Liebes Forum
ich schreibe, weil ich hoffe, dass ich von euch ein paar Erfahrungen oder Tipps hören kann. Mein Leben steht gerade Kopf
Wie viele von euch trage ich mich seit Jahren mit dem Gedanken, ob ich lesbisch bin. Jetzt kann ich es immerhin schon aufschreiben. Wie viele von euch, konnte ich das lange Zeit auch nicht, wollte das nicht, hatte da Abneigung gegen, habe Panik bekommen. Panik habe ich immer noch, aber es ist gerade so akut, dass ich gezwungen bin, mich endlich vielleicht zu entscheiden.
Hier ist meine Geschichte:
Ich bin seit vier Jahren mit meinem Freund zusammen. Wir führen seit Anfang an eine Fernbeziehung über 300 km. Ich glaube, dass hat mir immer geholfen, den Schein zu wahren und zu verdrängen. Irgendwie wusste ich aber auch immer, das irgendwann der Tag kommt, wo ich ehrlich sein soll. Ich finde es schlimm, dass ich nie vorher den Mut dazu hatte und feige war.
Es war die ganze Zeit klar, dass ich zu ihm ziehe und dass meine berufliche Station hier nur übergangsweise ist. Aus zwei Jahren wurden dann drei, aus drei wurden vier Jahre. Und jetzt vielleicht Jahr fünf.Eigentlich hieß es, mein Vertrag wird nicht verlängert, perfekt also, um das endlich als Tritt in den Hintern zu begreifen und zu ihm zu ziehen und dort einen neuen Job anzufangen. Tatsächlich hatte ich auch Vorstellungsgespräche, habe eine Zusage bekommen und habe den Vertrag unterschrieben. Dort soll ich zum 1. April anfangen, Auf einmal heißt es bei meiner jetzigen Stelle aber: Wir können sie doch verlängern, du kannst bleiben.
Das Ding ist, ich habe mich nicht über den neuen Job gefreut und auch nicht richtig über die Aussicht, dass mein Freund und ich jetzt endlich zusammenziehen können, Obwohl wir das schon lange planen und jetzt sehr konkret. Meine Zweifel oder meine Verzweiflung sind riesig. Ich weiß nicht, soll ich meine Gefühle verdrängen und ignorieren und einfach mich zwingen, hinzuziehen und neuen Job beginnen? Oder soll ich jetzt endlich mal zu mir selbst finden und am Ende vielleicht oder wohl wahrscheinlich bei einer Frau landen?
Mein "Leidensdruck", wie es so schön heißt, ist ziemlich hoch, wie ihr euch denken könnt.
Ich habe mit meinem Freund darüber gesprochen. Einmal habe ich ihm vor drei Monaten gesagt, dass ich Angst habe, lesbisch zu sein, und dann haben wir aber nie wieder darüber geredet. Er hatte gehofft, es hat sich erledigt und ich war zu feige und dachte immer, das wird schon wieder. Aber jetzt, wo es so akut ist, und ich eine Richtungsentscheidung treffen muss, bricht es wieder extrem aus mir heraus.
Gründe, warum ich denke, dass ich lesbisch bin, sind folgende: Ich frage mich das erstens ohne Witz jeden einzelnen Tag. Ich frage mich, ob ich lesbisch aussehe oder mich verhalte, ich kontrolliere mich dahingehend. Ich erkenne andere vemeintliche Lesben sofort, ihre Nähe macht mich nervös, ich fühle mich unwohl. Ich hatte insgesamt drei lesbische erotische Träume, in denen ich mich viel geborgener, angekommener fühlte als in heterosexuellen Träumen, in denen es auch nie zum "Akt" oder so gekommen ist. Frauen machen mich generell nervöser, sind mir irgendwie wichtiger, glaube ich. Auf sie reagiere ich ganz anders als auf Männer. Andererseits habe ich mir "normales" Verhalten irgendwie angelernt, wenn ihr wisst, was ich meine. Ich habe in Beziehungen das Gefühl: Wars das schon, kommt da noch mehr? ich habe nicht das Gefühl von normaler Geborgenheit, von Glück, sondern eher von Schauspiel. So hart das auch ist. Und bei mir ist es auch so, was ich schon bei ganz vielen anderen hier gelesen habe: Beziehungen vorher waren eher ein Krampf, schon ganz früh, selbst in der 6. Klasse das "miteinander gehen". Frauen hingegen habe ich immer bewundert und wie gesagt, in zweier-situationen machen sie mich nervöser, da bin ich irgendwie aufgeregter. oh gott.
Mit meinem jetzigen Freund habe ich die beste Beziehung ever. Wir haben diese Woche noch einmal darüber gesprochen und er sagt, er kann nicht mit Ungewissheit leben, er will wissen, was ich jetzt fühle und gibt mir so cirka ein halbes Jahr Zeit. Für ihn ist das superschwierig und scheiße. Natürlich will er wissen, was los ist. Wir können ja schlecht jetzt zusammenziehen und ich sage nach einem, zwei oder drei Jahren, tschuldigung, ich bin doch lesbisch. Ich verschwende seine Lebenszeit. Ich kann doch auch nicht einfach so weitermachen und vielleicht Kinder bekommen und alles, und dann mit 50 sagen, ich will doch was anderes. Das geht doch nicht.
Ich habe nächste Woche einen Termin beim Psychologen und das krasseste ist, dass ich auch mit meinen Eltern gestern darüber gesprochen habe. Ich dachte, sie tun das vielleicht als Phase ab oder sind ablehnend oder so. Aber im gegenteil, sie haben ganz toll reagiert und sagen, ich soll rausfinden, welche Präferenzen ich habe und dass es das wichtigste ist, dass ich glücklich bin, egal wie, ob mit Mann oder Frau. Sie hätten da überhaupt nichts gegen, sie wollen nur, dass ich in meinem Leben zufrieden bin. Das ist ganz schön toll. Ich bin 32, by the way. Das ist echt bescheuert, andere heiraten und haben Kinder.
Ich weiß nicht, ob ich weggehen oder hierbleiben soll, generell, was ich machen soll. Das ist alles so krass irgendwie. Sonst habe ich nur mit einer Freundin darüber gesprochen, aber das ist auch schon wieder was her und sie meinte natürlich auch, ist nicht schlimm usw. Alle anderen denken, ich ziehe jetzt aus meiner WG aus und mit meinem Freund zusammen und endlich ist alles schön.
Ich habe eigentlich nur noch ein paar Tage mich zu entscheiden, muss ja das WG-Zimmer vll kündigen , meinen Mitbewohnern mal sagen, was Sache ist (im Moment gehe ich ihnen richtig aus dem Weg, total bescheuert). Und der Stelle habe ich ja eigentlich auch schon zugesagt und mein Freund und ich haben auch schon nach Wohnungen geguckt.
Tja, wahrscheinlich könnt ihr mir auch nichts raten. ich habe mal überlegt, ob ich in irgendwelche Gruppen oder zu Treffs gehe oder so. Ich habe Angst, da gesehen zu werden (sorry) aber das ist dann halt einfach so. Mir geht es ziemlich schlecht gerade, esse nichts, rauche kette und könnte mich die ganze Zeit übergeben. Aber wem sage ich das. Vor drei Jahren war ich auch schon einmal bei einem Psychologen , der hat mir genau das geraten, mich mit anderen lesbischen Frauen auszutauschen, hatte aber nicht den Mut bzw. wollte ich das einfach nicht. Ich hoffe, ihr könnt mir was sagen..
Alles Liebe