Leben gemeinsam verbringen wollen/würden. Alles war eigentlich perfekt, nur irgendwie war ich immer auf der Suche nach etwas. Ich wollte immer wissen, wie mein Leben die nächsten Jahre weiter geht. Irgendwie war ich nie wirklich ... schwer in ein Wort zu fassen ... zufrieden (?), dabei hatte ich alles und viel mehr um glücklich zu sein - einen wundervollen Mann, einen gesunden Sohn, ein tolles zu Hause und eine wundervolle Familie.
Letztes Jahr machte ich dann eine Geschäftsreise mit meinen Kollegen. Eine junge Frau (Mitte 20, nennen wir sie mal Hanna) setzte sich zu uns und nach kurzer Zeit an einem Tisch voller für sie fremder Leute, machte sie mit einer simplen Bemerkung ziemlich klar, dass sie lesbisch ist. Und plötzlich „sah“ ich sie. Sie hatte ein umwerfendes Lächeln, war sehr intelligent, attraktiv und hatte einen tollen Humor. Ich muss dazu sagen, ich war mir immer sicher, dass ich hetero bin. Ja, ich fand Avril Lavigne als junger Teenie echt heiß und ich hatte vor ein paar Jahren sehr (ok viel zu sehr) für eine Sängerin geschwärmt. Ich hab alle Folgen von The L Word gesehen und fand es „spannend“
aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich
mit einer Frau intim werden könnte. Wie denn, ich bin ja hetero und seit einer Ewigkeit glücklich verheiratet.
Hanna und ich verstanden uns auf Anhieb gut, wenn wir auch nicht allzu viel Zeit hatten, miteinander zu reden. Am Ende des Abends war ich die Einzige von all den Leuten, die sie nach der E-Mail-Adresse fragte. Ich gab sie ihr und sie mir ihre. Ist ja ganz harmlos, sie ist eine Frau und ich auch, nicht wahr? Bereits an diesem Abend im Hotelzimmer merkte ich aber, dass ich nicht mehr aufhören konnte, an sie zu denken und wunderte mich über mich selbst. Zuhause angekommen schrieb ich ihr und wir begannen uns täglich zu schreiben. Eine Woche lang belog ich mich selbst ... hey, sie ich nur eine Freundin ... aber irgendwann wurde mir klar, ich hab mich total in sie verliebt. Sie eröffnete mir, dass sie in ein paar Wochen nach Amerika gehen würde um dort noch weitere 4 Jahre zu studieren. Ich konnte nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, ich musste sich noch ein letztes Mal sehen. Ich lud sie ein, ein Wochenende mit mir und meiner besten Freundin zu verbringen. Meinem Mann erzählte ich nichts von Hanna. Wir verbrachten ein tolles Wochenende und ja, wie landeten im Bett. Ich hatte meinen Mann noch nie auch nur annähernd betrogen und hätte bis dahin meine Hand für mich selbst ins Feuer gelegt. Ich wusste, es was falsch, aber ich konnte mich gegen diese tiefen Gefühle nicht wehren. Ich war bis über beide Ohren in diese Frau verliebt. Die Nacht mit ihr war atemberaubend, warf aber plötzlich mehr Fragen auf, als sie beantwortete.
Mein Mann und ich hatten immer schon sehr wenig Sex, was an meiner Unlust lag, keineswegs an seinen Qualitäten. Für mich war Sex eher eine Notwenigkeit, ein Haken auf dem Kalender. Auch wenn es schön war, kam der erste Schritt dafür nie von mir. Ich fragte mich immer, wieso ich so bin, hatte zeitweise sogar mit diversen Mittelchen versucht meine Libido zu steigern - vergeblich. Aber immerhin gibt es ja viele Frauen, die mit sexueller Unlust kämpfen, nichts Unnatürliches also.
Und dann war da diese Nacht mit dieser Frau. Kein „wieso kann ich mich nicht fallen lassen“, kein „ich muss den Kopf abdrehen und einfach genießen“, kein „eigentlich will ich dieses oder jenes nicht“ sondern einfach nur dieses unsagbare gegenseitige Begehren. Ich merkte, dass sich nichts seltsam anfühlte - es passte einfach.
