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Vor 2 Jahren das erste mal in Jungen verliebt, dann Depression, jetzt?

geschrieben von Misterz 
Vor 2 Jahren das erste mal in Jungen verliebt, dann Depression, jetzt?
03. Januar 2016 22:42
Hi Zusammen!
Ich weiß leider nicht, an wen ich mich wenden soll, aber ich denke, ich brauche Hilfe.
Vor 2 Jahren habe ich mich das erste mal so richtig in einen jungen verliebt. Er war sehr geheimnisvoll und ich wusste nicht so recht, warum er sich so schnell mit mir angefreundet hat, weil ich eigentlich ein Typ bin, der immer ewig braucht, bis er mal jemandem vertraut und eher von der schüchternen, kopflastigeren Sorte ist. Leider ist nichts draus geworden und ich habe ihn sowohl als Kumpel vergrault als auch als potentiellen Partner.
Ich kann gar nicht erklären, was mir da widerfahren ist, denn es ist sehr kompliziert und ganz verstehe ich es auch nicht. Generell war ich eher zurückhaltend und achtsam. Bei ihm habe ich dann plötzlich komplett neue Gefühle kennen gelernt Ich weiß noch, dass ich ihn ganz für mich alleine haben wollte und dann noch dachte "so bin ich doch gar nicht". Das Problem war nur, dass ich nicht wusste ob er schwul/bi ist. Aber was ich wusste war, dass er sehr darauf achtet mit wem er sich anfreundet und sehr in einem engen Freundeskreis eingebunden ist. Umso mehr hat es mich geehrt dass er sich grad mit mir anfreunden will. Ich sollte sogar zu ihm nach Hamburg ziehen.
Das ganze hat bei mir starke Gefühle entfacht und ich war am verzweifeln. Ich hatte Angst ihn als Freund zu verlieren, wenn ich es ihm beichte und gleichzeitig die Hoffnung auf eine Beziehung zu ihm. Die Gefühle wechselten sich einen Monat lang ab und haben mich wortwörtlich fast in den Wahnsinn getrieben. Sie haben mich komplett aus meiner Mitte geworfen, was dazu geführt hat, dass ich mich im Umgang mit ihm total dumm verhalten habe und bemerkt habe, wie er sich immer weiter abgewendet hat und den Kontakt zurück gefahren hat. Dennoch waren die Gefühle Angst und Hoffnung immer noch da und wurden immer stärker (im Wechselbad). Leider hatte ich auch Angst vor einem Coming out und habe mich niemandem anvertrauen können.
Ich habe den Kreis schließlich durchbrochen, indem ich es ihm einfach gebeichtet habe. Die Reaktion hätte nicht negativer ausfallen können und ich versank in einer tiefen Depression. Vorher war mir eigentlich schon klar, dass ich im Prinzip bi bin, aber nur in dem Sinne, dass ich schonmal Typen unauffällig hinterher sehe. Ne Beziehung mit einem Mann, geschweige denn Sexuelles, könnte ich mir bis auf gemeinsame Selbstbefriedigung nicht vorstellen.
Während ich in der Depression versank, habe ich meine Ex-Freundin kennen gelernt. Ich wollte früher immer ein Frauenaufreisser werden aber habe es nie dazu gebracht. Also dachte ich, ich probiere jetzt einfach mal was Neues aus.
Wir waren fast 2 Jahre zusammen, aber ich konnte nie wirklich tiefergehende Gefühle für sie entwickeln. Jetzt ist die Beziehung vorbei, was auch daran liegt dass ich endlich Klarheit über mich selbst haben will.
Es ist nur leider so, dass ich jetzt nicht weiter weiß. Ich hänge in sämtlichen Beziehungen in der Luft. Schwulen Sex kann ich mir nicht vorstellen, aber Männer erregen mich (ich würde sagen 80% stehe ich auf Männer, 20% auf Frauen). Gleichzeitig hatte ich aber immer die Vorstellung eine Familie zu gründen. Ich habe Angst nun weder mit dem einen, noch mit dem anderen glücklich zu sein/werden. Außerdem habe ich Angst davor, nicht in der Lage zu sein das eine, oder das andere zu bekommen und alleine bleiben zu müssen.

