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Das Leben ist eine Achterbahn

geschrieben von Flying.Finn 
Das Leben ist eine Achterbahn
10. Januar 2019 15:31
Das Leben ist wie eine Achterbahn. Mal geht es langsam bergauf, dann wieder im Sturzflug bergab. Wohin es geht ist eigentlich egal, Hauptsache es wirft Dich nicht ab.

Wenn ich auf mein Leben gucke, habe ich einen Job der mir Spaß macht, eine pflegebedürftige Mutter zuhause die - trotz aller Widrigkeiten - immer noch freudig darauf wartet das ich nach getaner Arbeit zu ihr nach Hause komme und etwas Abwechslung in ihr Leben bringe. Freunde hat man als pflegender Angehöriger nicht oder nicht mehr viele. Obwohl Freunde hatte ich eh nie viele. Eigentlich könnte ich ganz zufrieden sein, wäre da nicht ein Geheimnis.

Geheimnisse sind immer große Worte und es gibt auch meistens gute Gründe, warum diese Geheimnisse eben Geheimnisse sind. Es kann sein, weil es peinlich ist oder weil man die Befürchtung hat das die Umwelt negativ darauf reagiert. Vielleicht will man die Welt derer die man liebt einfach nicht zum Wanken bringen. Oder - und das ist in ähnlichen Situationen denke ich bei den meisten der Fall - man will sich das was man geheim hält einfach selbst noch nicht eingestanden und hofft das es noch einen Weg gibt, das eigentlich Unvermeidliche doch noch abzuändern.

Mein Geheimnis ist: Ich bin bisexuell. Ich weiß Spötter werden jetzt sagen: "Sei froh, dann kannst Du aus 100% der Menschheit wählen", oder: "Bi? Du bist doch nur zu feige zu sagen das Du schwul bist!"

Woher ich weiß das ich bi bin. Um sich das einzugestehen hat es lange gebraucht.

Ich kann mich noch auf meine Teenagerzeit erinnern, wo ich total auf Jonathan Brandis stand. Man kann sowas im Alter von 14, 15 Jahren auch schon mal als jugendliche Schwärmerei abtun, zumal ich wenig später Britney Spears voll heiß fand - auch wenn diese später dann in die Sparte Obszön und Pfui-Bäh abgeglitten war.

Meine ersten sexuellen Erfahrungen machte ich mit einem Kumpel. Irgendwie landeten wir auf der Couch und fummelten gegenseitig aneinander rum, bis es uns nicht nur einmal kam. Und das Ganze ist nicht nur einmal passiert. Daraus eine Liebesbeziehung zu basteln wäre etwas weit hergeholt. Irgendwann kam das Studium und mein Kumpel zog dafür weg und heute lange Zeit später ist der letzte Stand den ich habe, dass dieser Kumpel irgendwo in der kanadischen Wildnis quasi als Einsiedler lebt. Liebe nein, eher nur gemeinsames und gegenseitiges Druck ablassen.

Später kam dann meine erste große Liebe. Am Gymnasium hatte ich mich total in ein für die meisten anderen eher unscheinbares Mädchen verliebt. Sie ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Ich bin sogar in ihre Lerngruppe gegangen. Und wir fuhren zusammen mit ein paar weiteren Freunden zu einem Michael Jackson-Konzert auf Schalke, was dann leider wegen Magendarmbeschwerden vom King of Pop ausfiel. Hier gab es ein Problem: ich liebte sie und traute es mich nicht es ihr zu sagen. Das zweite Problem war dann folgenreicher: Wir machten Abi. Noch schlimmer war es dann bei einem Klassentreffen viel später zu erfahren, das da durch mehr hätte sein können.

Als einer der wenigen blieb ich in meiner kleinen Heimatstadt, während die anderen für Studium oder eine Ausbildung in die weite Welt rauszogen. Was meine Freundin oder besser Nicht-Freundin betraf, habe ich dann vor längerem mitbekommen das aus Ihr eine taffe Frau geworden ist, die als Managerin in der Schweiz lebt.