Uns war allerdings beiden klar, dass es nur diese eine Nacht geben würde und ich danach wieder in mein altes Leben zurück musste, nur schafften wir es beide nicht. Die Gefühle auf beiden Seiten waren einfach viel zu groß. Wir videotelefonierten jeden Tag, auch als sie bereits in Amerika war. Das ganze ging 2 Monate lang gut. Auch wenn sie mich unglaublich glücklich machte, machte mich alles rund um mich herum unglücklich. Ich bin eigentlich ein treuer und grundehrlicher Mensch, dies alles war also ganz und gar gegen meine Natur. Dieses Geheimnis, mein Doppelleben, machte mich wortwörtlich krank. Ich hatte ständig Herzrasen und konnte mich kaum mehr auf meine Arbeit konzentrieren. In einem Gespräch gestand ich meinem Mann, dass ich auf Frauen stand und nicht mehr so weitermachen kann. Für ihn brach die Welt zusammen. Von ihr erzählte ich nichts, trotzdem fühlte ich mich befreit. Nur 2 Tage nach diesem Geständnis erfuhr ich, dass ich schwanger bin und meine Welt brach zusammen. Mir war klar, so konnte es nicht weiter gehen und ich beendete die Beziehung mit Hanna und brach uns beiden damit das Herz. Eine Panikattacke folgte der nächsten, ich konnte nicht mehr arbeiten und fiel in eine Depression. Mein Geheimnis flog letztendlich auf, doch mein Mann wollte mir verzeihen, immerhin hatte ich das mit ihr bereits beendet. 2 Monate später hielt ich meine tiefe Traurigkeit nicht mehr aus und schrieb Hanna ein Mail. Ihr ging es ähnlich schlecht. Wir hatten 2 Monate ausschließlich Mailkontakt. Wieder führte ich ein Doppelleben, Herzrasen war mein ständiger Begleiter. Irgendwann brach es unter Tränen wieder aus mir heraus und ich sagte meinen Mann, ich glaube, lesbisch zu sein und kann so nicht weiter machen. Ich nahm den Telefonkontakt zu ihr wieder auf und parallel dazu hatten mein Mann und ich Termine beim Scheidungsanwalt. Hanna wollte sich in der Zwischenzeit für ein Studium bewerben, das nicht tausende Kilometer von meinem Heimatort entfernt lag. Bald überrollte mich alles und ich wollte nur noch vor allem davonlaufen. Es war einfach alles zu viel. Realisieren, dass ich ganz und gar nicht hetero bin, ein Doppelleben führen, eine Depression, Angst meine bis dato heile Familie zu verlieren, das Haus zu verlieren, mein schlechtes Gewissen, alles kaputt gemacht zu haben, meine Schwangerschaft und baldige Geburt ... ich hatte panische Angst und habe zurück gerudert. Mein Mann stellte mir ein Ultimatum, ist sollte mich jetzt entscheiden und ich sah nur einen - vermeintlich leichtern - Weg und brach Hanna damit zum 2. Mal das Herz, obwohl ich sie so sehr liebte. Dies ist nun 4 Monate her. Meine Tochter wurde vor ein paar Wochen Gott sei Dank gesund geboren. Mein Mann und ich haben ständig Gespräche, wie das alles weiter gehen soll und ich bringe kaum ein Wort raus, stattdessen breche ich ständig in Tränen aus. Ich halte ihn seit unzähligen Monaten auf Abstand, weil ich Körperlichkeit nicht aushalte. Ich weiß nun, dass ich Frauen in einer Weise begehre, die ich nie für möglich gehalten habe. Seit ich das weiß, sehe ich Frauen auch mit anderen Augen. Endlich ist mir klar, warum ich männliche Geschlechtsteile immer eher abturnend fand, während ich Brüste immer schon wunderschön fand. Aber ich hatte mich bis dato immer nur in Männer verliebt, wie hätte ich etwas ahnen sollen? Wie kann es sein, dass ich erst mit Mitte 30 „aufwache“? Ich hab einen wundervollen Ehemann und 2 süße Kinder und bin doch nicht „komplett“. Mein Ehemann ist plötzlich nur noch mein bester Freund und das wird ihm auf Dauer nicht genug sein. Um meine Familie zu retten hab ich einer Frau weh getan, die ich über alles liebte. Ich versuche das zu verdrängen und schaffe es doch keinen einzige Tag sie aus meinem Kopf zu bringen. Mein Mann merkt das, fragt immer wieder, ob ich noch Kontakt zu ihr habe und ich kann ehrlich sagen Nein. Er stellt mir aber nie die Frage, ob ich sie vergessen kann ... wahrscheinlich weil er die Antwort darauf ohnehin kennt.
Ich bin so hilflos, traurig und verloren. Ich weine jeden Tag und frage mich, wie es so weit kommen konnte. Meine Welt steht Kopf. Mein Mann weiß, dass ich auf Frauen stehe, bleibt aber bei mir, weil ich nicht weiß, wie ich alles ohne ihn schaffen soll. Nichts ist mehr wie zuvor. Ich war bei zwei Psychologen und immer wieder kam die Frage „Wie stellen sie sich vor, wie das weitergehen soll? Was ist ihr Plan?“
Tja, ich hab keinen Plan. Ich warte einfach ab und lasse die Tage vergehen ... einen nach dem anderen ... und warte darauf, dass alles leichter wird ...
Ich bin für jede Antwort dankbar. Bitte keine Vorwürfe, die mache ich mir selbst schon genug.
Danke fürs Lesen!