Ich bin übrigens 30 und Ingenieur von Beruf und wohne am Land, was irgendwie alles noch komplizierter macht. Ich hoffe, ich konnte mich einigermaßen verständlich ausdrücken. Ich bin leider selbst noch ziemlich durcheinander und emotional, was dieses Thema angeht und kriege es selbst noch nicht wirklich hintereinander. Es gibt noch viele Aspekte, die ebenfalls eine Rolle spielen, aber für den Anfang reicht es hoffentlich winking smiley

Ich bin für eure Meinungen und Hilfe sehr dankbar, denn ich weiß nicht, was ich will und was ich tun soll. Meine ganzen bisherigen Lösungsstrategien versagen hier vollständig und ich kenne mich selbst nicht mehr.

Wenn ihr mehr wissen wollt/Infos braucht, werde ich gerne versuchen mich zu erklären. Danke auf jeden Fall schonmal!
Re: Vor 2 Jahren das erste mal in Jungen verliebt, dann Depression, jetzt?
04. Januar 2016 19:07
Lieber Misterz,

wenn ich es richtig verstanden habe, dann hast du dich in einen heterosexuellen Mann verliebt, was natürlich für dich bedeutet, dass du keine Chance bei ihm hast. Egal ob ein "Geständnis" nun eine böse oder verständnisvolle Reaktion auslöst, die von dir aufgebauten Gefühle, Erwartungen und die damit verbundenen Gedanken und Fantasien werden nicht erwidert und das verursacht die depressive Phase. Da kann der heterosexuelle Freund nichts dafür, er hat es sich nicht ausgesucht, heterosexuell zu sein.

Klar habt ihr eine "tolle" Freundschaft gehabt. Welcher (Hetero)Mann hat nicht gern eine (platonische)Männerfreundschaft bei der man sich so nahe ist? Doch du hattest eben unterdrückte und heimliche Gefühle für den unwissenden heterosexuellen Freund, vermutlich Verhaltensweisen seinerseits als Zeichen von Liebe fehlinterpretiert und dich immer weiter in eine einseitige Liebe hineinfantasiert.

Gut, den Knall hat es also schon gegeben und deine (auch vorher schon vorhanden gewesenen) verdrängten Gefühle zu Männern sind ausgebrochen. Du kannst es nun nicht mehr leugnen, obwohl du es gleich danach erstmal wieder versucht hast und mit einer Frau eine Beziehung eingegangen bist.

Dein bewusstes Denken kann alles in das Unterbewusstsein Verdrängte, das sich nicht mehr verdrängen lässt, nicht annehmen und daher hast du nun diese Situation, die dich nach Hilfe schreien lässt: "Hilfe, ich hab mich in einen Mann verliebt und das darf so nicht sein." Klar übrigens auch, dass du dich durch Verdrängen solcher Gefühle, die dein Verstand nicht akzeptiert (Zitat: Ich könnte mir nie vorstellen...) in eine unerreichbare Person verliebst, weil so das Programm abläuft. Aber nun hat dir Etwas in dir gesagt, dass es sich nicht mehr austricksen lassen will.

Was du jetzt tun kannst, ist, aufhören, dich unnötig zu stressen und akzeptieren zu lernen, dass du hauptsächlich auf Männer stehst, weil du ja schreibst 80 zu 20 %. Daher wirst du wohl auch nur eher mit einem Mann glücklich werden.

Schau dich um, wie andere schwule Paare leben! Im Internet (z.B. Youtube) gibt es genug echte schwule Paare, wo du es dir sicher auch vorstellen könntest, so (oder so ähnlich) zu sein. Mit deinem unerreichbaren Freund konnest du das in deiner Fantasie ja auch!

