Liebe Kaffeetante,
schön, daß Du hier schreibst und so ja sicher auch nach Antworten suchst, warum alles so gelaufen ist. Wir alle können natürlich nicht in Deinen Mann hineinschauen und niemand weiß, ab wann es genau Deinem Mann klar war, daß er schwul oder bi oder sonstwas ist. Vielleicht weiß er es selbst ja nicht mehr.
Ich - der "es" recht früh wußte und deswegen aus Respekt auch nie versucht hat, was mit Frauen anzufangen - kann nur für mich reden, wie meine Zeit vor meinem Coming Out war. Mein Coming Out war so ca. mit 32 Jahren und ich wußte es - mehr oder weniger - bereits mit zwölf. Zwar habe ich dawischen nie versucht, es einfach mal mit einer Frau zu probieren, aber ich erinnere mich sehr gut daran, was mir alles durch den Kopf gegangen ist. Damals wie sicher auch heute ist es ein großer Schock für viele Männer (zumindest war/ist es so für mich), zu erkennen, daß man vielleicht (!) schwul ist. Man bemerkt es, versuch Erklärungen zu finden, man beschwichtet sich, man denkt "Nein, das ist nur so eine Phase" etc. etc. Ich glaube, zunächst mal ist niemand gerne schwul (oder lesbisch) und man versucht alles Mögliche, um sich selbst das Gegenteil zu beweisen.
Um es auch erst einmal klar zu stellen: schwul zu sein heißt nicht nur, daß man Sex mit anderen Männern haben möchte, sondern daß man sich in andere Männer verliebt, und zwar so, wie Du Dich vielleicht auch in andere Männer verliebst. Seit ich 32 bin (und das ist nun auch gut zehn Jahre her), hatte ich nur ganz wenig Sex mit Männern, es waren keine zwanzig Mal in 13 Jahren, aber ich liebe Männer, bin sehr gerne mit ihnen zusammen, unternehme was mit ihnen etc. Ich finde Männer attraktiv und bin gerne mit ihnen (auch nur "einfach so"
zusammen. Genauso bist Du sicher auch gerne mit Deinem Mann oder generell mit Männern zusammen. Das kannst Du 1:1 übersetzen. Oft wird es so hingestellt, als sei Schwulsein einfach nur so eine Art "Lust auf Trieberfüllung", aber das kann ich nicht unterschreiben, das ist sichert nur ein Aspekt.
Zurück zu meiner Phase vor meinem Coming Out. Ich war in dieser Phase sehr verzweifelt. Zwar hatte ich ja nie eine Partnerin, es war für mich immer klar, daß das nicht geht, aber ich hatte natürlich gute Freundinnen (und natürlich auch gute Hetero-Freunde). Sie wußten von meiner Homosexualität nichts (bis auf eine Auzsnahme), und ich litt extrem darunter. Einerseits wollte ich mich ihnen gegenüber nicht offenbaren, weil ich mich extrem schähmte. Ich wollte ja nicht schwul sein und hätte alles dafür gegeben, ein scheinbar "ganz normales Leben" zu führen. Andererseits wollte ich mich auch nicht ewig verstellen und so tun, als stünde ich auf Frauen. Auch das tut weh, und auch daß Sich-Abtrainieren, daß man eben auch mal einem Mann nachschauen möchte. Ich habe mir das echt (!) abtrainiert, wenn ich einen attraktiven Mann sah, leuchtete bei mir innerlich ein rotes Lämpchen, was dann sagte: wegschauen! Tatsächlich geht so was.
Kurzum: ich hatte eine Todesangst davor, mich zu outen, sah da KEINE Möglichkeit, es ging für mich nicht. Also stürzte ich mich in die Arbeit und in einen guten Freundeskreis und versuchte, mein Leben anderweitig "nützlich" zu gestalten. Vielleicht habe ich daher noch heute einen echt guten Freundeskreis, wer weiß?
Aber nun ein weiterer Punkt: Wenn ich so völlig verzweifelt war, manchmal sogar kurz vor dem Selbstmord stand (das meine ich so), wünschte ich mir manchmal dennoch nichts sehnlicher als ein "normales Leben". Möglichst eine Familie, Kinder etc. Das ist sicher ebenso in mir drin, daß ich den Wunsch nach "Normalität" habe. Und dieser Drang war/ist auch sehr stark, wahrscheinlich ist dieser Drang in jedem Menschen drin. Klar ist: ich entschied mich, auch diesen Drang zu unterdrücken, weil ich es einer Frau gegenüber nicht fair empfunden habe, trotz meines Wissens eine Verbindung mit ihr einzugehen. Die Alternative war aber nicht "Dann mit einem Mann" sondern "gar nichts", einfach "nur" der "stets beste Freund" von irgendwem zu sein - und zwar ohne Sex. Ich kann das nicht trennen.