Lange Beziehungen hatte ich eigentlich nie. Irgendwie lebte es sich meist schnell nebeneinander einher und dann war das nebeneinander ganz gerne auch schon mal auseinander. Vielleicht war ich den Freund(inn)en einfach zu langweilig. Keine Ahnung. Wobei da auch Frauen dabei waren, die es vom Wissen nicht mal geschafft hätten eine Fertig-Pizza im Backofen zuzubereiten. Woraus der Spruch kam den meine Mutter gerne wiederholt: "Er will halt keine, er meint das er sein Geld auch alleine verbraten kann."

Kochen kann ich eigentlich ganz gut. Ich habe kein Problem quasi aus Nix ein Dreigänge-Menü zu zaubern, so das dem Horst beim Essen die Lichter ausgehen. Allerdings sieht die Küche dann hinterher auch wie ein Schlachtfeld aus. Als das ZDF die Sendung "Küchenschlacht" entwickelt hat, müssen die Macher vorher bestimmt einmal in meiner Küche gestanden haben und zwar nach dem Kochen. Nur ist halt meine Meinung das nicht einer alleine für den Haushalt verantwortlich sein kann, in der Beziehung sollte man sich schon teilen.

Was das "verliebt sein" betrifft, wurde ich aber mit der Zeit immer verwirrter. Mal fand ich den Typen der den ich bei mehreren Volksläufen und einem Triathlon sah total geil, dann stand ich auf eine Verkäuferin in einem Discounter, wo ich plötzlich dann unbedingt täglich einkaufen gehen musste, weil an der Kasse für mich die Sonne aufging. Dieses Hin und Her machte mich selbst verrückt. War ich jetzt schwul? War ich Hetero? Hatte ich nur homo- oder heterosexuelle Phasen?

Irgendwann ging mir das Licht auf, das ich auf Gesichter reagiere. Je attraktiver ein Gesicht ist, umso höher die Wahrscheinlichkeit das ich positiv auf die betreffende Person reagiere. Dabei braucht dieses Gesicht nicht mal Mainstream-Schön zu sein. Und ich kann nicht mal genau sagen was ein Gesicht ausmacht, auf das ich anspringe. Ich bildete mir lange ein, dass es blaue Augen wären, bis ich neulich diesen einen Typen mit haselnussbraunen Dackelaugen sah. Nein, das war es nicht. Dann dachte ich das es vielleicht die Lippen wären, weil da diese eine Schauspielerin war auf die ich angesprungen bin richtig volle Lippen hatten nur um mir später vorzustellen wie es wäre den Mann zu küssen, der beim Baumarkt in der Beratung bei den Sanitärartikeln arbeitet und Lippentechnisch genau das Gegenteil ist. Ich verliebe mich halt in Gesichter und dem Typ des jeweiligen Menschen, ob der Rest daran männlich oder weiblich ist kann ich nicht steuern. Es ist einfach so.

Die meisten machen Hetero, Bi oder schwul nur am Sex fest. Ich finde wer es nur darauf basierend auslegt, was er ist macht es sich etwas zu einfach. Auch ein Hetero-Mann kann entweder mit zu viel Alkohol oder einfach nur aus Neugier mal mit einem Typen im Bett landen. Davon wird der Mann nicht automatisch schwul oder bi.

Ich mag bei einer Frau wenn sie eine feminine Figur hat und schöne Brüste. Die Brüste müssen dazu nicht mal groß sein. Es muss halt in sich passen. Bei einem Mann kann es die tolle Figur sein - nein es braucht nicht unbedingt der berühmte Waschbrettbauch zu sein - und auch das in der Hose spielt eine gewisse Rolle. Wobei auch hier mehr die Optik als die Größe zählt. Bevor jetzt die Prallhänse kommen: ein einfacher durchschnittlicher, appetitlicher Schniedel wirkt auf mich anregender als ein krummer 25 cm-Hammer, wo man zwei gucken muss um zu sehen, das alles am richtigen Fleck ist.