Und dann wird es wohl auch bei dir die Frage mit dem Umfeld geben, dass dich zu diesem Versteckspiel verleitet hat. Muss übrigens nicht am Umfeld allein liegen, kann/wird auch mit dir selbst zu tun haben: Vielleicht hast du Selbstzweifel, ein geringes Selbstbewusstsein etc. Nun wirst du aber ehrlich zu dir selber werden und Schritt für Schritt den Mut aufbringen, dich selber glücklich zu machen. Auf dem Land kann das auch schwierig sein und daher solltest du dir alles genau überlegen. Wie willst du leben und wie und wo könnte das gelingen? Dass es vielleicht nicht leicht ist oder werden wird...naja das wissen hier die Meisten... Das Entscheidende ist, will du glücklich werden und was bist du bereit dafür zu tun? Entscheide dich für das Leben und für dein Glück und wenn du das definiert hast, geh los! In deinem Tempo.
Re: Vor 2 Jahren das erste mal in Jungen verliebt, dann Depression, jetzt?
05. Januar 2016 23:11
Hallo!

Vielen Dank für deine Antwort mt2012.

Es hat richtig gut getan, sich das mal von der Seele zu schreiben und ich habe auch bemerkt, wie emotional ich bei der Angelegenheit werde, die mich quasi so aus der Bahn bringt, dass ich nicht mehr richtig strukturiert denken (oder schreiben winking smiley ) kann.

