Lieber Arthur,
zwar bin ich eine Frau, aber mir ergeht es ganz ähnlich wie Dir.
Ich stehe auch vor der Frage: Was bin ich? Wer bin ich? Bin ich homo-bi-oder doch nur heterosexuell?
Ich bin fast 34 Jahre alt, und mein Traum war immer Mann-Kinder-Familie.
Allerdings haben die Beziehungen zu Männern bei mir nie richtig funktioniert.
Ich war schon verliebt, aber etwas in mir hat mich immer in innerer Distanz zu Männern gelassen.
So torkelte ich von einer Männer-Beziehung in die nächste.
Bis ich mich in eine Frau verliebte.
Mit 33.
Wir kannten uns seit ein paar Monaten über eine gemeinsame Freundin.
Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich mit einem Menschen wirklich verbunden.
Ich war süchtig nach ihr, und sie nach mir.
Eine ganz außergewöhnliche Freundschaft begann zwischen uns.
Ich fühlte mich von ihr verstanden und angenommen wie nie bei einem Menschen vorher in meinem Leben.
Es dauerte fast fünf Monate bis ich begriffen hatte, dass ich mich in sie verliebt hatte.
Zwar hatte ich mich in der ersten Klasse in ein 15-jähriges Mädchen verliebt, dem ich sogar einen Liebesbrief schrieb,
und währen meiner Pubertät hatte ich immer wieder nächtliche Träume, in denen ich Sex mit Frauen hatte.
Trotzdem hatte ich vorher überhaupt keine sexuelle Erfahrung mit Frauen.
Anfangs versuchte ich mich von meiner Freundin zu distanzieren, weil ich die freundschaft nicht riskieren wollte.
Aber nach weiteren zwei Monaten hielt ich es nicht mehr aus, und gestand ihr, dass ich mich in sie verliebt hatte.
Zu meinem großen Glück erwiderte sie meine Gefühle.
Sie hatte vor mir bereits eine zweijährige Beziehung mit einer Frau.
Der erste Sex mit ihr war ein Schlüsselerlebnis für mich!
Noch nie vorher hatte ich solch schöne und erregende Gefühle erlebt.
Wir hatten eine sehr schöne Zeit, und ich war überglücklich, und zutiefst dankbar, dass auch ich jetzt endlich Glück in der Liebe finden durfte.
Meine Mutter und mein Bruder reagierten absolut positiv darauf.
Bloß, mein Vater.
Er zwang mich quasi zu meinem coming out.
Ich wollte es ihm in Ruhe SELBST erzählen.
Doch er überfiel mich, und sagte mir, dass er sich das ja schon gedacht hätte, dass es ihm jetzt sehr schlecht ginge, und er schwer enttäuscht sei von mir.
Und ob ich denn überhaupt kein Interesse mehr an Männern hätte, und ob das jetzt für immer so sei.
Zuerst dachte ich, dass ich über seine Worte stehen würde.
Doch seine Worte haben mich leider sehr beeinflusst, und mich in eine schwere Identitätskrise gestürzt.
In der mich monatelange Zweifel an mir, meiner sexuellen Identität, und leider auch an der Beziehung zu meiner Freundin plagten.
Ich hatte regelrechte Angst-und Panikattacken, und wurde depressiv.
Es führte sogar dazu, dass ich die Beziehung zu meiner Freundin beendete, da ich nicht mehr wusste, wer ich war.
Eine Psychologin, die selbst Mutter eines schwulen Sohnes ist, und beim coming out Schwule/Lesben/Bisexuelle berät,
sagte mir, dass ich mich erst jetzt im eigentlichen coming out befände.
Und das eine schwierige Phase sei.
Deshalb sei froh, dass Du jetzt Dein coming out erlebst, bevor Du Dich Hals über Kopf in einen Mann verliebst, der Dir am Herzen liegt.
Ich rate Dir, folge Deinen Gefühlen, auch wenn sie vielleicht noch indifferent sind.
Und wenn Dein Herz für Männer schlägt, dann oute Dich, bevor Dir Dein Vater das outing vorwegnimmt.
Liebe Grüße,
Dalila