Entsprechend ist es bei mir auch beim Sex. Die Nummer mit dem Po kann ich mir nicht vorstellen, weder mit einem Mann noch mit einer Frau und hier geht es auch nicht darum ob aktiv oder passiv. Ich find das ganze einfach halt nur ekelig. Sehe ich aber auch nicht als das riesen Problem. Es gibt noch genug andere Möglichkeiten sich gegenseitig Lust verschaffen oder sich dem anderen hinzugeben.

Beim Vergucken gibt es auch Unterschiede...das eine ist das, wenn man sich in jemand verliebt oder wenn man jemand mag.

Durch ein Augmented Reality-Game habe ich auch Kontakt zu jüngeren Mitspielern. Wir reden hier jetzt nicht von vorpubertären Kindern, sondern halt Jungs und Mädels so ab 17, 18 Jahren aufwärts. Da sind durchaus auch welche bei die ich sehr mag, vom Aussehen her und auch von der Art. Nur verlieben das ist es nicht, es ist eher so ein mögen, wie man seinen Bruder oder seine Schwester mag. Vielleicht kommt das auch dadurch, dass ich gerne einen jungen Bruder und/oder eine Schwester haben würde. Dass das noch passiert, ist bei einer Mutter im Bereich von 80+ die verwitwet ist, eher unwahrscheinlich. Schade eigentlich, ich hätte wirklich gerne Geschwister gehabt.

Dann mach doch es doch einfach öffentlich...", könntest man an dieser Stelle dann zu mir sagen. Ja, es wäre schön, wenn man das einfach so könnte. Klar kann man einfach in die Welt hinausschreien: "Damit Ihr es wisst, ich bin bi!". Nur damit würde ich sicher einige Leute vor den Kopf stoßen. Ich hätte auch Angst davor wie der ein oder andere reagiert. Klar hätte es auch seine Vorteile: Das verstecken und verstellen wäre endlich vorbei. Nur bin ich derzeit an einem Punkt wo ich noch sage, dass die Nachteile überwiegen.

Da ist zu einen meine Mutter, die ja irgendwie hofft, dass es irgendwann mal ein kleines Enkelchen gibt. Sie würde es wahrscheinlich akzeptieren, wenn ich ihr einen Freund - und nicht einfach nur einen Kumpel präsentieren würde. Verstehen würde sie es nicht. Und das in dem Moment eines festen Freundes ein Enkel relativ unwahrscheinlich wird, würde es nicht einfacher machen.

Auch wenn ich mich umsehe an Arbeit - hier täte ich mich vermutlich noch am leichtesten, da man an meiner Arbeitsstelle sehr liberal ist. Nur beim Freundeskreis, wenn ich da den ein oder anderen Spruch sehe, der schon in die leicht homophobe Richtung geht und sehe das ich hier den ein oder die ein oder andere im Verwandten- und Bekanntenkreis habe, die eigentlich nur auf die Chance warten jemand auszugrenzen und niedermachen, dann ist das doch schon ein zweischneidiges Schwert. Was vielleicht daran liegen kann, dass ich mit Ausgrenzung bis hin zum Mobbing schon negative Erfahrungen gemacht habe.

Ein weiterer Nachteil wäre die Partnerschaft. Wenn Du bi bist, kannst Du nicht treu sein, ist die Einstellung die viele Partner so haben, wenn man einschlägige Foren durchließt. "Ich hab immer Angst, das mein Freund mit einem Mann...", so oder so in der Art beginnen viele Postings. Das man Bi ist, heißt nicht zwangsläufig das man auf Männerentzug ist, nur weil man mit einer Frau eine Beziehung hat oder umgekehrt. Wobei ich mir durchaus auch eine Dreierbeziehung mit einem Mann und einer Frau vorstellen kann. Nur die Wahrscheinlichkeit das sich so etwas findet, das drei Personen da sind, die untereinander von Liebe sprechen ist sehr gering, das klappt ja oft genug nicht mal bei "nur" zwei Personen. Von den fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen will ich hier gar nicht erst anfangen.