Du hast in vielen Punkten recht. Ich will gerne noch ein wenig ausholen, da mir wieder Dinge eingefallen sind, die die Geschichte noch ergänzen können.
Angefangen hat alles damit, dass ich mit einem Freund zusammen zu seinen "alten" Freunden gefahren bin. Diese bestehen aus einer Art junggebliebenen Jungen Erwachsenengruppe, die ständig auf der Suche nach Spaß sind, kiffen, gemeinsam Spiele zocken, etc.
Dazu musste ich mich schon überwinden, weil sie eher Menschen von der wilderen Sorte sind und ich in meiner Jugend schon immer gerne zu so einer Gruppe gehören wollte, aber immer wieder abgelehnt wurde. Ich glaube mir war das damals nicht so bewusst, dass das der Grund ist, aber jetzt bin ich mir ziemlich sicher.
Ich bin dann doch mitgefahren und wir haben gekifft und ich war ständig angespannt und hatte Angst was falsches zu sagen.
So war das aber nicht, als ich mit meinem Freund den besagten Jungen zu zweit in Hamburg besucht habe. Hier war ich sehr offen, habe den Mut aufgebracht und viel über mich erzählt. Er hat sogar von seiner Seite aus viele Gemeinsamkeiten aufgedeckt, was mich doch schwer gewundert hat, weil er nach außen immer sehr cool auftritt.
Wir hatten zu zweit/dritt (einmal waren wir nur zu zweit aus) wirklich eine gute Zeit, wobei ich nicht sagen könnte, dass ich locker war. Ich habe mich halt immer wieder zu allem überwunden.
Zu dieser Zeit war ich noch nicht in ihn verliebt, aber kurze Zeit später hat sich mein Gehirn das ein oder andere zusammengereimt, dass irgendwie darauf hindeutete, dass er an mir Interesse haben könnte. Die Gründe hierfür waren, dass wir zu dieser Zeit schon etwa allein 1000 Facebooknachrichten innerhalb kürzester Zeit geschrieben haben (paar Monate), er mir Bilder von sich mit Schönheitsmaske geschickt hat (was er in seinem engen Freundeskreis nie zugeben würde). Wir Filme über Skype zusammen geschaut haben. Er eines morgens, das war noch in Hamburg, ganz dicht bei mir lag. Er mir durch die Blume hindurch zu verstehen gab, dass er sich freuen würde, wenn ich einen Job in Hamburg suchen würde, etc.
Da ich mich in der Vergangenheit, zumindest von der Theorie her, viel damit beschäftigt habe, wie man Selbstbewusst wird und wie man Frauen aufreisst, habe ich auch bemerkt, dass er selbst in der ein oder anderen Technik versiert ist und diese bewusst bei mir eingesetzt hat. Zum Beispiel das Spiegeln von Körpergestiken und Mimiken, etc. (wer hier nicht bescheid weiß: sowas geht normal direkt ins Unterbewusstsein und erzeugt starke Sympathien, da es ein Ausdruck von starker Empathie für das Gegenüber ist, wer aber darauf achtet, merkt, wann es echte Empathie ist und wann gespielte.)
Unsere Gespräche waren schon sehr vertraut, aber ich muss sagen, dass es auch immer diesen Faktor des mystischen zwischen uns gab. Gewisse Dinge wurden einfach zwischen den Zeilen gesagt. Und nicht sehr offen.
Es gab auch viele lustig gemeinte Anspielungen auf Analverkehr und solche Homo-Sprüche halt, die aber nicht offensiv waren.
Vieles deutete darauf hin, dass er mehr als nur freundschaftliches Interesse an mir hegte.
Als ich dann anfing das für möglich zu halten, fingen auch meine Gefühle so langsam an für ihn zu schlagen.
1 Woche später fragte er mich, ob ich nicht mit ihm, seinem Bruder und zwei anderen zusammen auf eine Wanderung gehen wolle, auf der wir MDMA nehmen. Da dachte ich, ok, das passt. Da er sich noch nicht geoutet hat und vielleicht genau so Hemmungen davor hat, wie ich, will er vielleicht das Vertrauen unter Ecstasy nutzen um mit mir darüber zu sprechen. Und wenn nicht, wollte ich das wenigstens tun.
Als es dann soweit war, konnte ich es nicht. Ich war total verklemmt, trotz Droge. Ich fühlte mich permanent angespannt und konnte es gar nicht richtig genießen. Als wir dann aber hinterher alle zusammen gekuschelt da lagen, habe ich seine Hand gestreichelt - zumindest dachte ich das. Es war letztendlich nicht seine Hand, sondern die von seinem Bruder.
Ich habe an dem Tag auch das erste mal männliche Nähe als etwas positives erfahren. Normal bin ich ein Typ, der, unbewusst, immer darauf geachtet hat genugend "Sicherheitsabstand" zu meinem Nachbarn zu halten. Eigentlich egal, ob Männlein oder Weiblein.
In der Zeit darauf wollte ich dann das Gefühl wiederhaben, habe viel daran gedacht und habe mich selbst verloren, als ich merkte, dass meine neuen Freunde ihren Kontakt zu mir langsam immer weiter runter gefahren haben.
Da bekam ich große Verlustängste. Da nichts sicher war und ich auch nicht mehr offen mit ihnen kommunizieren konnte, konnte ich das Problem einfach nicht lösen.
Da fällt mir grad noch ein, dass ich mir in der Fantasie sogar vorgestellt habe, ich könnte einer von seinen Brüdern sein, weil wir so viel gemeinsam hatten. Vor allem auch, dass wir alle 3 von einem ähnlichen Schlag waren. Und ich wollte unbedingt noch mehr werden, wie sie, wie er.

