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Eine kleine Geschichte...

geschrieben von akira85 
Eine kleine Geschichte...
10. Februar 2017 20:20
Hallo an alle,

bisher war ich nur ein stiller Leser dieses Forums. Aber ich denke, sich mal zumindest hier zu öffnen, tut mir vlt ganz gut. Stiller Leser, das beschreibt auch eigentlich ganz gut mein Leben: Still und leise im Hintergrund, wo einem doch die Welt offen stehen könnte...

Aber kurz zu mir, ich bin 31 Jahre, aus Berlin und habe das CO vor rund 2 Jahren endlich geschafft. Und trotzdem ist mein Leben noch nicht so wie ich es mir erhoffe. Wo fange ich bloss an? Am besten chronologisch. Anders als viele andere hier im Forum war mir eigentlich schon immer klar gewesen, dass ich schwul bin. Und genau diese Klarheit machte es mir so schwierig. Man weiß und spürt es, und möchte sich ja mitteilen. Aber es geht einfach nicht.

In der Grundschule war das noch kein Problem. Man fühlte sich dem einen oder anderen Jungen hingezogen. Aber das Schwulsein war da noch nicht so klar bzw. es gab da kein sexuelles Verlangen oder so. Und so stand einem das Schwulsein noch nicht im Weg. Ich war sportlich, beliebt, smart...es war alles so unkompliziert. Klingt komisch, aber das war die einzige Zeit in meinem Leben, wo ich glücklich war. Spätestens in der Pubertät mit ca 12/13 Jahren änderte sich dies. Die Hormone kamen hoch, ich verguckte mich Hals über Kopf in einen Klassenkameraden. In seiner Nähe bekam ich Herzklopfen, zittern und war hyper nervös. Jede kleinste Berührung hat mich erschüttern lassen. Aber an ein Outing war nie zu denken. Die Clique, in der wir waren, war eher als die „Coolen“ verschrien. Naja, so halbstarke, möchte-gern-Berliner-Ghetto Jugendliche halt. Besser kann ich es nicht umschreiben :-) Aber so richtig dazugehört habe ich irgendiwe auch nicht. Wollte ich nicht auch nicht, weil kein guter Umgang. Aber mein Schwarm war ja da drin. So befand ich mich mittendrin, und gleichzeitg im Nirgendwo. Das ging dann über mehrere Jahre. Meine schwule Seite und absolute Verliebheit in den Jungen musste ich einfach hinnehmen und aussitzen. Jahrelang mit Niemanden reden zu können, sich nie so zeigen zu können, wie man ist, seine Schwule Seite verbergen zu müssen, obwohl man sich dessen 100% bewusst ist... das hat alles seine Spuren bei mir hinterlassen. Ich kann nicht gut schauspielern oder mich verstellen und so war meine Strategie, sich einfach von allem immer zurückziehen. Nach und nach habe ich dadurch verlernt, ich selbst zu sein. Wurde nervös und begann zu schwitzen, wenn ich auf Menschen traf. Hatte so eine Art soziale Phobie entwickelt. In den Sommerferien war ich nur zuhause, sah aus dem Fenster und die Welt an mir vorbei ziehen.... Das Gefühl von Einsamkeit, Leere und Traurigkeit war mein ständiger Begleiter.

Hinzu kommt das schwierige Verhältnis zu meinen Eltern. Sie haben eigentlich nie mit uns Kindern gesprochen. Es gab nie eine Umarmung oder ein einfaches „Wie geht’s dir?“. Sie haben für uns Kinder Nahrung und Unterkunft bereit gestellt. Aber mehr auch nicht. Keine persönliche und emotionale Ebene. Von daher hab ich auch hier kein Vertrauen gefunden, mich ihnen zu öffnen. Nur in extrem seltenen Momenten schien die Liebe meiner Eltern für mich durch.

Nach dem Abitur habe ich mich von allen Schulkameraden losgesagt, um mich nicht mehr „verstellen“ zu müssen. Wie gesagt, ich kann mich nicht gut verstellen. War aber auch noch nicht selbstbewusst genug für das Outing. Da stand ich nun also. Keine Freunde, schwulsein immer runtergeschluckt, keine sexuellen Erfahrungen in jeglicher Hinsicht. Irgendwann hörte im Fernsehen den Spruch: „Zu jedem Topf passt ein Deckel“ und dass man doch mal GR ausprobieren sollte. Und tatsächlich, über diese Plattform habe ich auch meinen ersten und einzigen Freund gefunden, mit dem ich auch heute nach fast 10 Jahren noch zusammen bin. Meine soziale Phobie ist daduch eigentlich im Prinzip geheilt worden.