Das einzige wovor ich wirklich Angst habe, ist das jemand irgendwann oder irgendwie mal mein Geheimnis herausfindet und mich einfach outet. Ich bin jemand der gerne die Kontrolle behält und dazu gehört für mich eben einfach auch, dass ich das wann, wie, wo und gegenüber wem ich mich oute in meiner Hand behalten will und nicht das dies mir jemand einfach so abnimmt und in den Raum hinausposaunt oder, was auch passieren kann unwahre Halbwahrheiten "Wisst Ihr schon, der und der ist schwul", verbreitet. Das ob und wann und wie ich mein Coming Out mache, ist genau nur die Sache von einer Person: und zwar meine.
Re: Das Leben ist eine Achterbahn
17. Februar 2019 09:09
Danke für deinen Bericht. Sehr lesenswert und ging mir nah. Alles Gute für dich! :-)
Re: Das Leben ist eine Achterbahn
10. April 2019 14:57
Hallo Flying.Finn

schön von Dir zu lesen. Spannende Geschichte.

Flying.Finn schrieb:
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> ...
> Mein Geheimnis ist: Ich bin bisexuell. Ich weiß
> Spötter werden jetzt sagen: "Sei froh, dann
> kannst Du aus 100% der Menschheit wählen", oder:
> "Bi? Du bist doch nur zu feige zu sagen das Du
> schwul bist!"
>...
> Das man Bi ist, heißt nicht zwangsläufig das man auf
> Männerentzug ist, nur weil man mit einer Frau
> eine Beziehung hat oder umgekehrt. Wobei ich mir
> durchaus auch eine Dreierbeziehung mit einem Mann
> und einer Frau vorstellen kann.
>...
> Das einzige wovor ich wirklich Angst habe, ist das
> jemand irgendwann oder irgendwie mal mein
> Geheimnis herausfindet und mich einfach outet. Ich
> bin jemand der gerne die Kontrolle behält und
> dazu gehört für mich eben einfach auch, dass ich
> das wann, wie, wo und gegenüber wem ich mich oute
> in meiner Hand behalten will und nicht das dies
> mir jemand einfach so abnimmt und in den Raum
> hinausposaunt oder, was auch passieren kann
> unwahre Halbwahrheiten "Wisst Ihr schon, der und
> der ist schwul", verbreitet. Das ob und wann und
> wie ich mein Coming Out mache, ist genau nur die
> Sache von einer Person: und zwar meine.

Wenn ich das so lese, scheint bei Dir "mehr BI" drin zu sein, als bei vielen anderen, die sich meiner Erfahrung "nur" dafür halten oder gehalten haben.

Finde ich cool, wie Du quasi bestätigtst, dass "BI" sich wahrscheinlich gerne beiden Geschlechtern widmen würden, statt "nur" mit einem einzigen Partner eines Geschlechtes auszukommen ...
Für mich ist das OK, denn ich würde auch nicht nein sagen, wenn sich was zu dritt längerfristig ergeben würden (aber psst! das ist meine Phantasie)

Das Thema Coming Out ist natürlich der "Casus Knacktus".
Du möchtest es selbst in der Hand haben, steuern und selbst bestimmen, wann es soweit ist, in welcher Reihenfolge die Informationen an welche Personen "gestreut" werden.
Dazu mein Rat und meine Erfahrung: "mache es jetzt!". (ok, Du weißt, wie ich das mit "jetzt" meine)
Jeder Tag, den Du noch wartest erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass irgenjemand etwas weitererzählt, was Du nicht steuern kannst.

Tatsächlich ist es aus meiner Sicht nur notwendig, ganz eng vertraute Personen direkt anzusprechen, damit sie es nicht "hintenrum" erfahren (Ehepartner, Geschwister, Eltern, enge Freunde).
Alle anderen werden es mitbekommen oder nicht, wenn Sie erfahren, mit wem Du Deine Freizeit verbringst.

Viel Glück beim "Leben"
Victor
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