Ich steckte auf jeden Fall fest. Angst überkam mich, als ich daran dachte ihn (bzw. auch die anderen) zu verlieren. Hoffnung überkam mich, wenn ich daran dachte, dass wir zusammen sein könnten. Dann überkam mich wieder der Gedanke, wie ich mir das denn eigentlich vorstellen würde und dass das nicht zu meinem Leben passt. Es kamen auch Angst-Gedanken, dass ich plötzlich jemand ganz anderer sein würde, als der, der ich eigentlich seit zig Jahren war.
Es kamen Angst-Gedanken, dass ich meine "alten" Freunde verlieren würde, weil ich zu "einem von ihnen" werden würde.
Und alles hat sich abgewechselt. Von Tag zu Tag wurde es schlimmer und mein ach so heiß geliebter logischer Verstand lag auf Eis. Und das zu einer Zeit, zu der ich mich eigentlich mit der Suche nach einem 1. Job bemühen musste.
Auch hier bekam ich Panik, keine zu bekommen.
Nach 1 Monat war ich psychisch auf dem Level eines pubertierenden Mädchens angekommen. Hin und her gerissen von Hoffnung und Angst. Und ich habe es nicht so bewusst wahrgenommen, aber ich während ich Hoffnungsvoll war, dachte ich wirklich, es würde so passieren, dass wir zu zweit "um die Häuser ziehen" und alles mögliche machen. In den kurzen klaren Momenten dachte ich: "Niemals, nicht mit dir. Außerdem ist es eh zu spät, der Zenit ist überschritten". Während Angst-Phasen dachte ich: "Oh Nein. Ich werde sie verlieren, so, wie es immer schon passiert ist. Ich werde ihn als Freund verlieren und die anderen auch".

Meine Aufmerksamkeitsspanne zu dieser Zeit war in etwa vergleichbar mit der einer Fruchtfliege, so war ich in meinem Kopf gefangen. Ich erkannte mich nicht wieder. Ich war zu nichts mehr in der Lage. Ich weiß nicht, wieviel die Droge dazu beigetragen hat, aber ich kann mir vorstellen, dass es ohne nicht sooo schlimm geworden wäre.

Als mir schon klar war, dass nichts aus der Sache wird, konnte ich trotzdem nicht aufhören zwischen diesen Gefühlen hin und her zu schwanken. Ich war nicht mehr Herr über mich selbst. Das kleinste noch so unlogische, unpassende Fünkchen Hoffnung lies mich wieder in die eine Richtung treiben, dass es doch noch eine Möglichkeit gibt. So subtil und klein sie auch sein möge.
Vorher hatte ich ein sehr gutes Gespür für Menschen entwickelt. Ich habe kleinste Abweichungen im Verhalten direkt bemerkt. Konnte zwar selten korrekt einschätzen, wie dramatisch sie tatsächlich sind, aber ich war mir immer im klaren darüber, wer zu mir, wie in welchem Moment stand. So konnte ich immer gegensteuern (ich vermute mal, dass das auch aus Verlustängsten resultiert, später wurde mir auf jeden Fall von einer Psychologin bestätigt, dass sowas in meinem Fall vorkommen kann).
Ich habe die Reißleine gezogen und ihm alles gestanden. Ich wollte nur, dass dieses Wechselbad der Gefühle, das immer stärker und heftiger wurde, endlich aufhört. Das war zu diesem Zeitpunkt mein Hauptziel.
Gesagt getan, Reaktion: "Du hast sie ja wohl nicht mehr alle! Jetzt ist das Maß voll! Du bist ja total durchgeknallt. Ich bin doch nicht schwul! Kontaktier mich nie mehr!"
Und ich wusste vorher, dass die Reaktion so oder so ähnlich sein würde. Trotzdem hat sie mir einen weiteren Schlag vor den Bug verpasst.
Nun war es spruchreif. Ich hatte wieder einen Menschen vergrault, den ich sehr mochte.
Leider hielten meine emotional wechselnden Phasen seltsamerweise noch eine zeitlang an. Allerdings waren es diesmal hauptächlich Angst und Traurigkeit, die mich fertig machten. Ich war immer noch in Gedanken. Ständig.