Dennoch kann ich in dieser Lage gut nachvollziehen, daß jemand anders vielleicht auf des Messers Schneide gerade andersherum fällt. Er hat eine liebe Freundin (und natürlich kann man auch Frauen sympathisch finden und lieb gewinnen), sie zeigt deutlich ihre Zuneigung etc. Und man selber will ja auch vom Kopf her gar kein anderes Leben: man will "normal" sien, Kinder haben etc. Man will das, was man (früher noch mehr als heute) auch dauernd im Fernsehen, im Kino etc. sah. Dort gab es (fast nur) Hetero-Paare. Die Freunde um einen herum haben Freundinnen etc., man will nicht anders sein. Und: man liebt ja auch die Freundin. Vielleicht ist es ja nicht so stark, wie man einen Mann lieben würde, aber man liebt die Person und das (meine ich nicht abwertend!!!) "Gesamtpaket" Frau + Kinder + "normales Leben" kann so attraktiv erscheinen, daß man denkt: ach, das mit den Männern kriege ich schon unterdrückt. Und das geschieht ja auch nicht unbedingt bewußt, sondern unterbewußt.
Es gab so viele schwache Momente, da hätte mir das auch passieren können - zum Glück passierte es mir aber nicht, so daß ich heute nicht vor dem Problem stehe, das andere schwule Familienväter haben. Aber wie leicht hätte es anders laufen können, z.B. hätte eine meiner Freundinnen mehr um mich gekämpft etc.? Oder ...? Oder ...? Wie leicht hätte ich der Verlockung nicht widerstehen können, eben "normal" zu sein? Zumal ja als Alternative auch nicht die Aussicht zu erkennen war, daß ich mit einem Mann glücklich werden könnte, denn das stand ja für mich auch außer Reichweite.
Ich weiß nicht, ob es bei Deinem Mann nun so war, wie bei mir und er kippte einfach auf des Messers Schneide in die andere Richtung. Jeder Fall ist anders. Vielleicht war ihm "alles" sehr früh bewußt, vielleicht hatte er es wirklich verdrängt, vielleicht bist Du auch ein so großartiger Mensch, daß er auch zunächst niemanden anderes brauchte? Und dadurch "bemerkte" er erst sehr viel später, daß er anders orientiert ist zu einem Zeitpunkt, als es vielleicht schon "zu spät" war. Er liebt Dich ja dennoch und will "Eure Familie" nicht zerstören. Das hielt ihn vielleicht auch davor ab, zu handeln, zumal ja dieses "Problem" nicht unbedingt immer das einzige "Problem" in seinem Leben war: Arbeit übertüncht, Familienprobleme, Glück mit Kindern etc. Seine Homosexualität hatte vielleicht gar nicht immer 1. Priorität. Das mag sich später geändert haben.
Ich kann Dir natürlich nicht erklären, was nun genau mit Deinem Mann los war/ist, aber ich dachte, ich schreibe Dir mal meine Gedanken dazu ijn der Hoffnung, daß der eine oder andere Aspekt Dir vielleicht hilft, ihn ein wenig besser zu verstehen. Es ist mir dabei völlig klar, daß dies für Euch alle eine extrem schlimme Situation ist und hoffe, daß Ihr miteinander eine gute Lösung findet, damit fertig zu werden. Klar ist es schwer, eine "Liebe" in eine "Freundschaft" umzuwandeln, und das geht auch nicht von jetzt auf gleich. Aber Ihr seid ja, auch wenn Ihr nicht mehr "zuammen" seid, weiter eine Familie und ich hoffe, Ihr schafft es mit der Zeit, diese auf neue Beine (vielleicht auf Beinen der "superguten Freundschaft"
zu stellen. Ich drücke Euch die Daumen!
Falls ich an Eurem Problem gänzlich vorbeigeredet haben sollte, bitte entschuldige, dann vergiss einfach meine Zeilen :-)
Alles Liebe und viele Grüße,
sagt Mickey2 :-)
2-mal bearbeitet. Zuletzt am 17.12.12 09:51.