Die nächsten Jahre bestanden hauptsächlich darin beruflich Fuß zu fassen. Doch fiel mir das sehr schwer. Was für Interessen habe ich eigentlich? Mein ganzes Leben lang kreisten meine Gedanken immer um das Schwulsein und es zu verbergen. Ich hatte nie Freunde oder Eltern, die mir Orientierung gaben. So habe ich erstmal studiert, aber kurz darauf abgebrochen. Daraufhin habe ich eine Ausbildung gemacht und anschließend eine zeitlang dort weitergearbeitet. Aber es wurde dort sehr viel Druck ausgeübt (Vertrieb) und so richtig glücklich war ich nicht. Zu der Zeit bekam ich nach einem Restaurantbesuch eine Lebensmittelvergiftung und irgendwie hat mein Körper sich nie davon erholen können. Seitdem plage ich mich leider mit diversen Darmbeschwerden, Intoleranzen, Reizdarm... Dies hat dazu geführt, dass ich mich wieder von der Außenwelt abkapselte, zum einen weil das mich schon körperlich einschränkt (an manch schlechten Tagen ist die Toilette der beste Freund....), aber auch weil mir das Thema einfach mega unangenehm ist. Ein Gutes hatte diese Krankheit: Ich stellte mich dem CO. Ich wollte zumindest in diesem Punkt endlich selbstbestimmt und offen leben. Und es hat auch super geklappt. Meine Familie hat es sehr gut aufgenommen und die Beziehung zu meiner Mutter ist auch deutlich besser geworden. Doch die Krankheit blieb trotz CO.Vielleicht insgesamt auch zu lange mit dem CO gewartet und zu lange alles runtergeschluckt. Vielleicht hat es damit auch nix zu tun. Wer weiß...

Mein Partner ist immer für mich da. Ich tue mich schwer mit der Krankheit offen umzugehen. Ich versperre mir dadurch den Weg neue Freundschaften einzugehen, geschweige denn überhaupt erstmal irgendjmd Neues kennenzulernen. Aber ich spüre, genau das brauche ich jetzt. Den einen oder anderen guten Freund. Ich habe mein Leben nie so richtig gelebt wegen dem Schwulsein. Ich habe mein CO hinter mich gebracht, aber es hat sich dadurch nix geändert, da nun die Krankheit mir den Weg versperrrt, so zu leben wie ich es möchte. Wie mit dem Schwulsein muss ich lernen, mit der Krankheit einfach offener umzugehen. Es ist so wie es ist und ich muss mich nicht dafür schämen. Und wie mit dem CO male ich mir die Reaktionen der Anderen wahrscheinlich viel schwärzer aus als es dann tatsächlich wäre.

Nun gut, dies nun alles niederzuschreiben ist der erste kleine Schritt etwas offener damit umzugehen. Auch wenn zugegebenermaßen alles anonym im world wide web. Aber ich ich bin auf einem guten Weg. Hab das CO hinter mir, den blöden Job gekündigt, hab nochmal spät ein Studium angefangen, was ganz in Ordnung ist und versuche jetzt einfach nach vorne zu blicken.

So das war nun meine kleine Geschichte. Vielleicht hilft dies dem einen oder anderen. Vielen Dank an alle Leser. Und falls jemand Kontakt aufnehmen möchte, nur zu :-)



3-mal bearbeitet. Zuletzt am 10.02.17 20:23.
Re: Eine kleine Geschichte...
11. Februar 2017 09:09
Hallo Akira,
vielen Dank für deine Geschichte. Und ich freue mich, das sich mal wieder ein "stiller Leser" hier meldet. Einfach mal seine Gedanken aufschreiben. Somit kommen die Gedanken aus dem Kopf. In meinen Fall, wurde dadurch mein "Geist" befreit. Sich besser mit Themen auseinander zu setzten, die bis dato nur in meinem Kopf rumschwirrten.

Auch wenn Du dein co bereits geschaft hast, ist es für mich wichtig auch deine Geschichte bis dahin, hier zu lesen.

Wie gehen heute junge Leute damit um schwul zu sein. Gerade wenn das passende Umfeld fehlt.
Trotz neuer Medien, sind die Ängste und Sorgen ,so wie du sie beschreibst, da.

Von daher , auch hier wieder, und das hat nichts mit dem Alter zu tun. Sucht Wege sich auszutauschen. co30 ist ein für mich wunderbarer Ort, andere Menschen zu treffen und sich auszutauschen.

GLG Maks
Re: Eine kleine Geschichte...
14. Februar 2017 04:06
Hallo Akira85,

lange ist es her, das ich einen Beitrag hier geschrieben habe... ohhhhh verdammt lange.
Ich lese ab und an mal mit auf dieser Seite, habe aber schon sehr lange echt nichts mehr geschrieben, ich denke die anderen denken mich gibts nicht mehr.

Als erstes ein herzlichen Willkommen von meiner Seite, besonders da Du es geschafft hast von der Leserseite auf die schreibereite zu wechseln bzw. zu kommen.

Ein Berliner grüßt den anderen Berliner

Gruß Martin
Re: Eine kleine Geschichte...
14. Februar 2017 17:55
Hallo Martin,

das freut mich dann umso mehr, dass du ausgerechnet auf meinen Beitrag nach langer Zeit ein paar Zeilen hinterlässt.
Ein Riesendank auch nochmal an Maks, der mich sogar persönlich so lieb begrüßt hatte =))

Ah Martin, wenn ich das richtig sehe, nicht nur Berliner, sondern auch Neuköllner wie ich :-))

Viele Grüße
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