Ein, zwei, vlt. drei Woche danach, wachte ich eines morgens auf und wusste nicht mehr, wer ich war. Aber ich schreibe das nicht einfach so, wie man das vielleicht schonmal schreibt oder sagt. Ich stand tatsächlich vor dem Spiegel und wusste nicht mehr, wer ich bin. Ich wusste nicht mehr, welche Personen meiner Lieblingsserien ich wie sehr mochte oder mit wem ich mich am meisten identifizieren konnte. Ich wusste nicht mehr, was lustig ist oder welchen Humor ich mochte.
Ich bekam plötzlich Emotionen bei Dingen im TV, die mich vorher kalt gelassen haben.
Früher wusste ich genau, was lustig ist, und warum. Ich habe Nachrichten geschaut, mir Gedanken über Politik, Soziales, Technik und Philosophie und wie man die Welt verbessert gemacht, oder wie ich mein eigenes Geschäft gründe. Ich hatte immer eine Meinung, auch wenn ich sie nicht immer geäußert habe. All das war weg. Alles worauf ich stolz war.
Ich hatte keine Ahnung mehr. Von gar nichts. Ich konnte nicht lesen, kein Gespräch führen.
Immer wenn ich mich mit Freunden getroffen habe, habe ich es irgendwie hinbekommen, mich wenigstens halbwegs normal zu verhalten. Aber ich war sehr oft abwesend, konnte nicht zuhören, nichts beitragen. Ich war dumm wie stroh geworden.

Aus lauter Verzweiflung habe ich einen Job als Consultant bei meinem Onkel angenommen, obwohl ich das eigentlich nicht wollte, da er ein Mensch ist, der nach außen hin zwar offen und herzlich ist, aber nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist (alle seine Mitarbeiter haben mitlerweile gekündigt).
Mein erster (und letzter) Einsatz war in Zürich. Weitab von Freunden und allem was ich kannte. Aber ich hatte eh meinen emotionalen Draht zu meinen Freunden verloren. Auch der war weg. Ich wusste nicht mehr, wie ich zu ihnen stehe oder sie zu mir, nachdem ich oft so viel unzusammenhängenden und widersprüchlichen Mist gelabert hatte (Konsistent in meinen Aussagen zu sein, war mir auch immer sehr wichtig).
Ich war allein. Allein in einem Job, den ich nicht mochte, unter Leuten, die Deutsche nicht mögen und welche, die extern in eine Firma kommen werden sowieso von den wenigsten gerne gesehen, außer denen, die sie bestellt haben.
Zu dieser Zeit war das abendliche Kiffen das einzige, was mich abgelenkt habe. Hin und wieder habe ich Sport getrieben oder ein Outdoor-Spiel mit dem Handy gespielt. Meine Arbeit lief schlecht. Man kann von Glück im Unglück sprechen, dass ich nicht so sehr kontrolliert wurde, sonst hätte wäre ich nicht so lange in Lohn und Brot gewesen.
Auf der Arbeit habe ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht und es hat fast ein Jahr gedauert, bis aufgefallen ist, dass ich total vergesslich und dumm geworden bin.
An einigen morgenden, als ich so am S-Bahnhof stand, dachte ich, jetzt einfach vor den nächsten Zug springen und dann wars das. Schluss mit dem Leid. Schluss mit dem Stress, Schluss mit allem. Nichts machte Sinn. Ich war vorher so schlau und weiße. Wusste vieles, was andere nicht wussten. Vieles über Menschen, Psyche, mich selbst. War sehr achtsam, lustig und intelligent. Nun war ich das krasse Gegenteil davon.
Ich musste mich als jemand geben, der ich nicht bin in einer Arbeit, die zwar leicht war, aber selbst dazu war ich nicht in der Lage. Ich hatte (immer noch) soziale Ängste, nur noch eine oberflächliche Beziehung zu meinen Freunden, die sonst von Aufrichtigkeit und Vertrauen geprägt war. Zu meiner Familie hatte ich (immer noch) keinen persönlichen, offenen, guten Draht. Ich hatte keine Hobbies mehr, die mir Spaß machten. Ich war kaputt. Der größte Teil dessen, was mich am Leben hielt war nicht noch mehr Leid zu erzeugen, bei den Menschen, die um mich trauern würden. Zum Glück, das kann ich heute sagen, war ich kein großer Egoist.
Zu dieser Zeit kam mir auch hin und wieder mal der Gedanke einen guten schwulen oder bisexuellen Freund zu finden. Also schmiss ich Tinder an. Mit einem habe ich sogar mal gechattet. Der war nett. Aber die Angst vor dem, was passieren könnte, vor der Ablehnung, vor dem, was aus mir werden würde, war viel größer, als dass ich auch nur irgendjemanden näher hätte kennen lernen können.
Beendet wurde mein Einsatz in Zürich dann durch ein paar Kollegen, denen meine Verpeiltheit aufgefallen ist, und die sich ein Spiel darauf gemacht haben. Mobbing würde ich das vielleicht noch nicht nennen, aber es wäre sicherlich dazu gekommen.
Das hätte ich nicht auch noch ertragen. Also habe ich mich krankschreiben lassen und bin ein paar Monate später in eine Psychosomatische Klinik gegangen - die Ambulanz für Depressionen, Zwänge, etc. - die meiner kaputten Psyche einen ersten Verband umlegen konnte. Leider gab es keine Lösungen für meine Probleme.
Als ich aus der Klinik kam war ich erstmal arbeitslos und die Gedankenspiralen begannen von neuem. Kein Bezug zu Freunden, Familie, Angst keinen Job zu finden und blöd zu werden. Und hin und wieder der Gedanke einfach die Reißleine des Lebens zu ziehen und die Sache ein für alle mal zu beenden. Naja, das gleiche halt, wie vorher.

Mir fällt gerade auf, dass ich bisher meine Freundin mit keinem Wort erwähnt habe. Das spricht wohl schon Bände. Aber ich will noch kurz erwähnen, wie klasse sie war. Sie hat mich wirklich ohne jeden Vorbehalt unterstützt. Sie war total in mich verliebt. Sie war ein Sonnenschein. Ich habe sie im Laufe der 1,5 Jahre, in denen wir zusammen waren über alles informiert. Sie hatte für alles Verständnis, sogar dafür, dass ich eigentlich nicht wusste, ob ich bi oder hetero bin. Weil ich aber kaum akzeptieren konnte, dass sie mich akzeptiert, habe ich ein paar mal versucht Schluss zu machen. Aber auch hier konnte ich keine Entscheidung treffen und zu ihr stehen. Kurze Zeit später waren wir immer wieder zusammen. Zum einen, weil ich an sie dachte und wie schmerzhaft es für sie sein muss, zum anderen, weil ich an mich dachte und was für ein toller Mensch sie doch ist und dass sie eigentlich genau das ist, was ich im Leben brauchen würde. Ok, dass ich nur wegen ihr Schluss gemacht habe, ist wohl ein bisschen zu positiv. Ein bisschen unterschwelliger Hedonismus klang auch immer mit. Schließlich war meine Lebensplanung: Viele Frauen aufreissen, rausfinden, welche Aspekte ich an Frauen mag, die beste finden, heiraten, Kindern kriegen. Neue - temporäre Planung im Moment des Schluss machens: Ihr mich und meine Stimmung(en) ersparen und sie nicht mit runterziehen, durch probieren rausfinden, was ich eigentlich will, trotzdem noch den Plan mit den Frauen durchziehen (siehe oben: Konsistenz) und dann ...? Keine Ahnung.
Das Wechselbad der Stimmungen und die Unfähigkeit mich zu entscheiden und zu einer Entscheidung zu stehen zog sich auch hier noch durch. Doch das letzte Schluss machen, werde ich durchziehen. Allein ihr zu liebe. Sie hat seit langem einen Bekannten, der sehr auf sie steht. Und da sie weiß was sie will, nämlich Familie, Karriere, etc. und sie das mit ihm haben kann, will ich, dass sie glücklich wird und ist. Und ich hoffe, dass sie glücklich wird und mit ihm das haben kann, was ich ich ihr nicht geben kann.

Und da wären wir auch schon in der Gegenwart. Ich habe mitlerweile einen Job und nach den Weihnachtsferien - ich tippe mal aufgrund von Meditation - endlich kaum noch soziale Ängste und bin sogar halbwegs in der Lage mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und was dazu zu lernen, sowie mein vorhandenes Wissen halbwegs abzurufen. Und das nach nur 2 Monaten!! (Ironie). Aber wie ichs gewohnt war, ist es noch lange nicht.
Eingestanden, habe ich mir auch, dass ich bi bin. Und seit gestern habe ich sogar Lust bekommen, auf mein neues Leben.
Mein ganzes Unterbewusstsein will es so. Das ist mir jetzt klar. Ich will es so. Ich könnte jetzt damit anfangen, wie ich so schnell, ok, nicht schnell, aber von gestern auf heute darauf gekommen bin, aber das erspare ich euch jetzt mal (es hat mit meinem ersten Post hier und Meditation zu tun und dem, was ich da gesehen/gefühlt habe).
Wie ich damit umgehen soll und was passieren wird, weiß ich auch noch nicht. Aber ich denke ich habe es akzeptiert. Ok, das denke ich jetzt, mal sehen, wie es in ein paar Tagen aussieht, aber soweit, so gut.
Mein Plan: Ich gehe zum nächsten andersroom (kennt ihr sowas?) und lasse mich da beraten. Ich gehe in eine Psychotherapie und lasse mich da beraten. Ich schreibe euch und lasse mich hier beraten. Ich fange an mit Typen in Tinder zu schreiben und mache meine ersten neuen sozialen Versuche (seit Jahren) ohne Stützräder und mache mich nicht fertig, weils nicht funktioniert, weil ich ja schließlich vieles auf diesem Gebiet zu lernen habe.
Ein Punkt ist sogar schon abgehakt: Ich habe schon vorher vielen Freunden erzählt, dass ich wahrscheinlich bi bin. Verpeiltheit, emotionale abgeschiedenheit von Ihnen und der Wunsch vertrauen wieder herzustellen (was von meiner Seite aus leider nicht mehr so spürbar war, obwohl ich der "Bösewicht" war), haben dazu geführt. Familie wird sehr schwer. Manch anderer auch. Auf der Arbeit will ich davon gar nichts erzählen, solange es sich vermeiden lässt (<= Stichwort: Land).

Naja, vielen Dank fürs Lesen. Es hat schon viel zu lange angehalten das alles mit mir rumzuschleppen und ich freue mich so richtig, es endlich mal rausgelassen zu haben. Es hat auch super funktioniert. Normal ist es so, wie in meinem letzten Post, wenn ich an das Thema denke: Ich bin so nervös, aufgeregt, emotional geladen, dass ich nicht strukturiert schreiben kann und in das bisschen, was ich ausformuliert bekomme, schleichen sich 1000 Rechtscheib, Zeichensetzungs-, und (vor allem) Ausdrucks-Fehler ein. Ich hoffe hier sind es nur 500 (und das bei einem sehr viel längerem Text!!) smiling smiley
Danke auch für eure Hilfe und eure Tipps und eure Unterstützung und das ihr bis hierhin nicht eingeschlafen seid und selbst diesen Satz noch lest smiling smiley

Muss jetzt schlafen, aber ich glaube das kriege heute ausnahmsweise mal hin ohne mindestens ne halbe Stunde vorher wach zu liegen und nachts aufzuwachen.

N8!
Re: Vor 2 Jahren das erste mal in Jungen verliebt, dann Depression, jetzt?
13. Januar 2016 17:43
Hallo Misterz,
herzlich willkommen hier bei co30.

In den lezten Zeilen schreibst du u.a. vom "Lust auf das neue Leben".
Ja, es ist und kann so spannend sein, sich auf den Weg zu machen. Sich selber finden.
Nimm dir die Zeit die du brauchst. Und wenn es auch nur kleine Schritte sind.

Es kann auch mal richtig schnell gehen. Da hat man mir damals gesagttongue sticking out smileyass auf, das du dich nicht selber überholst.

Freu mich, von Dir wieder zu lesen.

GLG Maks
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